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EuGH 15.09.2022 - C-416/21
EuGH 15.09.2022 - C-416/21 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 15. September 2022 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d – Fakultative Ausschlussgründe – Vereinbarungen mit anderen Wirtschaftsteilnehmern, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen – Richtlinie 2014/25/EU – Art. 36 Abs. 1 – Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung der Bieter – Art. 80 Abs. 1 – In der Richtlinie 2014/24/EU festgelegte Ausschlussgründe und Auswahlkriterien – Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und getrennte, weder eigenständige noch unabhängige Angebote abgegeben haben – Erforderlichkeit hinreichend plausibler Anhaltspunkte für den Nachweis eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV“
Leitsatz
In der Rechtssache C-416/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Obersten Landesgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 24. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2021, in dem Verfahren
Landkreis Aichach-Friedberg
gegen
J. Sch. Omnibusunternehmen,
K. Reisen GmbH,
Beteiligte:
E. GmbH & Co. KG,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richter S. Rodin und J.-C. Bonichot sowie der Richterinnen L. S. Rossi und O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
des Landkreises Aichach-Friedberg, vertreten durch Rechtsanwalt R. Wiemann,
von J. Sch. Omnibusunternehmen und der K. Reisen GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte J. R. Eydner und A. Kafedžić,
der E. GmbH & Co. KG, vertreten durch die Rechtsanwälte H. Holz, S. Janka und U.-D. Pape,
der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Santini, Avvocato dello Stato,
der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis, V. Kazlauskaitė-Švenčionienė und E. Kurelaitytė als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und G. Wils als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 18 Abs. 1 und Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 (ABl. 2017, L 337, S. 19) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2014/24).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Landkreis Aichach-Friedberg (Deutschland) einerseits und J. Sch. Omnibusunternehmen (im Folgenden: J) und der K. Reisen GmbH andererseits über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für öffentliche Busverkehrsdienstleistungen durch den Landkreis.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/37/EWG
Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. 1993, L 199, S. 54) enthielt eine Liste fakultativer Ausschlussgründe für die Teilnahme an einem Vergabeverfahren, die für alle Unternehmer galten.
Richtlinie 2014/24
Im ersten Absatz des 101. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2014/24 heißt es:
„Öffentliche Auftraggeber sollten ferner die Möglichkeit erhalten, Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, die sich als unzuverlässig erwiesen haben, beispielsweise wegen Verstoßes gegen umwelt- oder sozialrechtliche Verpflichtungen, einschließlich Vorschriften zur Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, oder wegen anderer Formen schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens wie der Verletzung von Wettbewerbsregeln oder Rechten des geistigen Eigentums. …“
Gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Wirtschaftsteilnehmer“ für die Zwecke der Richtlinie eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die bzw. der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet.
Nach Art. 4 Buchst. c der Richtlinie gilt sie für Aufträge, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer u. a. bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, die von subzentralen öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, und bei von diesen Behörden ausgerichteten Wettbewerben 221000 Euro nicht überschreitet.
Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:
„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.
Das Vergabeverfahren darf nicht mit der Absicht konzipiert werden, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“
Art. 57 („Ausschlussgründe“) der Richtlinie 2014/24 bestimmt:
„…
(4) Öffentliche Auftraggeber können in einer der folgenden Situationen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden:
…
der öffentliche Auftraggeber kann auf geeignete Weise nachweisen, dass der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat, die seine Integrität in Frage stellt;
der öffentliche Auftraggeber verfügt über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen;
ein Interessenkonflikt gemäß Artikel 24 kann durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden;
eine aus der vorherigen Einbeziehung der Wirtschaftsteilnehmer in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung gemäß Artikel 41 kann nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden;
…
(6) Jeder Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der in den Absätzen 1 und 4 genannten Situationen befindet, kann Nachweise dafür erbringen, dass die Maßnahmen des Wirtschaftsteilnehmers ausreichen, um trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachzuweisen. Werden solche Nachweise für ausreichend befunden, so wird der betreffende Wirtschaftsteilnehmer nicht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen.
…
(7) Die Mitgliedstaaten legen durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsvorschrift und unter Beachtung des Unionsrechts die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels fest. …“
Richtlinie 2014/25/EU
Art. 11 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2364 der Kommission vom 18. Dezember 2017 (ABl. 2017, L 337, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2014/25) sieht vor:
„Unter diese Richtlinie fallen die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn.
Im Verkehrsbereich gilt ein Netz als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne.“
Art. 15 Buchst. a der Richtlinie 2014/25 bestimmt:
„Mit Ausnahme von Aufträgen, für die die Ausnahmen der Artikel 18 bis 23 gelten oder die gemäß Artikel 34 ausgeschlossen sind, gilt diese Richtlinie in Bezug auf die Ausübung der betreffenden Tätigkeit für Aufträge, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer (MwSt.) die folgenden Schwellenwerte nicht unterschreitet:
443000 EUR bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sowie Wettbewerben“.
In Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:
„Die Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.
…“
Art. 80 („In der Richtlinie [2014/24] festgelegte Ausschlussgründe und Auswahlkriterien“) Abs. 1 bestimmt:
„Die objektiven Vorschriften und Kriterien für den Ausschluss und die Auswahl von Wirtschaftsteilnehmern, die eine Qualifizierung im Rahmen eines Qualifizierungssystems beantragen, und die objektiven Vorschriften und Kriterien für den Ausschluss und die Auswahl von Bewerbern und Bietern in offenen Verfahren, nichtoffenen Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen oder Innovationspartnerschaften können die in Artikel 57 der Richtlinie [2014/24] genannten Ausschlussgründe zu den dort festgelegten Bedingungen beinhalten.
…
Wenn die Mitgliedstaaten dies vorschreiben, beinhalten diese Kriterien und Vorschriften überdies die in Artikel 57 Absatz 4 der Richtlinie [2014/24] genannten Ausschlussgründe zu den dort festgelegten Bedingungen.“
Deutsches Recht
§ 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013 (BGBl. 2013 I S. 1750) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: GWB) sieht vor:
„Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“
§ 124 Abs. 1 GWB, mit dem Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in deutsches Recht umgesetzt wird, bestimmt in Nr. 4:
„Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn
…
der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken,
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Am 19. Dezember 2019 veröffentlichte der Landkreis Aichach-Friedberg eine Bekanntmachung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für öffentliche Busverkehrsdienstleistungen im offenen Verfahren, dessen geschätzter Wert den in Art. 4 Buchst. c der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Schwellenwert überstieg.
J ist ein Kaufmann, der unter seiner Firma auftritt; K. Reisen ist eine Busverkehrsgesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter J ist.
Am 27. Februar 2020 gaben sowohl J als auch K. Reisen über dieselbe Person, nämlich J, Angebote zur Auftragsbekanntmachung ab. Über das Vermögen von J war am 1. November 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden, wobei der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit von J mit Entscheidung vom 1. Dezember 2019 aus diesem Verfahren freigegeben hatte. In seinem Angebot gab J an, dass über sein Unternehmen kein Insolvenzverfahren beantragt oder eröffnet worden sei.
Am 2. April 2020 wurde J und K. Reisen mitgeteilt, dass ihre Angebote, da von der gleichen Person gefertigt, wegen Verstoßes gegen Wettbewerbsregeln ausgeschlossen worden seien und dass der in Rede stehende Auftrag an die E. GmbH & Co. KG vergeben werden solle.
Nachdem ihre Rügen zurückgewiesen worden waren, stellten J und K. Reisen bei der Vergabekammer Südbayern (Deutschland) einen Nachprüfungsantrag. Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 gab die Vergabekammer dem Antrag statt und verpflichtete den Landkreis Aichach-Friedberg, die Angebote dieser Bieter wieder in das in Rede stehende Vergabeverfahren aufzunehmen. Deren Verhalten fiel nach Ansicht der Vergabekammer insbesondere unter Berücksichtigung des Urteils vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas (C-531/16, EU:C:2018:324), nicht unter Art. 101 AEUV, da sie eine wirtschaftliche Einheit bildeten.
Der Landkreis Aichach-Friedberg legte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde beim Bayerischen Obersten Landesgericht (Deutschland) ein. Er machte geltend, dass es gegen die Interessen der übrigen Bieter verstoße und den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die Wettbewerbsregeln verletze, wenn zwei Bietern, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, gestattet würde, an dem Vergabeverfahren teilzunehmen, und zwar insbesondere deshalb, weil diese Bieter ihre jeweiligen Angebote abstimmen könnten.
J und K. Reisen sind der Auffassung, dass der Ausschluss eines Bieters mit der Begründung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln unter Berücksichtigung des Urteils vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas (C-531/16, EU:C:2018:324), nur dann möglich sei, wenn die betreffende Situation unter Art. 101 AEUV falle. Außerdem stehe die abschließende Regelung der Ausschlussgründe in der Richtlinie 2014/24 einem Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter entgegen.
Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass J und K. Reisen eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 101 AEUV bildeten. Es stelle sich die Frage, ob Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 dahin zu verstehen sei, dass der öffentliche Auftraggeber für die Anwendung des dort vorgesehenen fakultativen Ausschlussgrundes über hinreichend plausible Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV verfügen müsse. Diese Frage sei zu bejahen, da ein Ausschluss nach dieser Bestimmung der Richtlinie 2014/24 einen Verstoß gegen eine kartellrechtliche Norm voraussetze. Von einem derartigen Verstoß könne aber nicht ausgegangen werden, wenn die betreffenden Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bildeten und sich somit auf das „Konzernprivileg“ berufen könnten.
Fraglich sei außerdem, ob die Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 einem Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehe, um zu rechtfertigen, dass Angebote zweier Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, nicht berücksichtigt werden könnten.
Im Einzelnen sei zu klären, ob die Rechtsprechung im Urteil vom 16. Dezember 2008, Michaniki (C-213/07, EU:C:2008:731, Rn. 44 ff.), auf Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 übertragbar sei. Insoweit geht das vorlegende Gericht davon aus, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz ungeachtet der Unterschiede zwischen der Liste der fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 und denen in den Vorgängerrichtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge weiterhin der Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegenstehe, die weder eigenständig noch unabhängig seien.
Schließlich sei zu klären, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu weder eigenständigen noch unabhängigen Angeboten miteinander verbundener Bieter (Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C-531/16, EU:C:2018:324) auf Angebote von Bietern anwendbar sei, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Das vorlegende Gericht ist unter Berücksichtigung dieses Urteils der Ansicht, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung erst recht einer Zuschlagserteilung an Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten und weder eigenständige noch unabhängige Angebote einreichen könnten, entgegenstehe.
Unter diesen Umständen hat das Bayerische Oberste Landesgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 dahin gehend auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte für einen Verstoß der Wirtschaftsteilnehmer gegen Art. 101 AEUV verfügen muss?
Falls diese Frage bejaht wird:
Ist Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in dem Sinn als abschließende Regelung der fakultativen Ausschlussgründe auszulegen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie) – bei Abgabe weder eigenständiger noch unabhängiger Angebote – einer Zuschlagserteilung nicht entgegenstehen kann?
Ist Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 dahin gehend auszulegen, dass er einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen entgegensteht, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und jeweils ein Angebot abgegeben haben?
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
Mit seinen Fragen ersucht das vorlegende Gericht um eine Auslegung von Art. 18 Abs. 1 und Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über öffentliche Busverkehrsdienstleistungen.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2020, T-Systems Magyarország, C-263/19, EU:C:2020:373, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Bus ausdrücklich in Art. 11 der Richtlinie 2014/25 unter den Bereichen angeführt ist, auf die diese Richtlinie Anwendung findet. Soweit der öffentliche Auftraggeber mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag eine solche Bereitstellung oder einen solchen Betrieb von Netzen beabsichtigt und der Auftrag den in Art. 15 Buchst. a der Richtlinie 2014/25 genannten Schwellenwert übersteigt, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, ist daher davon auszugehen, dass der Auftrag in Anbetracht seines Gegenstands in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.
In diesem Zusammenhang ist unter Berücksichtigung der vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen angeführten Bestimmungen erstens darauf hinzuweisen, dass sich eine Auslegung von Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 anbietet, nach dem die Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nicht diskriminierender Weise behandeln und transparent und verhältnismäßig handeln, wobei diese Vorschrift im Wesentlichen Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 entspricht.
Zweitens enthält die Richtlinie 2014/25 keine eigenständige Bestimmung über fakultative Ausschlussgründe, sondern verweist insofern auf die Richtlinie 2014/24.
Im Einzelnen sieht Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 vor, dass die objektiven Vorschriften und Kriterien für den Ausschluss und die Auswahl von Bewerbern und Bietern u. a. in offenen Verfahren, nicht offenen Verfahren oder Verhandlungsverfahren, wenn die Mitgliedstaaten dies vorschreiben, die in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 genannten Ausschlussgründe „zu den dort festgelegten Bedingungen“ beinhalten.
Die Wendung „zu den dort festgelegten Bedingungen“ bezieht sich auf die in Art. 57 Abs. 4 genannten Bedingungen (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Dezember 2012, Forposta und ABC Direct Contact, C-465/11, EU:C:2012:801, Rn. 33).
Folglich ist es, falls sich die Richtlinie 2014/25 nach den Prüfungen des vorlegenden Gerichts als auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vergabeverfahren anwendbar erweisen sollte, für eine sachdienliche Beantwortung der vorgelegten Fragen erforderlich, dass der Gerichtshof Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 und insbesondere Unterabs. 1 Buchst. d dieser Bestimmung, auf den sich das Vorabentscheidungsersuchen ausdrücklich bezieht, sowie Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 auslegt, wonach die Mitgliedstaaten die Anwendbarkeit dieser Bestimmung der Richtlinie 2014/24 bei solchen Verfahren vorschreiben können.
Zur ersten Frage
Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen ist, dass der in diesem Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d genannte fakultative Ausschlussgrund nur Situationen erfasst, in denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wirtschaftsteilnehmer gegen Art. 101 AEUV verstoßen haben.
Dem Vorabentscheidungsersuchen lässt sich entnehmen, dass die Zweifel des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Reichweite des fakultativen Ausschlussgrundes in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 darauf beruhen, dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, mit dem diese Richtlinienbestimmung in das deutsche Recht umgesetzt wird, die Formulierung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in § 1 GWB aufgreift, der im Wesentlichen Art. 101 AEUV im deutschen Recht wiedergibt. Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass Art. 101 AEUV nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C-531/16, EU:C:2018:324, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung) dann nicht anwendbar sei, wenn die Absprachen, die er verbiete, von Unternehmen angewandt würden, die – wie im vorliegenden Fall – eine wirtschaftliche Einheit bildeten.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass öffentliche Auftraggeber gemäß Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen können oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden können, wenn der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür verfügt, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen.
Diese Bestimmung bezieht sich ganz allgemein auf „mit anderen Wirtschaftsteilnehmern [getroffene] Vereinbarungen …, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen“. Sie nennt Art. 101 AEUV nicht und schließt insbesondere im Gegensatz zu diesem Artikel nicht das Erfordernis ein, dass diese Vereinbarungen „zwischen Unternehmen“ im Sinne dieses Artikels geschlossen sein und geeignet sein müssen, „den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen“.
Daraus folgt, dass Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 auf Fälle verweist, in denen Wirtschaftsteilnehmer eine wettbewerbswidrige Vereinbarung gleich welcher Art schließen, und nicht auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen beschränkt werden kann.
Sodann wird diese Auslegung durch die Zielsetzung bestätigt, die Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 zugrunde liegt.
Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Befugnis bzw. sogar die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen, ihm insbesondere die Möglichkeit geben soll, die Integrität und Zuverlässigkeit jedes einzelnen Wirtschaftsteilnehmers zu beurteilen. Der in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit dem 101. Erwägungsgrund der Richtlinie genannte fakultative Ausschlussgrund stützt sich u. a. auf eine wesentliche Komponente der Beziehung zwischen dem Zuschlagsempfänger und dem öffentlichen Auftraggeber, nämlich die Zuverlässigkeit des Zuschlagsempfängers, auf der das Vertrauen beruht, das der öffentliche Auftraggeber in ihn setzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Tim, C-395/18, EU:C:2020:58, Rn. 41).
Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 soll es somit den öffentlichen Auftraggebern ermöglichen, die Integrität und Zuverlässigkeit der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer zu prüfen und zu berücksichtigen, um unzuverlässige Bieter, zu denen sie kein Vertrauensverhältnis hinsichtlich einer erfolgreichen Bereitstellung der betreffenden Dienstleistungen im Zuge der Ausführung des in Rede stehenden Auftrags unterhalten könnten, von Vergabeverfahren auszuschließen zu können.
Eine derartige Zielsetzung unterscheidet sich aber offensichtlich von der mit Art. 101 AEUV verfolgten. Dieser zielt nämlich darauf ab, wettbewerbswidriges Verhalten von Unternehmen zu ahnden und diese von der Beteiligung an solchem Verhalten abzuhalten (Urteil vom 6. Oktober 2021, Sumal, C-882/19, EU:C:2021:800, Rn. 37).
Die Zielsetzung von Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 führt somit zu einer weiten Auslegung dieser Bestimmung, nach der die öffentlichen Auftraggeber im Rahmen des darin vorgesehenen fakultativen Ausschlussgrundes auch Vereinbarungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen.
Schließlich ist zum Kontext der Bestimmung festzustellen, dass der Begriff „Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit“, der jedes Fehlverhalten umfasst, das einen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit, Integrität oder Zuverlässigkeit des fraglichen Wirtschaftsteilnehmers hat, im Rahmen des in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. c. der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen fakultativen Ausschlussgrundes weit auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 4. Juni 2019, Consorzio Nazionale Servizi, C-425/18, EU:C:2019:476, Rn. 29 und 30).
Da eine Verletzung von Wettbewerbsregeln, wie sich dem 101. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 entnehmen lässt, in Anbetracht der Zielsetzung von Art. 57 Abs. 4 dieser Richtlinie, die in Rn. 39 des vorliegenden Urteils dargestellt wurde, als eine Art schwerer beruflicher Verfehlung angesehen werden kann, wäre es unter diesen Umständen inkohärent, den in Unterabs. 1 Buchst. d dieser Bestimmung verwendeten Begriff „Vereinbarungen“ eng auszulegen und auf die in Art. 101 AEUV genannten Vereinbarungen zwischen Unternehmen zu beschränken.
Dies gilt umso mehr, als sich der in Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24 definierte Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ nicht auf den Begriff „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV bezieht.
Demnach ist festzustellen, dass eine Vereinbarung im Sinne von Art. 101 AEUV zwar unter den fakultativen Ausschlussgrund des Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 fällt, der Anwendungsbereich dieser Richtlinienbestimmung jedoch weiter ist und auch den Abschluss wettbewerbswidriger Vereinbarungen, die nicht unter Art. 101 AEUV fallen, durch Wirtschaftsteilnehmer umfasst. Dass eine Vereinbarung zwischen zwei Wirtschaftsteilnehmern nicht unter Art. 101 AEUV fällt, schließt daher nicht schon an sich aus, dass sie von diesem fakultativen Ausschlussgrund erfasst werden kann.
Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 auf den Fall bezieht, dass genügend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass zwischen zwei oder mehr Wirtschaftsteilnehmern eine Vereinbarung geschlossen wurde, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielt. Dies setzt zwingend eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern voraus.
Wie die Kommission ausführt, kann bei einer Fallgestaltung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht davon ausgegangen werden, dass zwei Wirtschaftsteilnehmer, deren Entscheidungsfindung im Wesentlichen über dieselbe natürliche Person läuft, untereinander „Vereinbarungen“ schließen können, da nicht ersichtlich ist, dass es zwei verschiedene Willensäußerungen gäbe, die übereinstimmen könnten. Es obliegt allerdings dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob in Anbetracht der zwischen J und K. Reisen bestehenden Verbindung eine Möglichkeit besteht, dass sie derartige Vereinbarungen, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen, schließen. Sollte dies nicht der Fall sein, kann der in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 vorgesehene Ausschlussgrund auf ihre Situation keine Anwendung finden.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen ist, dass der in diesem Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d genannte fakultative Ausschlussgrund Situationen, in denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wirtschaftsteilnehmer eine gegen Art. 101 AEUV verstoßende Vereinbarung geschlossen haben, erfasst, aber nicht auf die in diesem Artikel angeführten Vereinbarungen beschränkt ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen ist, dass dieser Art. 57 Abs. 4 die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, so dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des betreffenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen kann.
Im gleich gelagerten Kontext der Richtlinie 93/37 hat der Gerichtshof entschieden, dass deren Art. 24 Abs. 1, in dem – wie in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 – die Liste fakultativer Ausschlussgründe enthalten ist, so zu verstehen ist, dass er die Gründe abschließend aufzählt, mit denen der Ausschluss eines Unternehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung beziehen. Folglich hindert diese Bestimmung die Mitgliedstaaten oder die öffentlichen Auftraggeber daran, die in ihr enthaltene Aufzählung durch weitere auf berufliche Eignungskriterien gestützte Ausschlussgründe zu ergänzen (Urteil vom 16. Dezember 2008, Michaniki, C-213/07, EU:C:2008:731, Rn. 43).
In gleicher Weise sind in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 die fakultativen Ausschlussgründe abschließend aufgezählt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in die Vorbereitung dieses Verfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen.
Insoweit kann der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand, dass diese Bestimmung jetzt deutlich mehr fakultative Ausschlussgründe enthält als die früheren Unionsrichtlinien im Bereich des Vergaberechts, nichts daran ändern, dass die dort vorgesehene Liste abschließend ist.
In Anbetracht der Art der in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 aufgeführten Ausschlussgründe ist nämlich davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber bei den verschiedenen, in den aufeinanderfolgenden Unionsrichtlinien im Bereich des Vergaberechts aufgeführten Ausschlussgründen den gleichen Ansatz gewählt hat, der, wie der Gerichtshof in Rn. 42 des Urteils vom 16. Dezember 2008, Michaniki (C-213/07, EU:C:2008:731), entschieden hat, darin besteht, dass nur auf die objektive Feststellung von in der Person des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers liegenden Tatsachen oder Verhaltensweisen gestützte Ausschlussgründe aufgenommen werden, die geeignet sind, entweder dessen berufliche Ehrenhaftigkeit zu diskreditieren oder seine wirtschaftliche und finanzielle Fähigkeit in Zweifel zu ziehen, die Arbeiten zu Ende zu führen, die von dem öffentlichen Auftrag, für den er ein Angebot einreicht, erfasst werden, oder – bei Aufträgen, die unter die Richtlinie 2014/24 fallen – eine Situation herbeizuführen, die im Rahmen des Verfahrens zur Vergabe des fraglichen Auftrags einen Interessenkonflikt oder eine Wettbewerbsverzerrung im Sinne von Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. e bzw. Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. f dieser Richtlinie beinhalten.
Dass die fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24, auf den Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 verweist, abschließend aufgezählt sind, bedeutet jedoch nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen stehen könnte.
Denn eine solche abschließende Aufzählung schließt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten aus, materiell-rechtliche Vorschriften aufrechtzuerhalten oder einzuführen, durch die u. a. gewährleistet werden soll, dass auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge der Grundsatz der Gleichbehandlung und der daraus implizit folgende Grundsatz der Transparenz eingehalten werden, die von den Vergabestellen bei jedem Verfahren zur Vergabe eines solchen Auftrags zu beachten sind und die Grundlage der Unionsrichtlinien über die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge bilden; dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. entsprechend Urteile vom 19. Mai 2009, Assitur, C-538/07, EU:C:2009:317, Rn. 21, und vom 8. Februar 2018, Lloyd′s of London, C-144/17, EU:C:2018:78, Rn. 30).
Bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C-531/16, EU:C:2018:324, Rn. 29).
In diesem Zusammenhang ist es zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten, dass die Vergabestelle verpflichtet ist, eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der einzelnen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens abgegebenen Angebote konkret beeinflusst hat, wobei die Feststellung eines solchen wie auch immer gearteten Einflusses ausreicht, um die betreffenden Einheiten von dem Verfahren ausschließen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Mai 2009, Assitur, C-538/07, EU:C:2009:317, Rn. 32, und vom 8. Februar 2018, Lloyd′s of London, C-144/17, EU:C:2018:78, Rn. 38).
Die Feststellung, dass die Verbindungen zwischen den Bietern den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben, genügt nämlich dafür, dass diese Angebote von der Vergabestelle nicht berücksichtigt werden dürfen, denn die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C-531/16, EU:C:2018:324, Rn. 38).
Diese Erwägungen geltend erst recht für die Situation von Bietern, die nicht lediglich miteinander verbunden sind, sondern eine wirtschaftliche Einheit bilden.
Gelangt das vorlegende Gericht am Ende der erforderlichen Prüfungen und Würdigungen zu dem Ergebnis, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angebote nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden sind, stünde Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 somit der Vergabe des fraglichen Auftrags an die Bieter entgegen, die derartige Angebote abgegeben haben.
Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen ist, dass dieser Art. 57 Abs. 4 die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in dieses Verfahren resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen. Aus diesem Art. 57 Abs. 4 ergibt sich jedoch nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könnte.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2364 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
der in diesem Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. d genannte fakultative Ausschlussgrund Situationen, in denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wirtschaftsteilnehmer eine gegen Art. 101 AEUV verstoßende Vereinbarung geschlossen haben, erfasst, aber nicht auf die in diesem Artikel angeführten Vereinbarungen beschränkt ist.
Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2365 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
dieser Art. 57 Abs. 4 die fakultativen Ausschlussgründe abschließend regelt, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung sowie auf einen Interessenkonflikt oder eine aus seiner Einbeziehung in dieses Verfahren resultierende Wettbewerbsverzerrung beziehen. Aus diesem Art. 57 Abs. 4 ergibt sich jedoch nicht, dass der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/2364 geänderten Fassung vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe des in Rede stehenden Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könnte.
Lycourgos
Rodin
Bonichot
Rossi
Spineanu-Matei
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. September 2022.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Vierten Kammer
C. Lycourgos
( *1)Verfahrenssprache : Deutsch.
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