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BFH 08.04.2022 - IX B 10/21
BFH 08.04.2022 - IX B 10/21 - Umfang der Sachaufklärungspflicht; vorweggenommene Beweiswürdigung; richterliche Hinweispflicht
Normen
§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 5 FGO, § 94 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 11 Abs 2 S 1 EStG, § 165 ZPO, § 295 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 155 FGO, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 16. Dezember 2020, Az: 3 K 2749/17, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Das FG kann auf eine beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder untauglich ist.
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2. NV: Eine gegen die Sachaufklärungspflicht verstoßende vorweggenommene Beweiswürdigung liegt vor, wenn eine Beweiserhebung vom FG mit der Begründung unterlassen oder abgelehnt wird, ihr zu erwartendes Ergebnis könne die Überzeugung des Gerichts nicht ändern.
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3. NV: Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 16.12.2020 - 3 K 2749/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
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1. Soweit die Kläger einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) rügen, liegt dieser nicht vor.
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a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist das Finanzgericht (FG) verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen und ihn unter allen ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Diese Pflicht beinhaltet zwar nicht, jeder fernliegenden Erwägung nachgehen zu müssen. Wohl aber muss das FG die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen treffen. Das FG ist allerdings an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 der Abgabenordnung).
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Die in § 76 Abs. 1 Satz 5 FGO erwähnte fehlende Bindung des FG an Beweisanträge der Beteiligten bedeutet jedoch nicht, dass das FG frei entscheiden kann, ob es beantragte Beweise erhebt oder nicht. Denn das FG kann auf eine beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder untauglich ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16.12.2016 - X B 41/16, BFH/NV 2017, 310, Rz 16; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 76 Rz 31, m.w.N.). Eine gegen die Sachaufklärungspflicht verstoßende vorweggenommene Beweiswürdigung liegt vor, wenn eine Beweiserhebung vom FG mit der Begründung unterlassen oder abgelehnt wird, ihr zu erwartendes Ergebnis könne die Überzeugung des Gerichts nicht ändern (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24.09.2013 - XI B 75/12, BFH/NV 2014, 164, Rz 22, und in BFH/NV 2017, 310, Rz 17; Gräber/Herbert, a.a.O., § 76 Rz 31).
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b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG nicht gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen und auch keine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen.
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aa) Das FG konnte ohne Verfahrensfehler annehmen, dass bei den Klägern in den Streitjahren die streitigen Zinsen in Höhe von 18.400,37 € (2010) und 15.566,84 € (2011) nicht abgeflossen waren. Denn Zahlungsnachweise zu dem Darlehen und zu den Zinsen hatten die Kläger ausweislich der Feststellungen des FG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt. Die Kläger hatten zwar ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16.12.2020 den Antrag auf Beiziehung des Kontokorrentvertrags gestellt. Nach dem insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des FG kam es auf die Beiziehung dieses Dokuments aber nicht an. Denn das Bestehen eines Kontokorrentverhältnisses gegenüber der … GmbH und der von den Klägern insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 12.11.2020 umschriebene Inhalt des Kontokorrentverhältnisses waren unstreitig. Ebenso war unstreitig, dass Zinsen im Rahmen dieses Kontokorrentverhältnisses nicht fällig zu stellen und zu bezahlen waren, sondern lediglich buchmäßig im Rahmen des Kontokorrentverhältnisses verbucht wurden. Diese unstreitigen Umstände hat das FG für einen Nachweis des Abflusses der streitigen Zinsen i.S. von § 11 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht ausreichen lassen.
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bb) Aus diesem Grund liegt auch keine vorweggenommene Beweiswürdigung seitens des FG vor. Auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG war der Abfluss der Zinsen streitig. Nach dem von den Klägern im Schriftsatz vom 12.11.2020 vorgebrachten und vom FG insoweit als wahr unterstellten Tatsachenvortrag ergaben sich aus dem Inhalt der Kontokorrentvereinbarung dafür keine Anhaltspunkte.
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cc) Soweit die Kläger vorbringen, das FG hätte eine Beweiserhebung in Bezug auf das vom Kläger geführte Darlehenskonto durchführen müssen, haben sie diesen Beweisantrag ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung (zu dessen Beweiskraft s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--) nicht gestellt, sondern insoweit in Bezug auf weitere Beweismaßnahmen rügelos zur Sache verhandelt. Damit haben die Kläger ihr Rügerecht hinsichtlich der Beiziehung weiterer Unterlagen durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO).
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2. Die von den Klägern gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) liegt ebenfalls nicht vor.
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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 10.12.2012 - VI B 135/12, BFH/NV 2013, 569, Rz 6; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 119 Rz 14, m.w.N.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 217). Diese Gelegenheit zur Äußerung wird den Beteiligten durch Einreichung der Klagebegründung und weiterer Schriftsätze sowie durch Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gegeben. Es ist Sache der Beteiligten, diese Gelegenheiten wahrzunehmen. Insoweit wird der Anspruch auf rechtliches Gehör durch die prozessuale Mitverantwortung der Beteiligten begrenzt (vgl. BFH-Beschluss vom 10.06.2013 - X B 147/11, BFH/NV 2013, 1440, Rz 10, m.w.N.).
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b) Daran gemessen liegt die von den Klägern gerügte Gehörsverletzung nicht vor.
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aa) Die Kläger hatten sowohl in den drei Erörterungsterminen vom 14.08.2020, vom 09.10.2020 und vom 04.11.2020 sowie in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, sich zur streitigen Frage des Schuldzinsenabzugs in den Veranlagungszeiträumen 2010 und 2011 zu äußern. Zu dieser Frage haben die Kläger sich zudem in den Schriftsätzen vom 02.11.2020 und vom 12.11.2020 geäußert. Das Vorbringen der Kläger ist vom FG sowohl in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.2020 als auch ausweislich des Tatbestands und der Entscheidungsgründe in der angefochtenen Entscheidung gewürdigt worden. Dass das FG bei der tatsächlichen rechtlichen Würdigung der Kontokorrentvereinbarung der Ansicht der Kläger nicht gefolgt ist und im Ergebnis einen Abfluss von Zinsen verneint hat, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht begründen. Denn mit Einwendungen gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des FG kann die Zulassung wegen eines Verfahrensfehlers nicht erreicht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 26.05.2020 - IX B 116/19, BFH/NV 2020, 1086, Rz 12).
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bb) Ebenso fehlt es an der von den Klägern gerügten Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht. Den Klägern war spätestens seit dem Erörterungstermin vom 04.11.2020 bekannt, dass es auf den Nachweis des Abflusses der streitigen Zinsen ankam. Ebenfalls war den Klägern seit diesem Zeitpunkt bekannt, dass das FG das (unstreitige) Vorhandensein einer Kontokorrentvereinbarung als Nachweis für einen Abfluss der Zinsen als nicht ausreichend erachtete.
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3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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