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EuGH 08.09.2022 - C-368/21
EuGH 08.09.2022 - C-368/21 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer) - 8. September 2022 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Zollkodex der Union – Verordnung (EU) Nr. 952/2013 – Ort des Entstehens der Zollschuld – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 30 – Art. 60 – Art. 71 Abs. 1 – Steuertatbestand und Steueranspruch der Einfuhrmehrwertsteuer – Ort des Entstehens der Steuerschuld – Feststellung der Nichterfüllung einer in den unionsrechtlichen Zollvorschriften aufgestellten Verpflichtung – Bestimmung des Ortes der Einfuhr der Gegenstände – In einem Drittland zugelassenes Transportmittel, das unter Verstoß gegen das Zollrecht in die Europäische Union verbracht wird“
Leitsatz
In der Rechtssache C-368/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juni 2021, in dem Verfahren
R. T.
gegen
Hauptzollamt Hamburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, des Richters J.-C. Bonichot und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von R. T., vertreten durch die Rechtsanwältin Y. Özkan und den Rechtsanwalt U. Schrömbges,
der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart, J. Jokubauskaitė und R. Pethke als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie (EU) 2018/2057 des Rates vom 20. Dezember 2018 (ABl. 2018, L 329, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen R. T. und dem Hauptzollamt Hamburg (Deutschland, im Folgenden: HZA) wegen der Erhebung von Einfuhrmehrwertsteuer auf ein Fahrzeug, das unter Verstoß gegen das Zollrecht in das Gebiet der Europäischen Union verbracht wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2006/112
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 unterliegen u. a. folgende Umsätze der Mehrwertsteuer:
„…
d) die Einfuhr von Gegenständen“.
Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Als ‚Einfuhr eines Gegenstands‘ gilt die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrags befindet, in die Gemeinschaft.“
Der zu Titel V („Ort des steuerbaren Umsatzes“) Kapitel 4 („Ort der Einfuhr von Gegenständen“) gehörende Art. 60 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Die Einfuhr von Gegenständen erfolgt in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird.“
Der in Titel VI („Steuertatbestand und Steueranspruch“) Kapitel 4 („Einfuhr von Gegenständen“) der Richtlinie 2006/112 enthaltene Art. 71 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.
Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, … treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.
(2) In den Fällen, in denen die eingeführten Gegenstände keiner der Abgaben im Sinne des Absatzes 1 Unterabsatz 2 unterliegen, wenden die Mitgliedstaaten in Bezug auf Steuertatbestand und Steueranspruch die für Zölle geltenden Vorschriften an.“
Zollkodex
In Art. 79 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) heißt es:
„Für einfuhrabgabenpflichtige Waren entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn Folgendes nicht erfüllt ist:
eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Verbringen von Nicht-Unionswaren in das Zollgebiet der Union, auf das Entziehen dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung oder auf die Beförderung, Veredelung, Lagerung, vorübergehende Verwahrung, vorübergehende Verwendung oder Verwertung dieser Waren in diesem Gebiet,
…“
Art. 87 („Ort des Entstehens der Zollschuld“) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Die Zollschuld entsteht an dem Ort, an dem die Zollanmeldung oder die Wiederausfuhranmeldung nach den Artikeln 77, 78 und 81 abgegeben wird.
In allen anderen Fällen entsteht die Zollschuld an dem Ort, an dem der Tatbestand, der die Zollschuld entstehen lässt, erfüllt ist.
Kann dieser Ort nicht bestimmt werden, so entsteht die Zollschuld an dem Ort, an dem die Zollbehörden feststellen, dass sich die Waren in einer Lage befinden, in der eine Zollschuld entstanden ist.
…
(4) Stellen die Zollbehörden fest, dass eine Zollschuld nach Artikel 79 oder 82 in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist und der dieser Schuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag weniger als 10000 [Euro] beträgt, so gilt die Zollschuld als in dem Mitgliedstaat entstanden, in dem ihre Entstehung festgestellt wurde.“
Deutsches Recht
In § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) heißt es:
„Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten die Vorschriften für Zölle sinngemäß; …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Im Januar 2019 erwarb der in Deutschland ansässige R. T. in Georgien ein Fahrzeug und ließ es dort zu. Im März 2019 fuhr R. T. mit diesem Fahrzeug von Georgien über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, ohne das Fahrzeug bei einer Einfuhrzollstelle anzumelden.
R. T. benutzte das Fahrzeug, das am 28. März 2019 im Rahmen einer Kontrolle durch eine Kontrolleinheit des HZA auffiel, in Deutschland. Das Fahrzeug fiel auch wegen eines Verstoßes gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften im Oktober 2020 auf.
Am 13. Mai 2019 setzte das HZA mit einem Einfuhrabgabenbescheid 4048,13 Euro Zoll und 8460,59 Euro Einfuhrumsatzsteuer gegen R. T. fest.
Nachdem sein beim HZA eingelegter Einspruch zurückgewiesen worden war, erhob R. T. am 9. Februar 2020 beim Finanzgericht Hamburg (Deutschland) Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid. Im Lauf des Verfahrens beschloss er, nur die Entscheidung über die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer anzufechten.
Das vorlegende Gericht, das keine Zweifel an der Zuständigkeit der deutschen Behörden für die Erhebung der Zollschuld hegt, möchte wissen, ob das HZA auch für die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer zuständig ist. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wäre dies der Fall, wenn die Auslegung der Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112 ergibt, dass der Ort der Einfuhr in Deutschland liegt, obwohl der Kläger des Ausgangsverfahrens in Bulgarien in das Gebiet der Union gelangt ist.
Zur Auslegung der den Begriff und den Ort der Einfuhr betreffenden Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112 führt das vorlegende Gericht aus, ein zollrechtlicher Pflichtenverstoß, der in einem Mitgliedstaat begangen werde, führe nur dann zur Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer in diesem Mitgliedstaat, wenn die Ware auch im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne dort eingeführt worden sei.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wie sie von den deutschen Finanzgerichten angewandt werde, müsste sich der in Art. 60 der Richtlinie 2006/112 definierte Ort der Einfuhr im vorliegenden Fall in Bulgarien befinden, da das Fahrzeug dort erstmals benutzt worden sei. Die Einfuhrmehrwertsteuer wäre daher grundsätzlich in diesem Mitgliedstaat entstanden, es sei denn, das Fahrzeug sei, ziehe man die Erwägungen in den Urteilen vom 2. Juni 2016, Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig (C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:405, Rn. 65), vom1. Juni 2017, Wallenborn Transports (C-571/15, EU:C:2017:417, Rn. 54), sowie vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung (C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 44), heran, als in Deutschland „zum Verbrauch bestimmt“ einzustufen.
Die in der vorstehenden Randnummer angeführte Rechtsprechung – in der das Konzept der Bestimmung zum Verbrauch verankert sei – sei allerdings zu Gegenständen ergangen, die transportiert worden seien, während es sich im Ausgangsverfahren um ein als Transportmittel eingesetztes Fahrzeug handele. In diesem Zusammenhang hätten verschiedene deutsche Fachgerichte die oben genannte Rechtsprechung so verstanden, dass Transportmittel in dem Mitgliedstaat, in dem sie erstmals tatsächlich verwendet würden, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangten.
Nach diesem Ansatz wäre mithin davon auszugehen, dass das Fahrzeug des Klägers des Ausgangsverfahrens in Bulgarien in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sei, da es in diesem Mitgliedstaat erstmals benutzt worden sei. Folglich würde der Ort der Einfuhr dieses Fahrzeugs im Sinne von Art. 60 der Richtlinie 2006/112 in Bulgarien liegen.
Diese Schlussfolgerung stehe jedoch offenkundig im Widerspruch zum Urteil vom 3. März 2021, Hauptzollamt Münster (Ort des Entstehens der Mehrwertsteuer) (C-7/20, EU:C:2021:161), in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass das Fahrzeug trotz des Umstands, dass es faktisch über Bulgarien in das Zollgebiet der Union gelangt sei, in Deutschland, dem Wohnsitzmitgliedstaat des Klägers des Ausgangsverfahrens, tatsächlich benutzt worden sei.
Für den Fall, dass sich der Ort der Einfuhr des in Rede stehenden Fahrzeugs in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland befinden sollte, stellt das vorlegende Gericht eine zweite Vorlagefrage, mit der es wissen möchte, ob die Fiktion des Art. 87 Abs. 4 des Zollkodex den deutschen Zollbehörden die Zuständigkeit für die Festsetzung der Einfuhrmehrwertsteuer verleihe.
Insoweit wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die in § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes vorgeschriebene entsprechende Anwendung dieser Bestimmung gegen die Richtlinie 2006/112 verstoße.
Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112 dahin gehend auszulegen, dass der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittland zugelassenen Transportmittels, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Union verbracht wird, in dem Mitgliedstaat liegt, in dem der zollrechtliche Verstoß begangen und das Transportmittel erstmals in der Union als Transportmittel benutzt wurde, oder in dem Mitgliedstaat, in dem derjenige, der den zollrechtlichen Pflichtenverstoß begangen hat, ansässig ist und das Fahrzeug dort nutzt?
Für den Fall, dass der Ort der Einfuhr in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland liegt: Verstößt es gegen die Richtlinie 2006/112, insbesondere deren Art. 30 und 60, wenn eine mitgliedstaatliche Vorschrift den Art. 87 Abs. 4 des Zollkodex für entsprechend auf die Einfuhrmehrwertsteuer anwendbar erklärt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittstaat zugelassenen Fahrzeugs, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Union verbracht wird, in dem Mitgliedstaat liegt, in dem dieser Verstoß begangen und das Fahrzeug erstmals in der Union benutzt wurde, oder in dem Mitgliedstaat, in dem derjenige, der den zollrechtlichen Pflichtenverstoß begangen hat, ansässig ist und das Fahrzeug tatsächlich nutzt.
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer. Gemäß ihrem Art. 30 Abs. 1 gilt die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Union als Einfuhr eines Gegenstands. In Bezug auf den Ort der Einfuhr bestimmt ihr Art. 60, dass die Einfuhr in dem Mitgliedstaat erfolgt, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Union verbracht wird.
Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, ermächtigt Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 die Mitgliedstaaten, den Steuertatbestand und die Entstehung des Steueranspruchs der Einfuhrmehrwertsteuer mit dem Tatbestand und der Entstehung des Anspruchs bei Zöllen zu verknüpfen. Die Einfuhrmehrwertsteuer und die Zölle sind nämlich hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale insofern vergleichbar, als sie durch die Einfuhr der Waren in die Union und ihren anschließenden Eintritt in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten entstehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. April 2022, Kauno teritorinė muitinė, C-489/20, EU:C:2022:277, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daher kann neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten (Urteil vom 7. April 2022, Kauno teritorinė muitinė, C-489/20, EU:C:2022:277, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Eine solche Vermutung kann allerdings widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass ein Gegenstand trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das in dem Mitgliedstaat, in dem es begangen wurde, zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld führte, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. Dann tritt der Tatbestand der Einfuhrmehrwertsteuer in dem anderen Mitgliedstaat ein (Urteil vom 3. März 2021, Hauptzollamt Münster [Ort des Entstehens der Mehrwertsteuer], C-7/20, EU:C:2021:161, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
So hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, in der es um Waren ging, die im deutschen Hoheitsgebiet, wo sie nur von einem Flugzeug in ein anderes umgeladen worden waren, bevor sie nach Griechenland befördert wurden, Gegenstand eines zollrechtlichen Fehlverhaltens waren, ausgeführt, dass die betreffenden Waren in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt waren und die auf sie entfallende Einfuhrmehrwertsteuer dort entstanden war, da dieser Mitgliedstaat ihren endgültigen Bestimmungsort und den Ort darstellte, an dem sie verbraucht wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 53).
Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass ein unter Verstoß gegen die Zollvorschriften eingeführter Personenkraftwagen als im Wohnsitzmitgliedstaat des Steuerpflichtigen in den Wirtschaftskreislauf gelangt anzusehen ist, wenn das Fahrzeug in diesem Mitgliedstaat tatsächlich benutzt worden war, auch wenn es auf seiner Fahrt von einem Drittland in diesen Mitgliedstaat faktisch über einen anderen Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union gelangt war. Folglich war die Einfuhrmehrwertsteuer im erstgenannten Mitgliedstaat entstanden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2021, Hauptzollamt Münster [Ort des Entstehens der Mehrwertsteuer], C-7/20, EU:C:2021:161, Rn. 34 und 35).
Im vorliegenden Fall geht – vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht – aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass R. T., als er sich im März 2019 von Georgien nach Deutschland begab, mit seinem Auto über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich fuhr. R. T. hat offenbar seinen Wohnsitz in Deutschland, wo er dieses Fahrzeug von März 2019 bis mindestens Oktober 2020 benutzte.
In Anbetracht der oben in Rn. 29 wiedergegebenen Erwägungen im Urteil vom 3. März 2021, Hauptzollamt Münster (Ort des Entstehens der Mehrwertsteuer) (C-7/20, EU:C:2021:161), ist davon auszugehen, dass dieses Fahrzeug trotz seiner erstmaligen Benutzung in Bulgarien und des Umstands, dass es dort zum Zweck der Durchreise körperlich in das Gebiet der Union gelangt ist, in seinem Bestimmungsmitgliedstaat, im konkreten Fall in Deutschland, tatsächlich benutzt wurde. Da das Fahrzeug in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, erfolgte seine Einfuhr folglich gemäß den Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112 in eben diesem Mitgliedstaat.
Diese Schlussfolgerung wird nicht durch den vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand entkräftet, dass die erstmalige Benutzung des Fahrzeugs im Gebiet der Union als Transportmittel seinem „Verbrauch“ – dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang im Sinne des Urteils vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung (C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 44) – gleichkomme oder zumindest ein Zwischenstadium zu diesem Verbrauch darstelle, was bedeuten würde, dass das Fahrzeug im vorliegenden Fall in Bulgarien in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt wäre.
Wie sich aus dem Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung (C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 48), ergibt, kann ein Gegenstand nämlich trotz seiner faktischen Verbringung in einen Mitgliedstaat als im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten angesehen werden, wenn der Gegenstand in diesem Mitgliedstaat „zum Verbrauch bestimmt“ war. Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die betreffenden Gegenstände im Mitgliedstaat ihrer endgültigen Bestimmung in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt waren, so dass die Einfuhrmehrwertsteuer auf sie in diesem Mitgliedstaat entstanden war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 53).
Somit ist davon auszugehen, dass ein in einem Drittland zugelassenes Fahrzeug, das, wie auch das vorlegende Gericht ausführt, nicht „verbraucht“ werden kann, sondern mit dem der Steuerpflichtige von diesem Land aus in seinen Wohnsitzmitgliedstaat fuhr, in dem das Fahrzeug tatsächlich und dauerhaft genutzt wurde, in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. Obwohl es nicht selbst in diesen Mitgliedstaat befördert wurde, sondern in dem Mitgliedstaat, in dem es körperlich in das Unionsgebiet gelangte, als Transportmittel benutzt wurde, diente seine Nutzung im letztgenannten Mitgliedstaat nämlich nur dazu, es in den Mitgliedstaat seiner endgültigen Bestimmung zu bringen, um es dort tatsächlich und dauerhaft zu nutzen. In diesem Zusammenhang kann der Wohnort des Nutzers als Anhaltspunkt für eine solche Nutzung dienen.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittstaat zugelassenen Fahrzeugs, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Union verbracht wird, in dem Mitgliedstaat liegt, in dem derjenige, der den zollrechtlichen Pflichtenverstoß begangen hat, ansässig ist und das Fahrzeug tatsächlich nutzt.
Zur zweiten Frage
Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie (EU) 2018/2057 des Rates vom 20. Dezember 2018 geänderten Fassung
sind dahin auszulegen, dass
der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittstaat zugelassenen Fahrzeugs, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Europäische Union verbracht wird, in dem Mitgliedstaat liegt, in dem derjenige, der den zollrechtlichen Pflichtenverstoß begangen hat, ansässig ist und das Fahrzeug tatsächlich nutzt.
Rodin
Bonichot
Spineanu-Matei
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. September 2022.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Neunten Kammer
S. Rodin
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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