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BVerfG 07.04.2022 - 1 BvR 1187/19
BVerfG 07.04.2022 - 1 BvR 1187/19 - Nichtannahmebeschluss: Urteil des BGH zur "Lebensverlängerung als Schaden" (02.04.2019, VI ZR 13/18, BGHZ 221, 352) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden - Verfassungsbeschwerde teils unzulässig sowie in der Sache erfolglos
Normen
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 90 BVerfGG, § 253 Abs 2 BGB, Art 8 MRK
Vorinstanz
vorgehend BGH, 2. April 2019, Az: VI ZR 13/18, Urteil
vorgehend OLG München, 21. Dezember 2017, Az: 1 U 454/17, Urteil
vorgehend LG München I, 18. Januar 2017, Az: 9 O 5246/14, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Hintergrund der Verfassungsbeschwerde ist ein medizinrechtlicher Streit um die Behandlung eines dementen Schmerzpatienten, dessen Sohn diese Behandlung zu beenden versuchte, was ihm nicht gelang. Ihr Gegenstand ist vor allem die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur "Lebensverlängerung als Schaden" (Urteil vom 2. April 2019 - VI ZR 13/18 -).
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1. Der Beschwerdeführer ist der in den USA lebende Sohn des im November 2011 verstorbenen Patienten und dessen Alleinerbe. Sein Vater stand von 1997 bis zu seinem Tod unter Betreuung; seit 2006 lebte er in einem Pflegeheim.
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Der Verstorbene wurde seit September 2006 bis zu seinem Tod mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Sein Hausarzt, gegen den der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren zivilrechtliche Ansprüche geltend machte, betreute ihn seit dem Frühjahr 2007. Bereits im Jahr 2003 war eine Demenz weit fortgeschritten und wegen einer mutistischen Störung war eine Kommunikation kaum mehr und seit dem Jahr 2008 gänzlich unmöglich. Seit November 2008 bis zu seinem Tod erhielt der Verstorbene durchgängig Schmerzmittel. Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 19. Oktober 2011 hatte er regelmäßig Fieber, Atembeschwerden und wiederkehrende Druckgeschwüre; viermal erlitt er eine Lungenentzündung. Ende Mai bis Mitte Juni 2011 wurde er wegen einer Gallenblasenentzündung stationär behandelt, aber aufgrund des schlechten Allgemeinzustandes keine operative Therapie durchgeführt. Am 8. Oktober 2011 wurde er wegen einer Aspirationspneumonie erneut stationär aufgenommen, auf eine intensivmedizinische Behandlung aber verzichtet. Am 19. Oktober 2011 verstarb er im Krankenhaus.
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Der Verstorbene hatte weder eine Patientenverfügung errichtet noch ließ sich - ausweislich der fachgerichtlichen Feststellungen, an die das Bundesverfassungsgericht gebunden ist - sein Wille zum Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen anderweitig feststellen.
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2. Nach dem Tod seines Vaters nahm der Beschwerdeführer den Hausarzt auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen der künstlichen Ernährung in den Jahren 2010 und 2011 in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht sprach dem Beschwerdeführer ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro nebst Zinsen zu; im Hinblick auf den Ersatz materieller Schäden wies es die Klage ab.
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Auf die Revision des beklagten Arztes hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts auf und wies die Berufung des Beschwerdeführers gegen das landgerichtliche Urteil sowie dessen Anschlussrevision zurück. Es sei zweifelhaft, könne aber dahinstehen, ob mit der Begründung des Oberlandesgerichts die Verletzung einer Aufklärungspflicht des Arztes angenommen werden könne. Auch könne offenbleiben, ob das Verhalten des Arztes als behandlungsfehlerhaft zu qualifizieren sei. Keiner Entscheidung bedürfe ferner die Frage, ob etwaige Pflichtverletzungen des Arztes zu einer Gesundheitsverletzung beim Verstorbenen geführt hätten, die dem Arzt zuzurechnen seien. Denn jedenfalls fehle es an einem immateriellen Schaden im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB. Der Bundesgerichtshof argumentierte, menschliches Leben sei absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu. Deshalb verbiete es sich, ein Leben gegenüber dem Tod als Schaden anzusehen. Es entziehe sich auch menschlicher Erkenntnisfähigkeit, ob ein leidenbehaftetes Leben gegenüber dem Tod ein Nachteil sei.
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3. Der Beschwerdeführer rügt mit der Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Rechten seines Vaters und eigener Rechte.
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a) Verletzt seien die Grundrechte seines Vaters auf den Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Da sein Vater verstorben sei, könne er dies nicht mehr selbst geltend machen. An die Stelle des Grundrechtsschutzes trete der Schmerzensgeldanspruch, der am Grundrechtsschutz teilnehme.
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b) Der Beschwerdeführer selbst sei in seinem von Art. 14 GG geschützten Erbrecht sowie in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Soweit sie überhaupt zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig.
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a) Unzulässig sind die Rügen einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG beziehungsweise des effektiven Rechtschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG. Sie sind nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend substantiiert (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer wehrt sich dagegen, dass der Bundesgerichtshof im Vergleich zur "Kind als Schaden"-Rechtsprechung zwei ungleiche Sachverhalte gleichbehandele. Doch hat der Bundesgerichtshof selbst ausdrücklich dargelegt, welche Unterschiede zwischen diesen bestünden und welche Besonderheiten hier zu berücksichtigen seien, und die Rechtsprechung aus dem sogenannten Röteln-Fall (BGHZ 86, 240) fortgesetzt. Worin dennoch eine unzulässige Ungleichbehandlung liegen soll, erschließt sich aus den Darlegungen der Verfassungsbeschwerde nicht.
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Desgleichen ist nicht substantiiert dargelegt, inwiefern die hier angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seiner von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Handlungsfreiheit verletzen könnten, weil sich das Verständnis von einem Schaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB nicht mehr in den Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung halte.
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b) Im Übrigen ist die Beschwerdebefugnis zumindest zweifelhaft.
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Zum Schutz der Grundrechte seines verstorbenen Vaters ist der Beschwerdeführer grundsätzlich nicht beschwerdebefugt. Die Verfassungsbeschwerde muss der Durchsetzung eigener Rechte dienen; die Geltendmachung höchstpersönlicher Rechte ist auch im Fall des Todes nicht durch Dritte möglich. Daher erledigt sich eine Verfassungsbeschwerde im Regelfall, wenn der Beschwerdeführer verstirbt (BVerfGE 153, 182 253 Rn. 181> m.w.N.). Auch eine Rechtsnachfolge in das Verfahren kommt für höchstpersönliche Rechte nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 109, 279 304>).
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Das gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die höchstpersönlichen Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention aus Art. 8 EMRK sind ebenfalls nicht übertragbar; Beschwerden können daher nach dem Tod grundsätzlich auch nicht von engen Verwandten oder Erben verfolgt werden (vgl. EGMR, Sanles Sanles v. Spanien, Urteil vom 26. Oktober 2000, Nr. 48335/99). Das ist nur dann anders, wenn Beschwerdeführende selbst und im eigenen Interesse am Ausgangsverfahren beteiligt waren (vgl. EGMR, Koch v. Deutschland, Urteil vom 19. Juli 2012, Nr. 497/09, §§ 47 ff., 54). Enge familiäre Beziehungen und persönliche und rechtliche Interessen am Ausgang des Verfahrens allein genügen jedoch nicht. Hier ist auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, dass der verstorbene Vater des Beschwerdeführers zu Lebzeiten weder geäußert hat noch als sein Wille ermittelt wurde, sein Leben beenden zu wollen (dazu EGMR <GK>, Lambert v. Frankreich, Urteil vom 5. Juni 2015, Nr. 46043/14, §§ 178 ff.). Insofern macht der Beschwerdeführer nicht eindeutig etwas geltend, was der Verstorbene schon zu Lebzeiten zu erreichen gesucht hätte. Auch wenn er offensichtlich im Sinne seines Vaters handeln will, kann er nach dessen Tod nicht dessen Interessen als eigene Rechte geltend machen.
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2. Die Verfassungsbeschwerde hat ungeachtet der Zweifel an der Beschwerdebefugnis jedenfalls in der Sache keinen Erfolg, denn die Entscheidung des Bundesgerichtshofs stößt nicht auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken.
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a) Das menschliche Leben ist nach Maßgabe des Grundgesetzes höchst-rangiges Rechtsgut und dem Grunde nach absolut erhaltenswürdig. Der Schutzauftrag des Staates zugunsten des Lebens (vgl. BVerfGE 142, 313 337 Rn. 69> m.w.N.) endet aber dort, wo das Selbstbestimmungsrecht beginnt. Denn die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, ist von existentieller Bedeutung für die Persönlichkeit, Ausfluss des eigenen Selbstverständnisses und grundlegender Ausdruck der zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Person (vgl. BVerfGE 153, 182 261 f. Rn. 209 f.> - Suizidhilfe). Die Schutzpflicht für das Leben erhält gegenüber dem Freiheitsrecht wiederum den Vorrang, wo Menschen Einflüssen ausgeliefert sind, die ihre Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährden (vgl. BVerfGE 153, 182 286 Rn. 275>).
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b) Der Bundesgerichtshof setzt das Leben in der angegriffenen Entscheidung zwar in einer Weise absolut, die Zweifel daran wecken könnte, ob das Selbstbestimmungsrecht hinreichend Beachtung findet. Doch beruht die Entscheidung darauf nicht.
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Hier war der tatsächliche oder mutmaßliche Wille als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Verstorbenen nicht feststellbar. Der Bundesgerichtshof konnte das Vorliegen der haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale des vertraglichen wie des deliktischen Schadensersatzanspruchs daher als Revisionsgericht dahinstehen lassen und allein einen kausalen Schaden verneinen. Er hat dabei ausdrücklich offengelassen, ob ein Schadensersatzanspruch auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Selbstbestimmungsrecht des Patienten gestützt werden könnte, wenn die lebenserhaltende Maßnahme gegen den Patientenwillen aufrechterhalten würde. Will der Patient - anders als im Streitfall - tatsächlich selbstbestimmt sterben, tritt die Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hinter dem Selbstbestimmungsrecht zurück. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist damit nicht gesagt, dass das Leben in jedem Fall absolut erhaltungswürdig sei. Es ist daher auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine lebenserhaltende Maßnahme, die gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt wird, haftungsrechtliche Folgen haben kann.
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c) Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der Bundesgerichtshof verfassungsrechtliche Vorgaben verkannt hätte. Die Parallele zu früheren Entscheidungen - insbesondere zu dem Urteil im "Röteln-Fall" vom 18. Januar 1983, BGHZ 86, 240 - liegt darin, dass weder ein Kind aus der eigenen Existenz Schadensersatzansprüche herleiten kann noch der Erbe aus dem Leid des verstorbenen Vaters. Zudem folgt aus der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Tod nicht zwingend, immer und in jeder Hinsicht einen Schaden anzuerkennen, der zivilrechtlich geltend gemacht werden könnte. Wenn der Bundesgerichtshof meint, Leiden könne nicht in monetären Summen bewertet werden und daher einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz ablehnt, stellt dies die grundrechtlich geschützte Selbstbestimmung über das eigene Leben nicht in Frage. Der Bundesgerichtshof hat es insbesondere nicht ausgeschlossen, die wirtschaftlichen Belastungen, die mit dem Leben verbunden sind, unter bestimmten Umständen als materiellen Schaden zu begreifen. So können Kosten für Pflege, Behandlung und Unterhalt ersatzpflichtig sein, wenn sie ohne eine lebensverlängernde Behandlung, Information oder Aufklärung, die sich als fehlerhaft erweisen, nicht entstanden wären.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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