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BVerfG 25.04.2016 - 1 BvR 1147/12
BVerfG 25.04.2016 - 1 BvR 1147/12 - Nichtannahmebeschluss: Zur Versicherungspflicht einer selbständigen Physiotherapeutin in der gesetzlichen Rentenversicherung - Subsumtion des Berufs des Physiotherapeuten unter "in der Krankenpflege tätige Pflegepersonen" iSd § 2 S 1 Nr 2 SGB 6 keine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung
Normen
Art 14 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 2 S 1 Nr 2 SGB 6
Vorinstanz
vorgehend BSG, 13. März 2012, Az: B 12 R 36/11 B, Beschluss
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 26. Mai 2011, Az: L 1 R 393/08, Urteil
vorgehend SG Bremen, 6. Mai 2008, Az: S 11 R 286/06, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versicherungspflicht einer selbständigen Physiotherapeutin in der gesetzlichen Rentenversicherung.
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I.
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Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellte bei der seit 1983 als Krankengymnastin und Physiotherapeutin selbständig tätigen Beschwerdeführerin eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI rückwirkend ab Aufnahme der Tätigkeit bis zum 31. Dezember 2005 fest und forderte Rentenversicherungsbeiträge nach, soweit diese noch nicht verjährt waren. Ihre hiergegen vor dem Sozialgericht erfolglos erhobene Klage stützte sie im Wesentlichen darauf, dass Physiotherapeuten nicht zu dem in § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI genannten Kreis der "Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen", gehörten. Zuletzt verwarf das Bundessozialgericht die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung durch das Landessozialgericht als unzulässig. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge verwarf das Bundessozialgericht als unzulässig.
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung Bund und gegen die gerichtlichen Entscheidungen rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Art. 14 GG; die Beitragsforderung beruhe auf einer Annahme einer Versicherungspflicht infolge einer fehlerhaften Einordnung ihrer beruflichen Tätigkeit als Physiotherapeutin unter den Begriff der "Pflegeperson" im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. Die Gerichte hätten in ihrem Verfahren die Vorschrift methodisch falsch ausgelegt. Der Beruf des Physiotherapeuten könne nach Wortlaut, gesetzgeberischem Willen und vor dem Hintergrund der Einheit der Rechtsordnung nicht unter den Begriff der Pflegeperson subsumiert werden. Ein Physiotherapeut sei nicht pflegend tätig. Der Gesetzgeber unterscheide im Ausbildungs- und Berufsrecht deutlich zwischen Pflegeberufen und Physiotherapeuten. Physiotherapeuten seien auch nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie die in § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI genannten Pflegepersonen. Sie seien nicht grundsätzlich weisungsabhängig und arbeitnehmerähnlich tätig. Insbesondere ergebe sich eine Weisungsabhängigkeit nicht aus der Notwendigkeit von ärztlichen Verordnungen für ihre Therapien. Die vom Wortlaut nicht mehr umfasste Korrektur der Vorschrift durch die Gerichte verstoße gegen Art. 20 GG und Art. 97 GG. Die Annahme einer Versicherungspflicht verwehre es ihr unter Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG, frei über ihr Vermögen zu verfügen. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Anhörungsrüge verletze ihr Grundrecht auf rechtliches Gehör. Das Bundessozialgericht habe die von ihr erstmals aufgedeckten und vorgetragenen Methodik-Fehler bei der Auslegung des Begriffs der Pflegeperson zwar zur Kenntnis genommen, aber bei der Entscheidungsfindung nicht erwogen. Andernfalls hätte es die Revision zulassen müssen oder zumindest ansatzweise begründen müssen, weshalb die Subsumtion des Physiotherapeuten unter den Begriff der Pflegeperson methodisch korrekt sei.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
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1. Hinsichtlich der gerügten Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG fehlt es bereits an einer Darlegung, dass dieses Grundrecht vor einer Zwangsmitgliedschaft schützt. Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG durch die Auferlegung des Sozialversicherungsbeitrags lässt sich ebenso wenig allein mit dem Hinweis begründen, dieser hindere sie, frei über ihr Vermögen zu verfügen.
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2. Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen halten sich im Rahmen zulässiger Wertungen durch das Gericht.
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a) Die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Auslegungsmethode ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht nicht umfassend auf ihre Richtigkeit zu untersuchen (vgl. BVerfGE 122, 248 257 f.>). Das Bundesverfassungsgericht beschränkt seine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE 18, 85 92>; 106, 28 45>; stRspr). Soweit es um die Wahrung der richterlichen Kompetenzgrenzen aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG geht, kontrolliert das Bundesverfassungsgericht, ob das Fachgericht bei der Rechtsfindung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert und von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfGE 82, 6 13>; 96, 375 394 f.>; 122, 248 257 f.>; stRspr). Ein Richterspruch setzt sich über die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gesetzesbindung hinweg, wenn die vom Gericht zur Begründung seiner Entscheidung angestellten Erwägungen eindeutig erkennen lassen, dass es sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben hat, also objektiv nicht bereit war, sich Recht und Gesetz zu unterwerfen (vgl. BVerfGE 87, 273 280>). Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (vgl. BVerfGE 126, 286 306>). Eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine reine Wortinterpretation schreibt die Verfassung aber nicht vor (vgl. BVerfGE 88, 145 166 f.>). Der Wortlaut des Gesetzes zieht im Regelfall keine starre Auslegungsgrenze (vgl. BVerfGE 118, 212 243>). Eine Auslegung sogar gegen den Wortlaut einer Norm ist nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn andere Indizien deutlich belegen, dass ihr Sinn im Text unzureichend Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfGE 97, 186 196>).
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b) Die von der Beschwerdeführerin gerügte Subsumierung des Berufes des Physiotherapeuten unter den Begriff der "Pflegeperson […] in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege" achtet die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gesetzesbindung.
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aa) Die Annahme einer Versicherungspflicht der Beschwerdeführerin als selbständige Physiotherapeutin beruht auf einer ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das unter Rückgriff auf die Systematik, die Geschichte und den Zweck des Gesetzes den Begriff der "Krankenpflege" dahingehend weit auslegt, dass er über die eigentliche Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege hinaus weitere "als Hilfskräfte in der Gesundheitspflege" berufsmäßig tätige Personen erfasst. Dem liegt insbesondere der Gedanke zugrunde, dass der Personenkreis der in der Krankenpflege tätigen Masseure, medizinischen Bademeister und Krankengymnasten wegen ihrer gleichen sozialen Schutzbedürftigkeit nicht grundsätzlich anders zu behandeln sei, als die übrigen in der Krankenpflege tätigen Personen (vgl. grundlegend BSG, Urteil vom 30. Juni 1964 - 3 RK 40/59 -, juris, Rn. 12 ff.; nachfolgend Urteil vom 30. Januar 1997 - 12 RK 31/96 -, juris, Rn. 11 ff.; fortgeführt mit Beschluss vom 12. Januar 2007 - B 12 R 14/06 B -, juris, Rn. 8 und Urteil vom 23. Juli 2015 - B 5 RE 17/14 R -, juris, Rn. 27). Hieran hat das Bundessozialgericht auch nach gesetzlichen Neuregelungen des Masseur- und Physiotherapeutengesetzes festgehalten (vgl. Urteil vom 11. November 2003 - B 12 RA 2/03 R -, juris, Rn. 12).
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bb) Die Verfassungsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Einbeziehung von selbständigen Physiotherapeuten ohne versicherungspflichtigen Arbeitnehmer in die nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI für "Pflegepersonen" geltende Rentenversicherungspflicht keinen ausreichenden Rückhalt in anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung findet. Sie entspricht insbesondere dem sozialen Schutzzweck des Gesetzes (vgl. BTDrucks 14/45, S. 20). Ihre Behauptung, die sozialgerichtliche Rechtsprechung gehe zu Unrecht von einer sozialen Schutzbedürftigkeit der Physiotherapeuten aus, weil sie nicht überwiegend wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängig seien, legt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dar. Auch soweit sie einwendet, der Gesetzgeber habe nach der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 11/4124, S. 149) nur grundsätzlich weisungsabhängige (und damit arbeitnehmerähnliche) Tätigkeiten erfassen wollen, Physiotherapeuten seien aber nicht weisungsabhängig tätig, lässt die Verfassungsbeschwerde nicht erkennen, dass die Annahme einer Weisungsabhängigkeit der Physiotherapeuten aufgrund der ärztlichen Verordnung durch die Sozialgerichte nicht mehr vertretbar wäre. Gegen eine solche Bewertung spricht auch der Hinweis des Gesetzgebers in der genannten Gesetzesbegründung auf die zu den Vorgängervorschriften des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ergangene Rechtsprechung. Denn bereits diese ging von einer Rentenversicherungspflicht der selbständigen Krankengymnasten aus (vgl. grundlegend BSG, Urteil vom 30. Juni 1964 - 3 RK 40/59 -, juris, Rn. 12 ff.). Schließlich geht auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Unterscheidung zwischen Heilberufen einerseits und der Tätigkeit eines Physiotherapeuten andererseits im einschlägigen Berufs- und Ausbildungsrecht fehl, weil diese Vorschriften andere Zwecke verfolgen und damit einen Rückschluss auf die soziale Absicherung von Pflegeberufen nicht zulassen.
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3. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidungen des Bundessozialgerichts ist nicht erkennbar.
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Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 220>; 72, 119 121>; 86, 133 145>; 96, 205 216>; BVerfGK 10, 41 45>; stRspr). Hingegen gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 21, 191 194>; 70, 288 294>; 96, 205 216>; stRspr).
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Eine Verletzung der Erwägungspflicht ergibt sich nicht bereits daraus, dass das Bundessozialgericht die Revision nicht zugelassen oder nicht zumindest die Auslegung des streitigen Tatbestandsmerkmals "Pflegeperson" neu vorgenommen oder nochmals begründet hat. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zielen vielmehr darauf ab, dass das Bundessozialgericht ihrer Auffassung nicht gefolgt ist, sie habe eine klärungsbedürftige und -fähige grundsätzliche Frage aufgeworfen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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