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BFH 19.01.2012 - VI R 32/11
BFH 19.01.2012 - VI R 32/11 - Regelmäßige Arbeitsstätte bei mehreren Tätigkeitsstätten
Normen
§ 4 Abs 5 S 1 Nr 5 EStG 2002, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 13. April 2011, Az: 2 K 278/09, Urteil
Leitsatz
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NV: Ein Arbeitnehmer kann nicht mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte innehaben, auch wenn er fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht (Anschluss an BFH-Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BStBl II 2012, 36; VI R 55/10, BStBl II 2012, 38).
Tatbestand
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I. Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr (2007) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war im Streitjahr Bezirksleiter bei der Firma X-GmbH & Co. KG in Y (Arbeitgeber). Er war in dieser Eigenschaft laut Arbeitsvertrag zuständig für die Verkaufsstellen in A, B, C, D, E, F, G, H, J und K. Er suchte die Verkaufsstellen mit einem vom Arbeitgeber überlassenen Dienstwagen mehrfach im Jahr, allerdings unterschiedlich häufig, auf.
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Der Kläger begehrte im Rahmen der Steuererklärung für das Streitjahr u.a. den Abzug von Mehraufwendungen für die Verpflegung in Höhe von 2.028 €. Dies lehnte der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit der Begründung ab, dass die Verkaufsstellen regelmäßige Arbeitsstätten darstellten und somit eine Einsatzwechseltätigkeit nicht angenommen werden könne.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur zu einem geringen Teil statt. Nach seiner Auffassung sind die Verkaufsstellen grundsätzlich als regelmäßige Arbeitsstätten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu bewerten. Lediglich die Filialen, die der Kläger nur jeweils vereinzelt im Streitjahr aufgesucht habe, seien keine regelmäßigen Arbeitsstätten. Von einer für das Merkmal der regelmäßigen Arbeitsstätte maßgeblichen hinreichend zentralen Bedeutung könne erst bei mehr als zehn Besuchen im Kalenderjahr ausgegangen werden.
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Sowohl die Kläger als auch das FA wenden sich gegen die Vorentscheidung jeweils mit der Revision.
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Die Kläger beantragen, die Revision des FA zurückzuweisen, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2007 dahingehend abzuändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 2.028 € in Abzug gebracht werden.
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Das FA beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen, das angefochtene Urteil insoweit abzuändern, als weitere Werbungskosten in Höhe von 246 € zum Abzug zugelassen wurden, und im Übrigen das Urteil des FG zu bestätigen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht von mehreren Tätigkeitsmittelpunkten ausgegangen.
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Die Revision des FA ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen.
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1. Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen sind gemäß § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 EStG nicht abziehbare Werbungskosten. Wird der Steuerpflichtige jedoch vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt betrieblich tätig, so ist nach Satz 2 der Vorschrift für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt über eine bestimmte Dauer abwesend ist, ein nach dieser Dauer gestaffelter Pauschbetrag abzusetzen. Dies gilt entsprechend, wenn der Steuerpflichtige bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig wird (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG). Der Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) entspricht dem Begriff der (regelmäßigen) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
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a) Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. September 2010 VI R 54/09, BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354, m.w.N.). Allerdings ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgeht. Der Betriebssitz des Arbeitgebers, den der Arbeitnehmer lediglich regelmäßig nur zu Kontrollzwecken aufsucht, ist nicht die regelmäßige Arbeitsstätte (BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34).
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b) Liegen diese Voraussetzungen vor, so konnte ein Arbeitnehmer nach früherer Rechtsprechung des BFH auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander innehaben. Diese Rechtsprechung hat der Senat jedoch zwischenzeitlich aufgegeben (Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36; VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38; s. dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. Dezember 2011 IV C 5 - S 2353/11/10010). Denn der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur insoweit kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so (etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder eine zielgerichtete Wohnsitznahme in der Nähe der regelmäßigen Arbeitsstätte) auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Damit stellt sich § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG auch nur insoweit als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Übt der Arbeitnehmer hingegen an mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers seinen Beruf aus, ist es ihm regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch derartige Maßnahmen gering zu halten. Denn die unter Umständen nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit, verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege und eine kostengünstige Verpflegungssituation einzustellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564). In einem solchen Fall lässt sich die Einschränkung der Steuererheblichkeit von Wegekosten durch die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) nicht rechtfertigen.
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c) Ist der Arbeitnehmer in mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig, sind deshalb die Umstände des Einzelfalles zu würdigen und der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit zu bestimmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukommt. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht. Der regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen.
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2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Auffassung, dass der Kläger über mehrere regelmäßige Arbeitsstätten verfügte, entspricht nicht der neuen Rechtsprechung des Senats. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Revision des FA, das ebenfalls vom Innehaben mehrerer regelmäßiger Arbeitsstätten ausgeht, ist aus demselben Grund ohne Erfolg.
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Die Sache ist allerdings nicht spruchreif. Das FG hat im zweiten Rechtsgang festzustellen, ob der Kläger unter Beachtung der o.g. Grundsätze im Streitjahr überhaupt eine regelmäßige Arbeitsstätte innehatte oder ob er nicht insgesamt eine Auswärtstätigkeit ausgeübt hat (BFH-Urteil in BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36). Ist das nicht der Fall, wird zu entscheiden sein, in welcher Tätigkeitsstätte der Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit des Klägers lag und welche damit als regelmäßige Arbeitsstätte galt. Dazu hat das FG festzustellen, ob und welcher betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers der Kläger zugeordnet war, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnahm oder wahrzunehmen hatte und welches Gewicht dieser Tätigkeit jeweils zukam (BFH-Urteil in BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38).
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