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BVerfG 21.10.2011 - 1 BvQ 33/11
BVerfG 21.10.2011 - 1 BvQ 33/11 - Erlass einer einstweilige Anordnung: Vorläufige Untersagung der Rückführung eines Kindes auf Grundlage des HKÜ (juris: KiEntfÜbk Haag) nach Norwegen - drohende Beeinträchtigung des Kindeswohls bei Trennung des Kindes von seinen aus Norwegen in die Bundesrepublik eingereisten Eltern und abermaligem Aufenthaltswechsel bei Begründetheit der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde
Normen
Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, Art 12 KiEntfÜbk Haag, Art 3 Abs 1 Buchst b KiEntfÜbk Haag
Vorinstanz
vorgehend OLG Celle, 30. September 2011, Az: 18 UF 107/10, Beschluss
Tenor
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1. Die Vollziehung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Celle vom 30. September 2011 - 18 UF 107/10 - wird bis zur abschließenden Entscheidung über die noch nachzureichende Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht, längstens bis zum 30. November 2011, ausgesetzt.
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2. Der Antrag der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
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3. ...
Gründe
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I.
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Die Antragsteller wenden sich im Wege eines isolierten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Ankündigung der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung einer Kindesrückführung nach Art. 3 in Verbindung mit Art. 12 HKÜ.
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1. Die Antragsteller sind Eltern einer 1999 geborenen Tochter. Die Familie besitzt die norwegische Staatsangehörigkeit, Mutter und Tochter haben daneben noch die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Familie lebte ursprünglich in Norwegen. Am 9. Februar 2010 entzog der Bezirksausschuss für Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe in Oslo den Antragstellern die Personensorge für ihre Tochter und übertrug sie auf das Jugendamt. Weiter ordnete er die Unterbringung des Kindes in einer besonders qualifizierten Pflegefamilie an. Noch bevor der Beschluss vollzogen werden konnte, reisten die Antragsteller am 12. Februar 2010 aus Norwegen aus und übersiedelten nach Deutschland, wo sie seitdem leben.
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2. Das Oberlandesgericht verpflichtete die Antragsteller mit Beschluss vom 30. September 2011 zur Rückführung des Kindes nach Norwegen bis zum 21. Oktober 2011. Dabei ging das Oberlandesgericht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Rückführung nach Art. 12 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b HKÜ vorlägen und gegen die Rückführung sprechende, schwerwiegende Gründe im Sinne des Art. 13 HKÜ nicht ersichtlich seien. Es verwies darauf, dass es nach der Rückführung Sache der zuständigen norwegischen Behörden sei, aufgrund der aktuellen Entwicklung des Kindes bei seinen Eltern über die von den Antragstellern bei ihnen beantragte Rückübertragung des Sorgerechts zu entscheiden.
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3. Die Antragsteller beantragen den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung, die angeordnete Rückführung ihres Kindes nach Norwegen und die bei einer Rückführung des Kindes zu erwartende Trennung des Kindes von ihnen verletze ihre Elternrechte aus Art. 6 GG. Sie beantragen ferner Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten; eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse haben sie nicht vorgelegt.
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II.
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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 186>; 103, 41 42>; stRspr).
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Bei offenem Ausgang des in Aussicht genommenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 88, 185 186>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 111>; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde (vgl. BVerfGE 34, 211 216>).
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b) Nach diesen Maßstäben ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung angezeigt.
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aa) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die von den Antragstellern in Aussicht genommene und über die Begründung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Anordnung gegebenenfalls hinausreichend begründete Verfassungsbeschwerde sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweisen wird. Der Ausgang des in Aussicht genommenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist vielmehr offen.
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bb) Die Folgenabwägung nach § 32 BVerfGG führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung.
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Erginge die einstweilige Anordnung, so verbliebe das Kind vorläufig bei seinen Eltern, bei denen es sein bisheriges Leben verbracht hat und bei denen es gegenwärtig nach den bisherigen Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht gefährdet ist. Die bisherige Betreuung des Kindes durch seine Eltern bliebe damit aufrechterhalten, ebenso sein bereits im Februar 2010 in Deutschland begründeter Aufenthalt. Erwiese sich die Verfassungsbeschwerde nachfolgend als unbegründet, verzögerte sich allerdings die vom Oberlandesgericht angeordnete Rückführung des Kindes nach Norwegen um einen gewissen Zeitraum.
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Erginge die einstweilige Anordnung nicht, so würde das Kind nach Norwegen zurückgeführt, dort gegebenenfalls von seinen Eltern getrennt und in einer Pflegefamilie untergebracht werden. Erwiese sich die Verfassungsbeschwerde nachfolgend als begründet und führte dies zu einem erneuten Aufenthaltswechsel des Kindes zurück zu seinen Eltern, so wäre das Kindeswohl durch den mehrfachen Wechsel der unmittelbaren Bezugspersonen und des Wohnumfeldes in wesentlichem Maße beeinträchtigt.
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Wägt man die Folgen gegeneinander ab, so wiegen die Nachteile, die im Falle des Erlasses einer einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die dem Kind und den Antragstellern im Falle der Versagung einer einstweiligen Anordnung entstehen könnten.
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2. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts kann - unabhängig von der fehlenden Vorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - nicht stattgegeben werden. Das Land Niedersachsen ist den Antragstellern zur Kostenerstattung verpflichtet, so dass es keiner Gewährung von Prozesskostenhilfe mehr bedarf.
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3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
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