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EuGH 09.10.2019 - C-573/18, C-574/18
EuGH 09.10.2019 - C-573/18, C-574/18 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer) - 9. Oktober 2019 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Sechste Richtlinie 77/388/EWG – Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a – Besteuerungsgrundlage – Unmittelbar mit dem Preis zusammenhängende Subvention – Verordnung (EG) Nr. 2200/96 – Art. 11 Abs. 1 und Art. 15 – Landwirtschaftliche Erzeugerorganisation, die einen Betriebsfonds eingerichtet hat – Lieferungen der Erzeugerorganisation an ihre Mitglieder gegen Zahlungen, die nicht den gesamten Kaufpreis decken – Zusätzliche Finanzierung aus dem Betriebsfonds“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-573/18 und C-574/18
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 13. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 13. September 2018, in den Verfahren
C GmbH & Co. KG (C-573/18),
C-eG (C-574/18)
gegen
Finanzamt Z
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis (Berichterstatter) sowie der Richter M. Ilešič und C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch T. Henze und S. Eisenberg, dann durch S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und R. Pethke als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a sowie der Art. 20 und 27 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, berichtigt u. a. in ABl. 1977, L 242, S. 22, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen der C GmbH & Co. KG und der C-eG und dem Finanzamt Z (Deutschland, im Folgenden: Finanzamt) wegen Umsatzsteuerbescheiden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2200/96 des Rates vom 28. Oktober 1996 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse (ABl. 1996, L 297, S. 1) bestimmt:
„Als ‚Erzeugerorganisation‘ im Sinne dieser Verordnung gilt jede juristische Person,
die auf Betreiben der Erzeuger folgender Kategorien der in Artikel 1 Absatz 2 genannten Erzeugnisse
Obst und Gemüse,
…
… … gegründet worden ist …
deren Satzung die beigetretenen Erzeuger verpflichtet,
…
ihre gesamte betreffende Erzeugung über die Erzeugerorganisation abzusetzen.
…
die satzungsgemäßen Finanzbeiträge für die Einrichtung und Finanzierung des gemeinsamen Betriebsfonds gemäß Artikel 15 zu entrichten;
…“
Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2200/96 sieht vor:
„Erzeugerorganisationen, die einen Betriebsfonds einrichten, können nach Maßgabe dieses Artikels eine finanzielle Beihilfe der Gemeinschaft erhalten.
In diesen Fonds fließen tatsächliche Finanzbeiträge der in der Vereinigung zusammengeschlossenen Erzeuger, die sich nach den tatsächlich vermarkteten Obst- und Gemüsemengen oder dem Wert dieser Mengen bemessen, sowie die Mittel der finanziellen Beihilfe nach Unterabsatz 1.“
In Art. 11 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie heißt es:
„Die Besteuerungsgrundlage ist:
bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b), c) und d) genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen;
…“
Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, und zwar insbesondere:
wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war;
…“
Art. 27 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„(1) Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern. Die Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen.
…
(5) Die Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1977 Sondermaßnahmen von der Art der in Absatz 1 genannten angewandt haben, können sie aufrechterhalten, sofern sie diese der Kommission vor dem 1. Januar 1978 mitteilen und unter der Bedingung, dass diese Sondermaßnahmen – sofern es sich um Maßnahmen zur Erleichterung der Steuererhebung handelt – dem in Absatz 1 festgelegten Kriterium entsprechen.“
Deutsches Recht
§ 1 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: UStG) bestimmt:
„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. …
…“
§ 3 UStG sieht vor:
„(1) Lieferungen eines Unternehmers sind Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).
…
(12) Ein Tausch liegt vor, wenn das Entgelt für eine Lieferung in einer Lieferung besteht. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung besteht.“
In § 10 UStG heißt es:
„(1) Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1) … nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Zum Entgelt gehört auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt. …
(2) … Beim Tausch (§ 3 Abs. 12 Satz 1) [und] bei tauschähnlichen Umsätzen (§ 3 Abs. 12 Satz 2) … gilt der Wert jedes Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz. Die Umsatzsteuer gehört nicht zum Entgelt.
…
(4) Der Umsatz wird bemessen
bei dem Verbringen eines Gegenstands … nach dem Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkosten für den Gegenstand oder für einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises nach den Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Umsatzes;
…
Die Umsatzsteuer gehört nicht zur Bemessungsgrundlage.
(5) Absatz 4 gilt entsprechend für
Lieferungen und sonstige Leistungen, die Körperschaften und Personenvereinigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes [im Folgenden: KStG], nichtrechtsfähige Personenvereinigungen sowie Gemeinschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder, Teilhaber oder diesen nahestehende Personen sowie Einzelunternehmer an ihnen nahestehende Personen ausführen,
…
wenn die Bemessungsgrundlage nach Absatz 4 das Entgelt nach Absatz 1 übersteigt …“
§ 1 Abs. 1 KStG sieht vor:
„Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind die folgenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben:
…
nichtrechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen des privaten Rechts;
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-573/18 ist eine Gesellschaft mit der Rechtsform „GmbH & Co. KG“. Sie wendet sich gegen für die Jahre 2005 und 2006 erlassene Steueränderungsbescheide.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-574/18 ist eine Gesellschaft mit der Rechtsform „eingetragene Genossenschaft“ („eG“), Rechtsnachfolgerin einer anderen eingetragenen Genossenschaft. Sie wendet sich gegen für die Jahre 2002 und 2003 erlassene Steueränderungsbescheide.
Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren waren in den fraglichen Jahren Großhändler für Obst und Gemüse. Als „Erzeugerorganisation“ im Sinne von Art. 11 der Verordnung Nr. 2200/96 verkauften sie die Erzeugnisse, die von ihren angeschlossenen Erzeugern angebaut wurden.
Gemäß Art. 15 der Verordnung Nr. 2200/96 betrieben die Klägerinnen der Ausgangsverfahren jeweils einen Betriebsfonds. Dieser Fonds ist ein Zweckvermögen des privaten Rechts im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG und wird je zur Hälfte aus Beiträgen der angeschlossenen Erzeuger und aus finanziellen Beihilfen der Europäischen Union finanziert. Mit den Mitteln des Betriebsfonds können Investitionen in Einzelbetrieben der Mitglieder der Erzeugerorganisation finanziert werden.
Zu diesem Zweck schlossen die Klägerinnen der Ausgangsverfahren mit verschiedenen angeschlossenen Erzeugern Verträge über den Erwerb und die Nutzung von Investitionsgütern. Die Bestellungen der jeweiligen Vertragsgegenstände wurden von ihnen direkt bei den Vorlieferanten abgegeben. Diese Lieferanten stellten ihnen gegenüber Rechnungen aus.
Sodann stellte die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-573/18 den betroffenen Erzeugern 50 % oder 75 % ihrer Anschaffungskosten zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die restlichen Kosten wurden durch den Betriebsfonds finanziert. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-574/18 stellte den betroffenen Erzeugern 50 % ihrer Anschaffungskosten zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die restlichen Kosten wurden durch den Betriebsfonds finanziert.
Die Erzeuger waren während einer bestimmten Dauer der Nutzung der erworbenen Gegenstände verpflichtet, ihre Erzeugnisse zur Vermarktung an die Klägerinnen der Ausgangsverfahren zu liefern und einen „Finanzbeitrag“ im Sinne von Art. 15 der Verordnung Nr. 2200/96 auf den Verkauf ihrer Erzeugnisse zu entrichten. Dieser Finanzbeitrag belief sich im Fall der Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-573/18 auf 1,75 % vom Verkaufspreis der Erzeugnisse und im Fall der Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-574/18 auf 3 % vom Verkaufspreis der Erzeugnisse. Diese Beiträge finanzierten die Betriebsfonds.
Nach Ablauf der in den Verträgen über den Erwerb und die Nutzung von Investitionsgütern vorgesehenen Zweckbindungsfrist übertrugen die Klägerinnen der Ausgangsverfahren ihre Miteigentumsanteile an den erworbenen Gegenständen ohne Gegenleistung auf die Erzeuger.
Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren zogen in den betreffenden Jahren die Vorsteuer aus den Rechnungen der Lieferanten in vollem Umfang ab und unterwarfen nur die den Erzeugern in Rechnung gestellten Beträge der Umsatzsteuer. Die vom Betriebsfonds ausgezahlten Beträge sahen sie nicht als Entgelt für die Umsätze an, soweit sie aus der finanziellen Beihilfe stammten.
Nach Durchführung einer Steuerprüfung bei den Klägerinnen der Ausgangsverfahren vertrat das Finanzamt in den Steueränderungsbescheiden für die betreffenden Jahre die Auffassung, die Klägerinnen der Ausgangsverfahren hätten den jeweiligen Erzeugern von dem Erwerb der Gegenstände an die Verfügungsgewalt über diese Gegenstände verschafft und damit eine Lieferung ausgeführt. Die finanzielle Beihilfe aus den Betriebsfonds sei als echter Zuschuss nicht steuerbar. Das Finanzamt wandte folglich auf die Ausgangsumsätze der Klägerinnen der Ausgangsverfahren die in § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG in Verbindung mit § 10 Abs. 4 UStG vorgesehene Mindestbemessungsgrundlage an und stellte fest, dass der Einkaufspreis die an die Vorlieferanten gezahlten Nettobeträge gewesen seien.
Das Finanzgericht (Deutschland) wies die Klagen der Klägerinnen der Ausgangsverfahren gegen die Steueränderungsbescheide ab. Es bestätigte zwar die Schlussfolgerung des Finanzamts, gelangte zu diesem Ergebnis jedoch auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG. Es war der Auffassung, dass die Zahlungen aus den Betriebsfonds als von einem Dritten erhaltenes Entgelt anzusehen seien.
Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren wenden sich mit den von ihnen beim Bundesfinanzhof (Deutschland) eingelegten Revisionen gegen die Urteile des Finanzgerichts.
Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steueränderungsbescheide, wenn sie ausschließlich nach deutschem Recht zu beurteilen seien, rechtmäßig seien. Es fragt sich jedoch, ob die nationalen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar seien.
Insoweit ist es zum einen der Ansicht, dass die Lieferungen von Gegenständen durch eine Erzeugerorganisation an ihre Mitglieder als Tausch mit Baraufgabe eingestuft werden könnten, da die Mitglieder sich – neben einer anteiligen Zahlung – während eines bestimmten Zeitraums verpflichteten, ihre Erzeugnisse an die Erzeugerorganisation zu liefern. Zum anderen könnten die Zahlungen aus den Betriebsfonds als eine Subvention angesehen werden, die unmittelbar mit dem Preis der Lieferung zusammenhänge und in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen sei.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C-573/18 und C-574/18 inhaltsgleiche Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen eine Erzeugerorganisation im Sinne von Art. 11 Abs. 1 und Art. 15 der Verordnung Nr. 2200/96 an die ihr angeschlossenen Erzeuger Gegenstände liefert und hierfür von den Erzeugern eine nicht den Einkaufspreis deckende Zahlung erhält,
vom Vorliegen eines Tauschs mit Baraufgabe auszugehen, weil sich die Erzeuger im Gegenzug für den Umsatz gegenüber der Erzeugerorganisation vertraglich verpflichtet haben, die Erzeugerorganisation für die Dauer der Zweckbindungsfrist mit Obst und Gemüse zu beliefern, so dass Besteuerungsgrundlage des Umsatzes der von der Erzeugerorganisation an die Vorlieferanten gezahlte Einkaufspreis für die Investitionsgüter ist?
der Betrag, den tatsächlich der Betriebsfonds für den Umsatz an die Erzeugerorganisation zahlt, in voller Höhe eine „unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängende Subvention“ im Sinne des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie, so dass die Besteuerungsgrundlage auch die finanzielle Beihilfe im Sinne des Art. 15 der Verordnung Nr. 2200/96 umfasst, die dem Betriebsfonds aufgrund eines operationellen Programms von den zuständigen Behörden gewährt worden ist?
Falls nach der Antwort auf Frage 1 als Besteuerungsgrundlage nur die von den Erzeugern geleisteten Zahlungen, nicht aber die Lieferverpflichtung und die finanzielle Beihilfe anzusetzen sind: Steht unter den in Frage 1 genannten Umständen Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie einer auf Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gestützten nationalen Sondermaßnahme wie § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG entgegen, nach der die Besteuerungsgrundlage der Umsätze an die Erzeuger der von der Erzeugerorganisation an die Vorlieferanten gezahlte Einkaufspreis für die Investitionsgüter ist, weil die Erzeuger nahestehende Personen sind?
Falls die Frage 2 verneint wird: Gilt dies auch dann, wenn die Erzeuger zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, weil die Investitionsgüter der Berichtigung der Vorsteuerabzüge (Art. 20 der Sechsten Richtlinie) unterliegen?
Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2018 sind die Rechtssachen C-57318 und C-574/18 zu gemeinsamem schriftlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Zur Beantwortung der ersten Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Ausgangsverfahren, wie sich aus den Angaben in den Vorlageentscheidungen ergibt, ihren Ursprung darin haben, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugerorganisationen in ihren Umsatzsteuererklärungen für die betreffenden Geschäftsjahre die Beträge, die jede dieser Organisationen als Subvention aus den Betriebsfonds erhalten hat, nicht als Entgelte für die Lieferungen von Gegenständen an die Erzeuger berücksichtigt haben. Unter diesen Umständen genügt es, die Besteuerungsgrundlage der fraglichen Umsätze im Hinblick auf die allgemeine Regel in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a zu bestimmen, um es dem vorlegenden Gericht zu ermöglichen, über diese Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden.
Nach dieser Regel ist die Besteuerungsgrundlage bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen die Gegenleistung, die der Steuerpflichtige „vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten [tatsächlich] erhält …, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen“ (Urteil vom 20. Januar 2005, Hotel Scandic Gåsabäck,C-412/03, EU:C:2005:47, Rn. 28).
Indem Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie vorsieht, dass die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer in den dort genannten Fällen die an die Steuerpflichtigen gezahlten Subventionen umfasst, zielt er darauf ab, den gesamten Wert der Gegenstände und Dienstleistungen der Mehrwertsteuer zu unterwerfen und somit zu vermeiden, dass die Zahlung einer Subvention zu einem geringeren Steuerertrag führt (Urteil vom 15. Juli 2004, Kommission/Deutschland,C-144/02, EU:C:2004:444, Rn. 26).
Diese Vorschrift ist gemäß ihrem Wortlaut anwendbar, wenn die Subvention unmittelbar mit dem Preis des betreffenden Umsatzes zusammenhängt. Das ist nur dann der Fall, wenn die Subvention an den subventionierten Wirtschaftsteilnehmer gerade für die Lieferung eines bestimmten Gegenstands oder die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung gezahlt wird. Nur in diesem Fall kann die Subvention als Gegenleistung für die Lieferung eines Gegenstands oder die Erbringung einer Dienstleistung angesehen werden und ist damit steuerbar (Urteil vom 15. Juli 2004, Kommission/Deutschland,C-144/02, EU:C:2004:444, Rn. 27 und 28).
Weiter muss die dem Subventionsempfänger gewährte Subvention dem Abnehmer des Gegenstands oder dem Dienstleistungsempfänger zugutekommen. Der vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger zu zahlende Preis muss nämlich so festgesetzt sein, dass er sich entsprechend der dem Verkäufer des Gegenstands oder dem Dienstleistungserbringer gewährten Subvention ermäßigt, die damit in die Kalkulation des Preises einfließt, den der Letztgenannte verlangt. Die Zahlung der Subvention an den Verkäufer oder Dienstleistungserbringer muss diesem also objektiv gesehen den Verkauf des Gegenstands bzw. die Erbringung der Dienstleistung zu einem niedrigeren Preis als dem ermöglichen, den er ohne Subvention verlangen müsste (Urteil vom 15. Juli 2004, Kommission/Deutschland,C-144/02, EU:C:2004:444, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die von der Subvention verkörperte Gegenleistung muss darüber hinaus zumindest bestimmbar sein (Urteil vom 15. Juli 2004, Kommission/Deutschland,C-144/02, EU:C:2004:444, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
So erfasst der Begriff „unmittelbar mit dem Preis zusammenhängende Subventionen“ im Sinne von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie nur die Subventionen, die vollständig oder teilweise die Gegenleistung für die Lieferung von Gegenständen oder für Dienstleistungen sind und dem Verkäufer oder Dienstleistungserbringer von einem Dritten gezahlt werden (Urteil vom 15. Juli 2004, Kommission/Deutschland,C-144/02, EU:C:2004:444, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt, dass nach Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie die für die Lieferung eines Gegenstands oder die Erbringung einer Dienstleistung gezahlte Gegenleistung so berücksichtigt werden soll, dass der volle tatsächliche Wert der Lieferung widergespiegelt wird. Zu diesem Zweck schließt die Besteuerungsgrundlage nach dieser Bestimmung die unmittelbar mit dem Preis der betreffenden Umsätze zusammenhängenden Subventionen als Gegenleistung ein.
Im vorliegenden Fall geht aus den Vorlageentscheidungen hervor, dass die Zahlungen aus den Betriebsfonds an die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugerorganisationen für die Lieferung von Investitionsgütern geleistet wurden und den betroffenen Erzeugern zugutekamen.
Die fraglichen Erzeugerorganisationen haben nämlich den von den Erzeugern als Gegenleistung für die Lieferung dieser Gegenstände verlangten Preis um genau den Betrag der aus den Betriebsfonds stammenden Summen vermindert. Somit besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung dieser Gegenstände und der tatsächlich erhaltenen Gegenleistung. Die Erzeugerorganisationen erhielten als Gegenleistung für die Lieferung der Gegenstände zum einen eine Zahlung von den Erzeugern und zum anderen eine aus dem betreffenden Betriebsfonds für diese Lieferung geleistete Zahlung. Die Zahlungen aus den Betriebsfonds erfolgen daher ausschließlich zum Zweck der Lieferung dieser Investitionsgüter und stellen demnach unmittelbar mit dem Preis zusammenhängende Zahlungen dar.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zahlungen aus den Betriebsfonds „Subventionen“ von „einem Dritten“ im Sinne von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie sind. Zum einen sind nämlich, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, die Betriebsfonds rechtsfähig, und zum anderen darf die betreffende Erzeugerorganisation das Vermögen dieser Fonds nicht zu persönlichen Zwecken nutzen, da diese Fonds ausschließlich zur Finanzierung der von den zuständigen nationalen Behörden gemäß Art. 15 der Verordnung Nr. 2200/96 gebilligten operationellen Programme verwendet werden.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die in den Rn. 35 bis 38 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie entsprechend dem Vorbringen der deutschen Regierung die Wahrung der steuerlichen Neutralität gewährleistet. Würde nämlich ein Erzeuger einen Gegenstand für seinen Betrieb unmittelbar vom Hersteller ohne Zwischenschaltung der Erzeugerorganisation, der er angehört, und ohne Zahlung aus dem von dieser Erzeugerorganisation eingerichteten Betriebsfonds erwerben, unterläge diese Lieferung vollständig der Mehrwertsteuer. Verringerte sich die Mehrwertsteuer für den Kauf eines solchen Gegenstands um den Finanzierungsanteil des Betriebsfonds, wäre es dagegen so, dass ein Erzeuger, der einen Gegenstand unter Einschaltung dieser Erzeugerorganisation kaufte, einer niedrigeren Steuerbelastung unterläge als ein Erzeuger, der einen entsprechenden Gegenstand ohne Beteiligung der Erzeugerorganisation kaufte. Somit läge eine mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität unvereinbare Ungleichbehandlung vor.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren, in denen eine „Erzeugerorganisation“ im Sinne von Art. 11 der Verordnung Nr. 2200/96 bei Vorlieferanten Gegenstände kauft, diese Gegenstände an die ihr angeschlossenen Mitglieder liefert und von diesen eine nicht den Einkaufspreis deckende Zahlung erhält, der Betrag, den ein Betriebsfonds, wie er in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehen ist, an diese Erzeugerorganisation für die Lieferung dieser Gegenstände an die Erzeuger zahlt, zur Gegenleistung für diese Lieferung zählt und als von einem Dritten gezahlte, unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängende Subvention anzusehen ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
Angesichts der Antwort auf die erste Frage sind die zweite und die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren, in denen eine „Erzeugerorganisation“ im Sinne von Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2200/96 des Rates vom 28. Oktober 1996 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse bei Vorlieferanten Gegenstände kauft, diese Gegenstände an die ihr angeschlossenen Mitglieder liefert und von diesen eine nicht den Einkaufspreis deckende Zahlung erhält, der Betrag, den ein Betriebsfonds, wie er in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehen ist, an diese Erzeugerorganisation für die Lieferung dieser Gegenstände an die Erzeuger zahlt, zur Gegenleistung für diese Lieferung zählt und als von einem Dritten gezahlte, unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängende Subvention anzusehen ist.
Jarukaitis
Ilešič
Lycourgos
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Oktober 2019.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Zehnten Kammer
I. Jarukaitis
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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