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BFH 10.08.2023 - VI R 18/21
BFH 10.08.2023 - VI R 18/21 - (Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 23.03.2023 VI R 39/20 - Außergewöhnliche Belastungen bei Aufwendungen für eine Liposuktion)
Normen
§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 64 Abs 1 Nr 2 S 1 Buchst f EStDV 2002, EStG VZ 2018
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 17. August 2021, Az: 5 K 1321/20, Urteil
Leitsatz
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NV: Aufwendungen für eine Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems können jedenfalls ab dem Jahr 2016 ohne vorherige Vorlage eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein.
Tenor
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Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.08.2021 - 5 K 1321/20 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob Aufwendungen für eine Liposuktion ohne die Nachweiserfordernisse des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und werden für das Streitjahr (2018) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
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Bei der Klägerin wurde im Streitjahr ein beidseitiges Lipödem (krankhafte Ansammlung von Fettdepots) diagnostiziert. Im Zeitraum vom 30.04.2018 bis zum 08.06.2018 ließ sie daraufhin in einer Klinik in insgesamt acht Operationen eine Liposuktion an beiden Beinen durchführen. Die Aufwendungen für Operationen, Übernachtungen, Fahrten, Ultraschalluntersuchungen sowie Miederwaren betrugen insgesamt 52.104,73 €. Die Krankenkasse der Klägerin erstattete die Kosten nicht.
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In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Kläger, diese Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --FA--) ließ die geltend gemachten Kosten nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu, da die Kläger kein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV) vorgelegt hätten.
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Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1825 veröffentlichten Gründen ab. Aufwendungen für die Durchführung der Liposuktion seien im Streitjahr ohne ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG abziehbar. Denn die Liposuktion sei (noch) eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode im Sinne des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV.
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Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie beantragen sinngemäß,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 17.08.2021 - 5 K 1321/20 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10.03.2020 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 30.08.2019 dahingehend zu ändern, dass Aufwendungen für die Liposuktion in Höhe von 52.105 € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision der Kläger ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die geltend gemachten Aufwendungen für eine Liposuktion wegen eines Lipödems zu Unrecht nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt (dazu B.1.). Die Sache ist nicht spruchreif, da das FG keine Feststellungen zu der Höhe der nach § 33 EStG abzugsfähigen Aufwendungen getroffen hat (dazu B.2.)
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A. Die Revision ist zulässig. Der Inhalt der Revisionsbegründung entspricht noch den gesetzlichen Mindestanforderungen.
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1. Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO muss die Revisionsbegründung die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Dies erfordert, dass die erhobene Rüge eindeutig erkennen lassen muss, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält. Ferner muss der Revisionskläger die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angeben, die nach seiner Auffassung das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Erforderlich ist damit eine zumindest kurze Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, aus der zu erkennen ist, dass der Revisionskläger die Begründung dieses Urteils und sein eigenes Vorbringen überprüft hat. Der Revisionskläger muss danach im Einzelnen und in Auseinandersetzung mit der Argumentation des FG dartun, welche Ausführungen der Vorinstanz aus welchen Gründen unrichtig sein sollen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 14.05.2020 - VI R 3/18, BFHE 269, 486, BStBl II 2021, 302, Rz 15, m.w.N.).
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2. Die Revisionsbegründung der Kläger entspricht diesen Anforderungen noch. Denn es wird deutlich, dass die Kläger --entgegen der Auffassung des FG-- Aufwendungen für eine Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems auch ohne vorherige Vorlage eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt wissen wollen. Darüber hinaus haben sich die Kläger noch in ausreichendem Maße mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt und dargetan, weshalb sie die Auffassung des FG, dass es sich bei der im Streitfall durchgeführten Liposuktion um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handelt, und das damit einhergehende qualifizierte Nachweisverlangen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV) für rechtsfehlerhaft halten.
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B. Die Revision ist auch begründet.
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1. Entgegen der Auffassung des FG handelt es sich bei einer Liposuktion jedenfalls seit dem Jahr 2016 und damit auch im Streitjahr nicht um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode zur Behandlung eines Lipödems unabhängig vom Stadium der Erkrankung. Das Fehlen eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung steht der Anerkennung der streitigen Kosten als außergewöhnliche Belastung daher nicht entgegen. Vielmehr kann die Zwangsläufigkeit der Behandlungskosten durch eine "einfache" ärztliche Verordnung nachgewiesen werden (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV), soweit sich aus dieser ergibt, dass die Liposuktion nicht kosmetischen Zwecken gedient hat, sondern wegen des Lipödems und der damit einhergehenden Beeinträchtigungen medizinisch indiziert war. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 23.03.2023 - VI R 39/20 (BFHE 280, 175).
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Dass die Liposuktion bei der Klägerin nicht kosmetischen Zwecken gedient hat, sondern medizinisch indiziert war, wird durch die von der Klägerin vorgelegte Bestätigung der … Klinik … vom 11.12.2020 hinreichend nachgewiesen. Denn ausweislich dieser Bestätigung wurde bei der Klägerin vom behandelnden Arzt Dr. A am 18.04.2018 ein Lipödem diagnostiziert und als Therapie eine Liposuktion empfohlen. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.
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2. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn das FG hat zur Höhe der dem Grunde nach abzugsfähigen Behandlungskosten --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- keine belastbaren Feststellungen getroffen. Diese sind im zweiten Rechtsgang nachzuholen. Dabei hat sich das FG zu vergegenwärtigen, dass Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf, wenn die Maßnahmen medizinisch indiziert sind. Weiter ist zu beachten, dass davon nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung erfasst wird. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist. Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen (Senatsurteil vom 11.11.2010 - VI R 17/09, BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969, Rz 26, m.w.N.).
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C. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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