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EuGH 03.06.2021 - C-931/19
EuGH 03.06.2021 - C-931/19 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer) - 3. Juni 2021 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 43 und 45 – Richtlinie 2006/112/EG in der durch die Richtlinie 2008/8/EG geänderten Fassung – Art. 44, 45 und 47 – Dienstleistungen – Steuerlicher Anknüpfungspunkt – Begriff der festen Niederlassung – Vermietung einer Immobilie in einem Mitgliedstaat – Immobilieneigentümerin mit Gesellschaftssitz auf der Insel Jersey“
Leitsatz
In der Rechtssache C-931/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzgericht (Österreich) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Dezember 2019, in dem Verfahren
Titanium Ltd
gegen
Finanzamt Österreich, zuvor Finanzamt Wien,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und C. Lycourgos,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, F. Koppensteiner und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Mantl und R. Lyal als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) und der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Titanium Ltd mit Sitz auf Jersey und dem Finanzamt Österreich, zuvor Finanzamt Wien (Österreich) (im Folgenden: Finanzamt), wegen der Erhebung von Umsatzsteuer auf Einkünfte aus der Vermietung einer in Österreich belegenen Immobilie für die Steuerjahre 2009 und 2010.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2006/112
Titel V („Ort des steuerbaren Umsatzes“) der Richtlinie 2006/112 enthielt u. a. ein Kapitel 3 („Ort der Dienstleistung“), das die Art. 43 bis 59 dieser Richtlinie umfasste.
Art. 43 der Richtlinie lautete:
„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort.“
Art. 45 der Richtlinie 2006/112 bestimmte:
„Als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück, einschließlich der Dienstleistungen von Grundstücksmaklern und -sachverständigen, sowie einer Dienstleistung zur Vorbereitung oder Koordinierung von Bauleistungen, wie z. B. Dienstleistungen von Architekten und Bauaufsichtsbüros, gilt der Ort, an dem das Grundstück gelegen ist.“
Art. 193 dieser Richtlinie sah vor:
„Die Mehrwertsteuer schuldet der Steuerpflichtige, der Gegenstände steuerpflichtig liefert oder eine Dienstleistung steuerpflichtig erbringt, außer in den Fällen, in denen die Steuer gemäß den Artikeln 194 bis 199 sowie 202 von einer anderen Person geschuldet wird.“
Art. 194 der Richtlinie lautete:
„(1) Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem Steuerpflichtigen bewirkt, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Person, für die die Lieferung bzw. Dienstleistung bestimmt ist, die Steuer schuldet.
(2) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen für die Anwendung des Absatzes 1 fest.“
Art. 196 der Richtlinie 2006/112 bestimmte:
„Die Mehrwertsteuer schuldet der steuerpflichtige Dienstleistungsempfänger im Sinne des Artikels 56 oder der in dem Mitgliedstaat, in dem die Steuer geschuldet wird, für Mehrwertsteuerzwecke erfasste Dienstleistungsempfänger im Sinne der Artikel 44, 47, 50, 53, 54 und 55, wenn die Dienstleistung von einem nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird.“
Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung
Die Richtlinie 2008/8 änderte die Richtlinie 2006/112, insbesondere ihre Bestimmungen in Titel V Kapitel 3 sowie ihren Art. 196, mit Wirkung vom 1. Januar 2010.
Art. 44 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung lautet:
„Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängers.“
Art. 45 dieser geänderten Richtlinie sieht vor:
„Als Ort einer Dienstleistung an einen Nichtsteuerpflichtigen gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch von der festen Niederlassung des Dienstleistungserbringers, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, aus erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des Dienstleistungserbringers.“
Art. 47 der Richtlinie in der geänderten Fassung bestimmt:
„Als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück, einschließlich der Dienstleistungen von Sachverständigen und Grundstücksmaklern, der Beherbergung in der Hotelbranche oder in Branchen mit ähnlicher Funktion, wie zum Beispiel in Ferienlagern oder auf einem als Campingplatz hergerichteten Gelände, der Einräumung von Rechten zur Nutzung von Grundstücken sowie von Dienstleistungen zur Vorbereitung und Koordinierung von Bauleistungen, wie z. B. die Leistungen von Architekten und Bauaufsichtsunternehmen, gilt der Ort, an dem das Grundstück gelegen ist.“
Die Art. 193 und 194 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung stimmen mit den Art. 193 und 194 der Richtlinie 2006/112 überein.
Art. 196 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung lautet:
„Die Mehrwertsteuer schuldet der Steuerpflichtige oder die nicht steuerpflichtige juristische Person mit einer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, für den/die eine Dienstleistung nach Artikel 44 erbracht wird, wenn die Dienstleistung von einem nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird.“
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011
Im 14. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 (ABl. 2011, L 77, S. 1) wird ausgeführt:
„Um die einheitliche Anwendung der Regeln für die Bestimmung des Ortes der steuerbaren Umsätze sicherzustellen, sollten der Begriff des Ortes, an dem ein Steuerpflichtiger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, und der Begriff der festen Niederlassung, des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltsortes klargestellt werden. Die Zugrundelegung möglichst klarer und objektiver Kriterien sollte die praktische Anwendung dieser Begriffe erleichtern, wobei der Rechtsprechung des Gerichtshofs [der Europäischen Union] Rechnung getragen werden sollte.“
Art. 11 der Durchführungsverordnung bestimmt:
„(1) Für die Anwendung des Artikels 44 der Richtlinie 2006/112/EG gilt als ‚feste Niederlassung‘ jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Artikel 10 dieser Verordnung, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden.
(2) Für die Anwendung der folgenden Artikel gilt als ‚feste Niederlassung‘ jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Artikel 10 dieser Verordnung, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen zu erbringen:
Artikel 45 der Richtlinie 2006/112/EG;
ab 1. Januar 2013 Artikel 56 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/112/EG;
bis 31. Dezember 2014 Artikel 58 der Richtlinie 2006/112/EG;
Artikel 192a der Richtlinie 2006/112/EG.
(3) Allein aus der Tatsache, dass eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zugeteilt wurde, kann nicht darauf geschlossen werden, dass ein Steuerpflichtiger eine ‚feste Niederlassung‘ hat.“
Gemäß ihrem Art. 65 gilt die am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung, d. h. am 12. April 2011, in Kraft getretene Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 ab dem 1. Juli 2011.
Österreichisches Recht
§ 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (BGBl. Nr. 663/1994) (im Folgenden: UStG) in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung bestimmte:
„Steuerschuldner ist in den Fällen des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 der Unternehmer, in den Fällen des § 11 Abs. 14 der Aussteller der Rechnung.
Bei sonstigen Leistungen (ausgenommen die entgeltliche Duldung der Benützung von Bundesstraßen) und bei Werklieferungen wird die Steuer vom Empfänger der Leistung geschuldet, wenn
der leistende Unternehmer im Inland weder einen Wohnsitz (Sitz) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte hat und
der Leistungsempfänger Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist.
Der leistende Unternehmer haftet für diese Steuer.“
§ 19 Abs. 1 UStG in der ab dem 1. Januar 2010 geltenden Fassung lautet:
„Steuerschuldner ist in den Fällen des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 der Unternehmer, in den Fällen des § 11 Abs. 14 der Aussteller der Rechnung.
Bei sonstigen Leistungen (ausgenommen die entgeltliche Duldung der Benützung von Bundesstraßen) und bei Werklieferungen wird die Steuer vom Empfänger der Leistung geschuldet, wenn
der leistende Unternehmer im Inland weder einen Wohnsitz (Sitz) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine an der Leistungserbringung beteiligte Betriebsstätte hat und
der Leistungsempfänger Unternehmer im Sinne des § 3a Abs. 5 Z 1 und 2 ist oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist, die Nichtunternehmer im Sinne des § 3a Abs. 5 Z 3 ist.
Der leistende Unternehmer haftet für diese Steuer.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Titanium ist eine Gesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung auf Jersey, deren Geschäftsgegenstand im Bereich Realitätenwesen, Vermögensverwaltung sowie Wohnungs- und Siedlungswesen liegt.
In den Steuerjahren 2009 und 2010 vermietete sie eine ihr gehörende Immobilie in Wien (Österreich) umsatzsteuerpflichtig an zwei österreichische Unternehmer.
Für die Zwecke dieser Umsätze, bei denen es sich um ihre einzigen in Österreich handelte, beauftragte Titanium ein österreichisches Hausverwaltungsunternehmen, das Dienstleister und Lieferanten vermitteln, die Mieten und Betriebskosten abrechnen, die Geschäftsaufzeichnungen führen und die Umsatzsteuer-Meldedaten vorbereiten sollte. Diese Leistungen wurden von dem beauftragten Unternehmen in anderen Räumlichkeiten als denjenigen der Titanium gehörenden Immobilie erbracht.
Titanium behielt jedoch die Entscheidungsgewalt über die Begründung und Auflösung von Mietverhältnissen sowie über deren wirtschaftliche und rechtliche Konditionen, über die Durchführung von Investitionen und Reparaturmaßnahmen sowie deren Finanzierung, über die Auswahl von Dritten zur Erbringung anderer Vorleistungen und schließlich die Auswahl, Beauftragung und Überwachung der Hausverwaltung selbst.
Während Titanium der Ansicht war, dass sie für ihre Vermietungstätigkeit im Zusammenhang mit der Immobilie in Ermangelung einer festen Niederlassung in Österreich keine Umsatzsteuer schulde, war das Finanzamt der Auffassung, dass eine vermietete Immobilie eine solche feste Niederlassung darstelle, und setzte daher für die Steuerjahre 2009 und 2010 Umsatzsteuer zu Lasten dieser Gesellschaft fest.
Titanium legte gegen die Bescheide des Finanzamts Beschwerde beim Bundesfinanzgericht (Österreich) ein und machte geltend, dass die von ihr vermietete Immobilie mangels personeller Ausstattung nicht als feste Niederlassung angesehen werden könne.
Das Finanzamt wies seinerseits darauf hin, dass nach den Umsatzsteuerrichtlinien 2000 ein Unternehmer, der in Österreich ein Grundstück besitze, das er umsatzsteuerpflichtig vermiete, als inländischer Unternehmer zu behandeln sei und dass der Leistungsempfänger nicht die Steuer für diesen Umsatz schulde. Somit liege im Fall der Vermietung einer Immobilie stets eine feste Niederlassung vor.
Das vorlegende Gericht führt dazu aus, dass die nationale Bestimmung, die es anzuwenden habe, § 19 Abs. 1 UStG sei, wonach es zum Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger komme, wenn der Unternehmer im Inland weder sein Unternehmen betreibe noch eine Betriebsstätte habe. Mit dieser Bestimmung sei nicht nur Art. 196 der Richtlinie 2006/112, sondern auch deren Art. 194 umgesetzt worden.
Es stellt ferner fest, aus den Urteilen vom 17. Juli 1997, ARO Lease (C-190/95, EU:C:1997:374), und vom 7. Mai 1998, Lease Plan (C-390/96, EU:C:1998:206), ergebe sich, dass der Begriff „feste Niederlassung“ im Konkreten eigenes Personal des Dienstleisters voraussetze, und dass der Rückgriff auf das Personal eines anderen, beauftragten Unternehmens nicht für die Subsumtion unter diesen Begriff ausreiche.
In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass mehrere deutsche Finanzgerichte befunden hätten, dass ein Windpark auch ohne personelle Ausstattung als Betriebsstätte und feste Niederlassung angesehen werden könne, wenn er einen erheblichen Wert habe und einen höchstmöglichen Grad an Beständigkeit aufweise. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (Deutschland) sei hierzu jedoch noch nicht ergangen.
Das vorlegende Gericht sieht sich daher vor die Frage nach dem Begriff der festen Niederlassung bei einer Tätigkeit gestellt, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ohne den Einsatz jeglicher technischen und personellen Ausstattung ausgeführt wird.
Vor diesem Hintergrund hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist dem Begriff der festen Niederlassung das Verständnis beizulegen, dass stets das Vorliegen einer personellen und technischen Ausstattung gegeben sein muss und daher an der Niederlassung unbedingt eigenes Personal des Dienstleistungserbringers vorhanden zu sein hat, oder kann im konkreten Fall der steuerpflichtigen Vermietung einer im Inland belegenen Liegenschaft, die sich bloß als passive Duldungsleistung darstellt, diese auch ohne personelle Ausstattung als „feste Niederlassung“ anzusehen sein?
Zur Vorlagefrage
Zur Zulässigkeit der Frage
Die österreichische Regierung macht geltend, nicht Art. 43 der Richtlinie 2006/112 und Art. 44 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung gelangten im Ausgangsverfahren zur Anwendung, sondern Art. 45 der Richtlinie 2006/112 und Art. 47 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung, wonach als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück der Ort gelte, an dem das Grundstück gelegen sei.
Sie leitet daraus ab, dass Art. 194 der Richtlinie 2006/112 und Art. 194 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung auf das Ausgangsverfahren Anwendung fänden und nicht, wie vom vorlegenden Gericht zugrunde gelegt, Art. 196 der Richtlinie 2006/112 und Art. 196 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung.
Art. 194 der Richtlinie 2006/112 und Art. 194 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung sähen für die Mitgliedstaaten ein Wahlrecht vor und übertrügen es ihnen, die Bedingungen für die Anwendung dieser Bestimmungen festzulegen, indem sie entschieden, ob die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger übergehe oder nicht, so dass die vom österreichischen Gesetzgeber getroffene Wahl die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage gegenstandslos mache.
Die österreichische Regierung schließt daraus, dass der Begriff „feste Niederlassung“ in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehe, was es rechtfertige, das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 29. April 2021, Ubezpieczeniowy Fundusz Gwarancyjny, C-383/19, EU:C:2021:337, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Hieraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 1. Oktober 2020, Úrad speciálnej prokuratúry, C-603/19, EU:C:2020:774, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das vorlegende Gericht hat hier in einem dem Gerichtshof übermittelten Dokument vom 19. August 2020 angegeben, dass sich die dem Gerichtshof vorgelegte Frage allgemein auf die Auslegung des Begriffs „feste Niederlassung“ in der Richtlinie 2006/112 und der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 beziehe und in der Vorlagefrage kein konkreter Bezug zu Art. 194 oder Art. 196 dieser Richtlinie hergestellt werde. Es hat betont, dass sich die Frage, ob das Ausgangsverfahren unter den einen oder den anderen dieser Artikel falle, im Ergebnis als nebensächlich erweise, da beide Artikel die Frage aufwürfen, in welchem Staat der Steuerpflichtige ansässig sei, was bedeute, dass in beiden Fällen zu entscheiden sei, ob eine feste Niederlassung bestehe oder nicht.
Folglich handelt es sich bei der Rechtsauffassung der Republik Österreich nicht um die einzige vertretbare Auslegungsmöglichkeit, so dass sich daraus nicht die Unzulässigkeit der Vorlagefrage ergeben kann.
Zur Frage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie eine feste Niederlassung im Sinne des Art. 43 der Richtlinie 2006/112 sowie der Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung darstellt, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht nicht klarstellt, ob es ihm darum geht, ob die Immobilie als feste Niederlassung eines Steuerpflichtigen angesehen werden kann, der Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Vermietung der Immobilie empfängt, oder aber darum, ob sie als feste Niederlassung eines Steuerpflichtigen angesehen werden kann, der Dienstleistungen im Zusammenhang mit dieser Immobilienvermietung erbringt. Die Vorlagefrage kann jedoch unter Berücksichtigung beider Fälle beantwortet werden.
Der Begriff „feste Niederlassung“ verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs einen durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildeten Mindestbestand. Daher setzt er einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur voraus, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht (Urteil vom 28. Juni 2007, Planzer Luxembourg, C-73/06, EU:C:2007:397, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere ist bei einer Struktur, bei der es an eigenem Personal fehlt, keine Subsumtion unter den Begriff „feste Niederlassung“ möglich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juli 1997, ARO Lease, C-190/95, EU:C:1997:374, Rn. 19).
Bestätigung findet diese Rechtsprechung in Art. 11 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, wonach eine feste Niederlassung u. a. eine „von der personellen und technischen Ausstattung her“ geeignete Struktur aufweist. Zwar gilt diese Durchführungsverordnung nach ihrem Art. 65 erst ab dem 1. Juli 2011 und ist daher zeitlich auf das Ausgangsverfahren nicht anwendbar, doch sollen mit ihr nach ihrem 14. Erwägungsgrund bestimmte Begriffe, darunter derjenige der festen Niederlassung, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs klargestellt werden.
Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens in Österreich über kein eigenes Personal verfügt und dass die mit bestimmten Verwaltungsaufgaben betrauten Personen von ihr vertraglich beauftragt wurden, wobei sie sich alle wichtigen Entscheidungen betreffend die Vermietung der in Rede stehenden Immobilie vorbehalten hat.
Eine Immobilie, bei der keinerlei personelle Ausstattung vorhanden ist, die zu autonomem Handeln befähigt, erfüllt jedoch offensichtlich nicht die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für die Einstufung als feste Niederlassung im Sinne sowohl der Richtlinie 2006/112 als auch der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie keine feste Niederlassung im Sinne des Art. 43 der Richtlinie 2006/112 sowie der Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung darstellt, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:
Eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie stellt keine feste Niederlassung im Sinne des Art. 43 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sowie der Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung dar, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt.
Ilešič
Juhász
Lycourgos
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3 Juni 2021.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Zehnten Kammer
M. Ilešič
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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