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BFH 09.03.2010 - VIII R 56/07
BFH 09.03.2010 - VIII R 56/07 - Festsetzungsfrist - Ermittlungen der Steuerfahndung - Reichweite der Ablaufhemmung - Erforderlichkeit einer persönlichen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden als Voraussetzung einer unterrichtenden Tätigkeit?
Normen
§ 171 Abs 1 Nr 5 AO, § 208 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 18 Abs 1 Nr 1 S 3 EStG 1990
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 18. Mai 2006, Az: 8 K 4599/03 F, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO tritt nur ein, wenn die Ermittlungen der Steuerfahndung rechtmäßig waren und insbesondere von der Aufgabenzuweisung und Befugniszuweisung in § 208 AO gedeckt sind .
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2. NV: Richtet sich ein strafrechtlicher Anfangsverdacht nur auf einen bestimmten Sachverhalt, so ist die Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in ihren Ermittlungen nicht darauf beschränkt, den verdächtigen Sachverhalt aufzuklären; sie ist vielmehr berechtigt und ggf. auch verpflichtet, alle für die Feststellung der in Betracht kommenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit erforderlichen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine aus zwei Diplom-Psychologen bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts, veranstaltete inner- und überbetriebliche Seminare für Betriebsräte und Führungskräfte aus Unternehmen und Behörden. Im Streitjahr (1996) hielt sie 484 Seminare ab mit ca. 6.500 Teilnehmern. Sie beschäftige 186 Dozenten, in den rechtlichen Seminarteilen überwiegend Arbeitsrichter, in den Kommunikationsteilen Psychologen, Pädagogen und Soziologen. Für die Organisation der Veranstaltungen, die Kundenbetreuung und die Öffentlichkeitsarbeit waren 13 Personen fest angestellt. Aus dem Seminargeschäft erzielte sie ca. 95 % ihres Umsatzes. Für das Streitjahr (1996) erklärte die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung und die Förderung des Wohneigentums 1996 ging am 24. November 1997 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein.
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Das FA stellte die Einkünfte zunächst erklärungsgemäß unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Aufgrund der Prüfung eines Briefmarkenhändlers ergab sich gegen die Klägerin der Verdacht, Gefälligkeitsrechnungen über Briefmarkeneinkäufe entgegengenommen und verwendet zu haben. Gegen die Gesellschafter der Klägerin wurden deshalb 1998 steuerstrafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. In seinem Bericht über die steuerlichen Feststellungen gelangte das zuständige Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung u.a. zu der Einschätzung, die Klägerin habe im Streitjahr nicht freiberufliche, sondern wegen der Mithilfe zahlreicher qualifizierter Seminarleiter gewerbliche Einkünfte erzielt.
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Das FA schloss sich dieser Beurteilung an und änderte den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1996 am 15. Februar 2002 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das FA habe den Bescheid jedenfalls nach § 164 Abs. 2 AO ändern dürfen. Die Änderungen seien auch rechtmäßig. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 382 veröffentlicht.
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Mit der Revision rügt die Klägerin in erster Linie die Verletzung der §§ 164 Abs. 2, 171 Abs. 5, 208 AO. Sie meint, der angefochtene Bescheid hätte wegen Umqualifizierung der von ihr erzielten Einkünfte nicht mehr geändert werden dürfen; im Übrigen habe das FG zu Unrecht eine freiberufliche Tätigkeit verneint.
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die geänderten Feststellungsbescheide vom 15. Februar 2002 und 10. Oktober 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 2003 dahin zu ändern, dass Einkünfte aus selbständiger Arbeit festgestellt werden.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Ergebnis zutreffend hat das FG die Änderungsbefugnis des FA und die Rechtmäßigkeit der Änderung bejaht.
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1. Das FG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist sei gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gehemmt gewesen. Der Umfang der Ablaufhemmung hänge allein davon ab, auf welche Steueransprüche sich die Ermittlungen tatsächlich erstreckt hätten. Im Streitfall habe sich die Prüfung --für die Klägerin erkennbar-- auch auf die Qualifizierung der Einkünfte erstreckt.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nur im Ergebnis stand. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass der Gewinnfeststellungsbescheid für 1996 am 15. Februar 2002 nur geändert werden durfte, wenn und soweit die Festsetzungsfrist bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Da die reguläre Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2001 endete, kam eine Änderung des Bescheids am 15. Februar 2002 nur in Betracht, wenn der Ablauf der Frist bis zu diesem Zeitpunkt gehemmt war. Diese Voraussetzung war im Streitfall erfüllt; der Ablauf der Festsetzungsfrist war gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gehemmt. Die Hemmung erstreckte sich ihrem sachlichen Umfang nach auch auf die nachträgliche Änderung der Einkunftsart, denn die Steuerfahndung hatte ihre Ermittlungen nicht nur tatsächlich, sondern auch zu Recht auf diesen Punkt ausgedehnt.
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a) Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. § 171 Abs. 5 Satz 1 AO bewirkt ("insoweit") nur eine gegenständlich beschränkte Ablaufhemmung (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. April 1999 XI R 30/96, BFHE 188, 286, BStBl II 1999, 478, unter II.2.b; vom 14. April 2005 XI R 83/03, BFH/NV 2005, 1961, unter II.3.a; vom 24. April 2002 I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586, unter II.3.a sowie vom 8. Juli 2009 XI R 42/08, juris).
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b) Der sachliche Umfang der Ablaufhemmung hängt zum einen davon ab, auf welche Steueransprüche sich die Ermittlungen während ihres Verlaufs tatsächlich erstreckt haben (vgl. BFH-Urteil vom 13. Februar 2003 X R 62/00, BFH/NV 2003, 740). Die Ermittlungen müssen zum andern auch rechtmäßig gewesen sein. Die Rechtsfolge, dass die Festsetzungsfrist nicht abläuft, kann nur an rechtmäßiges behördliches Handeln geknüpft werden. Das setzt insbesondere voraus, dass die einzelnen Ermittlungen und Ermittlungshandlungen von der Aufgaben- und Befugniszuweisung in § 208 AO gedeckt sind.
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aa) Nach § 208 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Steuerfahndung vor allem die Aufgabe, Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten zu erforschen und die Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen zu ermitteln. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) gehört unmittelbar zur Erforschung der Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten und ist deren nicht abtrennbarer Teil; sie ist dem Bereich des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahrens zuzurechnen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997 V R 56/94, BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367).
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Nach Abs. 2 der Vorschrift sind die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzverwaltung daneben auch zuständig für steuerliche Ermittlungen einschließlich der Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde. In dieser Funktion nimmt die Steuerfahndung Aufgaben wahr, die dem Besteuerungsverfahren zuzurechnen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367). Im Streitfall ist die Steuerfahndung nicht auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde, sondern nach § 208 Abs. 1 AO tätig geworden.
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bb) Soweit für ein Tätigwerden der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 AO ein strafrechtlicher Anfangsverdacht erforderlich ist (vgl. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 208 Rz 23), kann sich das FA im Streitfall darauf stützen, dass aufgrund von Kontrollmaterial gegen die Gesellschafter der Klägerin der Vorwurf im Raum stand, bei der Gewinnfeststellung von unrichtigen Briefmarkenrechnungen Gebrauch gemacht und dadurch die Einkommensteuer 1996 verkürzt zu haben.
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cc) Diesem Verdacht durfte das FA nachgehen und seine Ermittlungen dabei auch auf die Frage erstrecken, ob die Klägerin im Streitjahr --wie erklärt-- Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit oder aus Gewerbebetrieb erzielt hatte. Zwar bestand insoweit kein strafrechtlicher Anfangsverdacht. Die Angabe einer unzutreffenden Einkunftsart in einer Steuererklärung erfüllt im Regelfall nicht die Tathandlung einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit. Darauf kommt es jedoch nicht an. Richtet sich --wie im Streitfall-- der strafrechtliche Anfangsverdacht nur auf einen bestimmten Sachverhalt, so ist die Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in ihren Ermittlungen nicht darauf beschränkt, den verdächtigen Sachverhalt aufzuklären. Sie ist vielmehr berechtigt und ggf. auch verpflichtet, alle für die Feststellung der in Betracht kommenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit erforderlichen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Setzt die in Betracht kommende Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit eine Verkürzung der Steuer voraus, so erstreckt sich die Ermittlungsbefugnis der Steuerfahndung auf alle Besteuerungsgrundlagen, deren Kenntnis erforderlich ist, um die Höhe der Steuerverkürzung bestimmen zu können. Lautet der Vorwurf --wie im Streitfall-- auf Hinterziehung der Einkommensteuer eines bestimmten Jahres, ist die Steuerfahndung grundsätzlich befugt, sämtliche für die Festsetzung der Einkommensteuer dieses Jahres erforderlichen Besteuerungsgrundlagen aufzuklären, auch wenn es sich dabei um Sachverhalte handelt, auf die sich ein strafrechtlicher Anfangsverdacht nicht richtet.
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Im Streitfall war die Steuerfahndung deshalb zumindest berechtigt, alle im Gewinnfeststellungsbescheid festgestellten Grundlagen für die Einkommensbesteuerung der Gesellschafter zu prüfen. Dazu gehörte auch die Qualifizierung der von den Gesellschaftern erzielten Einkünfte.
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3. Der danach --zumindest nach § 164 Abs. 2 AO-- zu Recht geänderte Feststellungsbescheid ist auch rechtmäßig.
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a) Das FG hat insofern ausgeführt, die Tätigkeit der Gesellschafter der Klägerin sei schon aufgrund fehlender Eigenverantwortlichkeit den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzuordnen. Bei der Anzahl der fachlich qualifizierten und als Seminarleiter eingesetzten Mitarbeiter sowie der Anzahl der im Streitjahr veranstalteten Seminare könne von einer eigenverantwortlichen unterrichtenden Tätigkeit des Betriebsinhabers nicht mehr gesprochen werden.
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b) Die dagegen von der Revision erhobenen Einwände greifen nicht durch. Soweit die Klägerin einwendet, ihre Gesellschafter seien insofern eigenverantwortlich und leitend tätig gewesen als sie dafür gesorgt hätten, dass die von ihnen eingesetzten Seminarleiter das spezielle Konzept der Wissensvermittlung umgesetzt hätten, welches den Geschäftserfolg der Klägerin ausmache, kommt es letztlich in tatsächlicher Hinsicht darauf an, ob die Gesellschafter der Klägerin auf diese Weise in für die Annahme einer freiberuflichen Tätigkeit ausreichendem Maße auf das jeweilige Seminar- und Unterrichtsgeschehen eingewirkt haben. Das hat das FG verneint. Diese Würdigung ist zumindest möglich. Daran ist der BFH gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
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c) Der Streitfall bietet keine Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob wegen veränderter technischer Möglichkeiten (Fernunterricht) an dem Erfordernis einer persönlichen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden als Voraussetzung für die Annahme einer unterrichtenden Tätigkeit generell festgehalten werden kann (vgl. Wendt, Finanz-Rundschau 1999, 128). Die Gesellschafter der Klägerin haben jedenfalls nicht mit modernen Medien das Unterrichtsgeschehen beeinflusst, sondern sie behaupten, durch organisatorische Maßnahmen die unterrichtende Tätigkeit der von ihnen eingesetzten Seminarleiter vor Ort maßgeblich beeinflusst zu haben. Das ist aber --wie bereits dargelegt-- in erster Linie eine Tatfrage, die im Revisionsverfahren nicht geklärt werden kann.
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d) Nach allem kommt es nicht darauf an, ob die Gesellschafter der Klägerin trotz fehlenden Jura-Studiums aufgrund eigener Fachkunde in der Lage waren, die juristischen Seminarteile selbst abzuhalten.
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