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BFH 09.02.2012 - III R 67/09
BFH 09.02.2012 - III R 67/09 - Verfassungsmäßigkeit der beschränkten Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten
Normen
§ 4f EStG 2002 vom 26.04.2006, § 9 Abs 5 S 1 EStG 2002 vom 26.04.2006, § 32 Abs 6 EStG 2002, § 33c EStG 1997 vom 16.08.2001, Art 3 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 19. August 2009, Az: 2 K 1038/09, Urteil
Leitsatz
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Die in §§ 4f und 9 Abs. 5 Satz 1 EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 (BGBl I 2006, 1091) enthaltene Beschränkung des Abzugs erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten auf zwei Drittel der Aufwendungen und einen Höchstbetrag von 4.000 € je Kind verstößt nicht gegen das Grundgesetz .
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war ganzjährig nichtselbständig beschäftigt. Die Klägerin war teilweise berufstätig, in den Monaten März bis Juli 2006 befand sie sich in Mutterschutz. Im Haushalt der Eheleute lebten zwei Kinder, nämlich die im April des Streitjahres geborene gemeinsame Tochter und der 2001 geborene Sohn (S) des Klägers, der aus einer früheren Beziehung zu einer anderen Frau stammt. S besuchte einen Kindergarten. Dem Kläger erwuchsen daraus Betreuungskosten in Höhe von 837 €.
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Bei der Festsetzung der Einkommensteuer berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten in Höhe von zwei Dritteln der getätigten Aufwendungen (558 €). Dem Begehren der Kläger, die Betreuungskosten in voller Höhe wie Werbungskosten abzuziehen, entsprachen weder das FA noch das Finanzgericht (FG).
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Mit ihrer Revision machen sie weiterhin geltend, dass der volle Abzug der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten verfassungsrechtlich geboten sei. Die in § 9 Abs. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) i.V.m. § 4f Satz 1 EStG vorgesehene doppelte Einschränkung der Abziehbarkeit auf zwei Drittel der Aufwendungen und einen Höchstbetrag von 4.000 € sei weder durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt noch mit dem objektiven Nettoprinzip in Einklang zu bringen. Der Tatbestand des § 4f EStG sei richtigerweise als ein durch das objektive Nettoprinzip gebotener Abzug von Erwerbsaufwendungen zu verstehen. Daher müssten die tatsächlichen Kosten in voller Höhe abzugsfähig sein, ohne dass es auf ihre Notwendigkeit oder Angemessenheit ankomme. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe die um die zumutbare Eigenbelastung gekürzte Abziehbarkeit der Betreuungskosten als verfassungswidrig beurteilt. Demzufolge sei auch die Kürzung um ein Drittel verfassungswidrig. Diese Abzugsbeschränkung könne nicht mit der privaten Mitveranlassung der Betreuungskosten gerechtfertigt werden. Ohne die aufwandsbegründende Kinderbetreuung sei die Einkunftserzielung nämlich überhaupt nicht möglich. Die Kosten seien also ausschließlich beruflich veranlasst und in der Höhe angemessen. Mit der Einschränkung der Abziehbarkeit würden also nicht lediglich Kosten ausgeschieden, die nicht notwendig oder nicht realitätsgerecht seien. Daher sei § 4f Satz 1 EStG verfassungskonform dahin auszulegen, dass der erwerbstätige Steuerpflichtige die Kinderbetreuungskosten in voller Höhe geltend machen könne.
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Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 28. August 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Mai 2009 dahin abzuändern, dass weitere Kinderbetreuungskosten in Höhe von 279 € wie Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. a) Nach § 4f Satz 1 EStG können unter anderem bei Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes i.S. des § 32 Abs. 1 EStG, die wegen Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen anfallen, in Höhe von zwei Dritteln der Aufwendungen, höchstens 4.000 € je Kind, bei der Ermittlung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit wie Betriebsausgaben abgezogen werden. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG gilt § 4f EStG sinngemäß. Daraus folgt, dass erwerbsbedingte Betreuungskosten unter den dort genannten Voraussetzungen auch bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wie Werbungskosten abgezogen werden können.
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b) Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass das FG den Abzug der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten rechtsfehlerfrei berücksichtigt hat.
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2. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 (BGBl I 2006, 1091) eingeführten Vorschriften der §§ 4f und 9 Abs. 5 Satz 1 EStG mit der darin enthaltenen Beschränkung des Abzugs erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten verfassungswidrig sind. Eine Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) kommt daher nicht in Betracht.
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a) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 16. März 2005 2 BvL 7/00 (BVerfGE 112, 268, BGBl I 2005, 1622, betr. Kürzung der Kinderbetreuungskosten Alleinerziehender 1997 bis 1999 um eine zumutbare Belastung) entschieden, dass die durch erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten entstandene tatsächliche Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen sei. Dem Gesetzgeber werde freigestellt, ob er den Abzug wegen der Veranlassung durch die Erwerbstätigkeit den Werbungskosten und Betriebsausgaben zuordne oder als außergewöhnliche Belastung erlaube. Die erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten müssten als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten privaten Lebensführung grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe abziehbar sein. Der Gesetzgeber könne aber mit einer sachgerechten Pauschalierung eine Obergrenze festlegen und damit bestimmen, wieweit die dem Grunde nach zwangsläufigen Kinderbetreuungskosten im typischen Fall auch der Höhe nach zwangsläufig seien.
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Mit einem weiteren Beschluss vom 20. Oktober 2010 2 BvR 2064/08 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2011, 208) hat das BVerfG die Begrenzung der steuerlichen Berücksichtigung erwerbsbedingten Betreuungsaufwands für Kinder nach § 33c EStG i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I 2001, 2074) --EStG a.F.-- für verfassungsgemäß erachtet. Die in § 33c EStG a.F. enthaltene Regelung, nach der Kinderbetreuungskosten nur insoweit berücksichtigt werden, als sie je Kind bei zusammenlebenden, beiderseitig berufstätigen Elternteilen den Betrag von 1.548 € und bei nicht zusammenlebenden Elternteilen den Betrag von 774 € je Elternteil übersteigen, sei verfassungsgemäß. Denn hiermit werde lediglich eine doppelte steuerliche Berücksichtigung von Betreuungsaufwand durch den Betreuungsfreibetrag des § 32 Abs. 6 EStG und § 33c EStG a.F. ausgeschlossen. Auch die Begrenzung auf einen Höchstbetrag von 1.500 € je Kind verstoße nicht gegen das GG, weil der Gesetzgeber zu einer sachgerechten Pauschalierung berechtigt sei.
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b) Nach diesen Grundsätzen sind § 4f EStG und § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG --soweit dort die sinngemäße Anwendung des § 4f EStG angeordnet wird-- im Zusammenspiel mit dem Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf --BEA-Freibetrag-- (§ 32 Abs. 6 EStG) verfassungsgemäß.
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aa) Der BEA-Freibetrag von 1.080 € je Kind und Elternteil deckt sowohl Betreuungsleistungen der Eltern selbst als auch Betreuungsleistungen Dritter ab (BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 208; Urteile des Bundesfinanzhofs vom 29. Mai 2008 III R 108/07, BFH/NV 2008, 1822, m.w.N.; vom 23. April 2009 VI R 60/06, BFHE 225, 28, BStBl II 2010, 267). Der Betreuungsbedarf muss als notwendiger Teil des familiären Existenzminimums einkommensteuerlich stets unbelastet bleiben, ohne dass danach unterschieden werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird. Damit ist zugleich ausgesagt, dass nicht nur der Eigenbetreuungsbedarf, sondern auch tatsächlich angefallener Fremdbetreuungsbedarf von der Entlastungswirkung des BEA-Freibetrags erfasst wird und zur Vermeidung einer doppelten Aufwandsberücksichtigung --durch den Freibetrag einerseits und den Abzug gemäß § 4f EStG andererseits-- die Entlastungswirkung beider Regelungen zur Beantwortung der Frage, ob das einfache Recht den realitätsgerechten Abzug erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten sicherstellt, zusammenzurechnen sind (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 208; gegen die "Anrechnung" des BEA-Freibetrags z.B. Hölzer, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2008, 2145; Jachmann, Finanz-Rundschau 2010, 123). Das gemäß § 4f Satz 1 EStG nicht abziehbare Drittel der Aufwendungen entspricht der Sache nach dem früheren Sockelbetrag des § 33c EStG a.F.
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Zusammenlebende, beiderseits erwerbstätige Eltern, denen Kinderbetreuungskosten erwachsen, wurden danach im Veranlagungszeitraum 2006 pro Kind bis zu einer Höhe von 6.160 € entlastet: Der BEA-Freibetrag beträgt je Elternteil und Kind 1.080 €, zusammen 2.160 €. Hinzu kommt der Abzug gemäß § 4f EStG mit einem Höchstbetrag von 4.000 € je Kind, der bei der gesetzlich vorgesehenen Beschränkung auf zwei Drittel der Aufwendungen bei Betreuungskosten von 6.000 € und mehr erreicht wird.
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Angesichts der Tatsache, dass das BVerfG die weit ungünstigeren Abzugsmöglichkeiten nach § 33c EStG a.F. als verfassungskonform erachtet hat (BVerfG-Beschluss in HFR 2011, 208), spricht nichts dafür, dass die vom Gesetzgeber im Jahr 2006 gewährte steuerliche Entlastung bei typisierender Betrachtung nicht ausreichend wäre, um die notwendigen Kinderbetreuungskosten zu decken.
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bb) Die von der Revision vertretene Auffassung, die erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten seien ab dem Inkrafttreten der §§ 4f und 9 Abs. 5 Satz 1 EStG als Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu qualifizieren, die daher ohne Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip nur in voller Höhe zum Abzug zugelassen werden könnten, rechtfertigt keine abweichende verfassungsrechtliche Würdigung. Das BVerfG hat seine Anforderungen zum Abzug erwerbsbedingter Betreuungskosten unabhängig von der einfach-rechtlichen Ausgestaltung des Abzugs erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten formuliert und darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber die einfach-rechtliche Zuordnung grundsätzlich freisteht (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 112, 268, BGBl I 2005, 1622). Es muss vorliegend somit nicht entschieden werden, ob der Gesetzgeber mit §§ 4f und 9 Abs. 5 Satz 1 EStG die Aufwendungen angesichts des Gesetzeswortlauts "wie Betriebsausgaben" und der dem Nettoprinzip fremden Abzugsbeschränkungen überhaupt als "normalen" Erwerbsaufwand qualifiziert wissen wollte. Jedenfalls wären auch bei einer Zuordnung zu den Erwerbsaufwendungen die gesetzlichen Abzugsbeschränkungen, insbesondere eine Obergrenze (vgl. Hey, NJW 2006, 2001, 2004), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil ein Abzug in realitätsgerechter Höhe gewährleistet ist und der Gesetzgeber die doppelte steuerliche Berücksichtigung des Betreuungsaufwands versagen darf.
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