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EuGH 17.12.2020 - C-346/19
EuGH 17.12.2020 - C-346/19 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer) - 17. Dezember 2020 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Erstattung der Mehrwertsteuer – Richtlinie 2008/9/EG – Art. 8 Abs. 2 Buchst. d – Art. 15 – Angabe der Rechnungsnummer – Erstattungsantrag“
Leitsatz
In der Rechtssache C-346/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 13. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2019, in dem Verfahren
Bundeszentralamt für Steuern
gegen
Y-GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Y-GmbH, vertreten durch G. Thurmayr, Steuerberater, und S. Ledermüller, Steuerberaterin,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und R. Pethke als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und Art. 15 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. 2008, L 44, S. 23) in der durch die Richtlinie 2010/66/EU des Rates vom 14. Oktober 2010 (ABl. 2010, L 275, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2008/9).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Bundeszentralamt für Steuern (Deutschland) und der Y-GmbH über die Erstattung der Mehrwertsteuer, die dieser Gesellschaft verweigert wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2006/112
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112) sieht in ihrem Art. 170 vor:
„Jeder Steuerpflichtige, der … nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er die Gegenstände und Dienstleistungen erwirbt oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführt, hat Anspruch auf Erstattung dieser Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke folgender Umsätze verwendet werden:
die in Artikel 169 genannten Umsätze;
die Umsätze, bei denen die Steuer nach den Artikeln 194 bis 197 und 199 lediglich vom Empfänger geschuldet wird.“
In Art. 171 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:
„Die Erstattung der Mehrwertsteuer an Steuerpflichtige, die nicht in dem Mitgliedstaat, in dem sie die Gegenstände und Dienstleistungen erwerben oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführen, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, erfolgt nach dem in der Richtlinie 2008/9/EG vorgesehenen Verfahren.“
Nach Art. 178 Buchst. a dieser Richtlinie muss der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen oder das Erbringen von Dienstleistungen eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen.
Art. 226 in Titel XI Kapitel 3 Abschnitt 4 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:
…
eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung einmalig vergeben wird;
…“
Richtlinie 2008/9
Art. 1 der Richtlinie 2008/9 bestimmt:
„Diese Richtlinie regelt die Einzelheiten der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß Artikel 170 der Richtlinie 2006/112…“
In Art. 2 dieser Richtlinie heißt es:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
‚Antragsteller‘ den nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen, der den Erstattungsantrag stellt.“
Art. 3 der Richtlinie 2008/9 lautet:
„Diese Richtlinie gilt für jeden nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen, der folgende Voraussetzungen erfüllt:
er hat während des Erstattungszeitraums im Mitgliedstaat der Erstattung weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden, noch hat er – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung – dort seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort;
er hat während des Erstattungszeitraums keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht, die als im Mitgliedstaat der Erstattung bewirkt gelten, mit Ausnahme der folgenden Umsätze:
die Erbringung von Beförderungsleistungen und damit verbundene Nebentätigkeiten, die gemäß den Artikeln 144, 146, 148, 149, 151, 153, 159 oder Artikel 160 der Richtlinie 2006/112… steuerfrei sind;
Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen, deren Empfänger nach den Artikeln 194 bis 197 und Artikel 199 der Richtlinie 2006/112... die Mehrwertsteuer schuldet.“
Art. 5 dieser Richtlinie lautet:
„Jeder Mitgliedstaat erstattet einem nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen die Mehrwertsteuer, mit der die ihm von anderen Steuerpflichtigen in diesem Mitgliedstaat gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen oder die Einfuhr von Gegenständen in diesen Mitgliedstaat belastet wurden, sofern die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke der folgenden Umsätze verwendet werden:
die in Artikel 169 Buchstaben a und b der Richtlinie 2006/112… genannte Umsätze;
Umsätze, deren Empfänger nach den Artikeln 194 bis 197 und Artikel 199 der Richtlinie 2006/112…, wie sie im Mitgliedstaat der Erstattung angewendet werden, Schuldner der Mehrwertsteuer ist.
Unbeschadet des Artikels 6 wird für die Anwendung dieser Richtlinie der Anspruch auf Vorsteuererstattung nach der Richtlinie 2006/112…, wie diese Richtlinie im Mitgliedstaat der Erstattung angewendet wird, bestimmt.“
Art. 7 dieser Richtlinie sieht vor:
„Um eine Erstattung von Mehrwertsteuer im Mitgliedstaat der Erstattung zu erhalten, muss der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Steuerpflichtige einen elektronischen Erstattungsantrag an diesen Mitgliedstaat richten und diesen in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, über das von letzterem Mitgliedstaat eingerichtete elektronische Portal einreichen.“
In Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9 heißt es:
„Neben den in Absatz 1 genannten Angaben sind in dem Erstattungsantrag für jeden Mitgliedstaat der Erstattung und für jede Rechnung oder jedes Einfuhrdokument folgende Angaben zu machen:
Name und vollständige Anschrift des Lieferers oder Dienstleistungserbringers;
außer im Falle der Einfuhr die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Lieferers oder Dienstleistungserbringers oder die ihm vom Mitgliedstaat der Erstattung zugeteilte Steuerregisternummer im Sinne der Artikel 239 und 240 der Richtlinie 2006/112…;
außer im Falle der Einfuhr das Präfix des Mitgliedstaats der Erstattung im Sinne des Artikels 215 der Richtlinie 2006/112…;
Datum und Nummer der Rechnung oder des Einfuhrdokuments;
Steuerbemessungsgrundlage und Mehrwertsteuerbetrag in der Währung des Mitgliedstaats der Erstattung;
gemäß Artikel 5 und Artikel 6 Absatz 2 berechneter Betrag der abziehbaren Mehrwertsteuer in der Währung des Mitgliedstaats der Erstattung;
gegebenenfalls der nach Artikel 6 berechnete und als Prozentsatz ausgedrückte Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs;
Art der erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen aufschlüsselt nach den Kennziffern gemäß Artikel 9.“
Art. 10 dieser Richtlinie bestimmt:
„Unbeschadet der Informationsersuchen gemäß Artikel 20 kann der Mitgliedstaat der Erstattung verlangen, dass der Antragsteller zusammen mit dem Erstattungsantrag auf elektronischem Wege eine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments einreicht, falls sich die Steuerbemessungsgrundlage auf einer Rechnung oder einem Einfuhrdokument auf mindestens 1000 [Euro] oder den Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung beläuft. Betrifft die Rechnung Kraftstoff, so ist dieser Schwellenwert 250 [Euro] oder der Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung.“
In Art. 15 dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Der Erstattungsantrag muss dem Mitgliedstaat, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, spätestens am 30. September des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahres vorliegen. Der Erstattungsantrag gilt nur dann als vorgelegt, wenn der Antragsteller alle in den Artikeln 8, 9 und 11 geforderten Angaben gemacht hat.
…
(2) Der Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller ansässig ist, hat diesem unverzüglich eine elektronische Empfangsbestätigung zu übermitteln.“
Art. 20 dieser Richtlinie lautet:
„(1) Ist der Mitgliedstaat der Erstattung der Auffassung, dass er nicht über alle relevanten Informationen für die Entscheidung über eine vollständige oder teilweise Erstattung verfügt, kann er insbesondere beim Antragsteller oder bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller ansässig ist, innerhalb des in Artikel 19 Absatz 2 genannten Viermonatszeitraums elektronisch zusätzliche Informationen anfordern. Werden die zusätzlichen Informationen bei einer anderen Person als dem Antragsteller oder der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats angefordert, soll das Ersuchen nur auf elektronischem Wege ergehen, wenn der Empfänger des Ersuchens über solche Mittel verfügt.
Gegebenenfalls kann der Mitgliedstaat der Erstattung weitere zusätzliche Informationen anfordern.
Die gemäß diesem Absatz angeforderten Informationen können die Einreichung des Originals oder eine Durchschrift der einschlägigen Rechnung oder des einschlägigen Einfuhrdokuments umfassen, wenn der Mitgliedstaat der Erstattung begründete Zweifel am Bestehen einer bestimmten Forderung hat. In diesem Fall gelten die in Artikel 10 genannten Schwellenwerte nicht.
(2) Die gemäß Absatz 1 angeforderten Informationen sind dem Mitgliedstaat der Erstattung innerhalb eines Monats ab Eingang des Informationsersuchens bei dessen Adressaten vorzulegen.“
Deutsches Recht
§ 61 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung bestimmt in seiner auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerjahr 2012 anwendbaren Fassung:
„Der im übrigen [Union]sgebiet ansässige Unternehmer hat den Vergütungsantrag nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung über das in dem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer ansässig ist, eingerichtete elektronische Portal dem Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln.“
Nach § 61 Abs. 2 der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung „[ist d]ie Vergütung … binnen neun Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist, zu beantragen.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Am 29. Oktober 2012 beantragte Y, eine Gesellschaft mit Sitz in Österreich, beim Bundeszentralamt für Steuern über das ihr im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung zur Verfügung gestellte elektronische Portal für den Zeitraum Juli bis September 2012 die Erstattung eines Mehrwertsteuerguthabens.
In dem von Y ausgefüllten Antragsformular bestand die für die betroffenen Dienstleistungen oder Gegenstände jeweils als Rechnungsnummer angegebene Nummer nicht in einer fortlaufenden Rechnungsnummer, sondern in einer anderen Nummer, die auf die Rechnung Bezug nahm.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2013 lehnte das Bundeszentralamt für Steuern die Erstattungsanträge, die den in der vorstehenden Randnummer genannten Rechnungen entsprachen, ab.
Am 8. Februar 2013 legte Y gegen diesen Bescheid Einspruch ein.
Dieser Einspruch wurde vom Bundeszentralamt für Steuern mit Entscheidung vom 7. Januar 2014 zurückgewiesen.
Zur Begründung führte das Bundeszentralamt für Steuern aus, dass Y keinen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Erstattungsantrag innerhalb der gesetzten Frist, d. h. bis zum 30. September 2013, eingereicht habe. In diesem Zusammenhang macht das Bundeszentralamt für Steuern geltend, dass es Y drei Mal vor Ablauf dieser Frist darauf hingewiesen habe, dass die in ihrem Antrag genannten Rechnungsnummern den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprächen.
Das mit der Anfechtung dieser Ablehnung befasste Finanzgericht Köln (Deutschland) gab mit Urteil vom 14. September 2016 dem Antrag von Y mit der Begründung statt, dass die Angabe der in den Rechnungen neben der Rechnungsnummer ausgewiesenen Referenznummern den formellen Anforderungen an einen Erstattungsantrag genüge und dass das Fehlen einer Rechnungsnummer nicht zur Unwirksamkeit eines Antrags auf Erstattung der Mehrwertsteuer führe, da dieser Antrag nicht als „inhaltsleer“ angesehen werden könne.
Das Bundeszentralamt für Steuern wandte sich an den Bundesfinanzhof (Deutschland) und machte geltend, dass die Entscheidung des Finanzgerichts Köln gegen Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9 verstoße.
Der Bundesfinanzhof fragt sich zunächst, ob die Wendung „Nummer der Rechnung“ in Art. 8 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/9 dahin ausgelegt werden könne, dass sie die Referenznummer einer Rechnung erfasse, die neben der Rechnungsnummer als zusätzliches Ordnungskriterium ausgewiesen sei.
Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer erfordere, die Wendung „Nummer der Rechnung“ in Art. 8 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen, dass im Rahmen des Erstattungsantrags die Angabe eines in diesem Antrag ausgewiesenen, weiteren und eindeutigen Ordnungskriteriums ausreichend sei.
Dasselbe gelte für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist nämlich „dem Art. 8 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/9 … auch – wie im Streitfall – mit der im Antrag angegebenen Referenznummer genüge getan, weil sie im Rahmen der Prüfung des Vorsteuervergütungsantrags [dem Bundeszentralamt für Steuern] eine eindeutige Zuordnung der gegenständlichen Rechnung ermöglicht“.
Wie der Gerichtshof bereits entschieden habe, unterliege das Recht auf Vorsteuerabzug jedoch der Einhaltung sowohl materieller als auch formeller Anforderungen, was bedeute, dass für den Erhalt der Erstattung nur die Angabe einer fortlaufenden Nummer im Sinne von Art. 226 Nr. 2 der Richtlinie 2006/112 entscheidend sein sollte. Die Angabe einer solchen Nummer sei zur Erreichung des Ziels, eine eindeutige Zuordnung der Rechnung vornehmen zu können, zwar geeignet und zweckmäßig, jedoch nicht erforderlich.
Für den Fall, dass die erste Frage verneint werden sollte, fragt sich der Bundesfinanzhof, ob ein Erstattungsantrag als formell vollständig und fristwahrend vorgelegt gilt, wenn sich dieser Antrag auf vom Antragsteller auf Erstattung vergebene Rechnungsnummern und nicht auf fortlaufende Nummern bezieht.
Hierzu ist er der Auffassung, dass die Gültigkeit eines Vorsteuervergütungsantrags nicht seine inhaltliche Richtigkeit, sondern seine formelle Vollständigkeit voraussetze. Dies bedeute, dass ein Erstattungsantrag, der sich auf eine vom Antragsteller vergebene Rechnungsnummer beziehe, zwar unrichtig, jedoch nicht unvollständig sei.
Der Bundesfinanzhof fragt sich abschließend, ob die Tatsache zu berücksichtigen sei, dass der begangene Fehler teilweise dem Bundeszentralamt für Steuern anzulasten sei, dessen Antragsformulare für die Erstattung der Mehrwertsteuer auf die allgemeine Formulierung „Belegnummer“ verwiesen und nicht auf „Rechnungsnummer“.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 8 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/9, demzufolge in dem Erstattungsantrag für jeden Mitgliedstaat der Erstattung und für jede Rechnung unter anderem die Nummer der Rechnung anzugeben ist, dahin auszulegen, dass auch die Angabe der Referenznummer einer Rechnung genügt, die als zusätzliches Ordnungskriterium neben der Rechnungsnummer auf einem Rechnungsbeleg ausgewiesen ist?
Falls die vorstehende Frage zu verneinen ist: Gilt ein Erstattungsantrag, in dem statt der Rechnungsnummer die Referenznummer einer Rechnung angegeben worden ist, als formell vollständig und im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/9 als fristwahrend vorgelegt?
Ist bei der Beantwortung der zweiten Frage zu berücksichtigen, dass der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Steuerpflichtige aus Sicht eines verständigen Antragstellers aufgrund der Gestaltung des elektronischen Portals im Ansässigkeitsstaat und des Vordrucks des Erstattungs-Mitgliedstaats annehmen durfte, es genüge für eine ordnungsgemäße, jedenfalls formell vollständige und fristgerechte Antragstellung die Eintragung einer anderen Kennziffer als der Rechnungsnummer, um eine Zuordnung der antragsgegenständlichen Rechnung zu ermöglichen?
Zu den Vorlagefragen
Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass dann, wenn ein Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer keine fortlaufende Rechnungsnummer, sondern eine andere Nummer enthält, anhand deren die Rechnung und damit der betreffende Gegenstand oder die betreffende Dienstleistung identifiziert werden können, die Steuerverwaltung des Erstattungsmitgliedstaats diesen Antrag als „vorgelegt“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 betrachten und ihn prüfen muss.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Art. 170 und 171 der Richtlinie 2006/112 sowie die Art. 3 und 5 der Richtlinie 2008/9 die materiellen Voraussetzungen für den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer regeln (Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 76).
Hierzu hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass der Anspruch eines in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen auf die in der Richtlinie 2008/9 geregelte Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entrichteten Mehrwertsteuer dem mit der Richtlinie 2006/112 zu seinen Gunsten eingeführten Anspruch auf Abzug der in seinem eigenen Mitgliedstaat entrichteten Vorsteuer entspricht (Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach Art. 171 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 „[erfolgt d]ie Erstattung der Mehrwertsteuer an Steuerpflichtige, die nicht in dem Mitgliedstaat, in dem sie die Gegenstände und Dienstleistungen erwerben oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführen, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, … nach dem in der Richtlinie [2008/9] vorgesehenen Verfahren.“ Die Richtlinie 2008/9 enthält ihrerseits mehrere Verweise auf die Richtlinie 2006/112, um den Inhalt des Erstattungsanspruchs zu präzisieren.
Gemäß Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/9 gilt ein Erstattungsantrag nur dann als vorgelegt, wenn der Antragsteller alle in den Art. 8, 9 und 11 dieser Richtlinie geforderten Angaben gemacht hat.
Aus Art. 8 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/9 geht hervor, dass sich der Unionsgesetzgeber durch die Verwendung des Ausdrucks „Rechnungsnummer“ auf eine einzige Nummer unter Ausschluss aller anderen bezogen hat.
Da zwischen der Richtlinie 2006/112 und der Richtlinie 2008/9 eine enge Verbindung besteht, kann einem bedeutsamen Begriff des Mehrwertsteuersystems nicht je nachdem, ob er in der einen oder der anderen dieser Richtlinien vorkommt, eine andere Bedeutung beigemessen werden kann.
Unter den Angaben, die für die Zwecke der Mehrwertsteuer zwingend auf den ausgestellten Rechnungen ausgewiesen sein müssen, sieht Art. 226 Nr. 2 der Richtlinie 2006/112 „eine fortlaufende Nummer [vor], die zur Identifizierung der Rechnung einmalig vergeben wird“.
Die Rechnungsnummer in Art. 8 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/9 verweist demnach auf eine fortlaufende Nummer, die zur Identifizierung der Rechnung einmalig vergeben wird.
Allerdings kann das Fehlen einer solchen Rechnungsnummer in einem Erstattungsantrag nicht zur Ablehnung dieses Antrags führen, falls eine solche Ablehnung gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde.
Trotz der Bedeutung der Verwendung einer fortlaufenden Nummer für das ordnungsgemäße Funktionieren des Mehrwertsteuersystems bleibt dieses Erfordernis nämlich eine formelle Voraussetzung, die unter bestimmten Umständen gemäß den Grundsätzen der Neutralität und der Verhältnismäßigkeit der Anwendung der materiellen Voraussetzungen des Anspruchs auf Erstattung den Vorrang einräumen muss (vgl. entsprechend Urteil vom 21. November 2018, Vădan, C-664/16, EU:C:2018:933, Rn. 41 und 42).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt der Erstattungsanspruch ebenso wie das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar, durch das der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 2. Mai 2019, Sea Chefs Cruise Services, C-133/18, EU:C:2019:354, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das Recht auf Vorsteuerabzug, und damit auch der Erstattungsanspruch, ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Dieses Recht kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangt, dass Vorsteuerabzug oder Mehrwertsteuererstattung gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Anders verhält es sich allerdings, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert hat, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Art. 20 der Richtlinie dem Mitgliedstaat der Erstattung, wenn dieser der Auffassung ist, dass er nicht über alle relevanten Informationen für die Entscheidung über eine vollständige oder teilweise Erstattung verfügt, die Möglichkeit einräumt, u. a. beim Steuerpflichtigen oder bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, zusätzliche Informationen anzufordern, die innerhalb eines Monats ab Eingang des Informationsersuchens bei dessen Adressaten vorzulegen sind.
Dieser Bestimmung würde weitgehend ihre praktische Wirksamkeit genommen, wenn der Mitgliedstaat unabhängig von der Tatsache, dass eine Nummer in den Erstattungsantrag aufgenommen wurde, anhand deren die Rechnung identifiziert werden kann, diesen sofort abweisen könnte.
In diesem Fall erfordern der Grundsatz der Neutralität und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Steuerverwaltung des Erstattungsmitgliedstaats den Antrag als im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 „vorgelegt“ betrachtet und sich der in Art. 20 Abs. 1 dieser Richtlinie eingeräumten Befugnis bedient, zusätzliche Informationen anzufordern, die das Ersuchen um Mitteilung der laufenden Nummer der Rechnung umfassen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 88).
Falls hingegen ein Mitgliedstaat wie die Bundesrepublik Deutschland, wie aus dem Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 74), hervorgeht, von der in Art. 10 der Richtlinie 2008/9 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, so dass der Antragsteller aufgefordert wird, seinem Erstattungsantrag eine Kopie der Rechnung beizufügen, und diese Kopie bei der Steuerverwaltung vorliegt, muss diese den Antrag prüfen, ohne zusätzliche Informationen zur fortlaufenden Nummer der Rechnung anzufordern.
Verfügt die Verwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer schuldet, darf sie nämlich nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug oder auf Mehrwertsteuererstattung vereiteln können (Urteil vom 18. November 2020, Kommission/Deutschland [Erstattung der Mehrwertsteuer – Rechnungen], C-371/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:936, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Verwaltung bereits auf der Grundlage der Richtlinie 2008/9 über das Original oder eine Kopie der betreffenden Rechnung verfügte.
Zum einen haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 der Richtlinie 2008/9 die Möglichkeit, von jedem Antragsteller zu verlangen, zusammen mit dem Erstattungsantrag eine Kopie der Rechnung einzureichen, falls sich die Steuerbemessungsgrundlage auf der Rechnung auf mindestens 1000 Euro oder den Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung beläuft, wobei dieser Schwellenwert 250 Euro oder den Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung beträgt, wenn die Rechnung Kraftstoff betrifft.
Zum anderen kann der Erstattungsmitgliedstaat nach Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Richtlinie, wenn er begründete Zweifel am Bestehen einer bestimmten Forderung hat, das Original oder eine Durchschrift der die Forderung rechtfertigenden Rechnung ungeachtet der in Art. 10 genannten Schwellenwerte verlangen.
Außer in den Fällen, in denen das Original oder die Durchschrift der Rechnung der Steuerverwaltung schon vorliegt, kann diese den Antragsteller auffordern, die fortlaufende Nummer dieser Rechnung mitzuteilen, und ist berechtigt, wenn er dieser Aufforderung nicht innerhalb der in Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9 vorgesehen Frist von einem Monat nachkommt, den Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer abzuweisen.
Nach alledem ist auf die erste und die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 dahin auszulegen sind, dass dann, wenn ein Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer keine fortlaufende Rechnungsnummer, sondern eine andere Nummer enthält, anhand deren die Rechnung und so der betreffende Gegenstand oder die betreffende Dienstleistung identifiziert werden können, die Steuerverwaltung des Erstattungsmitgliedstaats diesen Antrag als im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 „vorgelegt“ betrachten und ihn prüfen muss. Im Rahmen dieser Prüfung kann sie – außer in dem Fall, in dem sie bereits über das Original oder eine Durchschrift der Rechnung verfügt – den Antragsteller auffordern, eine fortlaufende Nummer, die zur Identifizierung der Rechnung einmalig vergeben wird, mitzuteilen, und ist berechtigt, wenn er diesem Ersuchen nicht innerhalb der in Art. 20 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Frist von einem Monat nachkommt, den Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer abzuweisen.
In diesem Kontext sind die vom vorlegenden Gericht in seiner dritten Frage genannten Gesichtspunkte nicht zu prüfen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige, in der durch die Richtlinie 2010/66/EU des Rates vom 14. Oktober 2010 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass dann, wenn ein Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer keine fortlaufende Rechnungsnummer, sondern eine andere Nummer enthält, anhand deren die Rechnung und so der betreffende Gegenstand oder die betreffende Dienstleistung identifiziert werden können, die Steuerverwaltung des Erstattungsmitgliedstaats diesen Antrag als im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9 in der durch die Richtlinie 2010/66 geänderten Fassung „vorgelegt “ betrachten und ihn prüfen muss. Im Rahmen dieser Prüfung kann sie – außer in dem Fall, in dem sie bereits über das Original oder eine Durchschrift der Rechnung verfügt – den Antragsteller auffordern, eine fortlaufende Nummer, die zur Identifizierung der Rechnung einmalig vergeben wird, mitzuteilen, und ist berechtigt, wenn er diesem Ersuchen nicht innerhalb der in Art. 20 Abs. 2 dieser Richtlinie in der durch die Richtlinie 2010/66 geänderten Fassung vorgesehenen Frist von einem Monat nachkommt, den Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer abzuweisen.
Ilešič
Juhász
Jarukaitis
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Dezember 2020.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Zehnten Kammer
M. Ilešič
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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