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BFH 26.06.2014 - I B 74/12
BFH 26.06.2014 - I B 74/12 - (Rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bei nachträglicher Änderung des Sachverhalts - Maßgeblichkeit des materiellen Rechts - Prinzip der Abschnittsbesteuerung)
Normen
§ 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, Art 3 Abs 1 GG
Leitsatz
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NV: Es ist im Rahmen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht klärungsbedürftig, dass sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht richtet, ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt. Mangels Gesetzeskraft sind Maßnahmen der Finanzverwaltung deshalb nicht geeignet, eine steuerliche Rückwirkung und damit eine Durchbrechung der Bestandskraft nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu begründen .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betreibt X-Anlagen. Er vereinbarte im Jahr 2001 mit einem US-amerikanischen Trust, einem Investor sowie weiteren Vertragsparteien ein dem Recht des Staates New York (Vereinigte Staaten von Amerika) unterstehendes Vertragswerk mit dem Ziel einer US-Cross-Border Leasing Transaktion ("US-Lease"). Darin vermietete der Kläger die X-Anlagen für 99 Jahre an den Trust, mietete sie zeitgleich für einen Zeitraum von 29 Jahren zurück und erhielt die entgeltliche Option, nach Ablauf der 29 Jahre die Rechte des Trusts für die verbleibenden 70 Jahre zurück zu erwerben und den US-Lease so zu beenden. Während der Trust mit sämtlichen Mietzahlungen vollständig vorauszahlungspflichtig war, zahlte der Kläger die Rückmiete (einschließlich des Kaufoptionspreises) vereinbarungsgemäß an drei Finanzdienstleister (sog. Erfüllungsübernehmer), die verpflichtet waren, die Zahlungen nach einem Zahlungsplan an den Trust zu entrichten. Für den Fall der Herabstufung der Bonität eines Erfüllungsübernehmers oder eines weiteren Garantiegebers war eine Nachbesicherungspflicht des Klägers vereinbart, an deren Verletzung weitreichende Sekundärrechte des Trusts geknüpft waren.
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Die sich aus der Transaktion zugunsten des Klägers ergebende Differenz zwischen erhaltenen und geleisteten Zahlungen (sog. Netto-Barwertvorteil) legte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) --entsprechend einer zuvor erteilten verbindlichen Auskunft sowie dem Erlass der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin vom 22. April 1999 (Betriebs-Berater 1999, 1429)-- vollumfänglich und ohne Rechnungsabgrenzung den Körperschaftsteuerbescheiden 2001 und 2002 einkommenserhöhend zugrunde, die bestandskräftig wurden.
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Nachdem sich im Jahr 2008 die Nachbesicherungspflicht aktualisiert hatte, einigten sich die Parteien Anfang 2009 auf die vorzeitige Beendigung des US-Lease. Daraufhin begehrte der Kläger, die ihm im Rahmen der Bemühungen zur Nachbesicherung und der Auflösung des US-Lease entstandenen Aufwendungen --aufgrund derer sich für ihn aus der Gesamttransaktion ein Verlust ergab-- gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) im Rahmen der Körperschaftsteuerfestsetzungen 2001 und 2002 zu berücksichtigen. Dem folgte das FA in Bezug auf das Jahr 2002 (Streitjahr) nicht (das Einspruchsverfahren hinsichtlich des Jahrs 2001 ruht).
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Die anschließende Klage blieb erfolglos. Auch das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, dass die Aufwendungen im Rahmen der laufenden Veranlagung zu berücksichtigen seien.
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Gegen die Entscheidung des FG, die Revision nicht zuzulassen, wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen. Ein Grund zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegt nicht vor.
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1. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts notwendig (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 Alternative 1 FGO). Es fehlt an dem für beide Zulassungsgründe erforderlichen Klärungsbedürfnis (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Februar 2014 I B 133/13, BFH/NV 2014, 860).
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a) Der Kläger hat zunächst die Rechtsfrage herausgestellt, ob ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Abschlusses (bzw. auf den Zeitpunkt der Besteuerung des Netto-Barwertvorteils) einer US-Lease-Transaktion vorliegt, wenn die Transaktion zur Abwendung einer sonst höheren Schadensersatzpflicht vorzeitig beendet wird und dadurch dem Steuerpflichtigen nachträgliche Aufwendungen (in Form eines neu festgesetzten Optionspreises) entstehen, die den ursprünglich besteuerten Netto-Barwertvorteil vollständig aufzehren und sogar zu einem Verlust führen.
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aa) Die Frage ist indes nicht klärungsbedürftig. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a., wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. August 2011 I B 1/11, BFH/NV 2011, 2044; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Wie der Kläger selbst einräumt, entscheidet sich die Frage, ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, im Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO allein anhand des jeweils einschlägigen materiellen Rechts (Senatsurteil vom 18. Mai 1999 I R 60/98, BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; BFH-Urteil vom 11. Juli 2013 IV R 9/12, BFHE 242, 14).
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bb) Davon ausgehend ergibt sich, dass das FG im Ergebnis zu Recht erkannt hat, dass § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO im Streitfall mangels rückwirkenden Ereignisses nicht anzuwenden ist. Und die vom Kläger formulierte "Vorfrage", ob "materielles Recht" im Sinne der zitierten BFH-Rechtsprechung auch ein "Rechtssatz" sein könne, den die Finanzverwaltung selbst aufgestellt, ihren verbindlichen Auskünften und der Besteuerung zugrunde gelegt habe, ist mit der bisher hierzu ergangenen BFH-Rechtsprechung zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eindeutig zu verneinen.
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aaa) Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass bei den laufend veranlagten Steuern --wie vorliegend der Körperschaftsteuer-- die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen sind, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert (BFH-Urteil in BFHE 242, 14; Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Das gilt auch für die Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich, soweit nicht die einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt; dies ist bei Steuertatbeständen gegeben, die an ein einmaliges, punktuelles Ereignis anknüpfen, wie z.B. die Veräußerung eines Gewerbebetriebes nach § 16 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (BFH-Beschluss vom 28. Juni 2011 X B 146/10, BFH/NV 2011, 1831; s. auch Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, sowie --zum Veräußerungsgewinn nach § 8b Abs. 2 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes-- Senatsurteil vom 22. Dezember 2010 I R 58/10, BFHE 232, 185). Bestimmt sich aber allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht, ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, mit anderen Worten, ob eine solche Änderung dazu führt, dass bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897), ist hieraus unmittelbar zu schließen, dass mangels Gesetzeskraft die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Finanzverwaltung nicht geeignet sind, eine steuerliche Rückwirkung und damit eine Durchbrechung der Bestandskraft nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu begründen. Im Streitfall ist --wie auch der Kläger selbst und letztlich auch das FG festhalten-- ein solcher spezieller gesetzlicher Besteuerungstatbestand, dem eine Rückwirkungsanordnung entnommen werden könnte, nicht einschlägig; eine nachträgliche Änderung des Sachverhalts ist mithin im laufenden Veranlagungszeitraum und nicht rückwirkend zu berücksichtigen.
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bbb) Auf die weiteren, von der Beschwerde angegriffenen Ausführungen des FG, insbesondere zu den "Leibrenten-Fällen" im Rahmen des § 16 EStG, kommt es nicht mehr an. Es ist für die (Nicht-)Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch ohne Bedeutung, ob das FA den ursprünglichen Sachverhalt in den Jahren 2001 und 2002 fehlerhaft veranlagt hat, indem es einen einmaligen Leistungsaustausch und kein Dauerrechtsverhältnis angenommen hat. Denn diese Unterscheidung ist für die Frage der Rückwirkung unbeachtlich; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO lässt sich nicht zur die Bestandskraft durchbrechenden Korrektur etwaiger früherer Veranlagungsfehler effektuieren.
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b) Dass dieses Ergebnis und die ihr zugrunde liegende höchstrichterliche Rechtsprechung gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, das Leistungsfähigkeitsprinzip und das Folgerichtigkeitsgebot verstieße, ist nicht erkennbar. Die vom Kläger gerügte leistungsfähigkeitswidrige Übermaßbesteuerung (Besteuerung "fiktiver Gewinne") ist vielmehr Folge des --verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 17. Februar 2005 XI B 138/03, BFH/NV 2005, 1264)-- Prinzips der Abschnittsbesteuerung sowie der eingetretenen Bestandskraft. Hierdurch kann sich ergeben, dass sich die Erfolgswirksamkeit von (laufenden) Geschäftsvorfällen in späteren Veranlagungszeiträumen verändert, ohne dass dies verfassungsrechtlich bedenklich wäre. Aufgrund derselben Erwägungen besteht auch kein Konflikt mit dem Gebot der Folgerichtigkeit, weil das FA ohne sachlichen Grund vom "System der Sofortbesteuerung" abgerückt sei. Die Nichtanwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist mangels abweichenden materiellen Rechts im Gegenteil gerade folgerichtig. Aus demselben Grund führt auch der vom Kläger herangezogene Vergleich mit § 16 EStG nicht weiter und geht die Rüge einer willkürlichen Gleichbehandlung des Streitfalls mit den "Leibrenten-Fällen" im Rahmen des § 16 EStG fehl.
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c) Nach diesen Darlegungen ergeben sich die von der Beschwerde gewünschten Wirkungen auch nicht aus einer Bindung des FA an den Grundsatz von Treu und Glauben. Mangels spezieller gesetzlicher Besteuerungsgrundlage lässt sich aus der "Sofortbesteuerung" in den Jahren 2001 und 2002 bereits im Ausgangspunkt keine Folgerung für die steuerliche Behandlung späterer Sachverhaltsänderungen ableiten.
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2. Die Rüge des Klägers, die angefochtene Entscheidung weiche von den vom FG selbst zitierten BFH-Entscheidungen sowie dem BFH-Urteil vom 9. Februar 1994 IX R 110/90 (BFHE 175, 212, BStBl II 1995, 47) ab, stellt bereits im Ausgangspunkt keine ordnungsgemäß erhobene Divergenzrüge i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO dar (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juni 2013 I B 53/12, BFH/NV 2013, 1561). Da alle herangezogenen Divergenzentscheidungen zu demselben Ergebnis kommen wie die angefochtene Entscheidung (keine Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO), fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der vermeintlichen Abweichungen. Es kommt dem Kläger zudem gerade darauf an, dass die Entscheidungssachverhalte nicht vergleichbar sind und von daher eine andere Entscheidung des FG geboten gewesen wäre (unzutreffende Gleichbehandlung). Bei Licht besehen rügt er eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG.
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3. Die Ergebnisrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung führt dazu, dass zum einen die Rüge eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO; vgl. Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2013 I B 8/13, BFH/NV 2014, 378) nicht verfängt und zum anderen auch die erhobenen Verfahrensrügen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da diese nur die "überschießende" Begründung des FG und damit nicht die dargelegten, für die Entscheidung erheblichen Punkte betreffen (analog § 126 Abs. 4 FGO; vgl. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2007 I B 44/06, BFH/NV 2007, 1191).
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4. Von einer weiter gehenden Begründung sieht der Senat im Hinblick auf § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
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5. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger nach § 135 Abs. 2 FGO.
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