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BFH 05.03.2014 - V B 14/13
BFH 05.03.2014 - V B 14/13 - Zum Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug
Normen
§ 76 FGO, § 78 Abs 1 FGO, § 108 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 15 Abs 1 UStG 1993, § 163 AO, § 227 AO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 21. Dezember 2012, Az: 6 K 33/11, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Das Erlassverfahren dient grundsätzlich nicht dazu, angebliche oder tatsächliche Mängel des Festsetzungsverfahrens zu korrigieren. Ein Erlass bestandskräftig festgesetzter Steuern wegen sachlicher Unbilligkeit kann daher nur gewährt werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig gegen die angebliche Fehlerhaftigkeit zu wehren.
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2. NV: Wenn die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen, kommt unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren in Betracht.
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3. NV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt keinen Anspruch auf Einsichtnahme in Akten, die dem Gericht von der Finanzbehörde nicht zur Verfügung gestellt worden sind und ihm folglich nicht vorliegen. Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO liegt nur dann vor, wenn Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde.
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4. NV: Eine nachträgliche Divergenz kommt in Betracht, wenn durch eine nach Einlegung der Beschwerde ergangene Entscheidung die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache entfallen ist und das Urteil der Vorinstanz in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der neueren Entscheidung des EuGH oder des BFH abweicht. Dieser Zulassungsgrund setzt aber voraus, dass die grundsätzliche Bedeutung zuvor ordnungsgemäß dargelegt wurde.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen entweder nicht vor oder sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt worden.
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1. Soweit dem Vortrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) überhaupt eine Rechtsfrage von möglicherweise grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) entnommen werden kann, geht es darum, ob die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes vollständig erfüllt sein müssen und ob im Falle des Fehlens einzelner Voraussetzungen ein Schutz des guten Glaubens des Leistungsempfängers im Festsetzungsverfahren oder in einem gesonderten Billigkeitsverfahren zu gewährleisten ist. Diese Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist bereits durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt. Es sind keine neuen Gesichtspunkte erkennbar, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erfordern (ständige Rechtsprechung; z.B. BFH-Beschluss vom 8. November 2012 VI B 86/12, BFH/NV 2013, 371).
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a) Zum einen ist geklärt, dass das Erlassverfahren grundsätzlich nicht dazu dient, angebliche oder tatsächliche Mängel des Festsetzungsverfahrens zu korrigieren. Ein Erlass bestandskräftig festgesetzter Steuern wegen sachlicher Unbilligkeit kann daher nur gewährt werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig gegen die angebliche Fehlerhaftigkeit zu wehren (BFH-Beschluss vom 8. April 2010 V B 20/08, BFH/NV 2010, 1616). Im Festsetzungsverfahren 6 K 263/09 hat das Finanzgericht (FG) die Klage durch Urteil vom 27. April 2010 abgewiesen. Durchgreifende Mängel des Festsetzungsverfahrens hat der BFH nicht festgestellt, denn er wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 3. Dezember 2010 im Beschwerdeverfahren V B 57/10 als unbegründet zurück.
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b) Nach der Rechtsprechung des BFH ist außerdem geklärt, dass unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren in Betracht kommt, wenn die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen (BFH-Urteil vom 8. Oktober 2008 V R 63/07, BFH/NV 2009, 1473). Die Klägerin macht mit der Beschwerde im Wesentlichen geltend, dass das FG in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Billigkeitsverfahren falsch entschieden habe. Die Rüge gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit des Urteils führt nicht zur Zulassung der Revision (BFH-Beschlüsse vom 25. Juni 2013 X B 96/12, BFH/NV 2013, 1802; vom 30. August 2012 X B 97/11, BFH/NV 2013, 13).
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2. Auch die von der Klägerin erhobene Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Form dargelegt. Zur schlüssigen Darlegung einer Abweichung muss der Beschwerdeführer dartun, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) oder des BFH abgewichen ist, dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, ferner dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (z.B. BFH-Beschluss vom 27. September 2010 II B 164/09, BFH/NV 2011, 193). Dabei sind tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der Divergenzentscheidung andererseits einander gegenüberzustellen, um so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (z.B. BFH-Beschluss vom 8. Mai 2013 III B 140/12, BFH/NV 2013, 1248). An der Darlegung dieser Voraussetzungen fehlt es. Die Beschwerdebegründung beschränkt sich darauf, zahlreiche EuGH- und BFH-Entscheidungen anzuführen und zum Teil darin aufgestellte Rechtssätze wiederzugeben. Dem widersprechende abstrakte Rechtssätze aus dem FG-Urteil hat die Klägerin nicht herausgearbeitet.
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3. Es liegen auch keine Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor.
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a) Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) durch Verweigerung der Akteneinsicht (§ 78 Abs. 1 FGO) verletzt, greift nicht durch. Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO liegt nur dann vor, wenn der Klägerin Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin begründet der Gehörsanspruch keinen Anspruch auf Einsichtnahme in Akten, die dem Gericht von der Finanzbehörde nicht zur Verfügung gestellt worden sind und ihm folglich nicht vorliegen; vielmehr besteht lediglich das Recht der Beteiligten, in die dem Gericht vorliegenden Gerichtsakten --einschließlich der beigezogenen Akten-- Einsicht zu nehmen (BFH-Beschlüsse vom 16. Juli 2012 IX B 67/12, BFH/NV 2012, 1637; vom 30. Januar 2007 VII B 3/06, BFH/NV 2007, 1324).
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b) Aus Rechtsgründen ist es auch nicht zu beanstanden, dass das FG von der beantragten Vernehmung der benannten Zeugen abgesehen hat, denn nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG kam es auf die Zeugenvernehmungen nicht an. Vielmehr hätte das Klagebegehren nach Auffassung des FG auch dann keinen Erfolg gehabt, wenn die mit den Zeugenaussagen unter Beweis gestellten Tatsachen zu Gunsten der Klägerin als wahr unterstellt worden wären (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1637).
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c) Soweit die Klägerin rügt, das FG sei seiner von Amts wegen bestehenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) nicht nachgekommen, sind die hierfür geltenden Darlegungsanforderungen nicht erfüllt. Die Klägerin hätte vortragen müssen, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 30. August 2013 X B 28, 29/13, BFH/NV 2013, 1800). Zu all dem trägt die Klägerin nichts substantiiert vor. Im Übrigen muss ein fachkundig vertretener Beteiligter gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Aspekte und prozessualen Möglichkeiten von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag bzw. sein Vorgehen darauf einrichten (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Juli 2011 IX B 39/11, BFH/NV 2011, 1917). Denn ein umsichtiger Prozessvertreter muss stets gewärtigen, dass das Gericht die Beweismittel abweichend würdigt und ist deshalb gehalten, vorsorglich alle von ihm für zweckmäßig erachteten Beweisanträge zu stellen und ihre Ablehnung gegebenenfalls rechtzeitig zu rügen (BFH-Beschluss vom 18. April 2012 I B 123/11, BFH/NV 2012, 1299).
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d) Soweit sich die Klägerin gegen die Ablehnung des Antrags auf Tatbestandsberichtigung durch den Beschluss des FG vom 28. Februar 2013 wendet, genügt der Hinweis auf § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO. Danach ist der Beschluss des FG unanfechtbar. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 1983 2 BvR 1745/82, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1983, 226).
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e) Es liegt auch keine nachträgliche Divergenz vor. Diese kommt in Betracht, wenn die grundsätzliche Bedeutung zwar ordnungsgemäß dargelegt wurde, jedoch durch eine nach Einlegung der Beschwerde ergangene Entscheidung entfallen ist und das Urteil der Vorinstanz in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der neueren Entscheidung des EuGH oder des BFH abweicht (BFH-Beschluss vom 11. November 2011 V B 19/10, BFH/NV 2012, 459). Zum einen hat die Klägerin aus den unter 1. dargelegten Gründen die grundsätzliche Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargelegt, zum anderen sind auch im Schriftsatz der Klägerin vom 6. Februar 2014 keine sich widersprechenden Rechtsgrundsätze herausgearbeitet und einander gegenübergestellt worden.
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