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BFH 20.01.2016 - VI R 14/15
BFH 20.01.2016 - VI R 14/15 - Ablauf der Festsetzungsfrist - Antragsveranlagung
Normen
§ 25 EStG 2002, § 46 Abs 4 S 1 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 1 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 2 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 3 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 4 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 5 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 6 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 7 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 8 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 56 EStDV 2000, § 47 AO, § 108 Abs 3 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, § 170 Abs 1 AO, § 171 Abs 3 AO, § 130 Abs 1 BGB, § 193 BGB, § 54 Abs 2 FGO, § 222 Abs 2 ZPO, § 31 Abs 3 S 1 VwVfG, EStG VZ 2007
Vorinstanz
vorgehend Thüringer Finanzgericht, 17. Dezember 2014, Az: 4 K 402/12, Urteil
Leitsatz
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1. Fällt das Ende der Festsetzungsfrist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, endet sie erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags (2. Januar des Folgejahres) .
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2. Der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ist ein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO .
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 17. Dezember 2014 4 K 402/12 und die Einspruchsentscheidung vom 11. April 2012 sowie der Ablehnungsbescheid vom 12. Januar 2012 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger für das Jahr 2007 zur Einkommensteuer zu veranlagen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob die Festsetzungsfrist nach § 108 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags endet, wenn ihr Ende auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte als Offizier im Streitjahr (2007) ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Seinen Hauptwohnsitz hatte er in A und seinen Nebenwohnsitz in B. Seine Steuererklärung 2007 ging am Montag, dem 2. Januar 2012, beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein.
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Das FA lehnte mit Bescheid vom 12. Januar 2012 die Durchführung der Antragsveranlagung mit der Begründung ab, dass die Einkommensteuererklärung des Klägers erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 eingegangen sei.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Im Streitfall habe der Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3150) --EStG-- der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegengestanden. Zwar sei der 31. Dezember 2011 auf einen Sonnabend gefallen. Gleichwohl sei die Festsetzungsfrist nicht erst am nächsten Werktag, d.h. am 2. Januar 2012, abgelaufen. § 108 Abs. 3 AO sei auf den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht anwendbar, so dass der Kläger die Steuererklärung für das Streitjahr nicht fristgemäß eingereicht habe.
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Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 108 Abs. 3 AO.
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Er beantragt,
das Urteil des Thüringer FG vom 17. Dezember 2014 4 K 402/12 aufzuheben sowie den Ablehnungsbescheid vom 12. Januar 2012 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2012 aufzuheben und das FA zu verpflichten, aufgrund der abgegebenen Einkommensteuererklärung für 2007 für dieses Jahr eine Veranlagung durchzuführen.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist der Kläger zur Einkommensteuer für 2007 zu veranlagen.
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1. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 EStG nur durchgeführt, wenn die Veranlagung beantragt wird, insbesondere zur Anrechnung von Lohnsteuer auf die Einkommensteuer. Der Antrag ist durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG).
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a) Der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ist zwar nicht mehr fristgebunden, aber innerhalb der Festsetzungsfrist zu stellen.
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b) Gemäß § 108 Abs. 3 AO endet, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags. Für die Auslegung des § 108 AO ist, wie aus der Verweisung auf die Fristbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Abs. 1 der Vorschrift hervorgeht, der Fristbegriff des Bürgerlichen Rechts maßgebend. § 108 Abs. 3 AO erfasst demnach alle Arten von Fristen. Der Zweck des § 193 BGB, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung übliche Fünftagewoche zu berücksichtigen (Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl., § 193 Rz 1), wird mithin durch § 108 Abs. 3 AO (und § 31 Abs. 3 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes; ebenso § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 54 Abs. 2 FGO) auf alle Arten von Fristen --"eigentliche" Fristen (Handlungsfristen) wie auch "uneigentliche" Fristen-- erstreckt (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1993 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898; Klein/Rätke, AO, 12. Aufl., § 108 Rz 6; Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 108 AO Rz 19; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 108 AO Rz 123; a.A. Müller in Beermann/Gosch, AO § 108 Rz 54).
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c) Die Festsetzungsfrist ist eine "Frist" in diesem Sinne. Es handelt sich um einen abgegrenzten, bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren Zeitraum (Urteil des Reichsgerichts vom 8. Juni 1928 III 426/27, RGZ 120, 355, 356, 362). Verjährungsfristen zählen als gesetzliche Fristen zu den "uneigentlichen" Fristen (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1986 II R 5/84, BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462) und werden mithin vom Anwendungsbereich des § 108 Abs. 3 AO erfasst (FG Düsseldorf, Urteil vom 8. Mai 2008 14 K 2450/07 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1685, Rz 20; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Dezember 2007 III ZR 146/07, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2008, 459, zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 193 BGB auf Verjährungsfristen, sowie MünchKommBGB/Grothe, 7. Aufl., § 193 Rz 8; Staudinger/Repgen, BGB, 2014, § 193 Rz 13).
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d) Dem steht § 47 AO nicht entgegen. Zwar weist das FG zutreffend darauf hin, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis mit Ablauf der Festsetzungsfrist erlöschen und ein durch Fristablauf erloschener Anspruch nicht wieder aufleben kann (Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 10, m.w.N.). Es verkennt jedoch, dass Rechtsfolge des § 108 Abs. 3 AO die Verlängerung der (Festsetzungs-)Frist ist (s. Staudinger/Repgen, a.a.O.). Zur Wahrung einer nach § 108 Abs. 3 AO "verlängerten" Frist reicht es aus, dass die Handlung bis 24 Uhr des Tages des Fristablaufs vorgenommen worden ist (Klein/Rätke, AO, 12. Aufl., § 108 Rz 6; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 108 AO Rz 19).
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e) Nach § 171 Abs. 3 AO läuft eine Festsetzungsfrist, soweit vor ihrem Ablauf ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt wird, nicht vor der unanfechtbaren Entscheidung über diesen Antrag ab.
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aa) Als "Antrag" i.S. des § 171 Abs. 3 AO sind nur solche Willensbekundungen zu verstehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörden außerhalb des in Folge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Die Abgabe gesetzlich vorgeschriebener Steuererklärungen gehört zur allgemeinen Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen und ist kein Antrag, selbst wenn die Veranlagung zu einer Steuererstattung führt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 28. August 2014 V R 8/14, BFHE 247, 21, BStBl II 2015, 3, m.w.N.). Dagegen ist die Abgabe einer Einkommensteuererklärung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO (Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 25; Paetsch in Beermann/Gosch, AO § 171 Rz 27). Denn liegen die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 EStG für eine Veranlagung von Amts wegen nicht vor, sind die Finanzbehörden aufgrund der Abgeltungswirkung des Lohnsteuerabzugs (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG) an der Steuerfestsetzung gehindert. In einem solchen Fall ist der Steuerpflichtige nicht verpflichtet (§ 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung), sondern lediglich berechtigt, eine Steuererklärung einzureichen (Senatsurteil vom 14. April 2011 VI R 53/10, BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746).
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bb) "Gestellt" ist ein Antrag, wenn er bei der zuständigen Behörde eingeht. Für den Zugang des Antrages gelten die bürgerlich-rechtlichen Regelungen über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen entsprechend. Eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem die zuständige Behörde zu den behördenüblichen Zeiten die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstückes erhalten konnte (vgl. BFH-Beschluss vom 3. April 2002 IX B 151/01, BFH/NV 2002, 900; BFH-Urteil vom 20. Dezember 2006 X R 38/05, BFHE 216, 297, BStBl II 2007, 823, m.w.N.).
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2. Nach diesen Grundsätzen steht der Veranlagung des Klägers gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG im Streitfall der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegen. Denn der Kläger hat den Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG durch Abgabe seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim FA eingereicht.
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a) Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Die Einkommensteuer für 2007 verjährte demnach mit Ablauf des Jahres 2011.
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b) Im Streitfall fiel das Ende der Festsetzungsfrist auf einen Sonnabend. In einem solchen Fall endet die Festsetzungsfrist nicht mit Ablauf des 31. Dezember, sondern nach § 108 Abs. 3 AO erst mit Ablauf des nächsten Werktages und hier damit am 2. Januar 2012. Folglich ist der Kläger für 2007 zur Einkommensteuer zu veranlagen. Denn nach den bindenden Feststellungen des FG ist die Einkommensteuererklärung 2007 beim FA am 2. Januar 2012 eingereicht worden.
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Die streitige Veranlagung ist vom beklagten FA vorzunehmen. Denn der Kläger hatte ausweislich seiner beim beklagten FA eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr seinen Zweitwohnsitz in B. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder haben für die örtliche Zuständigkeit bei Angehörigen der Bundeswehr eine Vereinfachungsregelung beschlossen, wonach für nicht verheiratete Soldaten das Finanzamt des Wohnsitzes zuständig ist, den der Soldat in seinem Antrag oder seiner Steuererklärung angibt (z.B.: Thüringer Finanzministerium vom 22. August 1994 S 0122 A - 1/94 - 201.3, Felix/Carlé, Steuererlasse in Karteiform, AO 1977 § 19 Nr. 10).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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