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BFH 28.04.2016 - III R 65/13
BFH 28.04.2016 - III R 65/13 - Kindergeld: Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
Normen
§ 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 63 Abs 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009, Art 1 Buchst i Nr 1 Buchst i EGV 883/2004, Art 1 Buchst z EGV 883/2004, Art 2 Abs 1 EGV 883/2004, Art 3 Abs 1 Buchst j EGV 883/2004, Art 11 Abs 3 Buchst e EGV 883/2004, Art 67 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 EGV 987/2007, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 23. Januar 2013, Az: 2 K 1245/12 (Kg), Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten --insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt-- unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (hier: Deutschland) fallen und dort wohnen, kann dazu führen, dass der Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht (EuGH Urteil vom 22. Oktober 2015 C 378/14, EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501). Kann wegen der --nicht nur räumlichen-- Trennung der Eltern nicht fingiert werden, dass diese in Deutschland in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG der Elternteil kindergeldberechtigt, der das Kind in seinem Haushalt aufgenommen hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, DStR 2016, 1319).
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2. NV: In einem derartigen Fall steht der Kindergeldanspruch auch dann nicht dem in Deutschland lebenden Elternteil zu, wenn der im EU-Ausland lebende Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hat.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 23. Januar 2013 2 K 1254/12 (Kg) im Kostenpunkt ganz und im Übrigen insoweit aufgehoben, als es den Zeitraum Juni 2010 bis Dezember 2010 betrifft.
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Insoweit wird die Klage abgewiesen.
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Die Revision des Klägers wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (Kläger), der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist der Vater der im März 1994 geborenen S und der im Dezember 2000 geborenen M. Die beiden Töchter leben bei der Kindsmutter, die tschechische Staatsangehörige ist. Sie ist die ehemalige Ehefrau des Klägers. Sie trennte sich vom Kläger im November 2009 und verzog mit den Töchtern nach Tschechien, wo diese die Schule besuchten.
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Der Kläger bezog für die Töchter zunächst Kindergeld. Die Beklagte, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob durch Bescheid vom 10. Juni 2010 die Festsetzung ab November 2009 auf, da die Kinder nicht mehr im Haushalt des Klägers lebten. Dagegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 15. Juni 2010. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens setzte die Familienkasse durch Bescheide vom 31. Mai 2012 Kindergeld für April und Mai 2010 fest und hob die Festsetzung des Kindergeldes erst ab Juni 2010 auf.
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Da die Familienkasse über den Einspruch vom 15. Juni 2010 nicht entschied, erhob der Kläger unter dem 8. August 2012 beim Finanzgericht (FG) Klage und begehrte die Gewährung von Kindergeld ab Juni 2010. Das FG behandelte die Klage als Untätigkeitsklage nach § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die zulässig sei, weil die Familienkasse ohne Mitteilung eines hinreichenden Grundes nicht über den Einspruch entschieden habe. Es gab der Klage zum Teil statt. Das FG war der Ansicht, der Kläger habe für die beiden Töchter für den Zeitraum Juni 2010 bis Dezember 2010 einen Anspruch auf Kindergeld. In diesem Zeitraum, in dem der Kläger den Töchtern monatlichen Barunterhalt von 50 € geleistet habe, sei er nach § 64 Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Jahre 2010 und 2011 geltenden Fassung anspruchsberechtigt, nicht aber die geschiedene Ehefrau. Die ab Mai 2010 geltende Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --AblEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung --VO Nr. 883/2004 (Grundverordnung)-- sei nicht einschlägig, da die geschiedene Ehefrau in Tschechien keinen Anspruch auf Familienleistungen habe und damit keine Anspruchskonkurrenz vorliege. Für die Zeit ab Januar 2011 wies das FG die Klage ab, da der Kläger ab diesem Monat keinen Unterhalt mehr geleistet habe.
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Gegen das Urteil wenden sich sowohl die Familienkasse als auch der Kläger mit ihrer jeweiligen Revision.
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Die Familienkasse ist der Ansicht, gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (AblEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung --VO Nr. 987/2009 (Durchführungsverordnung)-- sei zu unterstellen, dass die geschiedene Ehefrau mit den Töchtern in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) lebe, so dass sie gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig kindergeldberechtigt sei.
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Die Familienkasse beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es den Zeitraum Juni 2010 bis Dezember 2010 betrifft und die Klage insoweit abzuweisen sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Aufhebungsbescheid vom 10. Juni 2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 31. Mai 2012 aufzuheben und die Revision der Familienkasse zurückzuweisen.
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Der Kläger wendet sich gegen das angefochtene Urteil insoweit, als es den Kindergeldanspruch ab Januar 2011 betrifft. Zunächst beantragte er beim Bundesfinanzhof (BFH) Prozesskostenhilfe (PKH) für die von ihm einzulegende Revision. Nachdem ihm durch den am 8. September 2014 zugegangenen Beschluss vom 11. August 2014 VI S 3/13 (PKH) PKH bewilligt worden war, legte der Kläger am 19. September 2014 ebenfalls Revision ein, begründete sie und beantragte im Hinblick auf die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO. Er ist der Auffassung, dass es nicht darauf ankomme, dass er den Kindern ab Januar 2011 keinen Unterhalt mehr gezahlt habe.
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Durch Beschluss vom 10. Oktober 2014 setzte der zuvor zuständige VI. Senat des BFH das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom 8. Mai 2014 III R 17/13 (BFHE 245, 522, BStBl II 2015, 329) aus. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) in der Rechtssache Trapkowski über die Vorlagefragen entschieden.
Entscheidungsgründe
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II. A. Die Familienkasse ... ist aufgrund eines Organisationsaktes in die Beteiligtenstellung der Bundesagentur für Arbeit --Familienkasse ...-- eingetreten (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2014 III R 21/12, BFHE 246, 389, BStBl II 2015, 135, Rz 11).
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B. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit, als es den Zeitraum Juni 2010 bis Dezember 2010 betrifft; auch insoweit ist die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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1. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Denn das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum Juni 2010 bis Dezember 2010 hat.
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a) Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Dies wurde --für den Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 FGO)-- vom FG festgestellt und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Dass die Töchter ihren Wohnsitz in Tschechien hatten, ist für den Ausgang des Verfahrens nicht erheblich (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).
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b) Allerdings ist die geschiedene Ehefrau nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt, weil sie die Töchter in ihren Haushalt aufgenommen hat und gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 zu unterstellen ist, dass sie mit den Töchtern in Deutschland wohnt.
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aa) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird das Kindergeld nur einem Berechtigten gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird es demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
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bb) Im Streitfall ergibt sich die Anspruchsberechtigung der geschiedenen Ehefrau aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor, es finden jedoch die Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung. Dadurch wird gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ein Inlandswohnsitz der geschiedenen Ehefrau fingiert, welche auch die übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung erfüllt.
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c) Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 ist im Streitfall eröffnet und Deutschland ist der zuständige Mitgliedstaat.
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aa) Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in deren persönlichen Anwendungsbereich. Das Kindergeld ist eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist (Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004).
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bb) Nach Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 unterliegen die von dieser Verordnung erfassten Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Im Streitfall ergibt sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften jedenfalls aus Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der VO Nr. 883/2004.
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d) Aus Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 folgt, dass die Wohnsituation der geschiedenen Ehefrau fiktiv in das Inland zu übertragen ist.
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aa) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nach Art. 67 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als würden die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahingehend, dass bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung von Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats fallen und dort wohnen.
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bb) Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ist ungeachtet dessen anwendbar, dass es bereits nach nationalem Recht (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG) nicht darauf ankommt, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501). Zudem ist nicht erheblich, ob zusätzlich eine von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben ist, denn Art. 60 der VO Nr. 987/2009 findet bereits über Art. 67 der VO Nr. 883/2004 Anwendung.
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cc) Zu den "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die Familienangehörigen i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Da das Kindergeldrecht nach dem EStG den Begriff des Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501). Daher werden von diesem Begriff auch getrennt lebende Eltern umfasst.
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Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als Familienangehörige nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus, dass im deutschen Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von einer familienrechtlichen Beziehung abhängig gemacht wird (vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG). Zum anderen hat auch der EuGH in seinem Urteil in DStRE 2015, 1501 zur Bestimmung der "beteiligten Person" auf die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und damit auch die geschiedene Ehefrau als beteiligte Person qualifiziert.
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e) Die geschiedene Ehefrau erfüllt neben dem Wohnsitzerfordernis nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG auch die übrigen Voraussetzungen für einen vorrangigen Kindergeldanspruch. Ein vorrangiger Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG. Denn die Anwendung dieser Bestimmung würde einen gemeinsamen Haushalt der Eltern voraussetzen. Es bestand jedoch kein gemeinsamer Haushalt, der zur vorrangigen Anspruchsberechtigung des Klägers hätte führen können. Ein gemeinsamer Haushalt folgt auch nicht aus der Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009. Nach den Feststellungen des FG lebten der Kläger und die geschiedene Ehefrau dauernd getrennt. Am Fehlen eines gemeinsamen Haushalts ändert sich somit auch dann nichts, wenn man fingiert, dass sich der Haushalt der geschiedenen Ehefrau in Deutschland befand.
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f) Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die frühere Ehefrau selbst einen Antrag auf Kindergeld nach deutschem Recht gestellt hat.
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Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier: Deutschland), einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld musste dem Kläger daher nicht wegen einer etwaigen fehlenden Antragstellung der geschiedenen Ehefrau zuerkannt werden. Vielmehr reicht es aus, dass der Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen hat die deutsche Familienkasse als solchen zugunsten der geschiedenen Ehefrau zu berücksichtigen.
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2. Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
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a) Die Revision des Klägers ist zulässig. Dieser hat zwar zunächst die Frist zur Einlegung und Begründung der Revision versäumt (§ 120 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FGO). Es ist ihm jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO). Die Fristversäumnis war unverschuldet, da der Kläger wegen Mittellosigkeit zunächst nicht zur fristgerechten Einlegung und Begründung durch einen postulationsfähigen Vertreter in der Lage war. Er hat innerhalb der Revisionsfrist einen ordnungsgemäßen und vollständigen Antrag auf PKH gestellt (vgl. Senatsurteil vom 16. April 2015 III R 54/13, BFHE 249, 507, BStBl II 2016, 25). Nach Bewilligung der PKH durch den am 8. September 2014 zugegangenen Beschluss vom 11. August 2014 VI S 3/13 (PKH) hat er am 19. September 2014 durch einen postulationsfähigen Vertreter die Revision fristgerecht eingelegt und begründet (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO).
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b) Das FG hat zutreffend den Zeitraum Januar 2011 bis Juni 2012, für welchen der Kläger Kindergeld beansprucht, in seine Prüfung einbezogen. Der Anspruch auf Kindergeld kann grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang zum Gegenstand einer gerichtlichen Inhaltskontrolle gemacht werden, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat, somit in der Regel bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681). Im Streitfall hat die Familienkasse keine Einspruchsentscheidung erlassen, vielmehr erging im Verlauf des Rechtsbehelfsverfahrens unter dem 31. Mai 2012 ein Änderungsbescheid, durch welchen die Festsetzung des Kindergeldes erst ab Juni 2010 aufgehoben wurde. Dieser Bescheid, der im Juni 2012 bekanntgegeben wurde (§ 122 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung), ist die letzte Verwaltungsentscheidung und damit Gegenstand der finanzgerichtlichen Überprüfung. Der Prüfungsumfang wird in zeitlicher Hinsicht durch die Bekanntgabe dieses Bescheides begrenzt.
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c) Aus den vorstehenden Ausführungen unter 1. zur Revision der Familienkasse ergibt sich, dass der Kläger weder für den Zeitraum Juni 2010 bis Dezember 2010 noch für die Zeit ab Januar 2011 einen Anspruch auf Kindergeld hat, weil der Anspruch vorrangig dessen geschiedener Ehefrau zusteht. Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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