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BFH 14.06.2016 - IX R 30/15
BFH 14.06.2016 - IX R 30/15 - (Vererblichkeit des Verlustabzugs nach § 10d EStG - Alte Rechtslage - Zur Auslegung des Kriteriums der wirtschaftlichen Belastung des Erben)
Normen
§ 10d Abs 4 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend FG München, 25. November 2014, Az: 12 K 1132/12, Urteil
Leitsatz
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NV: Der Erbe kann Verluste des Erblassers nur abziehen, wenn er durch sie wirtschaftlich belastet ist.
Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 25. November 2014 12 K 1132/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden im Streitjahr 2004 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am ... September 2004 verstorbenen Vaters B. Der Wert des Nachlasses betrug ... €.
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B war bis zum 16. April 2003 mit einer Einlage von ... DM alleiniger Kommanditist der ... KG sowie alleiniger Gesellschafter der Komplementär-GmbH der KG. Am 16. April 2003 hatte B die Beteiligung an der KG zu einem Kaufpreis von 2.000.000 € auf seinen Schwiegersohn (Kläger), übertragen. Für B ist aufgrund gewerblicher Verluste aus seiner Beteiligung an der KG mit Bescheid vom 22. November 2011 ein verbleibender Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr maßgeblichen Fassung (EStG) in Höhe von 3.417.670 € zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 gesondert festgestellt.
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Unter dem Datum vom 12. August 2009 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegenüber den Klägern einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem unter Ansatz eines Gesamtbetrags der Einkünfte von 1.249.219 € die Einkommensteuer auf 539.414 € festgesetzt wurde.
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Die Kläger legten hiergegen Einspruch mit dem Antrag ein, einen Verlustvortrag in Höhe von 1.249.219 € zu berücksichtigen und die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 0 € festzusetzen. Sie verwiesen zur Begründung darauf, dass die Klägerin von ihrem verstorbenen Vater einen entsprechenden Verlustvortrag, der bei diesem nicht mehr habe ausgeglichen werden können, geerbt habe. Die Klägerin sei durch die festgestellten Verluste ihres Vaters auch wirtschaftlich belastet, da sich der ökonomische Wert der Verluste in einem entsprechend geringeren Nachlass niederschlage. Außerdem hafte sie uneingeschränkt für Nachlassverbindlichkeiten ihres Vaters. Mit während des Einspruchsverfahrens aus nicht streitgegenständlichen Gründen geändertem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 29. März 2011 wurde die Einkommensteuer bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1.450.272 € auf 627.126 € festgesetzt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Mit Datum vom 12. April 2013 wurde der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 während des Klageverfahrens aus nicht streitgegenständlichen Gründen geändert und die Einkommensteuer bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1.610.236 € auf 699.110 € festgesetzt. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1799 veröffentlichten Urteil ab. Die Klägerin habe die ererbten Verluste wirtschaftlich nicht getragen.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 10d EStG). Sie tragen im Wesentlichen vor, nur in engen Ausnahmefällen wie einem Nachlasskonkurs oder bei Zahlung durch Dritte könne davon ausgegangen werden, dass der Erbe wirtschaftlich den Verlust des Erblassers nicht trage. In allen anderen Fällen, in denen der Erblasser den Verlust erwirtschaftet habe, ihn nach § 10d Abs. 2 EStG vortrage und dann sterbe, gehe der Verlustvortrag des Erblassers auf den Erben über. Die Vorentscheidung schränke den Übergang des Verlustabzugs unzulässig ein. Zwar habe das FG die Fortgeltung der früheren Rechtslage zum Übergang des Verlustabzugs nach § 10d EStG auf den Erben gemäß dem Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04 (BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608) akzeptiert. Es unterlaufe diese Fortgeltungsanordnung jedoch durch zu strenge Maßstäbe für den Verlustübergang, die in dieser Ausprägung nicht mit der früheren Rechtsprechung zum Übergang des Verlustabzugs vereinbar seien. Diese Rechtsprechung habe nie darauf abgestellt, wer (Erbe oder Erblasser) die Zahlung auf eine ausstehende Verbindlichkeit leiste bzw. wer die Ausgaben getätigt habe, die zu ihrem Verlust geführt haben. Der von dem FG konstruierte dritte Ausnahmefall zum wirtschaftlichen Tragen der Verluste durch den Erben sei mit den von der Rechtsprechung entschiedenen Ausnahmefällen nicht vergleichbar. Damit würde im Ergebnis der Verlustübergang gemäß der früheren Rechtslage so erheblich eingeschränkt, dass der Verlustübergang für die Mehrzahl der Fälle ausgeschlossen werde. Das Bezahlen der Verbindlichkeit durch den Erblasser sei nicht erheblich. Gleichgültig, ob der Erbe oder der Erblasser die Verbindlichkeiten getilgt habe, liege im wirtschaftlichen Sinne ein Tragen der Verluste durch den Erben vor. Der Erbe sei stets wirtschaftlich in seiner Vermögenssphäre belastet. Bei einer Zusammenbetrachtung von Erblasser und Erbe müssten die genannten Fälle gleichbehandelt werden. Eine Veranlassung, die Vererblichkeit des Verlustabzugs zu begrenzen, bestehe erst dann, wenn der Erbe durch die Übertragung der Verlustabzugsmöglichkeit mehr erhalte, als er erhalten hätte, wenn bereits der Erblasser die entstandenen Verluste hätte ausgleichen oder abziehen können.
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Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 12. April 2013 mit der Maßgabe zu ändern, dass unter Berücksichtigung eines Verlustvortrags in Höhe von 1.610.236 € die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zutreffend hat das FG die wirtschaftliche Belastung der Klägerin durch Verluste des Erblassers und daher deren Möglichkeit des Verlustabzugs nach § 10d EStG verneint.
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1. § 10d EStG ermöglicht unter den dort bezeichneten Voraussetzungen eine interperiodische Verrechnung von Verlusten, die im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung nicht ausgeglichen werden konnten und gewährt dem Steuerpflichtigen eine subjektiv-öffentliche Berechtigung zum Verlustabzug, d.h. zur Verrechnung der im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte mit den positiven Einkünften vorangegangener (Verlustrücktrag) oder nachfolgender Veranlagungszeiträume (Verlustvortrag).
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a) Der Große Senat des BFH hat entschieden, dass der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann, jedoch die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes in allen Erbfällen anzuwenden ist, die --wie im Streitfall-- bis zum Ablauf des Tages der Veröffentlichung dieses Beschlusses eingetreten sind (Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.IV. und V.).
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b) Nach dieser bisherigen Rechtsprechung des BFH konnte der Erbe vom Erblasser nicht verbrauchte Verluste somit gemäß § 10d EStG geltend machen, weil er als dessen Gesamtrechtsnachfolger auch steuerlich gleichsam die Person des Erblassers fortsetzte (z.B. BFH-Urteile vom 22. Juni 1962 VI 49/61 S, BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386; vom 17. Mai 1972 I R 126/70, BFHE 105, 483, BStBl II 1972, 621; vom 5. Mai 1999 XI R 1/97, BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653). Es kam nicht darauf an, ob der Erbe den Betrieb des Erblassers, in dem der Verlust entstanden war, fortführte (BFH-Urteil in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386). Voraussetzung für den Verlustabzug war jedoch, dass der oder die Erben den Verlust auch tatsächlich getragen haben (BFH-Urteile in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386, und in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653; BFH-Beschlüsse vom 14. Mai 2009 IX B 216/08, juris; vom 22. Mai 2013 IX B 185/12, BFH/NV 2013, 1233). Eine wirtschaftliche Belastung fehlte jedenfalls, wenn der Erbe für Nachlassverbindlichkeiten gar nicht oder nur beschränkt haftete (BFH-Beschluss vom 29. März 2000 I R 76/99, BFHE 191, 353, BStBl II 2000, 622, unter II.).
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c) Den Verlust "wirklich tragen" bzw. durch ihn "wirtschaftlich belastet" zu sein, bedeutete aber nicht, dass es allein darauf ankommt, ob der Erbe rechtlich für Schulden des Erblassers in Anspruch genommen werden kann. Es besagt vielmehr, dass der Erbe aufgrund der Verluste des Erblassers wirtschaftlich in seiner Einkommens- oder Vermögenssphäre belastet ist. Haftet der Erbe zwar kraft Gesetzes für Verbindlichkeiten, die mit den Verlusten des Erblassers in Zusammenhang stehen, ist aber auszuschließen, dass er sie tatsächlich begleichen muss, so ist er durch die Verluste wirtschaftlich nicht belastet (BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653).
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d) Für diese Beurteilung ist maßgebend, dass den Tatbestand der Erzielung von Einkünften in Form von Verlusten ausschließlich der Erblasser erfüllt. Die Berücksichtigung eines von ihm nicht ausgeschöpften Verlustabzugs beim Erben durchbricht die das Einkommensteuerrecht beherrschenden Grundsätze der Individualbesteuerung und der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit. Anders als die Kläger meinen, lässt sich diese Durchbrechung nur rechtfertigen, wenn auch der Erbe durch die "ererbten" Verluste in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Erblassers über die Gesamtrechtsnachfolge beim Erben fortwirkt. Die Einkommensteuer ist eine Personensteuer; Erbe und Erblasser sind verschiedene Rechtssubjekte, die jeder für sich zur Einkommensteuer veranlagt werden (so bereits BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653). Ob die Verluste des Erblassers die Leistungsfähigkeit des Erben beeinträchtigen, richtet sich nach den Verhältnissen bei dem Erben nach Eintritt des Erbfalls.
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2. Bei Anwendung dieser Grundsätze war die Klägerin im Streitfall durch die Verluste des Erblassers --wie das FG zu Recht erkannt hat-- wirtschaftlich nicht belastet.
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a) Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat daher bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat der Erblasser sämtliche den Verlustvorträgen zugrundeliegenden Verbindlichkeiten bereits vor der Übertragung der Kommanditbeteiligung an den Kläger (Schwiegersohn) getilgt. Eine wirtschaftliche Belastung der Klägerin nach den unter II.1. dargestellten Maßstäben ist daher ausgeschlossen.
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b) Anders als die Kläger meinen, ist dabei unerheblich, ob der Erblasser oder ein unbeteiligter Dritter die Tilgung der Verbindlichkeit übernommen hat. Erforderlich ist vielmehr, dass der Erbe aufgrund der Verluste des Erblassers wirtschaftlich in seiner Einkommens- oder Vermögenssphäre belastet ist. Daran fehlt es im Streitfall. Eine wirtschaftliche Belastung liegt nicht vor, wenn dem Erbe aufgrund eines Verlusts des Erblassers lediglich ein geringeres Vermögen zufällt (so ausdrücklich BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653; BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 1233).
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c) Da B seine Kommanditbeteiligung noch zu Lebzeiten auf den Kläger übertragen hat, war auch eine steuerliche Belastung der Klägerin aus der Aufdeckung stiller Reserven, die beim Erblasser gebildet worden sind und die eine Entlastung durch das Recht auf Inanspruchnahme des Verlustabzugs rechtfertigen könnten, ausgeschlossen.
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d) Schließlich hat das FG zutreffend entschieden, dass das nach Eintritt des Erbfalls von der Klägerin zugunsten der KG gewährte Darlehen vom 20. Januar 2006, die Übernahme der Bürgschaft sowie der im Jahr 2011 bezahlte Ausgleich des Abfindungsanspruches an den ... ebenfalls keine wirtschaftliche Belastungen darstellen, die durch die Verluste des Erblassers begründet worden sind.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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