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BFH 04.11.2019 - II B 48/19
BFH 04.11.2019 - II B 48/19 - Festsetzungsverjährung bei Rückgängigmachung eines grunderwerbsteuerpflichtigen Erwerbsvorgangs
Normen
§ 16 Abs 1 Nr 2 GrEStG 1997, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 16 Abs 4 GrEStG 1997, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 9. April 2019, Az: 4 K 2401/17, Urteil
Leitsatz
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1. NV: § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG enthält keine Fristen für die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs .
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2. NV: Die besondere Verjährungsregelung in § 16 Abs. 4 GrEStG knüpft an die tatsächliche Rückgängigmachung an .
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3. NV: Die Rückgängigmachung ist kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, mit der Folge, dass die Verjährungsfrist erneut begönne .
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 09.04.2019 - 4 K 2401/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 29.02.2012 erwarb die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ein Grundstück. Im Grundbuch war noch eine Auflassungsvormerkung für Dritte eingetragen, die zuvor das Grundstück hatten erwerben wollen. Der Klägerin wurde ein vertragliches Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt, dass diese Vormerkung nicht bis spätestens 31.12.2012 gelöscht wäre. Mit Bescheid vom 20.04.2012 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) Grunderwerbsteuer fest, die die Klägerin zeitnah beglich.
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Mit Schreiben vom 27.12.2013 trat die Klägerin vom Vertrag zurück. Die zu ihren Gunsten eingetragene Auflassungsvormerkung wurde am 10.03.2014 gelöscht.
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Am 19.01.2017 beantragte die Klägerin beim FA die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Das FA lehnte den Antrag ab, da mit Ablauf des Jahres 2016 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) geht ebenfalls von Festsetzungsverjährung aus. Insbesondere liege in dem Rücktritt vom Vertrag anders als in einer Anfechtung kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO), mit dem die Verjährungsfrist neu begonnen hätte. Die von der Klägerin außerdem beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand finde bei Ablauf der Verjährungsfrist nicht statt.
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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vertieft die Klägerin ihr Vorbringen, der Rücktritt sei ein rückwirkendes Ereignis gewesen.
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Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 18.11.2009 - II R 11/08 (BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498) ausgeführt, dass die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG im Gegensatz zu § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG keine zeitliche Begrenzung kenne und beispielsweise auch auf fünf Jahre (also über die vierjährige Festsetzungsfrist hinaus) hätte eingeräumt werden können (Rz 14, 17). So habe es sich im Streitfall verhalten. Die Klägerin habe ein unbefristetes Rücktrittsrecht gehabt, dessen Ausübung ebenso wie die Anfechtung als rückwirkendes Ereignis betrachtet werden müsse.
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Die Klägerin verweist ferner auf einen in dem FG-Urteil zitierten Einkommensteuerfall, in dem bei gleichgelagertem Sachverhalt ebenfalls ein rückwirkendes Ereignis bejaht worden sei. Das FG hat sich in seinem Urteil u.a. mit dem BFH-Urteil vom 21.12.1993 - VIII R 69/88 (BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648) auseinandergesetzt, das die Klägerin ihrerseits in den Prozess eingeführt hatte und das den Rücktritt von einem nach § 17 des Einkommensteuergesetzes steuerbaren Veräußerungsgeschäft zum Gegenstand hatte.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist mit allen erkennbaren Zulassungsrügen zumindest unbegründet. Der Senat kann deshalb offenlassen, inwieweit den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt ist.
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1. Soweit die Klägerin eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 FGO zu der BFH-Entscheidung in BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498 beanstandet, liegt diese nicht vor.
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a) Wie die Klägerin selbst zutreffend ausgeführt hat, hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498 erläutert, dass § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG --anders als Nr. 1-- keine zeitliche Begrenzung vorsieht. Diese Aussage bezog sich auf den Zeitpunkt der Rückgängigmachung. Der BFH hat nicht behauptet, dass der Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung ohne zeitliche Begrenzung insbesondere durch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung gestellt werden könnte. Dies kann auch nicht geschlussfolgert werden, denn es widerspräche dem Konzept des § 16 GrEStG.
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aa) Die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs auf Grund eines Rechtsanspruchs im Falle der Nichterfüllung der Vertragsbedingungen, die nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG auf Antrag zur Nichtfestsetzung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung führt, kann auch noch nach Ablauf von zwei Jahren und sogar noch nach Ablauf der Festsetzungsverjährung stattfinden. Dies ergibt sich daraus, dass die entsprechende Einschränkung in § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG hier fehlt. Die Frage der (fehlenden) zeitlichen Begrenzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG bezieht sich indes nur auf die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs und nicht auf den Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung.
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bb) § 16 Abs. 4 GrEStG sieht vor, dass die Festsetzungsfrist nach §§ 169 bis 171 AO insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Eintritt des Ereignisses endet. Dies sichert auch für Fälle der späten Rückgängigmachung, etwa kurz vor oder nach Ablauf der Festsetzungsfrist, die Möglichkeit, die Steuerfestsetzung aufzuheben. Die Anknüpfung der Verjährungsregelung an die Rückgängigmachung bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, ob die Rückgängigmachung nach den Vertragsbedingungen auch noch zu einem späteren Zeitpunkt möglich gewesen wäre, sondern darauf, wann sie tatsächlich stattgefunden hat.
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b) Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen nicht abgewichen. Die Klägerin hatte ihr Rücktrittsrecht bereits am 27.12.2013 geltend gemacht, so dass die fehlende zeitliche Begrenzung nicht virulent wurde. Auf die Frage, ob die Klägerin ihr Rücktrittsrecht auch zu einem späteren Zeitpunkt hätte geltend machen können, was sich nach dem Verlauf des Vertragsverhältnisses gerichtet hätte (vgl. § 350 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), kommt es zur Beurteilung des tatsächlichen Rücktritts weder für die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG noch für diejenigen des § 16 Abs. 4 GrEStG an.
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2. Falls die Klägerin mit ihrem Hinweis auf den durch das FG angesprochenen Einkommensteuerfall eine Divergenz von dem BFH-Urteil in BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648 rügen möchte, liegt diese ebenfalls nicht vor. Der BFH hatte sich dort mit der Frage befasst, ob der Rücktritt von einem Vertrag betreffend die Übertragung von Gesellschaftsanteilen ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist und hat diese Frage bejaht. Er hat hierzu allerdings ausdrücklich ausgeführt, dass die steuerliche Wirkung für die Vergangenheit sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz richtet. Dieses war in dem zu entscheidenden Fall eine ertragsteuerrechtliche Vorschrift über die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Angesichts des so ausdrücklich beschränkten Geltungsanspruchs konnte das FG, wenn es die in Rede stehende Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs für Zwecke der Grunderwerbsteuer und damit im Rahmen eines gänzlich anderen materiellen Steuergesetzes nicht als rückwirkendes Ereignis betrachtet hat, von jener Entscheidung nicht abweichen.
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3. Soweit die Klägerin es für materiell-rechtlich fehlerhaft hält, dass das FG die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nicht als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO betrachtet hat, ist dies für sich genommen kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BFH-Beschluss vom 27.07.2016 - V B 39/16, BFH/NV 2016, 1759, Rz 5). Anders verhält es sich, wenn in der Behandlung durch das FG ein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler läge oder der Sache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukäme. Die Klägerin hat diese nicht ausdrücklich geltend gemacht, sie liegt auch nicht vor.
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a) Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsfähig und klärungsbedürftig ist. An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH-Beschluss vom 03.07.2019 - VIII B 86/18, BFH/NV 2019, 1130, Rz 12).
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b) Die Rechtslage ist im Streitfall eindeutig. Die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG ist nach der insoweit zwingenden gesetzlichen Systematik kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das folgt aus § 16 Abs. 4 GrEStG und § 175 Abs. 1 Satz 2 AO und entspricht dem Grundsatz, dass die steuerliche Wirkung für die Vergangenheit autonom für das jeweilige materielle Steuergesetz zu beurteilen ist.
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aa) Tritt ein Ereignis ein, das nach § 16 Abs. 1 bis 3 GrEStG die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet, endet die Festsetzungsfrist (§§ 169 bis 171 AO) insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Eintritt des Ereignisses (§ 16 Abs. 4 GrEStG; dazu bereits unter II.1.a bb). Ereignis in diesem Sinne ist u.a. die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs.
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bb) Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO hingegen beginnt in den Fällen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt. Ereignis nach dieser Vorschrift ist angesichts der Bezugnahme auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO das dort legal definierte rückwirkende Ereignis. Das bedeutet in der Sache, dass ein rückwirkendes Ereignis die Festsetzungsverjährung erneut für die volle Zeit eröffnet, mithin regelmäßig vier Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Dies ist die Zielrichtung des klägerischen Begehrens, denn nach dieser Vorschrift hätte die vierjährige Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2017 geendet, mit der Folge, dass der Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung in noch nicht festsetzungsverjährter Zeit gestellt worden wäre.
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cc) Wäre ein Ereignis, das nach § 16 Abs. 1 bis 3 GrEStG die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet, namentlich die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs, ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, liefe § 16 Abs. 4 GrEStG ausnahmslos leer. Wenn mit dem Ende des Kalenderjahres einer Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG die vierjährige Festsetzungsverjährung erneut begönne, bedürfte es des § 16 Abs. 4 GrEStG nicht. Das gilt unabhängig vom Zeitpunkt der Rückgängigmachung. Eine Auslegung, mit der eine gesetzliche Vorschrift jeglichen Anwendungsbereich verlöre, widerspräche der gesetzlichen Systematik, kann von Gesetzes wegen nicht gewollt sein und wäre offenkundig unzutreffend.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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