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EuGH 15.09.2016 - C-400/15
EuGH 15.09.2016 - C-400/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer) - 15. September 2016 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Steuerwesen — Mehrwertsteuer — Sechste Richtlinie 77/388/EWG — Recht zum Vorsteuerabzug — Entscheidung 2004/817/EG — Regelung eines Mitgliedstaats — Ausgaben für Gegenstände und Dienstleistungen — Prozentualer Anteil ihrer Nutzung zu nicht wirtschaftlichen Zwecken von mehr als 90 % ihrer gesamten Nutzung — Ausschluss vom Recht auf Vorsteuerabzug“
Leitsatz
In der Rechtssache C-400/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Juli 2015, in dem Verfahren
Landkreis Potsdam-Mittelmark
gegen
Finanzamt Brandenburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Šváby sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und J. Malenovský,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
des Landkreises Potsdam-Mittelmark, vertreten durch Steuerberater J. Wulf-von Moers,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 der Entscheidung 2004/817/EG des Rates vom 19. November 2004 zur Ermächtigung Deutschlands, eine von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern abweichende Regelung anzuwenden (ABl. 2004, L 357, S. 33).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Landkreis Potsdam-Mittelmark und dem Finanzamt Brandenburg über die von diesem Landkreis für das Steuerjahr 2008 geschuldete Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Sechste Richtlinie
Die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 (ABl. 2010, L 10, S. 14) geänderten Fassung aufgehoben und ersetzt. Da das streitige Steuerjahr dem Kalenderjahr 2008 entspricht, gelten die Verweisungen auf die Sechste Richtlinie als Verweisungen auf die Richtlinie 2006/112 und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang XII der Richtlinie 2006/112 zu lesen.
Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie sah vor:
„(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.“
Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie bestimmte:
„Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:
die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat“.
Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie lautete:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden“.
Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sah vor:
„Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten. Die Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen.“
Entscheidung 2004/817
Der dritte Erwägungsgrund der Entscheidung 2004/817 lautet:
„Die Ausnahmeregelung zielt darauf ab, den Abzug der [Mehrwertsteuer] auf Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vollkommen auszuschließen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt werden. Diese von Artikel 17 der [Sechsten] Richtlinie … in der Fassung von Artikel 28f derselben Richtlinie abweichende Regelung ist durch die Notwendigkeit einer Vereinfachung der [Mehrwertsteuer]-Erhebung gerechtfertigt; sie beeinflusst den im Stadium des Endverbrauchs fälligen Mehrwertsteuerbetrag nur in unerheblichem Maße.“
Art. 1 dieser Entscheidung sieht vor:
„Deutschland wird ermächtigt, abweichend von Artikel 17 Absatz 2 der [Sechsten] Richtlinie … Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vom Abzug der [Mehrwertsteuer] auszuschließen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt werden.“
Art. 2 der Entscheidung lautet:
„Diese Entscheidung gilt bis zum 31. Dezember 2009.“
Art. 3 der Entscheidung bestimmt:
„Diese Entscheidung ist an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet.“
Deutsches Recht
§ 15 des Umsatzsteuergesetzes (im Folgenden: UStG) bestimmt:
„(1) Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:
die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. …
…
Nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt die Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 Prozent für sein Unternehmen nutzt.
…
(2) Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen …, die der Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet:
steuerfreie Umsätze;
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Der Landkreis Potsdam-Mittelmark ist eine Gebietskörperschaft, die in eigener Verantwortung die die Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden und Ämter übersteigenden Aufgaben erfüllt. Ihm obliegt im Rahmen der öffentlichen Gewalt u. a. der Bau, die Unterhaltung und die Erhaltung der Verkehrssicherheit der Straßen in seinem Gebiet. Diese Aufgaben erfüllte er durch einen Eigenbetrieb ohne Rechtspersönlichkeit.
Im Steuerjahr 2008 erwarb der Landkreis Potsdam-Mittelmark verschiedene Gegenstände, und zwar Arbeitsmaschinen, Nutzfahrzeuge und Zubehörteile, die er im Wesentlichen für die im Rahmen der öffentlichen Gewalt erbrachten Leistungen verwendete. Im Umfang von 2,65 % setzte er diese Gegenstände jedoch auch für Dritte u. a. für das Entasten und Fällen von Bäumen, für Mäh- und Kehrarbeiten sowie für den Winterdienst ein. Für diese Leistungen war er mehrwertsteuerpflichtig.
Das Finanzamt Brandenburg ließ die Vorsteuerbeträge auf den in vorstehender Randnummer genannten Gegenständen nicht zum Abzug zu, da diese Gegenstände nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG zu mindestens 10 % für das Unternehmen des Landkreises Potsdam-Mittelmark genutzt worden seien. Auf Einspruch des Klägers des Ausgangsverfahrens gewährte das Finanzamt Brandenburg aus anderen Gründen einen Teil des begehrten Vorsteuerabzugs. Im Übrigen blieb der Einspruch erfolglos. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) wies die Klage des Landkreises Potsdam-Mittelmark gegen diese Entscheidung ab.
Mit seiner beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision machte der Kläger geltend, die Versagung des Vorsteuerabzugs verstoße gegen Unionsrecht. Zwar sei die Bundesrepublik Deutschland durch die Entscheidung 2004/817 ermächtigt worden, eine von Art. 17 der Sechsten Richtlinie abweichende Regelung anzuwenden, nicht aber, den Vorsteuerabzug für die Fälle auszuschließen, in denen, wie im Ausgangsverfahren, ein Gegenstand zu mehr als 90 % für nicht wirtschaftliche Tätigkeiten verwendet werde, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst würden, aber nicht als „unternehmensfremd“ eingestuft werden könnten. Ihm stehe daher ein anteiliger Vorsteuerabzug von 2,65 % zu.
Die Versagung des Vorsteuerabzugs verstoße außerdem gegen den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität, da sie dazu führe, dass die nicht abziehbaren Vorsteuerbeträge als direkter Aufwand in die Preiskalkulation eingingen, obwohl die von ihm im Wettbewerb mit privaten Unternehmern ausgeführten Ausgangsumsätze in vollem Umfang besteuert würden. Damit liege ein struktureller Wettbewerbsnachteil für ihn vor.
Das vorlegende Gericht stellt hierzu klar, dass der Landkreis Potsdam-Mittelmark nach nationalem Recht nicht zu dem von ihm geltend gemachten Vorsteuerabzug berechtigt sei. Er habe nämlich die in Rede stehenden Gegenstände im Wesentlichen zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben und nur zu 2,65 % im Rahmen seines Unternehmens zur Ausführung von steuerpflichtigen Leistungen verwendet. Für diesen Sachverhalt sei der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen, da der Anteil der Nutzung für das Unternehmen des Klägers weniger als 10 % betrage.
Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 1 der Entscheidung 2004/817 ermächtigt werde, abweichend von Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie, Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vom Mehrwertsteuerabzug auszuschließen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt würden.
Zum einen jedoch ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Steuerpflichtige nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, wenn er eine Verwendung – oder eine teilweise Verwendung – eines Gegenstands für eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit in Erwägung ziehe.
Zum anderen könne der Steuerpflichtige bei der Lieferung eines Gegenstands, den er sowohl für mehrwertsteuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeiten als auch für „unternehmensfremde“ private Zwecke im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie verwenden wolle, den Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuordnen und aufgrund dieser Zuordnung in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt sein. Er habe jedoch, wie sich u. a. aus dem Urteil vom 23. April 2009, Puffer (C-460/07, EU:C:2009:254, Rn. 39), ergebe, für die unternehmensfremde Verwendung des Gegenstandes die Mehrwertsteuer zu entrichten.
Nach diesen Grundsätzen hält das vorlegende Gericht den Vorsteuerabzug für zwingend ausgeschlossen, soweit der Landkreis Potsdam-Mittelmark die von ihm angeschafften Gegenstände zu 97,35 % für seine hoheitlichen Aufgaben verwende, die – nicht von der Mehrwertsteuerregelung erfasste – nicht wirtschaftliche Tätigkeiten darstellten. Im Übrigen habe der Kläger im Umfang von 2,65 % grundsätzlich Anspruch auf einen Vorsteuerabzug. Dieser sei jedoch gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen.
Das vorlegende Gericht hat insoweit Zweifel, ob Art. 1 der Entscheidung 2004/817 entsprechend seinem Wortlaut nur dann zum Vorsteuerausschluss ermächtigt, wenn ein Gegenstand für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt wird, oder auch in den Fällen gilt, in denen, wie im Ausgangsverfahren, ein Gegenstand zu mehr als 90 % für – nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallende – nicht wirtschaftliche Tätigkeiten verwendet wird.
Seiner Ansicht nach kann die Ermächtigung gemäß Art. 1 der Entscheidung 2004/817 auf der Grundlage des Urteils vom 12. Februar 2009, Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie (C-515/07, EU:C:2009:88), dahin ausgelegt werden, dass sie den Ausschluss des Vorsteuerabzugs nur für die Fälle zulasse, in denen der angeschaffte Gegenstand zu mehr als 90 % für „unternehmensfremde“ Zwecke verwendet werde, nicht aber für die nicht wirtschaftlichen Fälle, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst würden. In diesem Fall sei § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG nicht von der Entscheidung 2004/817 gedeckt, da der Vorsteuerabzug auch bei nicht wirtschaftlicher Verwendung von mehr als 90 % ausgeschlossen werde.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
§ 15 Abs. 1 Satz 2 UStG bestimmt, dass die Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 % für sein Unternehmen nutzt, nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt – und schließt insoweit den Vorsteuerabzug aus.
Die Regelung beruht auf Art. 1 der Entscheidung 2004/817, der die Bundesrepublik Deutschland ermächtigt, abweichend von Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vom Abzug der Mehrwertsteuer auszuschließen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt werden.
Gilt diese Ermächtigung – entsprechend ihrem Wortlaut – nur für die in Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie (Art. 26 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2009/162 geänderten Fassung) geregelten Fälle oder darüber hinaus in sämtlichen Fällen, in denen ein Gegenstand oder eine Dienstleistung nur teilweise unternehmerisch genutzt wird?
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 der Entscheidung 2004/817 dahin auszulegen ist, dass er für den Fall gilt, dass ein Unternehmen Gegenstände oder Dienstleistungen erwirbt, die es zu mehr als 90 % für nicht wirtschaftliche – nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallende – Tätigkeiten nutzt.
Wie sich aus ihrem Wortlaut ergibt, betrifft die Entscheidung 2004/817 eine Ausnahme zu Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie, nach dem ein Steuerpflichtiger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze, das heißt für eine wirtschaftliche Tätigkeit, verwendet werden.
Um festzustellen, ob der Begriff „unternehmensfremde Zwecke“ in Art. 1 der Entscheidung 2004/817 einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens erfassen kann, in dem der Kläger Tätigkeiten ausübt, die ihm in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt obliegen, nämlich zwar nicht unternehmensfremde, aber nicht wirtschaftliche Tätigkeiten, ist auf die Bedeutung dieses Begriffs in der Sechsten Richtlinie abzustellen, auf deren Grundlage gemäß ihrem Art. 27 Abs. 1 die Entscheidung 2004/817 erlassen wurde.
Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie lässt sich entnehmen, dass eine Verwendung für unternehmensfremde Zwecke der Mehrwertsteuer unterliegen kann.
Dagegen fallen die nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie (Urteile vom 13. März 2008, Securenta, C-437/06, EU:C:2008:166, Rn. 30 und 31, sowie vom 12. Februar 2009, Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie, C-515/07, EU:C:2009:88, Rn. 36 und 37).
Daraus folgt, dass mit Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie keine Regel eingeführt werden sollte, nach der Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, als Tätigkeiten betrachtet werden können, die für „unternehmensfremde Zwecke“ im Sinne dieser Vorschrift ausgeführt werden. Eine solche Auslegung würde nämlich Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie jeden Sinn nehmen (Urteil vom 12. Februar 2009, Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie, C-515/07, EU:C:2009:88, Rn. 38).
Diese Erwägungen werden durch die Systematik des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems bestätigt, in dessen Rahmen die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten anderen Kriterien folgt als die Unterscheidung zwischen einer unternehmerischen Verwendung und einer unternehmensfremden, nämlich privaten Verwendung.
Nach ständiger Rechtsprechung hat der Steuerpflichtige, wenn ein Investitionsgut sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet wird, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer die Wahl, diesen Gegenstand in vollem Umfang dem Unternehmensvermögen zuzuordnen, ihn in vollem Umfang in seinem Privatvermögen zu belassen, wodurch er dem Mehrwertsteuersystem vollständig entzogen wird, oder ihn nur im Umfang der tatsächlichen unternehmerischen Verwendung in sein Unternehmen einzubeziehen (Urteil vom 23. April 2009, Puffer, C-460/07, EU:C:2009:254, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Eine solche Wahlfreiheit existiert dagegen nicht, wenn es um die Frage geht, ob ein Gegenstand für eine wirtschaftliche Tätigkeit verwendet wird. Wenn ein Unternehmen einen Gegenstand sowohl für wirtschaftliche Tätigkeiten als auch für nicht wirtschaftliche Tätigkeiten verwendet, beschränkt sich Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie darauf, ein Recht zum Vorsteuerabzug vorzusehen. Die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten insoweit zu treffen haben, müssen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten, auf dem das Gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht (Urteil vom 13. März 2008, Securenta, C-437/06, EU:C:2008:166, Rn. 36).
Gemäß diesem Grundsatz der steuerlichen Neutralität soll der Unternehmer durch die Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden (Urteil vom 12. Februar 2009, Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie, C-515/07, EU:C:2009:88, Rn. 27).
Ein Ausschluss des Abzugsrechts für Unternehmensgegenstände, die zu weniger als 10 % für eine wirtschaftliche Tätigkeit verwendet werden, genügt dieser Anforderung jedoch nicht.
Die vorstehenden Überlegungen sind in vollem Umfang auf die Auslegung des Begriffs „unternehmensfremde Zwecke“ in Art. 1 der Entscheidung 2004/817 übertragbar. In Anbetracht der Erfordernisse der Einheit und Kohärenz der Unionsrechtsordnung müssen nämlich die für in demselben Bereich erlassene Rechtshandlungen verwendeten Begriffe dieselbe Bedeutung haben, es sei denn, dass der Unionsgesetzgeber einen anderen Willen zum Ausdruck gebracht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a., C-403/08 und C-429/08, EU:C:2011:631, Rn. 188, sowie vom 31. Mai 2016, Reha Training, C-117/15, EU:C:2016:379, Rn. 28). Ein solcher ist im vorliegenden Fall jedoch nicht festzustellen.
Was schließlich das Argument betrifft, dass der Begriff „unternehmensfremde Zwecke“ für die Zeit vor dem Urteil vom 12. Februar 2009, Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie (C-515/07, EU:C:2009:88), eine andere Bedeutung gehabt habe, so dass sich die am 19. November 2004 ergangene Entscheidung 2004/817 noch immer auf die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten beziehen könnte, ist darauf hinzuweisen, dass der Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts durch den Gerichtshof Rückwirkung zukommt und damit vom Inkrafttreten der ausgelegten Bestimmung an gilt (Urteil vom 27. März 1980, Denkavit italiana, 61/79, EU:C:1980:100, Rn. 16).
Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Begriff „unternehmensfremde Zwecke“ für die Zeit vor dem Urteil vom 12. Februar 2009, Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie (C-515/07, EU:C:2009:88), aus dem sich ergibt, dass dieser Begriff nicht die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten betrifft, anders ausgelegt werden könnte.
Nach alledem ist auf die Frage zu antworten, dass Art. 1 der Entscheidung 2004/817 dahin auszulegen ist, dass er nicht für den Fall gilt, dass ein Unternehmen Gegenstände oder Dienstleistungen erwirbt, die es zu mehr als 90 % für nicht wirtschaftliche – nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallende – Tätigkeiten nutzt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 der Entscheidung 2004/817/EG des Rates vom 19. November 2004 zur Ermächtigung Deutschlands, eine von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern abweichenden Regelung anzuwenden, ist dahin auszulegen, dass er nicht für den Fall gilt, dass ein Unternehmen Gegenstände oder Dienstleistungen erwirbt, die es zu mehr als 90 % für nicht wirtschaftliche – nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallende – Tätigkeiten nutzt.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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