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BFH 15.06.2016 - III R 60/12
BFH 15.06.2016 - III R 60/12 - Vorrangiger Kindergeldanspruch des im anderen EU-Mitgliedstaat wohnenden Pflegeelternteils
Normen
§ 32 Abs 1 Nr 2 EStG 2002, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2002, Art 1 Buchst i Nr 1 Buchst i EGV 883/2004, Art 1 Buchst i Nr 2 EGV 883/2004, Art 67 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 EGV 987/2009, § 32 Abs 1 Nr 2 EStG 2009, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 28. November 2012, Az: 15 K 4263/11 Kg, Urteil
Leitsatz
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1. Der Kindergeldanspruch eines in Deutschland wohnhaften polnischen Staatsangehörigen für sein in Polen im Haushalt eines Pflegeelternteils lebendes Kind kann nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. Art. 67 der VO Nr. 883/2004, Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 durch den vorrangigen Kindergeldanspruch des Pflegeelternteils verdrängt werden.
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2. Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist im Hinblick auf das Kindergeld nach dem EStG nach Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i und nicht nach Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Zu den "beteiligten Personen" gehören daher die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten und damit auch ein Pflegeelternteil i.S. der §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
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3. § 32 Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach ein im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandtes Kind, das zugleich ein Pflegekind ist, vorrangig als Pflegekind zu berücksichtigen ist, findet im Kindergeldrecht weder direkt noch analog Anwendung.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 28. November 2012 15 K 4263/11 Kg insoweit aufgehoben, als die Familienkasse verpflichtet wurde, für den Sohn des Klägers ab Januar 2007 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist der Kindergeldanspruch für den in Polen lebenden Sohn des Klägers von Januar 2007 bis November 2011.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist der Vater einer im Dezember 1988 geborenen Tochter (T) und eines im Februar 1995 geborenen Sohnes (S). S lebt im Haushalt der Schwester und des Schwagers des Klägers in Polen.
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Der Kläger wohnt seit dem Jahr 2005 in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und ist dort als selbständiger Unternehmer tätig. Die Kindsmutter wohnt in Großbritannien.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Kindergeldantrag des Klägers für seine beiden Kinder durch Bescheid vom 15. Juli 2011 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 8. November 2011 als unbegründet zurück.
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Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage teilweise statt und verpflichte die Familienkasse zur Kindergeldfestsetzung für T von Januar 2007 bis Juni 2008 und für S ab Januar 2007.
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Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts hinsichtlich des Kindergeldanspruchs für S.
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Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als die Familienkasse verpflichtet wurde, für den Sohn des Klägers ab Januar 2007 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren, und die Klage insoweit abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 9. März 2015 hat der Bundesfinanzhof das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 angeordnet. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501)über die Vorlagefragen entschieden.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils, soweit der Kindergeldanspruch für S ab Januar 2007 betroffen ist, und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
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Das FG hat zwar zu Recht eine Anspruchsberechtigung des Klägers bejaht (dazu 1.). Es fehlen aber für den Zeitraum Januar 2007 bis April 2010 hinreichende tatsächliche Feststellungen dazu, dass der Anspruch nicht (teilweise) durch vorrangige ausländische Ansprüche der Schwester oder des Schwagers des Klägers oder der Kindsmutter verdrängt wird (dazu 2.). Für den Zeitraum Mai 2010 bis November 2011 hat das FG zu Unrecht entschieden, eine vorrangige Anspruchsberechtigung der Schwester oder des Schwagers des Klägers als Pflegeeltern nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum gültigen geltenden Fassung (EStG) komme nicht in Betracht, da diese eine Anspruchsberechtigung nach § 62 EStG voraussetze, die hier ausscheide. Denn der Kläger ist zwar nach nationalem Recht (§§ 62 ff. EStG) anspruchsberechtigt (dazu 3.). Der Schwester oder dem Schwager des Klägers könnte aber nach § 64 Abs. 2 EStG ein vorrangiger Kindergeldanspruch zustehen, sofern bei diesen im Streitzeitraum --was das FG im zweiten Rechtsgang noch festzustellen hat-- tatsächlich ein Pflegekindschaftsverhältnis (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG) zu S bestanden hat (dazu 4. bis 8.).
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1. Der Kläger ist grundsätzlich kindergeldberechtigt.
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a) Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) erfüllt der Kläger --was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist-- für den gesamten Streitzeitraum die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG. Unerheblich ist dabei, dass S seinen Wohnsitz in Polen hat (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).
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b) Anders als die Familienkasse meint, tritt die Anspruchsberechtigung des Klägers auch nicht aufgrund eines etwaigen Pflegekindschaftsverhältnisses i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zwischen seiner Schwester oder seinem Schwager (Pflegeelternteile) und dem S (Pflegekind) gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 EStG hinter die Anspruchsberechtigung der Pflegeelternteile zurück. Zwar ist nach § 32 Abs. 2 Satz 2 EStG ein im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandtes Kind, das zugleich ein Pflegekind ist, vorrangig als Pflegekind zu berücksichtigen. Diese Bestimmung findet jedoch im Kindergeldrecht keine Anwendung, da § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG nur auf § 32 Abs. 3 bis 5 EStG, nicht jedoch auf § 32 Abs. 2 EStG verweist. Sinn und Zweck des § 32 Abs. 2 EStG sprechen auch nicht dafür, dass § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG insoweit eine planwidrige Regelungslücke enthält, zu deren Schließung der Rechtsgedanke des § 32 Abs. 2 Satz 2 EStG herangezogen werden könnte. § 32 Abs. 2 EStG bezweckt im Interesse einer Harmonisierung von Einkommensteuer- und Kindergeldrecht, eine früher mögliche Doppelberücksichtigung von Pflegekindern und angenommenen Kindern beim Kinderfreibetrag zu vermeiden (BTDrucks 13/1558, S. 155, zu Nr. 21c, zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996). Demgegenüber kann es beim Kindergeld zu keiner Doppelberücksichtigung des Pflegekindes bei einerseits dem Pflegeelternteil und andererseits dem leiblichen Elternteil kommen. Denn das Konkurrenzverhältnis zwischen mehreren Anspruchsberechtigten wird bereits über § 64 Abs. 1 und Abs. 2 EStG aufgelöst.
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2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob für den Zeitraum Januar 2007 bis April 2010 konkurrierende Ansprüche der Schwester oder des Schwagers des Klägers und der Kindsmutter bestehen und diese den Anspruch des Klägers ganz oder teilweise ausschließen.
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a) Das FG hat bereits keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob nach dem jeweils einschlägigen polnischen und britischen Recht Ansprüche der Schwester oder des Schwagers des Klägers und der Kindsmutter bestehen. Es führt hierzu lediglich aus, dass nach den Gesamtumständen ein Anspruch der Kindsmutter sowohl in Polen als auch in Großbritannien ausscheide und gleiches für die Pflegeeltern in Polen gelte. Weiter legt es dar, dass der Kläger die einschlägige Gesetzeslage zu polnischen und britischen Familienleistungen aus Sicht des Gerichts zutreffend wiedergegeben und subsumiert und die Familienkasse keine Einwendungen erhoben habe. Nähere Feststellungen zu den für das FG maßgeblichen Gesamtumständen und dem Vortrag des Klägers lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen. Das Fehlen entsprechender Feststellungen im Urteil des FG ist ein materiell-rechtlicher Fehler, den das Revisionsgericht auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten hat (z.B. Senatsurteil vom 30. Juli 2009 III R 8/07, BFH/NV 2010, 190, m.w.N.). Zu den Anforderungen an die Ermittlungspflichten des FG bei der Feststellung ausländischen Rechts wird auf die Senatsurteile vom 13. Juni 2013 III R 63/11 (BFHE 242, 34, BStBl II 2014, 711) und vom 13. Juni 2013 III R 10/11 (BFHE 241, 562, BStBl II 2014, 706) verwiesen.
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b) Sollten derartige Ansprüche bestanden haben, wäre weiter zu prüfen, wie eine Konkurrenz zum inländischen Anspruch des Klägers aufzulösen ist. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass der Zeitraum Januar 2007 bis April 2010 noch in den zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71) und der VO (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72), fällt. Der Senat verweist auf seine hierzu einschlägige Rechtsprechung (s. insbesondere Senatsurteile vom 12. September 2013 III R 16/11, BFH/NV 2014, 320; vom 18. Dezember 2013 III R 52/11, BFH/NV 2014, 851; vom 13. November 2014 III R 1/13, BFHE 248, 20; vom 16. Juli 2015 III R 39/13, BFHE 251, 154; und vom 4. Februar 2016 III R 16/14, BFH/NV 2016, 911).
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3. Für den Zeitraum Mai 2010 bis November 2011 könnte der Kläger entgegen der Rechtsauffassung des FG --für den Fall, dass S im Verhältnis zu der Schwester oder dem Schwager des Klägers ein Pflegekind i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist-- nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nur nachrangig anspruchsberechtigt sein, weil die Pflegeeltern S in ihren Haushalt aufgenommen haben und gemäß Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 883/2004 (Grundverordnung)-- i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 987/2009 (Durchführungsverordnung)-- zu unterstellen ist, dass sie mit S in Deutschland wohnen.
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a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
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b) Im Streitfall könnte sich die Anspruchsberechtigung der Schwester oder des Schwagers aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergeben. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor. Es finden jedoch die Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung (dazu 4.). Dadurch könnte gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ein Inlandswohnsitz der Schwester oder des Schwagers fingiert werden (dazu 5.). Insoweit ist vom FG im zweiten Rechtsgang jedoch noch zu klären, ob die Schwester oder der Schwager des Klägers die Pflegeelterneigenschaft und alle übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung erfüllen (dazu 7.).
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4. Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 ist im Streitfall eröffnet und Deutschland ist danach der zuständige Mitgliedstaat.
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a) Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem EStG eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist.
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b) Gemäß Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 unterliegen die von der Verordnung erfassten Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Da der Kläger im Streitzeitraum eine selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland ausgeübt hat, unterlag er den deutschen Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der VO Nr. 883/2004).
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5. Anders als die im Streitzeitraum Januar 2007 bis April 2010 geltenden Vorgängerbestimmungen der VO Nr. 1408/71 und der VO Nr. 574/72 regeln die im Streitzeitraum Mai 2010 bis November 2011 geltenden Bestimmungen in Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009, dass die Wohnsituation der Schwester oder des Schwagers (fiktiv) in das Inland übertragen wird, wenn diese als Pflegeeltern anspruchsberechtigt sind.
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a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnten. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahin, dass bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung der Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats fielen und dort wohnten.
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b) Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ist ungeachtet dessen anwendbar, dass es bereits nach nationalem Recht (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG) nicht darauf ankommt, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat (EuGH-Urteil in EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501, Rz 35 ff.). Zudem kommt es nicht darauf an, ob im Streitfall zusätzlich auch eine von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben ist, denn Art. 60 der VO Nr. 987/2009 findet bereits über Art. 67 der VO Nr. 883/2004 Anwendung (EuGH-Urteil in EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501, Rz 32 f., 35 ff.).
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c) Zu den "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Da das Kindergeldrecht nach dem EStG den Begriff des Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben (EuGH-Urteil in EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501, Rz 38). Daher werden von diesem Begriff nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Personen erfasst, die ein Kind als Pflegekind in ihren Haushalt aufgenommen haben.
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Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist auch nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als "Familienangehörige" nicht die Pflegeeltern, sondern nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus, dass im deutschen Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von einer familienrechtlichen Beziehung abhängig gemacht wird (vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG). Zum anderen hat auch der EuGH in seinem Urteil in EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501, Rz 38 zur Bestimmung der "beteiligten Personen" auf die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und damit etwa auch die ehemalige (geschiedene) Ehefrau des Anspruchstellers als "beteiligte Person" qualifiziert, obwohl diese kein Ehegatte i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 ist. Insofern greift Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 auch dann nicht ein, wenn es darum geht, ob Pflegeeltern im Zusammenhang des § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG als Familienangehörige zu qualifizieren sind.
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6. Schließlich käme es nicht darauf an, ob die Schwester oder der Schwager des Klägers im Falle ihrer Pflegeelterneigenschaft selbst einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt haben.
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Denn nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr (hier ggf. die Pflegeelternteile), berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier Deutschland), einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem "anderen Elternteil" gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld müsste dem Kläger daher nicht wegen der fehlenden Antragstellung der Pflegeeltern zuerkannt werden (EuGH-Urteil in EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501, Rz 50). Vielmehr reichte es aus, dass der Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen hätte die deutsche Familienkasse auch als solchen zugunsten des Kindergeldanspruchs des Pflegeelternteils zu berücksichtigen.
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7. Das FG wird im zweiten Rechtsgang jedoch noch aufzuklären haben, ob die Schwester oder der Schwager des Klägers im Streitzeitraum Mai 2010 bis November 2011 in einem Pflegekindschaftsverhältnis zu S standen. Insoweit ist nicht entscheidend, ob sie nach polnischem Recht als Pflegeeltern bestellt wurden. Es kommt vielmehr darauf an, ob sie die nach deutschem Recht erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Allerdings hängt das Bestehen eines Pflegekindschaftsverhältnisses nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG u.a. davon ab, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu beiden Elternteilen nicht mehr besteht, was jedenfalls vom Kläger in Bezug auf seine Person bestritten wird. Zu den insoweit gestellten Anforderungen wird auf die Senatsurteile vom 20. Juli 2006 III R 44/05 (BFH/NV 2007, 17) und vom 12. Juni 1991 III R 108/89 (BFHE 165, 201, BStBl II 1992, 20) verwiesen.
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§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG setzt mit seiner Verweisung auf die Pflegekinddefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG und dem darin verwendeten Begriff des Steuerpflichtigen --entgegen der Auffassung des Klägers-- nicht voraus, dass der Pflegeelternanteil inländische Einkünfte erzielt. Denn für die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG genügt bereits das Vorliegen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland. Inländische Einkünfte werden insoweit --anders als etwa bei § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG-- nicht gefordert.
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8. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass in der Kindergeldakte ein weiterer Bescheid vom 24. September 2010 enthalten ist, mit dem Kindergeld u.a. für S ab Januar 2005 abgelehnt wurde. Ob dieser wirksam bekannt gegeben wurde und ggf. für einen Teil des vorliegenden Streitzeitraums bereits Bestandskraft entfaltet, lässt sich den Feststellungen des FG nicht entnehmen. Ggf. wären auch hierzu Feststellungen noch nachzuholen.
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9. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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