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EuGH 19.12.2013 - C-174/12
EuGH 19.12.2013 - C-174/12 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) - 19. Dezember 2013 ( *1) - „Vorabentscheidungsersuchen — Gesellschaftsrecht — Zweite Richtlinie 77/91/EWG — Haftung einer Aktiengesellschaft wegen Verletzung ihrer Publizitätspflichten — Unrichtigkeit der in einem Zeichnungsprospekt enthaltenen Angaben — Umfang der Haftung — Regelung eines Mitgliedstaats, die die Rückzahlung des vom Erwerber für den Kauf von Aktien bezahlten Betrags vorsieht“
Leitsatz
In der Rechtssache C-174/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Handelsgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 26. März 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 12. April 2012, in dem Verfahren
Alfred Hirmann
gegen
Immofinanz AG,
Beteiligte:
Aviso Zeta AG,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), G. Arestis, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Herrn Hirmann, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Ganahl und J. Moyal,
der Immofinanz AG, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Zahradnik und B. Rieder,
der Aviso Zeta AG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Jank,
der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch als Bevollmächtigten,
der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und D. Tavares als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und R. Vasileva als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. September 2013
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung
der Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels [48 Abs. 2 EG] im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. 1977, L 26, S. 1), in der durch die Richtlinie 92/101/EWG des Rates vom 23. November 1992 (ABl. L 347, S. 64) geänderten Fassung (im Folgenden: Zweite Richtlinie),
von Art. 14 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) (ABl. L 96, S. 16, im Folgenden: Marktmissbrauchsrichtlinie),
der Art. 6 und 25 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 345, S. 64, im Folgenden: Prospektrichtlinie),
der Art. 7, 17 und 28 der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 390, S. 38, im Folgenden: Transparenzrichtlinie),
der Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels [48 Abs. 2 EG] im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 258, S. 11).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Hirmann und der Immofinanz AG (im Folgenden: Immofinanz) wegen einer Klage auf Aufhebung eines Geschäfts über den Erwerb von Aktien dieser Gesellschaft.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Der vierte Erwägungsgrund der Zweiten Richtlinie lautet:
„Die Gemeinschaft muss deshalb Vorschriften erlassen, um das Kapital als Sicherheit für die Gläubiger zu erhalten, indem insbesondere untersagt wird, dass das Kapital durch nicht geschuldete Ausschüttungen an die Aktionäre verringert wird, und indem die Möglichkeit einer Gesellschaft, eigene Aktien zu erwerben, begrenzt wird.“
Die Art. 12, 15, 16, 18 bis 20 und 42 der Zweiten Richtlinie sehen u. a. vor:
„Artikel 12
Unbeschadet der Vorschriften über die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals dürfen die Aktionäre nicht von der Verpflichtung befreit werden, ihre Einlage zu leisten.
…
Artikel 15
Ausgenommen in den Fällen einer Kapitalherabsetzung darf keine Ausschüttung an die Aktionäre erfolgen, wenn bei Abschluss des letzten Geschäftsjahres das Nettoaktivvermögen, wie es der Jahresabschluss ausweist, den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich der Rücklagen, deren Ausschüttung das Gesetz oder die Satzung nicht gestattet, durch eine solche Ausschüttung unterschreitet oder unterschreiten würde.
…
Der Begriff ‚Ausschüttung‘ unter den Buchstaben a) und c) umfasst insbesondere die Zahlung von Dividenden und von Zinsen für Aktien.
…
Artikel 16
Jede Ausschüttung, die entgegen Artikel 15 erfolgt, ist von den Aktionären, die sie empfangen haben, zurückzugewähren, wenn die Gesellschaft beweist, dass diesen Aktionären die Unzulässigkeit der an sie erfolgten Ausschüttung bekannt war oder sie darüber nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnten.
…
Artikel 18
(1) Die Gesellschaft darf keine eigenen Aktien zeichnen.
…
Artikel 19
(1) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einer Gesellschaft den Erwerb eigener Aktien, sei es selbst, sei es durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person, so unterwerfen sie diesen Erwerb mindestens folgenden Bedingungen:
Die Genehmigung für den Erwerb wird von der Hauptversammlung erteilt, welche die Einzelheiten des vorgesehenen Erwerbs und insbesondere die Höchstzahl der zu erwerbenden Aktien, die Geltungsdauer der Genehmigung, die achtzehn Monate nicht überschreiten darf, und bei entgeltlichem Erwerb den niedrigsten und höchsten Gegenwert festlegt. …
…
Artikel 20
(1) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 19 nicht anzuwenden
…
auf Aktien, die auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder einer gerichtlichen Entscheidung … erworben werden;
…
Artikel 42
Für die Anwendung dieser Richtlinie müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden.“
Art. 14 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie bestimmt:
„Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, sorgen die Mitgliedstaaten entsprechend ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht dafür, dass bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen verhängt werden können. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.“
Die Prospektrichtlinie hat nach ihrem zehnten Erwägungsgrund zum Ziel, den Anlegerschutz und die Markteffizienz sicherzustellen.
In den Art. 6 und 25 Abs. 1 der Prospektrichtlinie heißt es:
„Artikel 6
Prospekthaftung
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass je nach Fall zumindest der Emittent oder dessen Verwaltungs-, Management- bzw. Aufsichtsstellen, der Anbieter, die Person, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, oder der Garantiegeber für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben haftet. Die verantwortlichen Personen sind im Prospekt eindeutig unter Angabe ihres Namens und ihrer Stellung ‐ bei juristischen Personen ihres Namens und ihres Sitzes ‐ zu nennen [und müssen] eine Erklärung [abgeben], dass ihres Wissens die Angaben in dem Prospekt richtig sind und darin keine Tatsachen verschwiegen werden, die die Aussage des Prospekts verändern können.
…
Artikel 25
Sanktionen
(1) Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, und unbeschadet ihrer zivilrechtlichen Haftungsvorschriften stellen die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht sicher, dass gegen Personen, die eine Missachtung der zur Durchführung dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen zu verantworten haben, angemessene Verwaltungsmaßnahmen getroffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden können. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.
…“
Die Art. 7, 17 Abs. 1 und 28 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie bestimmen:
„Artikel 7
Verantwortung und Haftung
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verantwortung für die in den Artikeln 4, 5, 6 und 16 vorgeschriebene Zusammenstellung und Veröffentlichung der Informationen zumindest beim Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan liegt und dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf die Emittenten, die in diesem Artikel genannten Organe oder die beim Emittenten verantwortlichen Personen anwendbar sind.
…
Artikel 17
Informationspflichten der Emittenten von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien
(1) Ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, muss allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.
…
Artikel 28
Sanktionen
(1) Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, stellen die Mitgliedstaaten entsprechend ihrem jeweiligen nationalen Recht sicher, dass bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen zumindest geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder zivil- und/oder verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängt werden können. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.
…“
Nach dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/101 ist es, um die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen der Gesellschaft und Dritten sowie im Verhältnis der Gesellschafter untereinander zu gewährleisten, erforderlich, die Fälle der Nichtigkeit sowie die Rückwirkung der Nichtigerklärung zu beschränken und für den Einspruch Dritter gegen diese Erklärung eine kurze Frist vorzuschreiben.
In Art. 12 der Richtlinie 2009/101 heißt es:
„Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bedingungen regeln:
Die Nichtigkeit muss durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden;
die Nichtigkeit kann nur in den unter den Ziffern i bis vi vorgesehenen Fällen ausgesprochen werden:
…
Abgesehen von diesen Nichtigkeitsfällen können die Gesellschaften aus keinem Grund inexistent, absolut oder relativ nichtig sein oder für nichtig erklärt werden.“
Art. 13 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Nach Artikel 3 bestimmt sich, ob eine gerichtliche Entscheidung, in der die Nichtigkeit ausgesprochen wird, Dritten entgegengesetzt werden kann. Sehen die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften einen Einspruch Dritter vor, so ist dieser nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung zulässig.
(2) Die Nichtigkeit bewirkt, dass die Gesellschaft in Liquidation tritt, wie dies bei der Auflösung der Fall sein kann.
(3) Unbeschadet der Wirkungen, die sich daraus ergeben, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet, beeinträchtigt die Nichtigkeit als solche die Gültigkeit von Verpflichtungen nicht, die die Gesellschaft eingegangen ist oder die ihr gegenüber eingegangen wurden.
(4) Die Regelung der Wirkungen der Nichtigkeit im Verhältnis der Gesellschafter untereinander bleibt den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats überlassen.
(5) Die Inhaber von Anteilen oder Aktien bleiben zur Einzahlung des gezeichneten, aber noch nicht eingezahlten Kapitals insoweit verpflichtet, als die den Gläubigern gegenüber eingegangenen Verpflichtungen dies erfordern.“
Österreichisches Recht
§ 5 des Kapitalmarktgesetzes vom 6. Dezember 1991 (BGBl. Nr. 625/1991) sieht vor:
„(1) Erfolgt ein prospektpflichtiges Angebot ohne vorhergehende Veröffentlichung eines Prospekts oder der Angaben nach § 6, so können Anleger, die Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG [Konsumentenschutzgesetz] sind, von ihrem Angebot oder vom Vertrag zurücktreten.
…
(4) Das Rücktrittsrecht nach Abs. 1 erlischt mit Ablauf einer Woche nach dem Tag, an dem der Prospekt oder die Angaben nach § 6 veröffentlicht wurden.“
§ 6 Abs. 2 dieses Gesetzes bestimmt:
„Anleger, die nach dem Eintritt eines Umstandes, einer Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit im Sinne des Abs. 1, aber vor Veröffentlichung des darauf bezogenen Nachtrages bereits einen Erwerb oder eine Zeichnung der Wertpapiere oder Veranlagungen zugesagt haben, haben das Recht, ihre Zusagen innerhalb einer Frist von zwei Bankarbeitstagen nach Veröffentlichung des Nachtrags zurückzuziehen. § 5 ist sinngemäß anzuwenden. Handelt es sich bei den Anlegern hingegen um Verbraucher im Sinne von § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG, so ist auch die in § 5 Abs. 4 genannte Frist anzuwenden.“
In § 11 Abs. 1 und 6 des Kapitalmarktgesetzes heißt es:
„(1) Jedem Anleger haften für den Schaden, der ihm im Vertrauen auf die Prospektangaben oder die sonstigen nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Angaben (§ 6), die für die Beurteilung der Wertpapiere oder Veranlagungen erheblich sind, entstanden ist,
der Emittent für durch eigenes Verschulden oder durch Verschulden seiner Leute oder sonstiger Personen, deren Tätigkeit zur Prospekterstellung herangezogen wurde, erfolgte unrichtige oder unvollständige Angaben,
…
(6) Die Höhe der Haftpflicht gegenüber jedem einzelnen Anleger ist, sofern das schädigende Verhalten nicht auf Vorsatz beruhte, begrenzt durch den von ihm bezahlten Erwerbspreis, zuzüglich Spesen und Zinsen ab Zahlung des Erwerbspreises. …“
§ 52 des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 (BGBl. I 98/1965, S. 1089) in der durch das Gesetz vom 22. September 2005 (BGBl. I 2005, S. 2802) geänderten Fassung sieht vor:
„Den Aktionären dürfen die Einlagen nicht zurückgewährt werden; sie haben, solange die Gesellschaft besteht, nur Anspruch auf den Bilanzgewinn, der sich aus der Jahresbilanz ergibt, soweit er nicht nach Gesetz oder Satzung von der Verteilung ausgeschlossen ist. Als Rückgewähr von Einlagen gilt nicht die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien (§§ 65, 66).“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Am 7. Januar 2005 erwarb Herr Hirmann Aktien von Immofinanz für 10013,75 Euro. Der Erwerb, der von der Aviso Zeta AG (im Folgenden: Aviso Zeta), einer Finanzgesellschaft, vermittelt wurde, erfolgte auf dem Sekundärmarkt, nicht im Zuge einer Kapitalerhöhung. Der Kaufpreis wurde vom Erwerber an Aviso Zeta bezahlt, und die betreffenden Aktien wurden bei dieser Gesellschaft auf einem auf Herrn Hirmann lautenden Wertpapierdepot verbucht.
Im Ausgangsverfahren wirft Herr Hirmann Immofinanz illegale Kursstützungsmaßnahmen vor. Deren Aktien seien über konzerninterne Tochtergesellschaften von Aviso Zeta, die auch Immofinanz beherrsche, zur Marktmanipulation angekauft worden.
Herr Hirmann führt außerdem aus, er habe die Aktien auf Grundlage des seinerzeit aktuellen Kapitalmarktprospekts von Immofinanz erworben. In diesem Prospekt habe die Gesellschaft nämlich dargelegt, der Erwerb ihrer Aktien sei ein sicheres und risikoloses Investment. Der Prospekt habe jedoch unvollständige, falsche und irreführende Angaben enthalten. Deshalb seien gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder von Immofinanz strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden und die entsprechenden Verfahren anhängig.
Unter diesen Umständen beantragte Herr Hirmann beim vorlegenden Gericht die schadensersatzrechtliche Rückabwicklung des Aktienankaufsvertrags. Hierzu stellte er u. a. den Antrag, Immofinanz zur Rückzahlung eines dem damaligen Kaufpreis der Aktien entsprechenden Betrags zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen die Rückübertragung der Aktien auf Immofinanz zu verurteilen.
Nach Auffassung von Immofinanz verstößt dieses Begehren gegen zwingende aktienrechtliche Grundsätze des nationalen und europäischen Rechts insbesondere in Bezug auf das Erfordernis der Kapitalerhaltung von Aktiengesellschaften. Die Haftung der Gesellschaft gegenüber Herrn Hirmann würde zum Schutz eines einzelnen Aktionärs auf dem Rücken aller übrigen Aktionäre und auch ihrer Gläubiger führen.
Da das Handelsgericht Wien der Ansicht ist, dass es für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits einer Auslegung des Unionsrechts bedarf, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist eine nationale Regel, die eine Haftung einer Aktiengesellschaft als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien wegen Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten gemäß der folgenden Regelungen in
Art. 6 und 25 der Prospektrichtlinie;
Art. 7, 17 und 28 der Transparenzrichtlinie;
Art. 14 der Marktmissbrauchsrichtlinie
vorsieht, mit den Art. 12, 15, 16, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie vereinbar?
Sind die Bestimmungen der Art. 12, 15, 16, insbesondere 18 und 19 sowie 42 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die beinhaltet, dass eine Aktiengesellschaft im Zuge dieser in Punkt 1 genannten Haftung dem Erwerber den Erwerbspreis vergüten und die erworbenen Aktien zurücknehmen muss?
Sind die Bestimmungen der Art. 12, 15, 16, 18, 19 sowie 42 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen, dass eine solche in Punkt 1 genannte Haftung der Aktiengesellschaft
auch das gebundene Vermögen der Aktiengesellschaft (gezeichnetes Kapital und Rücklagen im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Zweiten Richtlinie) umfassen kann bzw.
auch bestehen kann, wenn sie die Insolvenz der Aktiengesellschaft zur Folge haben kann?
Sind die Bestimmungen der Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die eine rückwirkende Aufhebung des Anteilserwerbs vorsieht, so dass im Fall einer Aufhebung des Aktienankaufsvertrags von einer Ex-nunc-Wirkung auszugehen ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 15. April 2010, E. Friz, C-215/08, Slg. 2010, I-2947)?
Sind die Bestimmungen der Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie und der Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 dahin auszulegen, dass die Haftung auf den Wert der Aktien – im Fall einer börsennotierten Gesellschaft somit den Börsenkurs der Aktien – beschränkt ist, den diese im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs haben, so dass der Aktionär unter Umständen weniger als den ursprünglich bezahlten Preis seiner Aktien zurückerhält?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten und zur zweiten Frage
Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die im Rahmen der Umsetzung der Prospekt-, der Transparenz- und der Marktmissbrauchsrichtlinie zum einen die Haftung einer Aktiengesellschaft als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien dieser Gesellschaft wegen Verletzung von Informationspflichten gemäß den genannten Richtlinien vorsieht und zum anderen die Verpflichtung der Aktiengesellschaft beinhaltet, aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen.
Ziel der Bestimmungen der Zweiten Richtlinie, auf die in den ersten beiden Fragen Bezug genommen wird, ist es im Wesentlichen, die Erhaltung des Kapitals von Aktiengesellschaften und die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherzustellen.
Was das Ziel der Kapitalerhaltung betrifft, ist nach dem zweiten Erwägungsgrund der Zweiten Richtlinie die Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Aufrechterhaltung, die Erhöhung und die Herabsetzung ihres Kapitals vor allem bedeutsam, um beim Schutz der Aktionäre einerseits und der Gläubiger der Gesellschaft andererseits ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit sicherzustellen. Nach dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie soll diese das Kapital als Sicherheit für die Gläubiger erhalten, indem insbesondere untersagt wird, dass das Kapital durch nicht geschuldete Ausschüttungen an die Aktionäre verringert wird, und indem die Möglichkeit einer Gesellschaft, eigene Aktien zu erwerben, begrenzt wird. Diese Beschränkung ist insbesondere durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, den Schutz der Aktionäre und der Gläubiger gegen Marktverhalten sicherzustellen, das das Gesellschaftskapital herabsetzen und den Aktienkurs künstlich in die Höhe treiben kann.
Zu diesem Zweck sieht die Zweite Richtlinie im Wesentlichen Folgendes vor: die Verpflichtung der Aktionäre, ihre Einlage zu leisten (Art. 12), das Verbot für die Gesellschaft, diese zurückzugewähren (Art. 15), die Verpflichtung der Aktionäre, Ausschüttungen, die entgegen Art. 15 der Richtlinie erfolgt sind, zurückzugewähren (Art. 16), das Verbot für die Gesellschaft, eigene Aktien zu halten (Art. 18), und die Voraussetzungen, unter denen eine Ausnahme von diesem Verbot gemacht werden kann (Art. 19).
Was darüber hinaus das Ziel der Gleichbehandlung der Aktionäre angeht, müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten nach Art. 42 der Zweiten Richtlinie für deren Anwendung die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden.
Sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Zweck sollen die in den beiden vorstehenden Randnummern genannten Bestimmungen nur die rechtlichen Beziehungen zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären regeln, die sich ausschließlich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben und nur das Innenverhältnis der Gesellschaft betreffen.
Folglich können die in Rede stehenden Bestimmungen der Zweiten Richtlinie, wie Herr Hirmann, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission geltend machen, einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die den Grundsatz aufstellt, dass eine emittierende Gesellschaft wegen der Verbreitung unrichtiger Angaben unter Verstoß gegen das Kapitalmarktrecht haftet und aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzahlen und die Aktien zurücknehmen muss.
Bei einer solchen Fallgestaltung ergibt sich die Haftung der betreffenden Gesellschaft gegenüber den Anlegern, die auch ihre Aktionäre sind, wegen der von ihr vor oder beim Erwerb ihrer Aktien begangenen Unregelmäßigkeiten nämlich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag und betrifft nicht allein das Innenverhältnis der Gesellschaft. Es handelt sich dabei um eine Haftung, die aus dem Aktienankaufsvertrag resultiert.
Des Weiteren ist zu dem in Art. 42 der Zweiten Richtlinie verankerten Grundsatz, wonach die Aktionäre gleich zu behandeln sind, festzustellen, dass sich Aktionäre, denen wegen einer von der Gesellschaft vor oder beim Erwerb ihrer Aktien begangenen Pflichtwidrigkeit ein Schaden entstanden ist, nicht in derselben Lage befinden wie Aktionäre derselben Gesellschaft, deren Rechtsstellung von dieser Pflichtwidrigkeit nicht berührt ist.
Gerade deshalb darf eine Gesellschaft nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Zweiten Richtlinie u. a. aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung eigene Aktien erwerben. Bei einem solchen Erwerb kann nicht davon ausgegangen werden, dass er die Herabsetzung des Gesellschaftskapitals oder die künstliche Erhöhung des Aktienkurses zum Ziel hat.
Eine Zahlung, die eine Gesellschaft an einen Aktionär wegen von ihr vor oder beim Erwerb ihrer Aktien begangener Unregelmäßigkeiten vornimmt, stellt demnach keine Kapitalausschüttung im Sinne von Art. 15 der Zweiten Richtlinie dar und unterliegt somit nicht den Bedingungen dieses Artikels.
Das Vorbringen von Immofinanz in der mündlichen Verhandlung, wonach Art. 15 der Zweiten Richtlinie einer zivilrechtlichen Haftungsklage eines Anlegers gegen eine Gesellschaft entgegenstehe, die ihn durch die Verbreitung irreführender Angaben getäuscht habe, kann daher nicht durchgreifen.
Auch der Fall, dass eine Gesellschaft die Aktien eines Anlegers, der diese auf der Grundlage unrichtiger Angaben, deren Verbreitung die Gesellschaft zu vertreten hat, erworben hatte, zurücknimmt, kann nicht in den Anwendungsbereich von Art. 18 der Zweiten Richtlinie fallen. Ein solcher Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft ergibt sich aus der gesetzlichen Verpflichtung, dem geschädigten Anleger Schadensersatz zu leisten; eine derartige Verpflichtung liegt außerhalb der ratio legis von Art. 18.
Außerdem geht aus der Vorlageentscheidung und insbesondere aus dem Wortlaut der Vorlagefragen hervor, dass mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung u. a. die Art. 6 und 25 der Prospektrichtlinie, die Art. 7, 17 und 28 der Transparenzrichtlinie und Art. 14 der Marktmissbrauchsrichtlinie in das nationale Recht umgesetzt werden sollen.
Nach Art. 6 Abs. 1 der Prospektrichtlinie stellen die Mitgliedstaaten insbesondere sicher, dass zumindest der Emittent für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben haftet.
Darüber hinaus stellen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 der Transparenzrichtlinie sicher, dass die Verantwortung für die in dieser Richtlinie vorgeschriebene Zusammenstellung und Veröffentlichung der Informationen zumindest beim Emittenten liegt. Nach Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie muss der Emittent allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.
Eine nationale Regelung, die die Haftung einer Aktiengesellschaft als Emittentin von Wertpapieren gegenüber einem Anleger bei Verletzung ihrer Informationspflichten vorsieht, genügt den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 der Prospektrichtlinie und von Art. 7 der Transparenzrichtlinie, ohne dass der in Art. 17 Abs. 1 der letztgenannten Richtlinie verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung in Frage gestellt würde.
Außerdem stellen die Mitgliedstaaten insbesondere nach Art. 25 Abs. 1 der Prospektrichtlinie, Art. 28 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie und Art. 14 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie, die ähnlich formuliert sind, unbeschadet ihres Rechts, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht sicher, dass bei Verstößen gegen die gemäß diesen Richtlinien erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden können, wobei diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.
Zwar beziehen sich Art. 28 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie und Art. 14 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie – anders als Art. 25 Abs. 1 der Prospektrichtlinie – nicht ausdrücklich auf die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften der Mitgliedstaaten, doch hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass, was die Zuerkennung von Schadensersatz und die eventuelle Gewährung von Strafschadensersatz betrifft, die Bestimmung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des Schadensersatzes in Ermangelung einschlägiger Unionsvorschriften Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats ist, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind (vgl. entsprechend Urteile vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619, Randnr. 92, sowie vom 6. Juni 2013, Donau Chemie u. a., C-536/11, Randnrn. 25 bis 27).
Nach alledem verfügen die Mitgliedstaaten somit vorbehaltlich der Beachtung des Unionsrechts über einen weiten Spielraum bei der Wahl der Sanktionen für Verstöße emittierender Gesellschaften gegen ihre Verpflichtungen aus den genannten Richtlinien.
Daraus folgt auch, dass die Wahl der zivilrechtlichen Abhilfemaßnahme bei einer Haftung des Aktienemittenten Sache der Mitgliedstaaten ist.
Im vorliegenden Fall stellen die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung eine angemessene Abhilfe für den dem Anleger entstandenen Schaden sowie die Verletzung der Informationspflicht des Emittenten dar. Außerdem sind sie geeignet, Emittenten davon abzuhalten, Anleger in die Irre zu führen.
Die Einführung solcher Haftungsvorschriften hält sich somit im Rahmen des den Mitgliedstaaten zustehenden Gestaltungsspielraums und verstößt nicht gegen das Unionsrecht.
Auf die erste und die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die im Rahmen der Umsetzung der Prospekt-, der Transparenz- und der Marktmissbrauchsrichtlinie zum einen die Haftung einer Aktiengesellschaft als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien dieser Gesellschaft wegen Verletzung von Informationspflichten gemäß den genannten Richtlinien vorsieht und zum anderen die Verpflichtung der Aktiengesellschaft beinhaltet, aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen.
Zur dritten Frage
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie es verbieten, dass die Verpflichtung der emittierenden Gesellschaft, dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen, nach der nationalen Regelung auch das gebundene Vermögen der Gesellschaft (gezeichnetes Kapital und Rücklagen) umfassen bzw. deren Insolvenz zur Folge haben kann.
Wie die Generalanwältin in Nr. 84 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hat diese Frage rein hypothetischen Charakter, da das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen nicht erläutert hat, weshalb die Beantwortung dieser Frage für die Entscheidung im Ausgangsverfahren sachdienlich sein könne, und lediglich allgemein auf die Gefahr einer möglichen Insolvenz der emittierenden Gesellschaft verwiesen hat.
Daher ist die dritte Frage nicht zu beantworten.
Zur vierten Frage
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die rückwirkende Aufhebung des Aktienankaufsvertrags vorsieht.
In Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/101 sind die Bedingungen, unter denen die Nichtigkeit von Gesellschaften durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden kann, abschließend aufgeführt. Gemäß Art. 12 Abs. 2 können Gesellschaften abgesehen von den Nichtigkeitsfällen nach Abs. 1 aus keinem Grund inexistent, absolut oder relativ nichtig sein oder für nichtig erklärt werden.
Art. 13 der Richtlinie 2009/101 legt u. a. die Folgen dieser Nichtigkeit fest.
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung stellt den Grundsatz auf, dass eine emittierende Gesellschaft wegen der Verbreitung unrichtiger Angaben unter Verstoß gegen das Kapitalmarktrecht haftet und aufgrund dieser Haftung verpflichtet ist, dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen.
Diese Regelung soll u. a. sicherstellen, dass der Geschädigte in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich vor der schädigenden Handlung befand, indem zum einen dem Erwerber der für den Erwerb der Aktien entrichtete Betrag zuzüglich Zinsen zurückgezahlt werden muss und zum anderen diese Aktien wie die übrigen Aktien im Kapital der betreffenden Gesellschaft verbleiben müssen.
Daraus folgt, dass Vorschriften über die Haftung von Gesellschaften wegen Verstoßes gegen bestimmte kapitalmarktrechtliche Vorschriften keinerlei Bezug zu den Verfahren über die Nichtigkeit von Gesellschaften haben, wie sie sich aus den Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 ergeben.
Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende rückwirkende Aufhebung des Aktienankaufsvertrags nicht die Nichtigkeit der Gesellschaft zur Folge haben kann, sind die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 für die vierte Frage des vorlegenden Gerichts somit unerheblich.
Das vorlegende Gericht fragt sich insbesondere, ob im vorliegenden Fall die mit dem Urteil E. Friz begründete Rechtsprechung herangezogen werden kann.
In diesem Urteil hatte der Gerichtshof über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, die an den Widerruf des Beitritts eines Verbrauchers zu einem Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft lediglich Ex-nunc-Wirkungen knüpfte, mit der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31) zu entscheiden.
Der Gerichtshof hat in Randnr. 44 des Urteils E. Friz darauf hingewiesen, dass der durch die Richtlinie 85/577 garantierte Verbraucherschutz nicht absolut ist, und dann in Randnr. 50 dieses Urteils entschieden, dass diese Richtlinie einer mit Ex-nunc-Wirkung ausgesprochenen Aufhebung des Vertrags nicht entgegensteht.
Hierzu ist festzustellen, dass der dem Urteil E. Friz zugrunde liegende Sachverhalt mit dem des Ausgangsverfahrens nicht vergleichbar war.
In der dem Urteil E. Friz zugrunde liegenden Rechtssache beruhte der Widerruf des für den Beitritt zu einem Immobilienfonds unterzeichneten Vertrags durch den Verbraucher nämlich nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Vertragspartners, sondern allein auf der Ausübung eines allen Verbrauchern in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/577 eingeräumten Rechts, Verträge zu widerrufen, die bei einem Besuch eines Gewerbetreibenden in ihrer Wohnung abgeschlossen wurden.
Vor diesem Hintergrund konnte der Gerichtshof in den Randnrn. 46 bis 48 des Urteils E. Friz davon ausgehen, dass die Richtlinie 85/577 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regel nicht entgegenstand, da diese entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen sollte. Im Übrigen hatte der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich sowohl aus Sinn und Zweck als auch aus dem Wortlaut einiger Bestimmungen dieser Richtlinie ergibt, dass für den Verbraucherschutz bestimmte Grenzen gelten (vgl. Urteil vom 10. April 2008, Hamilton, C-412/06, Slg. 2008, I-2383, Randnrn. 39 und 40).
Im Ausgangsverfahren steht hingegen fest, dass die Aufhebung des Aktienankaufsvertrags allein auf von der emittierenden Gesellschaft begangenen Unregelmäßigkeiten beruht, durch die dem Erwerber ein Schaden entstanden ist. In diesem Fall ist es nicht gerechtfertigt, das im Urteil E. Friz angeführte Kriterium eines vernünftigen Ausgleichs und einer gerechten Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten als Maßstab für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift mit dem Unionsrecht heranzuziehen.
Deshalb ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die rückwirkende Aufhebung eines Aktienankaufsvertrags vorsieht.
Zur fünften Frage
Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie sowie die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 dahin auszulegen sind, dass die Haftung gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung auf den Wert der Aktien beschränkt ist, der sich im Fall einer börsennotierten Gesellschaft nach dem Börsenkurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimmt.
Was erstens die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 betrifft, genügt der Hinweis, dass der Gerichtshof in Randnr. 54 des vorliegenden Urteils festgestellt hat, dass Vorschriften über die Haftung von Gesellschaften wegen Verstoßes gegen bestimmte kapitalmarktrechtliche Vorschriften keinerlei Bezug zu den Verfahren über die Nichtigkeit von Gesellschaften aufweisen.
Daraus ergibt sich, dass diese Artikel, die nur die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags betreffen, für die Beurteilung der Frage des Umfangs der Haftung solcher Gesellschaften nicht relevant sind. Ihre Auslegung kann keinesfalls das Vorbringen von Immofinanz stützen, wonach die Haftung der Gesellschaft im Ausgangsverfahren unbedingt auf den Wert ihrer Aktien zu beschränken sei, der sich im Fall einer börsennotierten Gesellschaft nach dem Börsenkurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimme.
Was zweitens die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie angeht, so konnte aufgrund ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Rahmen der ersten beiden Vorlagefragen in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils festgestellt werden, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen können, die den Grundsatz aufstellt, dass eine emittierende Gesellschaft für die Verbreitung unrichtiger Angaben unter Verstoß gegen das Kapitalmarktrecht haftet und aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzahlen und die Aktien zurücknehmen muss.
Außerdem ist der Gerichtshof in Randnr. 44 des vorliegenden Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Einführung solcher zivilrechtlicher Haftungsvorschriften im Rahmen des den Mitgliedstaaten nach der Prospekt-, der Transparenz- und der Marktmissbrauchsrichtlinie zustehenden Gestaltungsspielraums hält und nicht gegen das Unionsrecht verstößt.
Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Wahl zwischen zivilrechtlichen Haftungsvorschriften, nach denen dem Erwerber ein dem Kaufpreis der Aktien entsprechender Betrag zuzüglich Zinsen zurückzuzahlen ist, und Vorschriften, die die Haftung auf die Zahlung des Aktienpreises im Zeitpunkt der Erhebung des Schadensersatzanspruchs beschränken, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.
Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie sowie die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 dahin auszulegen sind, dass die Haftung gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nicht zwangsläufig auf den Wert der Aktien beschränkt ist, der sich im Fall einer börsennotierten Gesellschaft nach dem Börsenkurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimmt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels [48 Abs. 2 EG] im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, in der durch die Richtlinie 92/101/EWG des Rates vom 23. November 1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die im Rahmen der Umsetzung der Richtlinien
2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG,
2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG
und 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)
zum einen die Haftung einer Aktiengesellschaft als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien dieser Gesellschaft wegen Verletzung von Informationspflichten gemäß den genannten Richtlinien vorsieht und zum anderen die Verpflichtung der Aktiengesellschaft beinhaltet, aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen.
Die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels [48 Abs. 2 EG] im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die rückwirkende Aufhebung eines Aktienankaufsvertrags vorsieht.
Die Art. 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie 77/91 in der durch die Richtlinie 92/101 geänderten Fassung sowie die Art. 12 und 13 der Richtlinie 2009/101 sind dahin auszulegen, dass die Haftung gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nicht zwangsläufig auf den Wert der Aktien beschränkt ist, der sich im Fall einer börsennotierten Gesellschaft nach dem Börsenkurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimmt.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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