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EuGH 16.01.2014 - C-429/12
EuGH 16.01.2014 - C-429/12 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) - 16. Januar 2014 ( *1) - „Vorabentscheidungsersuchen — Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf — Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Art. 45 AEUV — Richtlinie 2000/78/EG — Ungleichbehandlung wegen des Alters — Ermittlung des Stichtags für das Vorrücken auf der Gehaltsskala — Verjährungsfrist — Effektivitätsgrundsatz“
Leitsatz
In der Rechtssache C-429/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Innsbruck (Österreich) mit Entscheidungen vom 28. August 2012 und 16. August 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 21. September 2012 und 22. August 2013, in dem Verfahren
Siegfried Pohl
gegen
ÖBB-Infrastruktur AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Herrn Pohl, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Schöffthaler und U. Willi,
der ÖBB-Infrastruktur AG, vertreten durch Rechtsanwalt C. Wolf,
der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz, D. Martin und F. Schatz als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, des Verbots jeglicher Altersdiskriminierung und des Vertrauensschutzes sowie von Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 45 AEUV und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Pohl und seinem ehemaligen Arbeitgeber, der ÖBB-Infrastruktur AG (im Folgenden: ÖBB), über die Frage, wie bei seiner fixen Einstellung zum 1. Juli 1977 der Stichtag für das Vorrücken auf der für diese Stelle geltenden Gehaltsskala zu ermitteln war und wie sich der ermittelte Stichtag auf seine Einstufung in die Gehaltsskala und auf die Berechnung seines Gehalts und seiner Pension auswirkt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Zweck der Richtlinie 2000/78 ist nach ihrem Art. 1 „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.
Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) der Richtlinie bestimmt:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.
(2) Im Sinne des Absatzes 1:
liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
...“
Art. 3 („Geltungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Im Rahmen der auf die [Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf
die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs;
...
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;
...“
Art. 6 („Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:
die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;
die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;
...“
Österreichisches Recht
§ 3 („Vorrückungsstichtag“) der Bundesbahn-Besoldungsordnung 1963 (BGBI. Nr. 170/1963) bestimmt:
„(1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass – unter Ausschluss der vor der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten und unter Beachtung der einschränkenden Bestimmungen der Abs. 4 bis 7 – dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden:
die im Abs. 2 angeführten Zeiten zur Gänze,
die sonstigen Zeiten zur Hälfte.
(2) Gemäß Abs. 1 lit. a sind voranzusetzen:
die Zeit, die in einer Beschäftigung mit mindestens der Hälfte des für Vollbeschäftigte vorgeschriebenen Ausmaßes in einem Dienstverhältnis zu den Österreichischen Bundesbahnen zurückgelegt worden ist. Das gleiche gilt für eine Zeit, die in einem Dienstverhältnis zu einer Landes- oder Privatbahn zurückgelegt worden ist, das durch eine der Dienstordnung für die Beamten der österreichischen Bundesbahnen gleichartige Dienstordnung geregelt war;
...“
§ 1480 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt:
„Forderungen von rückständigen jährlichen Leistungen, insbesondere Zinsen, … erlöschen in drei Jahren; das Recht selbst wird durch einen Nichtgebrauch von dreißig Jahren verjährt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Herr Pohl trat am 25. November 1974 bei der Rechtsvorgängerin von ÖBB ein und wurde dort am 1. Juli 1977 fix angestellt. Anlässlich der Fixanstellung legte die Rechtsvorgängerin als Stichtag für das Vorrücken von Herrn Pohl auf der für seine Stelle geltenden Gehaltsskala den 12. November 1971 fest. Dabei setzte sie dem Tag der Anstellung die bei ihr erbrachten Vordienstzeiten zur Gänze voran. Die übrigen Vordienstzeiten bei verschiedenen Unternehmen in Österreich ab Vollendung des 18. Lebensjahrs wurden nur zur Hälfte angerechnet. Die vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworbenen Vordienstzeiten wurden bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags nicht angerechnet.
Nach seiner Versetzung in den zeitlichen Ruhestand zum 4. März 2002 wurde Herr Pohl zum 4. März 2005 in den dauernden Ruhestand versetzt. Mit seiner letzten Vorrückung am 1. Januar 2002 wurde er in die Gehaltsgruppe der Stufe 15 eingestuft.
Mit einer am 2. August 2011 beim Landesgericht Innsbruck gegen ÖBB erhobenen Klage beantragte Herr Pohl die Feststellung, dass er zum 1. Januar 2002 in die Gehaltsstufe 16 vorgerückt ist. Hilfsweise beantragte er, ÖBB dazu zu verpflichten, ihm ab dem 1. Januar 2002 bis zum 4. März 2002 die Differenz des Aktivgehalts zwischen Gehaltsstufe 16 und Gehaltsstufe 15 sowie ab dem 5. März 2002 die Differenz zwischen den erhaltenen und den nach Gehaltsstufe 16 geschuldeten Ruhegenussleistungen zu zahlen.
Herr Pohl trug im Wesentlichen vor, dass bei der Ermittlung des Stichtags für das Vorrücken auf der für seine Stelle bei ÖBB geltenden Gehaltsskala die Vordienstzeiten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs und diejenigen von der Vollendung des 18. Lebensjahrs bis zum 24. November 1974 voll hätten berücksichtigt werden müssen. Wären diese Dienstzeiten bei der Ermittlung des Stichtags berücksichtigt worden, wäre er in Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der Bundesbahn-Besoldungsordnung 1963 vor seiner am 4. März 2002 erfolgten Versetzung in den zeitlichen Ruhestand in die Gehaltsstufe 16 gelangt.
Die Klage von Herrn Pohl wurde in erster Instanz vom Landesgericht Innsbruck abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung legte Herr Pohl Berufung beim vorlegenden Gericht ein.
Dieses führt aus, dass bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags von Herrn Pohl nach dem Zeitpunkt der Vollendung seines 18. Lebensjahrs zu differenzieren sei. Der Ausschluss der vor diesem Zeitpunkt liegenden Dienstzeiten bei der Berechnung des Stichtags im Zuge der Fixanstellung könnte eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters bedeuten. Die Anrechnung nur der halben Vordienstzeiten zwischen der Vollendung des 18. Lebensjahrs und dem 24. November 1974 könnte gegen den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 45 AEUV verstoßen.
Außerdem sei das Recht von Herrn Pohl, eine Neufestsetzung des Stichtags zu verlangen, aufgrund der nach dem nationalen Recht geltenden Verjährungsfrist verjährt. Infolgedessen seien nach dem nationalen Recht auch die von Herrn Pohl geltend gemachten Ansprüche auf Entgelt- und Pensionsnachzahlung verjährt.
Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Innsbruck das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht das Unionsrecht in seinem gegenwärtigen Stand, insbesondere
der allgemeine unionsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz,
der allgemeine Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung im Sinn des Art. 6 Abs. 3 EUV und des Art. 21 der Charta,
das Diskriminierungsverbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 AEUV,
die Richtlinie 2000/78
einer nationalen – teilweise gesetzlichen, teilweise kollektivvertraglichen – Regelung, die durch Vereinbarung zum Inhalt eines Einzelarbeitsvertrags wurde, entgegen, nach der die Vordienstzeiten von Arbeitnehmern im Bahntransportsektor, wenn sie vor dem 18. Lebensjahr erworben wurden, gar nicht und wenn sie nach Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben wurden, sofern sie nicht bei einem „quasi öffentlichen“ inländischen Unternehmen oder bei dem beklagten inländischen Arbeitgeber selbst zurückgelegt wurden, ohne Rücksicht auf die konkret erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse des Arbeitnehmers nur zur Hälfte angerechnet werden?
Falls Frage 1 bejaht wird: Spielt es bei der Berechnung des rückständigen Entgelts unter unionsrechtskonformer Anrechnung bisher unbeachteter Vordienstzeiten (vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zur Gänze und ab Vollendung des 18. Lebensjahrs bis zum Eintritt des Klägers bei der Beklagten mit der zweiten Hälfte) eine Rolle, dass die rechnerischen Vordienstzeiten in der Zeit vom 1. Dezember 1965 bis zum 24. November 1974 erworben wurden, also lange vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Union und vor der ersten Entscheidung zum unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz?
Falls Frage 1 bejaht wird: Steht das Unionsrecht in seinem gegenwärtigen Stand, insbesondere der Effektivitätsgrundsatz, nationalen Verjährungsvorschriften entgegen, nach denen der Anspruch eines Arbeitnehmers und später Pensionisten auf Entgeltnachzahlung und später Pensionsnachzahlung gegen seinen Arbeitgeber resultierend aus einer im Sinne der Frage 1 unionskonformen Anrechnung von ausländischen und vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworbenen Vordienstzeiten, den dieser nach nationalem Recht nicht hatte und objektiv erst mit Verkündung der Urteile vom 30. November 2000, Österreichischer Gewerkschaftsbund (C-195/98, Slg. 2000, I-10497), und vom 18. Juni 2009, Hütter (C-88/08, Slg. 2009, I-5325), geltend machen konnte, zur Gänze verjährt wäre?
Falls Frage 1 bejaht wird: Trifft einen Arbeitgeber im Bahntransportsektor mit rund 40000 Arbeitnehmern und einer mehrstufig hierarchisch gegliederten und räumlich flächendeckend ausgestalteten Organisation aus dem Unionsrecht in seinem gegenwärtigen Stand, insbesondere aus der horizontalen Wirkung des allgemeinen unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und/oder Diskriminierungsverbots der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Fürsorgepflicht, seine Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter über auch in der Tagespresse veröffentlichte Entscheidungen des Gerichtshofs in Kenntnis zu setzen, die eine vom Arbeitgeber bisher praktizierte Vordienstzeitenanrechnung als unionswidrig erscheinen lassen und die unter anderem zu Entgeltnachzahlungen führen können?
Mit Schreiben vom 17. Juli 2013 hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof einen Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 27. Juni 2013 übermittelt, mit dem dieser beschlossen hatte, dem Gerichtshof mehrere Fragen zu einer ähnlichen Problematik wie der hier in Rede stehenden zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Auf dieses Schreiben hin hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht um Mitteilung gebeten, ob es die mit seinem Beschluss vom 28. August 2012 vorgelegten Fragen ganz oder teilweise abändern oder zurückziehen möchte.
In Beantwortung dieses Schreibens hat das vorlegende Gericht mit am 22. August 2013 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangener Entscheidung folgende weitere Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht das Unionsrecht in seinem gegenwärtigen Stand, insbesondere
die Richtlinie 2000/78,
der allgemeine Grundsatz der Effektivität,
der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes
einer nationalen, gesetzlichen, am 27. Dezember 2011 rückwirkend zum 1. Januar 2004 eingeführten Regelung entgegen, die auf Unionsrecht, insbesondere auf das Urteil Hütter, gestützte Ansprüche auf altersdiskriminierungsfreie Anrechnung von Vordienstzeiten, die vor dem 18. Lebensjahr erworben wurden, und daraus resultierende Entgeltansprüche dadurch beseitigt, dass mit einer Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags gleichzeitig der Vorrückungszeitraum in den ersten drei Gehaltsgruppen um jeweils ein Jahr verlängert wird?
Zur dritten Vorlagefrage
Mit seiner dritten Frage, die zuerst zu beantworten ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der für das Recht eines Arbeitnehmers, eine Aufwertung der bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags zu berücksichtigenden Dienstzeiten zu verlangen, eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt, die mit dem Abschluss der Vereinbarung, aufgrund deren dieser Stichtag ermittelt wurde, oder mit der unrichtigen Gehaltseinstufung beginnt.
Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob davon auszugehen ist, dass diese Verjährungsfrist nicht mit dem Abschluss der Vereinbarung, in deren Rahmen der Stichtag ermittelt wurde, oder mit der unrichtigen Gehaltseinstufung, sondern mit dem Tag der Verkündung des Urteils Österreichischer Gewerkschaftsbund bzw. des Urteils Hütter beginnt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Dabei dürfen diese Verfahren nicht weniger günstig gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Grundsatz der Äquivalenz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. insbesondere Urteil vom 8. September 2011, Q-Beef und Bosschaert, C-89/10 und C-96/10, Slg. 2011, I-7819, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dazu ist festzustellen, dass das Unionsrecht keine Vorschriften über Fristen für die Rechtsverfolgung betreffend den Gleichbehandlungsgrundsatz enthält.
Folglich ist es insoweit Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, das Verfahren in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung unter Wahrung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität auszugestalten.
Der Äquivalenzgrundsatz verlangt nach ständiger Rechtsprechung, dass bei der Anwendung sämtlicher für Rechtsbehelfe geltenden Vorschriften nicht danach unterschieden wird, ob ein Verstoß gegen Unionsrecht oder gegen innerstaatliches Recht gerügt wird (Urteil vom 15. April 2010, Barth, C-542/08, Slg. 2010, I-3189, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten, dass die im nationalen Recht vorgesehene Verjährungsfrist von 30 Jahren unabhängig davon gilt, ob der geltend gemachte Rechtsverstoß das Unionsrecht oder das nationale Recht betrifft.
Eine solche Verjährungsregelung verstößt daher nicht gegen den Äquivalenzgrundsatz.
Was den Grundsatz der Effektivität angeht, hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht vereinbar ist, da solche Fristen nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteil Barth, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Bezüglich der Frage, ob sich der Zeitpunkt der Verkündung des Urteils Österreichischer Gewerkschaftsbund bzw. des Urteils Hütter auf den Beginn der im nationalen Recht festgelegten Verjährungsfrist auswirkt, ist zu beachten, dass durch die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erforderlichenfalls erläutert und verdeutlicht wird, in welchem Sinne und mit welcher Bedeutung diese Bestimmung seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Eine Vorabentscheidung ist, mit anderen Worten, nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur und wirkt daher grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ausgelegten Vorschrift zurück (Urteil vom 12. Februar 2008, Kempter, C-2/06, Slg. 2008, I-411, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat klargestellt, dass sich der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich nach dem nationalen Recht bestimmt und eine etwaige Feststellung des Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof für den Fristbeginn grundsätzlich unerheblich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Q-Beef und Bosschaert, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Zeitpunkt der Verkündung des Urteils Österreichischer Gewerkschaftsbund bzw. des Urteils Hütter wirkt sich daher nicht auf den Beginn der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verjährungsfrist aus und ist somit für die Beurteilung der Frage, ob im Rahmen der vorliegenden Rechtssache der Effektivitätsgrundsatz gewahrt ist, irrelevant.
Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, beginnt die Verjährungsfrist nach dem nationalen Recht mit dem Abschluss der Vereinbarung, aufgrund deren der Stichtag ermittelt wurde, oder mit der unrichtigen Gehaltseinstufung, d. h. im Ausgangsverfahren am 25. November 1974. Das vorlegende Gericht führt insoweit aus, dass der Anspruch von Herrn Pohl auf Neufestsetzung des Stichtags am 24. November 2004, d. h. geraume Zeit vor der Einleitung des Ausgangsverfahrens am 2. August 2011, verjährt sei.
Es ist nicht zu bestreiten, dass eine solche Frist im Sinne der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung eine angemessene Ausschlussfrist für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit darstellt.
Darüber hinaus ist angesichts des Umstands, dass die Klage von Herrn Pohl im Wesentlichen die Rechtmäßigkeit seines letzten Vorrückens auf der Gehaltsskala am 1. Januar 2002 betrifft, festzustellen, dass Herr Pohl nach dem nationalen Recht noch über knapp drei Jahre verfügte, um gegen die Entscheidung über sein letztes Vorrücken auf der Gehaltsskala zu klagen.
Im Übrigen ist – angenommen, Herr Pohl hätte seinen Anspruch auf Art. 45 AEUV oder auf die Richtlinie 2000/78 stützen können – zum einen darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift seit dem 1. Januar 1995, dem Tag des Beitritts der Republik Österreich zur Union, vor den österreichischen Gerichten hätte geltend gemacht werden können, also über eine Zeitspanne von fast zehn Jahren bis zum Ablauf der im Ausgangsverfahren fraglichen Verjährungsfrist. Zum anderen lief die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78 am 3. Dezember 2003 ab, so dass Herrn Pohl knapp ein Jahr blieb, um bei den österreichischen Gerichten eine Klage zur Geltendmachung seiner Rechte zu erheben. Unter diesen Umständen war im Ausgangsverfahren die im nationalen Recht vorgesehene 30-jährige Verjährungsfrist, die mit dem Abschluss der Vereinbarung, aufgrund deren der Stichtag ermittelt wurde, oder der unrichtigen Gehaltseinstufung begann, nicht geeignet, die Ausübung der Rechte, die Herrn Pohl gegebenenfalls nach dem Unionsrecht zustehen, praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.
Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass das Unionsrecht, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, nach der für das Recht eines Arbeitnehmers, eine Aufwertung der bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags zu berücksichtigenden Dienstzeiten zu verlangen, eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt, die mit dem Abschluss der Vereinbarung, aufgrund deren dieser Stichtag ermittelt wurde, oder mit der unrichtigen Gehaltseinstufung beginnt.
In Anbetracht der Antwort auf die dritte Frage und der Feststellung des vorlegenden Gerichts, dass das Recht von Herrn Pohl, eine Neufestsetzung des Stichtags zu verlangen, nach der im nationalen Recht vorgesehenen 30-jährigen Verjährungsfrist seit dem 24. November 2004 verjährt sei und seine Klage gegen die Entscheidung über sein letztes Vorrücken auf der Gehaltsskala damit zu spät komme, sind die anderen Vorlagefragen nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Das Unionsrecht, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, steht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, nach der für das Recht eines Arbeitnehmers, eine Aufwertung der bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags zu berücksichtigenden Dienstzeiten zu verlangen, eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt, die mit dem Abschluss der Vereinbarung, aufgrund deren dieser Stichtag ermittelt wurde, oder mit der unrichtigen Gehaltseinstufung beginnt.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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