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BVerfG 21.11.2012 - 1 BvR 1711/09
BVerfG 21.11.2012 - 1 BvR 1711/09 - Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Zivilgerichtliche Entscheidung in Amtshaftungssache verletzt bei nicht nachvollziehbarer Abweichung von Sachverständigengutachten das Willkürverbot - hier: Amtspflichtverletzung des Jugendamtes bei Verletzung der Sachaufklärungspflichten gem §§ 20f SGB X (juris: SGB 10) - teils Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen prozessualer Überholung bzw mangelnder Substantiierung
Normen
Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 839 BGB, § 20 SGB 10, § 21 SGB 10, § 287 ZPO
Vorinstanz
vorgehend BGH, 25. Juni 2009, Az: III ZR 294/08, Beschluss
vorgehend OLG Celle, 4. November 2008, Az: 16 U 70/07, Urteil
vorgehend LG Lüneburg, 2. Mai 2007, Az: 2 O 325/06, Urteil
nachgehend BVerfG, 29. November 2013, Az: 1 BvR 1711/09, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Tenor
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1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 4. November 2008 - 16 U 70/07 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem verfassungsmäßigen Recht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.
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Damit wird der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2009 - III ZR 294/08 - gegenstandslos.
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2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
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3. ...
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft gerichtliche Entscheidungen über einen von dem Beschwerdeführer geltend gemachten staatshaftungsrechtlichen Anspruch.
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1. Der 1989 geborene Beschwerdeführer leidet an Legasthenie und Dyskalkulie in einer besonders schweren Form. Im Jahr 2000 beantragten die Eltern des Beschwerdeführers beim Landkreis H. die Übernahme der Kosten einer Legasthenietherapie, nachdem eine heilpädagogisch-psychologische Untersuchung eine derartige Förderung empfohlen hatte. Der Landkreis beauftragte eine niedergelassene Psychologin mit der Erstattung eines Gutachtens unter anderem zu der Frage, ob eine solche Therapie als Eingliederungshilfe geeignet sei. Diese wies in einer ersten Stellungnahme darauf hin, dass die Klärung der gestellten Frage eine aktuelle, differenzierte kinder- und jugendpsychiatrische sowie kinderneurologische Diagnostik erfordere. Gleichwohl erstattete sie nach einer Untersuchung des Beschwerdeführers das Gutachten, als ihr das kinderpsychiatrische Gutachten nur durch telefonische Auskunft jenes Gutachters bekannt war und das neurologische Gutachten völlig fehlte. Die Gutachterin hielt eine Legasthenietherapie als Eingliederungshilfe für ungeeignet, weil ihrer Ansicht nach die Schulleistungsdefizite des Beschwerdeführers auf die jahrelange Sonderbeschulung in der Grundschule und eine Desintegrationsproblematik zurückgingen. Der erst danach hinzugezogene Kinderneurologe kam in seiner Untersuchung hingegen zu dem Schluss, dass eine seelische Behinderung vorhanden sei, weswegen eine Legasthenie- und Lerntherapie neben einer Stimulanztherapie und der psychotherapeutischen Intervention vordringlich erscheine; der weitere Besuch der Regelschule scheine nicht vorstellbar. Von diesem Ergebnis wurde die vom Landkreis beauftragte Gutachterin mündlich durch die Eltern des Beschwerdeführers informiert. Sie hielt in einem am selben Tag abgegebenen Nachtrag, in dem sie die Befunderläuterung gegenüber den Eltern dokumentierte, an ihrer ursprünglichen Einschätzung fest. Das Gutachten des Kinderneurologen und das des Kinder- und Jugendpsychiaters wurden dem Landkreis ebenfalls übermittelt.
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Der Landkreis lehnte im Juli 2001 den Antrag der Eltern des Beschwerdeführers auf Übernahme der Kosten einer Legasthenietherapie ab, da die psychologische Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der Beschwerdeführer nicht seelisch behindert im Sinne des § 35a SGB VIII und eine Sonderbeschulung die geeignete Förderung sei. Klage hiergegen wurde nicht erhoben. Der Beschwerdeführer wurde kurz darauf auf einer Sonderschule eingeschult, wo er zunächst gewisse Fortschritte machte, die sich allerdings als vorübergehend erwiesen. Er wurde im Dezember 2003 krankgeschrieben und hat seither keine Schule mehr besucht. Anschließend wurde er wiederholt stationär jugendpsychiatrisch behandelt. Nachdem er Mitte 2005 eine Lerntherapie beginnen konnte, hat er zumindest das Lesen kurzer Texte gelernt. Er ist allerdings erwerbsunfähig, als Schwerbehinderter anerkannt und steht unter der Betreuung seines Vaters.
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2. Der Beschwerdeführer hielt die Ablehnung der Legasthenietherapie durch den Landkreis für rechtswidrig. Deren Unterbleiben habe zu seiner dauernden Erkrankung, einer sekundären Neurotisierung mit einer schweren depressiven Entwicklung einschließlich potenzieller Selbst- und Fremdgefährdung geführt. Er begehrte deshalb im Klageweg die Feststellung, der Landkreis sei im Wege der Amtshaftung zum Ersatz sämtlicher Schäden verpflichtet, die ihm infolge der Ablehnung des Kostenübernahmeantrags entstanden seien. Das Landgericht wies die Klage ab. Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil Berufung ein. Der vom Oberlandesgericht bestellte Sachverständige kam in Beantwortung der ihm gestellten Fragen zu dem Ergebnis, dass das Gutachten der vom Landkreis beauftragten Psychologin objektiv fehlerhaft und nicht vertretbar gewesen sei, da es die dringende Notwendigkeit einer Legasthenietherapie hätte feststellen müssen. Ferner sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass eine Legasthenietherapie ab Sommer 2001 zu einer positiveren seelischen, gesundheitlichen und schulischen Entwicklung des Beschwerdeführers geführt hätte. Bei der Erläuterung seiner Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung erklärte der gerichtlich beauftragte Sachverständige, dass er zu den konkreten Auswirkungen einer Therapie, die früher eingesetzt hätte, nichts sagen könne; es gelte aber der Grundsatz, je früher damit begonnen werde, desto besser sei es. Auch könne er keine exakten Angaben darüber machen, in welchem Grad die sekundäre Neurotisierung heute bei dem Beschwerdeführer geringer wäre. Er könne aber aus der ihm bekannten Kasuistik folgern, dass durch eine solche Therapie eine deutliche Besserung zu erwarten gewesen wäre. Auch wenn er keine sichere Aussage dazu treffen könne, ob sich die Ausschulung des Beschwerdeführers im Jahr 2003 durch eine Therapie hätte vermeiden lassen, so sei bei einer optimalen Kooperation zwischen Schule und Therapie die Ausschulung doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen.
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Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Jedenfalls im Ergebnis sei die Nichtbewilligung der Übernahme der Kosten für die Legasthenietherapie zum damaligen Zeitpunkt nicht zu beanstanden gewesen. Es könne unterstellt werden, dass der Beschwerdeführer unter einer Legasthenie in ihrer schwersten Ausprägung leide und dass deren Symptome schon im Zeitpunkt seiner Einschulung vorhanden gewesen seien. Die Entscheidung über den Antrag der Eltern des Beschwerdeführers sei aber nicht amtspflichtwidrig ergangen. Der Landkreis habe keine Veranlassung gehabt, an der Sachkunde der psychologischen Gutachterin zu zweifeln. Die Berufung sei vor allem deshalb unbegründet, weil das Gericht nicht davon überzeugt sei (§ 286 ZPO), dass gerade die versagte Förderung zu messbaren immateriellen oder materiellen Schäden bei dem Beschwerdeführer geführt habe. Dabei könne unterstellt werden, dass indizierte Legasthenietherapien statistisch gesehen zu Verbesserungen führten. Es könne heute aber nicht mehr festgestellt werden, dass die gesundheitliche Entwicklung des Beschwerdeführers besser verlaufen wäre.
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies der Bundesgerichtshof zurück.
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II.
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Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Land- und Oberlandesgerichts sowie des Bundesgerichtshofs. Er rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 (auch in der Ausprägung als Willkürverbot) und Abs. 3, Art. 6 Abs. 2, Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Der Beschwerdeführer beanstandet unter anderem eine willkürliche Rechtsanwendung durch das Oberlandesgericht insoweit, als dieses einerseits die Amtspflicht des Jugendamtes zur Sachverhaltsermittlung angesichts des eine Therapie für dringend erforderlich haltenden Gutachtens des Kinderneurologen verkannt und andererseits eine fehlende Kausalität zwischen der (unterstellten) amtspflichtwidrigen Nichtförderung und der eingetretenen Schädigung verneint habe, obwohl diese durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen nachgewiesen worden sei.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist der Bundesregierung, der Niedersächsischen Landesregierung und den Beteiligten des Ausgangsverfahrens zugestellt worden, die von einer Stellungnahme abgesehen haben. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen. Der Bundesgerichtshof wurde um eine Stellungnahme gebeten. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat eine Äußerung des Vorsitzenden des III. Zivilsenats übermittelt.
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IV.
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Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise zulässig und begründet.
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1. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen allerdings insoweit nicht vor, wie sich diese gegen das Urteil des Landgerichts und den Beschluss des Bundesgerichtshofs richtet (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Das Urteil des Landgerichts ist durch das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts prozessual überholt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. April 2011 - 1 BvR 2658/10 -, NJW 2011, S. 2497 <Rn. 19>). Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde wendet, hat er die insoweit einzig in Betracht kommenden Rügen einer Überspannung der Zulassungsanforderungen oder von Verfahrensfehlern nicht in hinreichend substantiierter Weise erhoben (§§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
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2. Im Übrigen sind die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung erfüllt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 11, 139 143>; 54, 39 41>; 85, 337 346>; 91, 389 401>; 92, 26 51 f.>; 97, 332 344>). Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet.
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a) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür. Zwar begründet eine fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts allein noch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. BVerfGE 67, 90 94 ff.>). Sie ist jedoch objektiv willkürlich, wenn sie unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht, ohne dass es auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts ankäme (vgl. BVerfGE 62, 189 192>).
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b) Von einer derart fehlerhaften Entscheidung ist hier auszugehen.
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aa) Nicht zu beanstanden ist zwar die Annahme des Oberlandesgerichts, Amtshaftung für Fehler von Sachverständigen komme nur in Betracht, wenn diesen hoheitliche Funktionen anvertraut gewesen seien, was im Fall der gutachtenden Psychologin nicht der Fall gewesen sei. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist hingegen die Verneinung einer Amtspflichtverletzung durch die Verantwortlichen des Landkreises, die über die Ablehnung des Kostenübernahmeantrags der Eltern des Beschwerdeführers entschieden haben.
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Das Oberlandesgericht hat in seinem rechtlichen Hinweis vom 16. Oktober 2007 eine solche Amtspflichtverletzung dann für möglich gehalten, wenn das Gutachten der Psychologin fehlerhaft und nicht vertretbar gewesen sein sollte und weil die Behörde sich bei solcher Sachlage auch nicht ansatzweise mit dem abweichenden, ihr bekannten kinderneurologischen Gutachten auseinandergesetzt hat.
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Nach den fachrechtlich geltenden Grundsätzen hätte die Behörde sich angesichts der Umstände hinreichend über die Tragfähigkeit des Gutachtens der von ihr beauftragten Psychologin vergewissern und insofern den Sachverhalt aufklären müssen. Jeder Amtsträger hat die Pflicht, vor einer hoheitlichen Maßnahme, die geeignet ist, andere in ihren Rechten zu beeinträchtigen, den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil der Betroffenen unvollständig bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1988 - III ZR 32/87 -, NJW 1989, S. 99). Eine Verletzung dieser Amtspflicht kann zu Amtshaftungsansprüchen führen. Zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (2001) ergaben sich zu beachtende Anforderungen aus den allgemeinen Regelungen der §§ 20 f. SGB X. Nach dem dort statuierten Untersuchungsgrundsatz muss die Behörde die Voraussetzungen und Ergebnisse einer Begutachtung in eigener Verantwortung überprüfen beziehungsweise nachvollziehen und darf das Gutachten nicht einfach übernehmen. Vorliegend bestand ein besonderer Prüfungsbedarf des Jugendamtes. Inwiefern sich diesbezüglich besondere Anforderungen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergeben, kann vorliegend offen bleiben.
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Dieser ergibt sich schon aus dem Ablauf der Begutachtung durch die Psychologin. Diese hatte die Vorlage einer kinderneurologischen und einer kinderpsychiatrischen Stellungnahme zur Voraussetzung ihres Gutachtens gemacht. Gleichwohl hat sie ihre Stellungnahme abgegeben, ohne dass das Gutachten des Kinder- und Jugendpsychiaters in schriftlicher Form vorlag; das Gutachten des Kinderneurologen stand zu diesem Zeitpunkt aus. Über dieses Gutachten, das dem von ihr erstatteten in einem zentralen Punkt widersprach, ist sie erst nachträglich in Kenntnis gesetzt worden. Dies geschah zudem lediglich mündlich und durch die Eltern, also aus zweiter Hand und durch Laien, was die als Streithelferin der Beklagten am Ausgangsverfahren beteiligte Gutachterin in ihrer Stellungnahme zu dem vom Oberlandesgericht eingeholten Sachverständigengutachten selbst als nicht mit der Vorlage des schriftlichen Gutachtens gleichwertig erachtet hat. Gleichwohl hat sie in einem Nachtrag zu ihrer Stellungnahme an ihrem ursprünglichen Ergebnis festgehalten. Schon dieser Ablauf, der der Behörde bekannt war, hätte ihr Anlass geben müssen, die Plausibilität des Gutachtens zu hinterfragen, bei der Gutachterin um Erläuterung zu bitten oder ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben. Hinzu kommt, dass nicht nur der Kinderneurologe zu dem eindeutigen Ergebnis kam, dass eine Legasthenietherapie im Fall des Beschwerdeführers unerlässlich war, sondern zuvor auch die im Jahr 2000 gutachtend tätige heilpädagogisch-psychologische Praxis. Diese inhaltlichen Widersprüche wären ein weiterer Grund für eine Überprüfung des Gutachtens der Psychologin gewesen. Nicht maßgeblich ist in diesem Zusammenhang, dass auch der Kinderneurologe einen Wechsel des Beschwerdeführers auf die Sonderschule empfohlen hat. Denn seinen Ausführungen ist eindeutig zu entnehmen, dass er die Schulfrage als sekundär, die Therapie aber in jedem Fall als notwendig angesehen hat.
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Das Oberlandesgericht geht in seiner Würdigung auf den ursprünglich von ihm selbst als erheblich angesehenen rechtlichen Umstand einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nicht ein. Obwohl der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem Gutachten zu dem Schluss kam, dass das Gutachten der von der Behörde beauftragten Psychologin zum damaligen Zeitpunkt objektiv fehlerhaft und nicht vertretbar war, erörtert das Oberlandesgericht nicht, wieso sich die Behörde entgegen der im Hinweisbeschluss vom 16. Oktober 2007 vertretenen Auffassung im Ablehnungsbescheid nicht mit dem abweichenden und ihr bekannten Gutachten des Kinderneurologen hätte auseinandersetzen müssen. Es argumentiert lediglich, der Landkreis habe keine Veranlassung gehabt, an der Sachkunde der Gutachterin zu zweifeln, da ihrem Gutachten zu entnehmen gewesen sei, dass sie sich ausführlich mit der Person des Beschwerdeführers befasst habe und dass sie auch über die Empfehlung des Kinderneurologen unterrichtet gewesen sei. Darauf kommt es aber hinsichtlich der offensichtlichen Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes durch die Behörde nicht entscheidend an. Eine eigene Würdigung der widerstreitenden Gutachtenergebnisse, die dem vom Oberlandesgericht zutreffend in den Blick genommenen Untersuchungsgrundsatz genügt hätte, erlaubte der Nachtrag schon nicht. Der als Gesprächsnotiz überschriebene Nachtrag dokumentiert die Befunderläuterung der Psychologin gegenüber den Eltern des Beschwerdeführers. Wieso die Psychologin an ihrer Einschätzung festhielt, dass eine Lerntherapie, die der Kinderneurologe für "sehr dringend erforderlich" hielt, nicht angezeigt sei, lässt der Nachtrag nicht erkennen. Diese von den eigenen Prämissen abweichende Vorgehensweise des Oberlandesgerichts rechtfertigt die verfassungsrechtliche Würdigung, dass sie auf nicht mehr haltbaren und deshalb sachwidrigen Erwägungen beruht.
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bb) Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist auch die Verneinung eines kausalen Schadens. Besteht - wie hier - die Amtspflichtverletzung in einem Unterlassen, so kann allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden grundsätzlich nur bejaht werden, wenn der Schadenseintritt bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre; die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Schadensvermeidung genügt nicht. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Geschädigten, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, in welcher für ihn günstigen Weise das Geschehen bei Vornahme der gebotenen Amtshandlung verlaufen wäre, wobei allerdings in Anwendung des § 287 ZPO anstelle des vollen Beweises ein reduziertes Beweismaß - im Sinne einer erheblich beziehungsweise deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit - genügt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - III ZR 254/03 -, FamRZ 2005, S. 93 96>).
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Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, auch der gerichtliche Sachverständige habe nicht sagen können, ob und inwieweit das Ausbleiben der Therapie ab Mitte 2001 zu einer Behinderung der schulischen und gesundheitlichen Entwicklung des Beschwerdeführers geführt habe. Dies gelte umso mehr, als er diese Therapie schon in seiner vorherigen Grundschulzeit nicht gehabt habe und er sehr wahrscheinlich schon in dieser Zeit ganz erheblich in seiner Entwicklung behindert gewesen sei. Auch die später, seit 2004 durchgeführte Lerntherapie habe nicht zu einer merklichen Besserung geführt. Vor diesem Hintergrund sei eine Beeinträchtigung der Berufschancen des Beschwerdeführers nicht erkennbar. Es könne heute nicht mehr festgestellt werden, dass er bei Durchführung einer Therapie ab Mitte 2001 wesentliche Fortschritte gemacht und insbesondere einen Hauptschulabschluss erworben hätte oder dass seine gesundheitliche Entwicklung insgesamt besser verlaufen wäre.
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Diese Ausführungen stehen selbst bei Anwendung des Maßstabs einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Schadensvermeidung in krassem, vom Oberlandesgericht nicht aufgelösten Widerspruch zu den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen und sind deshalb nicht nachvollziehbar.
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Der Gerichtssachverständige hatte erklärt, es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass eine Legasthenietherapie ab Sommer 2001 zu einer positiveren seelischen, gesundheitlichen und schulischen Entwicklung des Beschwerdeführers geführt hätte. Dessen Fehlentwicklung könne ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht allein und wesentlich auf einer Vorschädigung beruhen, weil der Beschwerdeführer zu lange die Regelschule besucht habe und nicht rechtzeitig auf eine Sonderschule überwiesen worden sei.
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Die danach mit der notwendigen Sicherheit anzunehmende Kausalität kann nicht deshalb verneint werden, weil die drei Jahre später begonnene Legasthenietherapie bei dem Beschwerdeführer nicht oder jedenfalls nicht deutlich angeschlagen hat. Denn damit bliebe außer Acht, dass der Sachverständige den Grundsatz betont hat, je früher mit einer Therapie begonnen werde, desto besser sei es: Mithin kann gerade die zeitliche Verzögerung die Ursache des späteren mangelnden Therapieerfolgs gewesen sein. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurde, dass der Sachverständige ausgeführt hat, gerade die von der psychologischen Gutachterin empfohlene Beschulung auf der Sonderschule ohne die außerschulische Lerntherapie sei völlig ungeeignet gewesen, weil der Beschwerdeführer dort habe feststellen müssen, dass Sonderschüler mit deutlich geringerer Intelligenz zumindest teilweise über Lese- und Rechtschreibfähigkeiten verfügten, er jedoch nicht. Wollte das Oberlandesgericht trotz der eindeutigen Positionierung des Sachverständigen zum positiven Effekt einer Legasthenietherapie unter Berufung auf die weitgehende Erfolglosigkeit der späteren Therapie eine Unvermeidbarkeit des Schadenseintritts annehmen, hätte es den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Dass es stattdessen eine eigene, vom Sachverständigen abweichende fachliche Wertung vorgenommen hat, ist nicht verständlich und trägt ebenfalls die Annahme einer schlechterdings nicht mehr vertretbaren Tatsachenfeststellung.
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3. Das Urteil des Oberlandesgerichts ist mit dem bezeichneten Grundrecht des Beschwerdeführers für unvereinbar zu erklären (§ 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Kammer hebt den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und verweist die Sache an dieses Gericht zurück (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), das nun erneut über die Berufung des Beschwerdeführers zu entscheiden haben wird. Mithin kann auf sich beruhen, ob und inwieweit die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer darüber hinaus in seinen weiter als verletzt gerügten Grundrechten verletzt. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde ist damit gegenstandslos.
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Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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