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BFH 03.08.2016 - X R 21/15
BFH 03.08.2016 - X R 21/15 - (Unterbliebene Auflösung einer Ansparabschreibung bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG)
Normen
§ 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst c AO, § 173 Abs 1 Nr 1 AO, § 7g Abs 4 EStG 2002, § 7g Abs 6 EStG 2002, EStG VZ 2003
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. Mai 2015, Az: 10 K 10167/11, Urteil
nachgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 9. Januar 2018, Az: 6 K 6012/17, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Löst ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt, eine Ansparabschreibung nach § 7g EStG in der bis 2006 geltenden Fassung trotz unterbliebener Investition nicht zum Ablauf der zweijährigen Investitionsfrist auf und wird der erklärungsgemäß ergangene Einkommensteuerbescheid bestandskräftig, kann das FA diesen Bescheid später nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern, weil die Nichtanschaffung eines Wirtschaftsguts nicht als rechtserhebliche Tatsache anzusehen ist (Anschluss an das BFH-Urteil vom 22. März 2016 VIII R 58/13) .
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2. NV: Je nach den Umständen des Einzelfalls kann der Steuerpflichtige den Bescheid aber durch unlautere Mittel erwirkt haben, so dass eine Korrekturmöglichkeit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO besteht .
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2015 10 K 10167/11 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2003 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelte.
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Im Jahr 2001 zog er in seiner Gewinnermittlung einen Betrag von 35.000 DM im Hinblick auf die voraussichtliche Anschaffung bestimmter Wirtschaftsgüter als Ansparabschreibung gemäß § 7g Abs. 3, 6 des Einkommensteuergesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (EStG a.F.) ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) veranlagte erklärungsgemäß. Im Jahr 2002 kam es weder zu Investitionen noch zur vorzeitigen Auflösung der Ansparabschreibung.
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Für das Streitjahr 2003 gaben die Kläger zunächst keine Einkommensteuererklärung ab, so dass das FA die Besteuerungsgrundlagen schätzte. Im Einspruchsverfahren gegen den Schätzungsbescheid reichten die Kläger die Steuererklärung samt der Gewinnermittlung nach. Die in § 7g Abs. 6 EStG a.F. für das Jahr des Ablaufs der zweijährigen Investitionsfrist vorgesehene Auflösung der Ansparabschreibung durch Vornahme eines Zuschlags zu den Betriebseinnahmen unterblieb. Der durch einen Steuerberater erstellten Gewinnermittlung waren --wie auch in den Vorjahren-- Übersichten über die Entwicklung des Anlagevermögens beigefügt. Im Kontennachweis ist ein Konto 948 mit der Bezeichnung "SoPo mit Rücklageanteil § 7g (3) EStG" und einem Betrag von 17.895,22 € (entspricht 35.000 DM) aufgeführt. Ab 2004 fehlt das Konto 948 im Kontennachweis.
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Das FA veranlagte hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärungsgemäß und setzte die Einkommensteuer mit Teilabhilfebescheid vom 21. Juli 2005 herab. Im Übrigen wies es den Einspruch wegen eines verbleibenden Streitpunkts zu den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit am 13. September 2006 zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde bestandskräftig.
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Im Rahmen der Überprüfung der Einkommensteuererklärung für 2006 fiel dem FA auf, dass die im Jahr 2001 gebildete Rücklage nicht aufgelöst worden war. Auf entsprechende Anfrage des FA erklärten die Kläger, sie hätten die Rücklage irrtümlich nicht aufgelöst. Investitionen seien nicht vorgenommen worden. Der bis zum 31. Dezember 2003 auf dem Konto 948 ausgewiesene Betrag sei zum 1. Januar 2004 nicht mehr vorgetragen worden.
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Mit dem angefochtenen, verfahrensrechtlich auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten geänderten Einkommensteuerbescheid 2003 vom 10. Juni 2009 holte das FA die Auflösung der Rücklage nach. Irrtümlich setzte es dabei aber anstelle des zuvor abgezogenen Betrages von 35.000 DM nur einen solchen von 33.080 DM (16.931 €) an und erhöhte den Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb entsprechend. Auch unterließ es die Vornahme des in § 7g Abs. 5 EStG a.F. vorgesehenen Gewinnzuschlags.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2015, 1451). Zwar seien die geschriebenen Tatbestandsmerkmale der Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt. Tatsache sei hier der Umstand, dass die beabsichtigte Investition bis zum Ablauf der Investitionsfrist nicht vorgenommen worden sei. Diese Tatsache sei für das FA neu gewesen, da es erst im Jahr 2009 bemerkt habe, dass der Kläger die Rücklage trotz unterbliebener Investition nicht aufgelöst habe. Der Umstand, dass die Tatsache dem Sachbearbeiter des FA bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte bekannt sein müssen, führe nicht zu einer Fiktion der von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorausgesetzten positiven Kenntnis.
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Allerdings sei die Änderungsbefugnis des FA nach Treu und Glauben ausgeschlossen (Bezugnahme auf das Urteil des FG vom 16. Mai 2013 5 K 3173/10, Revision seinerzeit unter dem Az. VIII R 58/13 anhängig). Hier sei sowohl eine Verletzung der Mitwirkungspflichten der Kläger als auch eine Verletzung der Ermittlungspflichten des FA festzustellen. Allerdings falle die Pflichtverletzung der Kläger erheblich geringer ins Gewicht als die des FA. Die Behörde habe um die Bildung der Rücklage gewusst und dies überwachen können. Aus den Anlageverzeichnissen sei ersichtlich gewesen, dass der Kläger keine Investitionen in einer für den Verbrauch der Rücklage erforderlichen Größenordnung getätigt habe.
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Mit seiner Revision bringt das FA vor, für die Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflichten des FA komme es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen an. Selbst wenn dieser nicht unbedingt die zutreffende rechtliche Subsumtion vornehmen müsse, sei er jedenfalls verpflichtet, die steuerlich relevanten Sachverhalte dem FA richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung zu unterbreiten. Wenn beiden Beteiligten eine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei, werde die Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nicht durch die Grundsätze von Treu und Glauben ausgeschlossen.
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Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie sind der Auffassung, die Unklarheiten in ihrer Gewinnermittlung seien so offensichtlich gewesen, dass sie sich dem Sachbearbeiter des FA hätten aufdrängen müssen. Damit habe das FA seine Ermittlungspflicht verletzt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2003 auf der Grundlage des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als nicht erfüllt angesehen. Nach dem Urteil des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. März 2016 VIII R 58/13 (BFHE 253, 495) ist die bloße Nichtanschaffung eines Wirtschaftsguts in Bezug auf § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. nicht als rechtserhebliche Tatsache anzusehen.
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2. Die Sache ist allerdings nicht zur Entscheidung reif, da das FG nicht geprüft hat, ob die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO erfüllt sind.
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a) Nach dieser Vorschrift kann ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel --wie u.a. eine arglistige Täuschung-- erwirkt worden ist.
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Unter einer arglistigen Täuschung in diesem Sinne ist eine bewusste und vorsätzliche Irreführung zu verstehen, durch die die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst wird. Es genügt bereits das Bewusstsein, wahrheitswidrige Angaben zu machen. Ob das FA die Unrichtigkeit hätte erkennen können, ist unbeachtlich (zum Ganzen BFH-Urteil vom 8. Juli 2015 VI R 51/14, BFHE 250, 322, Rz 19, m.w.N.).
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Auch der VIII. Senat geht in seinem Urteil VIII R 58/13 (unter II.1.d) erkennbar davon aus, dass die Nichterklärung der in § 7g Abs. 6 EStG a.F. für den Fall der Nichtinvestition trotz Fristablaufs vorgesehenen Betriebseinnahme --je nach den Umständen des Einzelfalls-- arglistig i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO sein kann.
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b) Das FG hat zu den Voraussetzungen dieser Vorschrift keine Feststellungen getroffen, was im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein wird.
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Der Senat verweist hierzu --ohne Bindungswirkung für das FG-- auf den Zeitablauf, der sich aus den Akten des vorliegenden Verfahrens ergibt: Für das Streitjahr 2003 war zunächst ein Schätzungsbescheid ergangen, weil die Kläger keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatten. Erst im Einspruchsverfahren reichten die Kläger ihre Steuererklärung samt der Gewinnermittlung nach. Das Veranlagungsverfahren für 2003 konnte mithin erst im Rahmen des Einspruchsverfahrens durchgeführt werden; dieses Veranlagungsverfahren endete mit Erlass der Einspruchsentscheidung am 13. September 2006.
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Die Kläger haben erklärt, den auf dem Konto 948 ausgewiesenen "Rücklagen"betrag zum 1. Januar 2004 nicht mehr vorgetragen zu haben. Technisch setzt dies eine Ausbuchung von diesem Konto voraus, was wiederum eine bewusste Willensentscheidung erfordert. Da die Gewinnermittlung für das Folgejahr 2004 unter dem 30. Januar 2006 unterzeichnet worden ist, muss diese Ausbuchung noch während des laufenden Veranlagungsverfahrens für das Streitjahr 2003 vorgenommen worden sein. Dieser zeitliche Ablauf spricht für eine noch während des laufenden Veranlagungsverfahrens eingetretene Kenntnis der Kläger davon, dass sie die Rücklage zum 31. Dezember 2003 gewinnerhöhend hätten auflösen und den daraus resultierenden Gewinn erklären müssen. Dies hätte zugleich die Pflicht zur Berichtigung ihrer Steuererklärung gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausgelöst.
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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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