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EuGH 13.07.2016 - C-187/15
EuGH 13.07.2016 - C-187/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 13. Juli 2016 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Art. 45 AEUV — Freizügigkeit der Arbeitnehmer — Beamter eines Mitgliedstaats, der aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden ist, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben — Nationale Regelung, die für diesen Fall den Verlust des im öffentlichen Dienst erworbenen Anspruchs auf Ruhegehalt und die Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorsieht“
Leitsatz
In der Rechtssache C-187/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 24. April 2015, in dem Verfahren
Joachim Pöpperl
gegen
Land Nordrhein-Westfalen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter A. Arabadjiev, J.-C. Bonichot, S. Rodin (Berichterstatter) und E. Regan,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Herrn Pöpperl, vertreten durch Rechtsanwalt J. Düsselberg,
des Landes Nordrhein-Westfalen, vertreten durch R. Messal und C. Brammer,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und D. Martin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. März 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV.
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Joachim Pöpperl und dem Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) über den Verlust der Ruhegehaltsansprüche nach dem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis bei diesem Land, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland auszuüben.
Rechtlicher Rahmen
§ 28 Abs. 3 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen sieht vor:
„Nach der Entlassung hat der frühere Beamte keinen Anspruch auf Leistungen des Dienstherrn, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist …“
§ 8 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (im Folgenden: SGB VI) lautet:
„(1) Versichert sind auch Personen,
die nachversichert sind oder
…
Nachversicherte stehen den Personen gleich, die versicherungspflichtig sind.
(2) Nachversichert werden Personen, die als
Beamte oder Richter auf Lebenszeit, auf Zeit oder auf Probe, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst,
…
versicherungsfrei waren oder von der Versicherungspflicht befreit worden sind, wenn sie ohne Anspruch oder Anwartschaft auf Versorgung aus der Beschäftigung ausgeschieden sind oder ihren Anspruch auf Versorgung verloren haben und Gründe für einen Aufschub der Beitragszahlung … nicht gegeben sind. Die Nachversicherung erstreckt sich auf den Zeitraum, in dem die Versicherungsfreiheit oder die Befreiung von der Versicherungspflicht vorgelegen hat (Nachversicherungszeitraum). Bei einem Ausscheiden durch Tod erfolgt eine Nachversicherung nur, wenn ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente geltend gemacht werden kann.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass Herr Pöpperl vom 1. September 1978 bis zum 30. April 1980 als Beamter auf Widerruf beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigt und vom 1. August 1980 bis zum 31. August 1999 als Lehrer im Dienst dieses Landes Beamter auf Lebenszeit war.
Zum 31. August 1999 schied Herr Pöpperl auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis aus und nahm im Laufe des Monats September eine Tätigkeit als Lehrer in Österreich auf.
Nachdem Herr Pöpperl auf seinen Beamtenstatus verzichtet hatte, wurde er gemäß § 8 SGB VI für den Zeitraum vom 1. September 1978 bis zum 31. August 1999 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Deutschland), jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund (Deutschland), nachversichert.
Die Möglichkeit einer Zusatzversorgung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (Deutschland) bestand für Herrn Pöpperl, anders als bei Lehrern, die ihre Tätigkeit nicht im Beamtenverhältnis ausüben, nicht. Seinen entsprechenden Antrag lehnte das Land Nordrhein-Westfalen mit Bescheid vom 10. Februar 2009 ab.
Folglich ergibt sich für Herrn Pöpperl nach dem Erreichen der entsprechenden Altersgrenze ein Anspruch auf Altersrente aus den Regelungen des SGB VI, die, bestehend aus Zeiten der Schulausbildung, des Studiums und der Nachversicherung monatlich 1050,67 Euro betragen würde; sähe das Recht des Landes Nordrhein-Westfalen eine Regelung vor, nach der die Versorgungsanwartschaften bei Entlassung aus dem Beamtenverhältnis nicht verloren gehen, hätte er aufgrund seiner Vollzeittätigkeit aus der Zeit vom 1. September 1978 bis zum 31. August 1999 Anspruch auf Versorgungsbezüge in Höhe von monatlich 2263,03 Euro. Unter Hinzurechnung von Zeiten des Studiums als Vordienstzeit würde der in dem genannten Zeitraum erworbene Anspruch monatlich 2728,18 Euro betragen.
Mit Bescheid vom 25. April 2013 teilte das Land Nordrhein-Westfalen Herrn Pöpperl mit, dass er aufgrund seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis keinen Anspruch auf Versorgungsbezüge habe und er für die gesamte Zeit seiner Tätigkeit im Dienst dieses Landes nachversichert worden sei.
Dagegen erhob Herr Pöpperl fristgerecht Klage beim vorlegenden Gericht und rügt den Verstoß der Nachversicherungspflicht gegen Unionsrecht, maßgeblich Art. 45 AEUV.
Hierzu führt das vorlegende Gericht zunächst u. a. aus, dass die Differenz der Versicherungsleistungen aufgrund Alters von 1677,51 Euro, die – wie Rn. 9 des vorliegenden Urteils zu entnehmen ist – sich aus der im Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Pflicht zur Nachversicherung ergebe, den Zugang zum Arbeitsmarkt in einem anderen Mitgliedstaat erschweren könne, weil der Verlust der erworbenen Ansprüche auf Versorgungsbezüge geeignet sei, Beamte davon abzuhalten, eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat aufzunehmen.
Im deutschen Recht bestünden jedoch erhebliche Unterschiede zwischen dem System der Beamtenversorgung und dem der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Beamtenverhältnis orientiere sich grundsätzlich am Lebenszeitprinzip, und im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern sei der Beamte seinem Dienstherrn in anderer, besonderer Weise umfassend verpflichtet. Grundlage des Anspruchs auf Ruhegehalt und der entsprechenden Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn sei die mit der Berufung in das öffentliche Dienstverhältnis verbundene Pflicht des Beamten, sich voll und ganz für den Dienstherrn einzusetzen und diesem – grundsätzlich auf Lebenszeit – seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Werde das öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnis durch den Beamten aufgekündigt, entfalle regelmäßig die Notwendigkeit der darauf bezogenen Alimentation und Fürsorge.
Diesen Unterschieden oder Besonderheiten entsprächen die Unterschiede in den Versorgungssystemen, die sodann zu der unterschiedlichen Höhe bei den Leistungen aufgrund Alters führten.
So bestimme sich das Ruhegehalt des Beamten maßgeblich nach den Dienstjahren, so dass das System die Anzahl der Jahre belohne, die ein Beamter für seinen Dienstherrn tätig gewesen sei. Im Gegenzug nehme ein Beamter in Kauf, dass sein Bruttogehalt während der aktiven Dienstzeit regelmäßig niedriger sei als das eines Angestellten, der mit gleicher Qualifikation im gleichen Einsatzbereich tätig sei. In der gesetzlichen Rentenversicherung hingegen werde die Altersrente grundsätzlich auf der Grundlage des in Entgeltpunkte umgerechneten und in jedem Kalenderjahr versicherten Bruttoarbeitsentgelts berechnet.
Zu den Auswirkungen der Nachversicherung auf einen aus dem Dienst ausgeschiedenen Beamten, hier einen Lehrer, führt das vorlegende Gericht aus, dass dieser durch die Nachversicherung so gestellt werden solle, als habe er während seines Beamtendaseins in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt.
Das vorlegende Gericht weist außerdem darauf hin, dass das geltende Recht im Land Nordrhein-Westfalen Herrn Pöpperl für die beabsichtigte Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses in Österreich keine andere Möglichkeit geboten habe, als aus dem Beamtenverhältnis auszuscheiden. Anders als bei einem Wechsel des Dienstherrn innerhalb der Bundesrepublik Deutschland – sei es etwa von einem Land zu einem anderen oder in den Bundesdienst – gebe es keine Möglichkeit einer Versetzung oder Abordnung in den Dienst eines anderen Mitgliedstaats unter Beibehaltung der bisher erworbenen Ruhegehaltsansprüche.
Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 45 AEUV dahin auszulegen, dass er nationalem Recht entgegensteht, nach dem eine in einem Mitgliedstaat verbeamtete Person ihre Anwartschaften auf Ruhegehalt (Versorgungsbezüge) aus dem Beamtenverhältnis verliert, weil sie zwecks Aufnahme einer neuen Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis entlassen wurde, wenn das nationale Recht gleichzeitig vorsieht, dass diese Person unter Zugrundelegung der im Beamtenverhältnis erreichten Bruttobezüge in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert wird, wobei die daraus folgenden Rentenansprüche niedriger als die verlorenen Ruhegehaltsanwartschaften sind?
Falls Frage 1 – für alle oder für bestimmte Beamte – bejaht wird: Ist Art. 45 AEUV dahin auszulegen, dass mangels anderweitiger nationaler Regelung die frühere Anstellungskörperschaft des betroffenen Beamten entweder diesem das Ruhegehalt unter Zugrundelegung der in dem früheren Beamtenverhältnis zurückgelegten ruhegehaltsfähigen Dienstzeit und unter Minderung um die aus der Nachversicherung entstandenen Rentenansprüche zu zahlen hat oder den Verlust des Ruhegehalts auf andere Weise finanziell auszugleichen hat, obwohl nach nationalem Recht nur die nach diesem Recht vorgesehenen Versorgungsleistungen gewährt werden dürfen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der eine in einem Mitgliedstaat verbeamtete Person, die auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ihre Ansprüche auf Ruhegehalt aus der Beamtenversorgung verliert und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert wird, wobei die daraus folgenden Altersrentenansprüche niedriger als die Ruhegehaltsansprüche sind.
Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens ausweislich des Vorabentscheidungsersuchens den auf sein Ausscheiden aus dem Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen zurückzuführenden Verlust seiner Ruhegehaltsansprüche aus der Beamtenversorgung nicht als solchen wegen Verstoßes gegen Art. 45 AEUV beanstandet, sondern die Differenz zwischen der Höhe des zum Zeitpunkt seines Ausscheidens erworbenen Anspruchs auf Versorgungsbezüge aus diesem System und der Höhe der ihm seither zustehenden Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Daher ist die erste Frage dahin zu verstehen, dass das vorlegende Gericht danach fragt, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit Art. 45 AEUV vereinbar ist, soweit sie zu dieser unterschiedlichen Höhe führt.
In dieser Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten zwar weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig sind, doch müssen sie dabei das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Niederlassungsfreiheit beachten (vgl. Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C-212/06, EU:C:2008:178, Rn. 43, sowie vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 38).
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sollen sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Bürgern der Europäischen Union die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als ihrem Herkunftsmitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen. In diesem Zusammenhang haben die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten insbesondere das unmittelbar aus dem Vertrag abgeleitete Recht, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten (vgl. Urteile vom 15. Dezember 1995, Bosman, C-415/93, EU:C:1995:463, Rn. 94 und 95, vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C-212/06, EU:C:2008:178, Rn. 44, sowie vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 39).
Zwar kann das Primärrecht der Union einem Versicherten nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit, insbesondere in Bezug auf Leistungen bei Krankheit und Altersrenten, neutral ist, da ein solcher Umzug aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in Bezug auf den sozialen Schutz haben kann, doch ist nach ständiger Rechtsprechung eine nationale Regelung für den Fall, dass ihre Anwendung weniger vorteilhaft ist, nur mit dem Unionsrecht vereinbar, soweit u. a. diese nationale Regelung den betreffenden Erwerbstätigen im Vergleich zu Personen, die ihre gesamten Tätigkeiten in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem diese Regelung gilt, nicht benachteiligt und nicht nur dazu führt, dass Beitragsleistungen erbracht werden, denen kein Anspruch auf Gegenleistungen gegenübersteht (vgl. Urteil vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, würde der Zweck der Art. 45 und 48 AEUV verfehlt, wenn Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, die Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren würden, die ihnen allein die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern (vgl. Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C-212/06, EU:C:2008:178, Rn. 46, sowie vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 41).
Ferner soll nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs mit den Art. 45 und 48 AEUV insbesondere verhindert werden, dass ein Arbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in mehr als einem Mitgliedstaat beschäftigt war, ohne objektiven Grund schlechter gestellt wird als ein Arbeitnehmer, der seine gesamte berufliche Laufbahn in einem einzigen Mitgliedstaat zurückgelegt hat (vgl. Urteile vom 30. Juni 2011, da Silva Martins, C-388/09, EU:C:2011:439, Rn. 76, sowie vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 42).
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 41 bis 43 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, steht fest, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der ein Beamter des Landes Nordrhein-Westfalen, wenn er vor dem Eintritt in den Ruhestand aus dem Dienst ausscheidet, um eine Beschäftigung im Privatsektor in der Bundesrepublik Deutschland oder eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, auf seinen Beamtenstatus verzichten muss, für diesen unabhängig von der Dauer seiner Beschäftigung als Beamter zum einen den Verlust der Ruhegehaltsansprüche aus der Beamtenversorgung und zum anderen die Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bedeutet, wobei die daraus folgenden Altersrentenansprüche erheblich niedriger als die verlorenen Ansprüche sind.
Eine solche Regelung stellt eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar, da sie, auch wenn sie auch für Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen gilt, die aus dem Dienst ausscheiden, um in ihrem Herkunftsmitgliedstaat im Privatsektor zu arbeiten, geeignet ist, diese Beamten zu hindern oder davon abzuhalten, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat anzunehmen. Diese Regelung beeinflusst somit unmittelbar den Zugang der Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen zum Arbeitsmarkt in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland und ist daher geeignet, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu behindern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Dezember 1995, Bosman, C-415/93, EU:C:1995:463, Rn. 98 bis 100 und 103, sowie vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 47).
Nach gefestigter Rechtsprechung können nationale Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, nur dann zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (vgl. u. a. Urteil vom 12. September 2013, Konstantinides, C-475/11, EU:2013:542, Rn. 50).
Das Land Nordrhein-Westfalen und die deutsche Regierung machen geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung durch das legitime Ziel, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen, gerechtfertigt sei, da mit ihr u. a. für die Loyalität der Beamten und somit die Kontinuität und die Beständigkeit des öffentlichen Dienstes Sorge getragen werde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat das Land Nordrhein-Westfalen erläutert, dass dieses Ziel ganz allgemein in der öffentlichen Verwaltung und im Besonderen in der Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen verfolgt werde.
Insoweit ist, ohne dass es erforderlich wäre, darauf einzugehen, ob die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, der geeignet ist, eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu rechtfertigen, darauf hinzuweisen, dass eine solche Beschränkung jedenfalls geeignet sein muss, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist.
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung könnte zwar geeignet sein, die Erreichung des Ziels der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu gewährleisten, da sie einen Beamten vom Ausscheiden aus der Verwaltung abhalten und so die personelle Kontinuität sicherstellen kann, die eine Beständigkeit bei der Wahrnehmung der Aufgaben dieser Verwaltung gewährleistet.
Doch sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine nationale Regelung und die verschiedenen einschlägigen Regeln nur dann geeignet, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht werden, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, EU:C:2009:141, Rn. 55, und vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u. a., C-171/07 und C-172/07, EU:C:2009:316, Rn. 42).
Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts sowie für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, zu bestimmen, ob und inwieweit eine Regelung diesen Anforderungen entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 1989, Rinner-Kühn, 171/88, EU:C:1989:328, Rn. 15, vom 23. Oktober 2003, Schönheit und Becker, C-4/02 und C-5/02, EU:C:2003:583, Rn. 82, sowie vom 26. September 2013, Ottica New Line di Accardi Vincenzo, C-539/11, EU:C:2013:591, Rn. 48).
Hingegen ist der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die dem nationalen Gericht eine Entscheidung ermöglichen (Urteile vom 20. März 2003, Kutz-Bauer, C-187/00, EU:C:2003:168, Rn. 52, vom 23. Oktober 2003, Schönheit und Becker, C-4/02 und C-5/02, EU:C:2003:583, Rn. 83, sowie vom 26. September 2013, Ottica New Line di Accardi Vincenzo, C-539/11, EU:C:2013:591, Rn. 49).
Der dem Gerichtshof vorliegenden Akte und insbesondere den mündlichen Erklärungen des Landes Nordrhein-Westfalen ist zu entnehmen, dass es einem Landesbeamten, wenn das Land seiner Versetzung zustimmt, freisteht, aus dem Dienst bei diesem Land auszuscheiden, um eine Stelle im öffentlichen Dienst eines anderen Landes oder des Bundes anzunehmen, ohne in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert zu werden, was ihm somit ermöglicht, Ansprüche auf ein Ruhegehalt zu erwerben, das höher ist als die Altersrente nach der gesetzlichen Rentenversicherung, und die jenen vergleichbar sind, die er bei seinem ursprünglichen Dienstherrn erworben hatte.
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass das Ziel, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung im Land Nordrhein-Westfalen sicherzustellen, insbesondere indem die Treue der Beamten zum öffentlichen Dienst gefördert wird, nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt zu werden scheint, da ein Beamter im Falle seiner Versetzung auch dann Ansprüche auf ein Ruhegehalt erwerben kann, das höher ist als die Altersrente, die ihm aufgrund der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung zustünde, wenn er aus der öffentlichen Verwaltung, in der er beschäftigt ist, ausscheidet und in die Verwaltung eines anderen Landes oder des Bundes wechselt. Somit hält die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung die Beamten nicht unter allen Umständen davon ab, aus der öffentlichen Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen auszuscheiden.
Folglich kann diese Regelung nicht als geeignet angesehen werden, die Erreichung des Ziels zu gewährleisten, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung im Land Nordrhein-Westfalen sicherzustellen. Daher kann sie nicht durch dieses Ziel gerechtfertigt werden.
Hinsichtlich des Ziels, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in Deutschland ganz allgemein sicherzustellen, genügt die Feststellung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung, selbst unterstellt, sie sei zur Erreichung dieses Ziels geeignet, über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist.
Scheidet ein Beamter, der mehr als 20 Jahre im öffentlichen Dienst gearbeitet hat, vor Eintritt in den Ruhestand aus dem Dienst aus, führt diese Regelung nämlich zum Verlust aller seiner der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit im Sinne der Beamtenversorgung entsprechenden Ruhegehaltsansprüche sowie zur Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung, wobei die daraus folgenden Altersrentenansprüche erheblich niedriger als die Ruhegehaltsansprüche sind. Außerdem ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass nach dem Recht einiger Länder ehemalige Beamte, die aus dem öffentlichen Dienst dieser Länder ausgeschieden sind, ihre Beamtenversorgungsansprüche behalten können, was eine weniger beschränkende Maßnahme als die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung darstellt.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der eine in einem Mitgliedstaat verbeamtete Person, die auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ihre Ansprüche auf Ruhegehalt aus der Beamtenversorgung verliert und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert wird, wobei die daraus folgenden Altersrentenansprüche niedriger als die Ruhegehaltsansprüche sind.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Fall einer Bejahung der ersten Frage wissen, welche Konsequenzen es daraus zu ziehen hat, um die Anforderungen des Art. 45 AEUV zu erfüllen.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung von den nationalen Gerichten verlangt, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel im Einklang steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 11. November 2015, Klausner Holz Niedersachsen, C-505/14, EU:C:2015:742, Rn. 34).
Allerdings unterliegt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmten Schranken. So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. April 2008, Impact, C-268/06, EU:C:2008:223, Rn. 100, und vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn. 39).
Wenn eine solche konforme Auslegung nicht möglich ist, ist das nationale Gericht verpflichtet, das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewendet lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem unionsrechtswidrigen Ergebnis führen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Frigerio Luigi & C., C-357/06, EU:C:2007:818, Rn. 28).
Wenn das nationale Recht unter Verstoß gegen das Unionsrecht eine unterschiedliche Behandlung von mehreren Personengruppen vorsieht, haben die Angehörigen der benachteiligten Gruppe Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die übrigen Betroffenen. Die für die Angehörigen der bevorzugten Gruppe geltende Regelung bleibt, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Januar 1999, Terhoeve, C-18/95, EU:C:1999:22, Rn. 57, vom 22. Juni 2011, Landtová, C-399/09, EU:C:2011:415, Rn. 51, und vom 19. Juni 2014, Specht u. a., C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12, EU:C:2014:2005, Rn. 95).
Wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen und bereits in Rn. 36 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, stehen den Betroffenen bei einem Dienstherrenwechsel innerhalb der Bunderepublik Deutschland, z. B. von einem Land in ein anderes oder von einer Landesverwaltung zur Bundesverwaltung, Ruhegehaltsansprüche zu, die jenen vergleichbar sind, die sie bei ihrem ursprünglichen Dienstherrn erworben hatten. Daher stellt dieser rechtliche Rahmen ein solches gültiges Bezugssystem dar.
Dementsprechend müssen deutschen Beamten, die auf ihren Status verzichtet haben, um eine ähnliche Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland auszuüben, ebenfalls Ruhegehalts- bzw. Altersrentenansprüche zustehen, die jenen vergleichbar sind, die sie bei ihrem ursprünglichen Dienstherrn erworben hatten.
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass es dem nationalen Gericht obliegt, für die volle Wirksamkeit dieses Artikels Sorge zu tragen und den Arbeitnehmern in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ruhegehalts- bzw. Altersrentenansprüche zuzuerkennen, die jenen von Beamten vergleichbar sind, die trotz eines Dienstherrenwechsels der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit entsprechende Ruhegehaltsansprüche behalten, indem es das innerstaatliche Recht im Einklang mit diesem Artikel auslegt oder, falls eine solche Auslegung nicht möglich ist, entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt, um dieselbe Regelung anzuwenden, die für diese Beamten gilt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der eine in einem Mitgliedstaat verbeamtete Person, die auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ihre Ansprüche auf Ruhegehalt aus der Beamtenversorgung verliert und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert wird, wobei die daraus folgenden Altersrentenansprüche niedriger als die Ruhegehaltsansprüche sind.
Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass es dem nationalen Gericht obliegt, für die volle Wirksamkeit dieses Artikels Sorge zu tragen und den Arbeitnehmern in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ruhegehalts- bzw. Altersrentenansprüche zuzuerkennen, die jenen von Beamten vergleichbar sind, die trotz eines Dienstherrenwechsels der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit entsprechende Ruhegehaltsansprüche behalten, indem es das innerstaatliche Recht im Einklang mit diesem Artikel auslegt oder, falls eine solche Auslegung nicht möglich ist, entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt, um dieselbe Regelung anzuwenden, die für diese Beamten gilt.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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