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EuGH 17.10.2018 - C-425/17
EuGH 17.10.2018 - C-425/17 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer) - 17. Oktober 2018 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Richtlinie 2014/40/EU – Verbot des Inverkehrbringens von Tabak zum oralen Gebrauch – Begriffe ‚Kautabak‘ und ‚Tabak zum oralen Gebrauch‘ – Paste aus fein gemahlenem Tabak (Thunder Chewing Tobacco) und mit fein geschnittenem Tabak befüllte poröse Portionsbeutel aus Zellulose (Thunder Frosted Chewing Bags)“
Leitsatz
In der Rechtssache C-425/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Juli 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juli 2017, in dem Verfahren
Günter Hartmann Tabakvertrieb GmbH & Co. KG
gegen
Stadt Kempten,
Beteiligte:
Landesanwaltschaft Bayern,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Fünften Kammer E. Regan in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter C. G. Fernlund und S. Rodin (Berichterstatter),
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Günter Hartmann Tabakvertrieb GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Mayer,
der Stadt Kempten, vertreten durch C. Hage als Bevollmächtigte,
der Landesanwaltschaft Bayern, vertreten durch Landesanwalt P. Hahn,
der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Pavliš und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren, M. Wolff und P. Ngo als Bevollmächtigte,
der griechischen Regierung, vertreten durch G. Kanellopoulos, A. Vasilopoulou und E. Chroni als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hödlmayr und J. Tomkin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nrn. 6 und 8 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABl. 2014, L 127, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Günter Hartmann Tabakvertrieb GmbH & Co. KG und der Stadt Kempten (Deutschland) wegen eines gegenüber der genannten Gesellschaft ergangenen Verbots, rauchlose Tabakerzeugnisse auf dem deutschen Markt in den Verkehr zu bringen.
Rechtlicher Rahmen
Die Erwägungsgründe 32, 34 und 35 der Richtlinie 2014/40 lauten:
Gemäß der Richtlinie 89/622/EWG des Rates [vom 13. November 1989 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen sowie zum Verbot bestimmter Tabake zum oralen Gebrauch (ABl. 1989, L 359, S. 1)] war der Verkauf bestimmter Tabake zum oralen Gebrauch in den Mitgliedstaaten verboten. Mit der Richtlinie 2001/37/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen (ABl. 2001, L 194, S. 26)] wurde dieses Verbot bestätigt. Art. 151 der [Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1) sieht für [das Königreich] Schweden eine Ausnahme von dem Verbot vor. Das Verkaufsverbot für Tabak zum oralen Gebrauch sollte beibehalten werden, damit verhindert wird, dass ein Produkt in die Union (abgesehen [vom Königreich] Schweden) gelangt, das suchterzeugend ist und gesundheitsschädigende Wirkungen hat. Bei anderen rauchlosen Tabakerzeugnissen, die nicht für den Massenmarkt hergestellt werden, werden strenge Kennzeichnungsvorschriften und bestimmte Vorschriften in Bezug auf ihre Inhaltsstoffe als ausreichend angesehen, um eine über den herkömmlichen Konsum dieser Erzeugnisse hinausgehende Expansion auf den Märkten einzudämmen.
…
Alle Tabakerzeugnisse können Todesfälle, Morbidität und Behinderungen verursachen. Daher sollte ihre Herstellung, ihr Vertrieb und ihr Konsum geregelt werden. Es ist daher wichtig, Entwicklungen im Zusammenhang mit neuartigen Tabakerzeugnissen zu beobachten. Den Herstellern und Importeuren neuartiger Tabakerzeugnisse sollte daher – unbeschadet der Befugnis der Mitgliedstaaten, diese neuartigen Tabakerzeugnisse zu verbieten oder zuzulassen – eine Meldepflicht für neuartige Tabakerzeugnisse auferlegt werden.
Damit gleiche Ausgangsbedingungen gewährleistet sind, sollten neuartige Tabakerzeugnisse, die Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie sind, den Anforderungen dieser Richtlinie genügen.“
Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2014/40 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
‚Tabakerzeugnis‘ ein Erzeugnis, das konsumiert werden kann und das, auch teilweise, aus genetisch verändertem oder genetisch nicht verändertem Tabak besteht;
‚rauchloses Tabakerzeugnis‘ ein Tabakerzeugnis, das nicht mittels eines Verbrennungsprozesses konsumiert wird, unter anderem Kautabak, Schnupftabak und Tabak zum oralen Gebrauch;
‚Kautabak‘ ein rauchloses Tabakerzeugnis, das ausschließlich zum Kauen bestimmt ist;
…
‚Tabak zum oralen Gebrauch‘ alle Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch – mit Ausnahme von Erzeugnissen, die zum Inhalieren oder Kauen bestimmt sind –, die ganz oder teilweise aus Tabak bestehen und die in Pulver- oder Granulatform oder in einer Kombination aus beiden Formen, insbesondere in Portionsbeuteln oder porösen Beuteln, angeboten werden;
…
‚neuartiges Tabakerzeugnis‘ ein Tabakerzeugnis, das
nicht in eine der nachstehenden Kategorien fällt: Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen, Pfeifentabak, Wasserpfeifentabak, Zigarren, Zigarillos, Kautabak, Schnupftabak und Tabak zum oralen Gebrauch; und
nach dem 19. Mai 2014 in Verkehr gebracht wird;
…“
Art. 17 („Tabak zum oralen Gebrauch“) der Richtlinie 2014/40 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten verbieten das Inverkehrbringen von Tabak zum oralen Gebrauch unbeschadet des Artikels 151 der Akte über den Beitritt [der Republik Österreich], [der Republik Finnland] und [des Königreichs Schweden].“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Günter Hartmann Tabakvertrieb ist eine deutsche Gesellschaft, die verschiedenste Tabakerzeugnisse nach Deutschland einführt und auf dem deutschen Markt vertreibt. Dazu gehören u. a. die Erzeugnisse „Thunder Chewing Tobacco“ und „Thunder Frosted Chewing Bags“, die von der V2 Tobacco A/S, einer Gesellschaft dänischen Rechts, hergestellt werden.
In einem Gutachten vom 18. September 2014 analysierte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (Deutschland) das von Günter Hartmann Tabakvertrieb auf dem deutschen Markt vertriebene Erzeugnis „Thunder Frosted Chewing Bags“ und gelangte zu dem Ergebnis, dass es sich dabei aufgrund seiner Struktur, seiner Konsistenz und der Art seiner Verwendung um ein verbotenes Tabakerzeugnis handle, da es zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sei.
Mit Gutachten vom 19. bzw. 26. November 2014 traf das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit entsprechende Feststellungen für die Erzeugnisse „Thunder Wintergreen Chewing Tobacco“ und „Thunder Original Chewing Tobacco“.
Daraufhin untersagte die Stadt Kempten mit Bescheiden vom 13. Oktober 2014 und 15. Januar 2015, die gemäß den deutschen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2014/40 ergingen, Günter Hartmann Tabakvertrieb das Inverkehrbringen der Erzeugnisse „Thunder Chewing Tobacco“ und „Thunder Frosted Chewing Bags“.
Gegen diese Bescheide erhob Günter Hartmann Tabakvertrieb Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg (Deutschland). Dieses verhandelte am 28. Juli 2015 über die beiden Klagen. Dabei nahm es die genannten Tabakerzeugnisse sowie klassischen Kautabak und Snus in Augenschein.
Mit Urteil vom 28. Juli 2015 hob es den Bescheid der Stadt Kempten bezüglich des Erzeugnisses „Thunder Chewing Tobacco“ auf, weil es dieses als zum Kauen bestimmtes Erzeugnis für verkehrsfähig hielt.
Es stellte dazu u. a. fest, dass allein die Tatsache, dass es sich bei dem Erzeugnis „Thunder Chewing Tobacco“ um ein neuartiges Erzeugnis handle, das sich von herkömmlichem Kautabak unterscheide, kein Vertriebsverbot rechtfertige. Für die Frage, ob ein Erzeugnis zum Kauen bestimmt sei, müsse nämlich eine auf das Produkt bezogene objektive Betrachtungsweise zugrunde gelegt werden und nicht die Angaben des Herstellers oder die Meinung der Verbraucher. Die Inaugenscheinnahme durch das Gericht habe aber ergeben, dass es sich bei dem fraglichen Tabakerzeugnis um ein Erzeugnis handle, das gekaut werden könne. Auch nach dem Einlegen des Erzeugnisses in ein Wasserglas sei bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ein zusammenhängendes Stück in sich konsistenter Masse verblieben, das Druck standgehalten habe, ohne auseinanderzufallen. Demgegenüber habe sich der lose Snus in Wasser in kürzester Zeit aufgelöst und sei am Boden des Wasserglases verblieben. Das Erzeugnis „Thunder Chewing Tobacco“ halte somit einer mechanischen Einwirkung durch die Zähne stand und bedürfe einer solchen in einem gewissen Maße, um die Inhaltsstoffe des Tabaks zu lösen.
Bezüglich des Erzeugnisses „Thunder Frosted Chewing Bags“ wies das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Klage von Günter Hartmann Tabakvertrieb dagegen mit Urteil vom 28. Juli 2015 ab. Es stellte u. a. fest, dass es sich um in Zellulosebeutel verpackten, sehr fein geschnittenen Tabak eher körniger Substanz handle, der keiner mechanischen Einwirkung durch die Zähne standhalte und keiner solchen bedürfe, um seine Inhaltsstoffe zu lösen, und befand, dass ein Tabakerzeugnis nicht bereits dann zum Kauen bestimmt sei, wenn seine Kaueignung durch eine außerhalb des eigentlichen Tabakerzeugnisses liegende Darreichungsform vermittelt werde.
Gegen die angeführten Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg legten sowohl Günter Hartmann Tabakvertrieb als auch die Stadt Kempten Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Deutschland) ein.
Dieser stellt fest, dass der Richtlinie 2014/40 nicht zu entnehmen sei, unter welchen Umständen ein Tabakerzeugnis zum Kauen bestimmt im Sinne von Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie sei, und dass im Ausgangsverfahren mehrere Auslegungsvarianten vertreten worden seien, von denen keine eindeutig Vorrang beanspruchen könne.
Vor diesem Hintergrund hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 dahin gehend auszulegen, dass unter „Erzeugnissen, die zum Kauen bestimmt sind“, allein Kautabakerzeugnisse im klassischen Sinn zu verstehen sind?
Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 dahin gehend auszulegen, dass „Erzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“, gleichbedeutend mit „Kautabak“ im Sinne von Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie sind?
Ist für die Frage, ob ein Tabakerzeugnis im Sinne von Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 „zum Kauen bestimmt“ ist, auf eine auf das Produkt bezogene objektive Betrachtungsweise und nicht auf die Angaben des Herstellers oder die tatsächliche Verwendung durch Konsumenten abzustellen?
Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 dahin gehend auszulegen, dass die Bestimmung zum Kauen erfordert, dass das Tabakerzeugnis von seiner Konsistenz und Festigkeit her objektiv geeignet ist, gekaut zu werden, und dass das Kauen des Tabakerzeugnisses dazu führt, dass sich die im Erzeugnis enthaltenen Inhaltsstoffe lösen?
Ist Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 dahin gehend auszulegen, dass es für die Bestimmung eines Tabakerzeugnisses „zum Kauen“ als zusätzliche Bedingung erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn durch eine leichte, wiederkehrende Druckausübung mit den Zähnen oder der Zunge auf das Tabakerzeugnis mehr von den Inhaltsstoffen des Erzeugnisses gelöst werden, als wenn es nur im Mund gehalten wird?
Oder ist es für eine „Bestimmung zum Kauen“ notwendig, dass ein bloßes Im-Mund-Halten oder Lutschen zu keiner Herauslösung von Inhaltsstoffen führt?
Kann die Eignung eines Tabakerzeugnisses „zum Kauen“ im Sinne von Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 auch durch die außerhalb des verarbeiteten Tabaks vermittelte Darreichungsform wie z. B. einen Zellulosebeutel vermittelt werden?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht zur Beurteilung der Frage, ob rauchlose Tabakerzeugnisse wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unter das in Art. 17 der Richtlinie 2014/40 errichtete Verbot des Inverkehrbringens von Tabak zum oralen Gebrauch fallen, im Wesentlichen wissen, wie der Begriff „Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“ im Sinne des Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 6 dieser Richtlinie auszulegen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Juni 2016, Thomas Philipps, C-419/15, EU:C:2016:468, Rn. 18, und vom 26. Juli 2017, Jafari, C-646/16, EU:C:2017:586, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 17 der Richtlinie 2014/40 unbeschadet des Art. 151 der Akte über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden das Inverkehrbringen von Tabak zum oralen Gebrauch verbieten.
Tabak zum oralen Gebrauch wird in Art. 2 Nr. 8 dieser Richtlinie definiert als „alle Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch – mit Ausnahme von Erzeugnissen, die zum Inhalieren oder Kauen bestimmt sind –, die ganz oder teilweise aus Tabak bestehen und die in Pulver- oder Granulatform oder in einer Kombination aus beiden Formen, insbesondere in Portionsbeuteln oder porösen Beuteln, angeboten werden“.
Bei Kautabak, der somit gemäß dieser Bestimmung nicht von dem in Art. 17 der Richtlinie vorgesehenen Verbot von Tabak zum oralen Gebrauch erfasst wird, handelt es sich nach der Definition in Art. 2 Nr. 6 derselben Richtlinie um „ein rauchloses Tabakerzeugnis, das ausschließlich zum Kauen bestimmt ist“.
Insoweit kann entgegen der These, die der zweiten Vorlagefrage zugrunde liegt, keine Unterscheidung zwischen dem Begriff „Tabak, der zum Kauen bestimmt ist“ im Sinne des Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 und dem Begriff „Kautabak“ gemäß Art. 2 Nr. 6 dieser Richtlinie getroffen werden. Da nämlich dieses Erzeugnis in der letztgenannten Bestimmung eigens definiert worden ist, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Definition nicht gelten sollte, wenn in Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie gerade von „Tabakerzeugnisse[n] …, die zum … Kauen bestimmt sind“, die Rede ist.
Sodann ist hinsichtlich der Zielsetzung der in Rede stehenden Bestimmungen als Erstes darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2014/40 nach ihrem Art. 1 ein doppeltes Ziel verfolgt, nämlich, ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse zu erleichtern (Urteile vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a., C-547/14, EU:C:2016:325, Rn. 171, und vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat, C-358/14, EU:C:2016:323, Rn. 80).
Was genauer das Ziel des in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Verbots von Tabak zum oralen Gebrauch betrifft, ist festzustellen, dass dieses Verbot durch die Richtlinie 92/41/EWG des Rates vom 15. Mai 1992 zur Änderung der Richtlinie 89/622 (ABl. 1992, L 158, S. 30) eingeführt wurde.
Aus den Erwägungsgründen der Richtlinie 92/41 ergibt sich, dass dieses Verbot, das später von den einschlägigen Nachfolgerechtsakten dieser Richtlinie und zuletzt von der Richtlinie 2014/40 bestätigt und übernommen wurde, insbesondere damit begründet wurde, dass von auf dem Markt der Mitgliedstaaten neu in Umlauf gebrachten Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch vor allem für Kinder und Jugendliche ein ernst zu nehmendes Risiko ausgehe, da sie für diese Verbrauchergruppe besonders anziehend seien und damit eine frühe Nikotinabhängigkeit verursachten.
Gleichzeitig war der Unionsgesetzgeber der Ansicht, dass andere rauchlose Tabakerzeugnisse, die wie Kautabak als „herkömmliche“ Tabakerzeugnisse angesehen werden könnten, unter Berücksichtigung insbesondere ihrer fehlenden Neuartigkeit und Attraktivität für Kinder und Jugendliche anders zu behandeln seien (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2004, Swedish Match, C-210/03, EU:C:2004:802, Rn. 66).
Auch wenn aber somit das Verbot von Tabak zum oralen Gebrauch deswegen eingeführt wurde, weil auf dem Markt neuartige Tabakerzeugnisse zu einem solchen Gebrauch, genauer Snus, erschienen waren, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Neuartigkeit oder umgekehrt der „klassische“ oder „herkömmliche“ Charakter eines Erzeugnisses, worauf das vorlegende Gericht in der Vorlageentscheidung Bezug nimmt, an sich für die Einstufung eines Erzeugnisses als Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch im Sinne von Art. 17 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 ausschlaggebend wäre.
Wie nämlich Generalanwalt Geelhoed in Nr. 31 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Arnold André (C-434/02, EU:C:2004:487) ausgeführt hat, unterscheiden die in Rede stehenden Bestimmungen die Erzeugnisse nicht danach, ob sie herkömmlich sind oder nicht, sondern nach ihrer Gebrauchsbestimmung.
Schließlich steht zum einen fest, dass das in Art. 17 der Richtlinie 2014/40 errichtete Verbot des Inverkehrbringens von Tabak zum oralen Gebrauch u. a. Lutschtabak des Typs Snus betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, Kommission/Dänemark, C-468/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:504, Rn. 24 und 25) und dass dieses Erzeugnis als „fein gemahlener oder geschnittener Tabak, der lose oder in kleinen Portionsbeuteln verkauft und zum Konsum zwischen Zahnfleisch und Lippe geschoben wird“, beschrieben werden kann (Urteil vom 14. Dezember 2004, Arnold André, C-434/02, EU:C:2004:800, Rn. 19).
Zum anderen ergibt sich sowohl aus dem Zusammenhang als auch aus der Zielsetzung von Art. 2 Nr. 8 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2014/40, wie sie den Rn. 19 bis 26 des vorliegenden Urteils zu entnehmen sind, insbesondere aus dem Ausnahmecharakter der ersten dieser Bestimmungen, dass der Begriff „Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“ eng auszulegen ist, so dass er Lutschtabak wie solchen des Typs Snus nicht umfassen kann.
Wie nämlich die Europäische Kommission angemerkt hat, geht aus den Materialien zur Richtlinie 2014/40 hervor, dass der Unionsgesetzgeber mit der Hinzufügung des Adverbs „ausschließlich“ zur Definition des Begriffs „Kautabak“ in Art. 2 Nr. 6 dieser Richtlinie eine Klarstellung dieses Begriffs vornehmen wollte, um die Möglichkeiten der Umgehung des Verbots von Tabak zum oralen Gebrauch angesichts wiederholter Versuche einer Vermarktung von Snus als „Kautabak“ einzuschränken.
Daraus folgt, dass als „Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“, im Sinne von Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40 nur Erzeugnisse eingestuft werden können, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, d. h., die ihre wesentlichen Inhaltsstoffe im Mund nur durch Kauen freisetzen können.
Nicht so eingestuft werden kann dagegen ein Tabakerzeugnis, das, obwohl es auch gekaut werden kann, im Wesentlichen zum Lutschen bestimmt ist, d. h. ein Erzeugnis, das nur im Mund gehalten werden muss, damit seine wesentlichen Inhaltsstoffe freigesetzt werden.
Was die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen des Art. 267 AEUV nicht zur Anwendung der Unionsvorschriften auf einen Einzelfall, sondern nur zur Auslegung der Verträge und der Handlungen der Unionsorgane befugt ist (Urteile vom 10. Mai 2001, Veedfald, C-203/99, EU:C:2001:258, Rn. 31, und vom 6. Oktober 2005, MyTravel, C-291/03, EU:C:2005:591, Rn. 43).
Daher kommt es dem nationalen Gericht zu, anhand aller relevanten objektiven Merkmale der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und gegebenenfalls ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher zu ermitteln, ob sie an sich nur gekaut konsumiert werden können.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 2 Nr. 8 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2014/40 dahin auszulegen ist, dass zum Kauen bestimmte Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Bestimmungen nur Tabakerzeugnisse sind, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, was vom nationalen Gericht anhand aller relevanten objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und gegebenenfalls ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher zu beurteilen ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Nr. 8 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG ist dahin auszulegen, dass zum Kauen bestimmte Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Bestimmungen nur Tabakerzeugnisse sind, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, was vom nationalen Gericht anhand aller relevanten objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und gegebenenfalls ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher zu beurteilen ist.
Regan
Fernlund
Rodin
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Oktober 2018.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident
K. Lenaerts
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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