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BFH 20.09.2022 - VI B 1/22
BFH 20.09.2022 - VI B 1/22 - (Zur Rüge eines Verstoßes des FG gegen den Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO)
Normen
§ 33b Abs 6 EStG 2009, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, EStG VZ 2014, EStG VZ 2015, EStG VZ 2016, EStG VZ 2017
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 2. Dezember 2021, Az: 1 K 269/21, Urteil
nachgehend BFH, 24. Januar 2023, Az: VI S 26/22, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Die Sachaufklärungsrüge kann keine Beweisanträge oder Fragen ersetzen, welche fachkundig vertretene Beteiligte selbst in zumutbarer Weise hätten stellen können, jedoch zu stellen unterlassen haben. Ebenso wenig kann die Sachaufklärungsrüge dazu dienen, (nachträglich) Ermittlungen vom FG zu (entscheidungserheblichen) Tatsachen zu verlangen, deren Darlegung und Nachweis sich jedenfalls einem beratenen Beteiligten aufdrängen mussten.
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2. NV: Das FG verletzt seine Sachaufklärungspflicht nicht, wenn es Tatsachen außer Acht lässt, die keiner der Beteiligten vorgetragen hat und die sich auch sonst nicht aus den Akten oder dem Lauf des Verfahrens ergeben haben.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 02.12.2021 - 1 K 269/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist unbegründet und zurückzuweisen.
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1. Die Revision ist nicht wegen der von den Klägern gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Kläger die Verfahrensmängel den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt haben. Denn die gerügten Verfahrensmängel liegen jedenfalls nicht vor.
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a) Das Finanzgericht (FG) hat nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen.
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aa) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Danach ist es grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, die tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung zu ermitteln (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 07.07.2014 - X B 134/13, Rz 11). Diese Verpflichtung des FG zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen bedeutet nicht, dass jeder fernliegenden Erwägung nachzugehen ist. Wohl aber muss das FG die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne ausdrücklichen Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Beweise erheben. Die Sachaufklärungspflicht des FG kann allerdings nicht losgelöst von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) gesehen werden (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 20.11.2013 - X B 164/13, Rz 12, und vom 16.07.2019 - X B 14/19, Rz 27). Vielmehr begrenzt die Mitwirkungspflicht der Beteiligten die Amtsermittlungspflicht des Gerichts nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO (BFH-Entscheidungen vom 30.07.2003 - X R 28/99, BFH/NV 2004, 201; vom 05.12.2006 - VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490, und vom 21.07.2017 - X B 167/16, Rz 4).
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Die Sachaufklärungsrüge kann insbesondere nicht Beweisanträge oder Fragen ersetzen, welche fachkundig vertretene Beteiligte selbst in zumutbarer Weise hätten stellen können, jedoch zu stellen unterlassen haben. Ebenso wenig kann die Sachaufklärungsrüge dazu dienen, (nachträglich) Ermittlungen vom FG zu (entscheidungserheblichen) Tatsachen zu verlangen, deren Darlegung und Nachweis sich jedenfalls einem beratenen Beteiligten aufdrängen mussten (BFH-Urteil vom 14.03.2017 - VIII R 32/14, Rz 41 und Rz 42, m.w.N.). Das FG verletzt seine Sachaufklärungspflicht deshalb nicht, wenn es Tatsachen außer Acht lässt, die keiner der Beteiligten vorgetragen hat und die sich auch sonst nicht aus den Akten oder dem Lauf des Verfahrens ergeben haben (Krumm in Tipke/Kruse, § 76 FGO Rz 40).
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bb) Die vor dem FG fachkundig vertretenen Kläger begehrten mit ihrer Klage (u.a.) die Berücksichtigung des Pflege-Pauschbetrags gemäß § 33b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Kläger haben erstinstanzlich jedoch nicht dargelegt, dass die Voraussetzungen des Pflege-Pauschbetrags in den Streitjahren (2014 bis 2017) vorlagen, wie das FG zutreffend ausgeführt hat.
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Die Darlegung der Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 EStG hätte sich den Klägern allerdings aufdrängen müssen, da es sich um steuermindernde Tatsachen handelte, die sich zudem in ihrer eigenen Sphäre abgespielt haben.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) hatte bereits in der Einspruchsentscheidung vom 17.03.2020 (dort Bl. 9 und 10) ausgeführt, dass der Bescheid des Versorgungsamtes über den Grad der Behinderung zwar Voraussetzung des Pflege-Pauschbetrags sei, seine Berücksichtigung jedoch auch von weiteren Tatbestandsmerkmalen und Angaben des Steuerpflichtigen abhängig sei. Voraussetzung für die Berücksichtigung des Pflege-Pauschbetrags sei z.B., dass der Steuerpflichtige keine Einnahmen für die Pflege einer Person erhalten habe und die Pflege im Haushalt des Steuerpflichtigen oder der pflegebedürftigen Person durchgeführt worden sei. Weiter sei zu prüfen, ob der Pflegebedürftige von mehreren Personen gepflegt worden sei.
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Dessen ungeachtet haben die Kläger in ihrer Klagebegründung vom 19.06.2020 zum Pflege-Pauschbetrag lediglich vorgetragen, Voraussetzung für die Berücksichtigung des Pflege-Pauschbetrags sei die Pflege einer Person, die nicht nur vorübergehend hilflos sei. Dies sei vorliegend --wie dargelegt-- der Fall. Die weiteren Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 EStG haben die Kläger mit der Klagebegründung und auch im weiteren Verlauf des Verfahrens hingegen nicht vorgetragen, obwohl ihnen ausweislich ihres Vortrags auf Bl. 16 der Klagebegründung durchaus bewusst war, dass das FA schon in der Einspruchsentscheidung auf die weiteren Voraussetzungen des Pflege-Pauschbetrags hingewiesen hatte, die es nicht als gegeben ansah.
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Entgegen dem Vortrag der Kläger in der Beschwerdebegründung war das Vorliegen der Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 EStG zwischen den Beteiligten damit nicht "unstreitig". Das (unstreitige) Vorhandensein eines inländischen Wohnsitzes der Kläger und die (nachgewiesene) Behinderung reichten nicht aus, um die Voraussetzungen für die Anerkennung des Pflege-Pauschbetrags zu erfüllen. Nichts anderes gilt für das Schreiben der Kläger an das FA vom 16.10.2019 (Anlage K 21 zur Klagebegründung), auf das die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung hingewiesen haben (dort einmal wohl irrtümlich als Schreiben vom 10.09.2009 bezeichnet). In jenem Schreiben wurde von den Klägern ohne weitere Konkretisierung lediglich vorgetragen, dass die Kläger die Berücksichtigung des Pflege-Pauschbetrags begehrten, was "aufgrund der Pflege durch meine Ehefrau ermöglicht" werde. Die Kläger hätten, jedenfalls nachdem das FA in der Einspruchsentscheidung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 EStG in Zweifel gezogen hatte, insbesondere auch ihr Vorbringen zu den (angeblich) von der Klägerin erbrachten Pflegeleistungen im Klageverfahren substantiieren müssen (zum Begriff der "Pflege" i.S. von § 33a Abs. 6 EStG s. Senatsurteil vom 04.09.2019 - VI R 52/17, BFHE 266, 196, BStBl II 2020, 97, Rz 15), um die tatsächlichen Voraussetzungen des Pflege-Pauschbetrags zumindest hinreichend darzulegen.
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Bei dieser Sachlage hat das FG nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, weil es das Vorliegen der Voraussetzungen, die für die Berücksichtigung des Pflege-Pauschbetrags gegeben sein müssen, nicht von Amts wegen weiter aufgeklärt hat.
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b) Die Vorinstanz hat auch § 76 Abs. 2 FGO und das Recht der Kläger auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) nicht verletzt.
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aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den rechtserheblichen Tatsachen und Ergebnissen zu äußern. Sie haben einen Anspruch darauf, dem Gericht in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht alles vortragen zu können, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 19.11.2013 - XI B 9/13, Rz 11, und vom 27.10.2020 - XI B 33/20, Rz 17).
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Bei den richterlichen Hinweispflichten nach § 76 Abs. 2 FGO geht es weniger um die Sachaufklärung durch das Gericht als darum, Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben, deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder beseitigt wird. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Erforderlichkeit, diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, auf der Hand, so stellt ein unterlassener Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn die Kläger steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten waren (BFH-Beschluss vom 04.08.1999 - VIII B 51/98, BFH/NV 2000, 204, und Senatsbeschluss vom 07.10.2015 - VI B 49/15, Rz 16).
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bb) Nach diesen Maßstäben hat das FG weder gegen seine Hinweispflichten verstoßen noch das Recht der Kläger auf Gehör verletzt. Den fachkundig vertretenen Klägern musste im Streitfall angesichts der oben bereits dargelegten Gesichtspunkte auch ohne einen diesbezüglichen Hinweis des FG klar sein, dass sie sämtliche Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 EStG darlegen (und nachweisen) mussten, um die Berücksichtigung des Pflege-Pauschbetrags zu erreichen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Berichterstatter des FG-Senats in dem Erörterungstermin am 09.12.2020 zur einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits eine "tatsächliche Verständigung" der Gestalt vorgeschlagen hatte, dass sich das FA verpflichtete, für die Streitjahre noch einen Pflege-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 6 EStG in Höhe von jeweils 924 € zu berücksichtigen, und die Kläger ihr Klagebegehren im Übrigen nicht aufrechterhalten sollten. Nachdem die Kläger die vom Berichterstatter vorgeschlagene "tatsächliche Verständigung" abgelehnt hatten, konnten sie auch ohne einen diesbezüglichen Hinweis des Gerichts nicht ohne weiteres damit rechnen, dass der Vollsenat des FG ihnen im Urteil den Pflege-Pauschbetrag zusprechen werde.
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Das FG war im Streitfall auch nicht verpflichtet, in den Entscheidungsgründen näher auszuführen, aus welchen Gründen es den Vortrag der Kläger zum Vorliegen der (weiteren) Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 EStG als ungenügend ansah und es der Auffassung war, dass sich auch im Übrigen keine Anhaltspunkte aus den Akten für die Berücksichtigung des Pflege-Pauschbetrags ergeben hätten. Das FG muss zur Wahrung rechtlichen Gehörs nicht zu allen Ausführungen der Beteiligten im Einzelnen Stellung nehmen und insbesondere nicht begründen, warum es einem Argument nicht folgt. Es genügt vielmehr, wenn die tragenden rechtlichen Erwägungen in der Entscheidung dargestellt werden (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 28.11.2006 - VI B 32/06, BFH/NV 2007, 439). Im Übrigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19.05.1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, und vom 05.12.1995 - 1 BvR 1463/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 153; BFH-Beschlüsse vom 17.02.2005 - X B 178/03, BFH/NV 2005, 1121, und vom 22.04.2009 - I B 162/08, BFH/NV 2009, 1458).
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2. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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