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EuGH 03.03.2021 - C-7/20
EuGH 03.03.2021 - C-7/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer) - 3. März 2021 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Zollkodex der Union – Verordnung (EU) Nr. 952/2013 – Art. 87 Abs. 4 – Ort des Entstehens der Zollschuld – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 – Art. 70 und 71 – Steuertatbestand und Steueranspruch der Einfuhrmehrwertsteuer – Ort des Entstehens der Steuerschuld – Feststellung eines Verstoßes gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften – Gegenstand, der körperlich in einem Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union verbracht wird, jedoch in dem Mitgliedstaat, in dem die Feststellung getroffen wurde, in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten ist“
Leitsatz
In der Rechtssache C-7/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Januar 2020, in dem Verfahren
VS
gegen
Hauptzollamt Münster
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
des Hauptzollamts Münster, vertreten durch K. Thode als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart, J. Jokubauskaitė und R. Pethke als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen VS und dem Hauptzollamt Münster (Deutschland) über die Entrichtung von Zöllen und der Einfuhrmehrwertsteuer für ein in der Türkei zugelassenes Privatfahrzeug, das von VS in die Europäischen Union eingeführt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer. Nach Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie gilt als Einfuhr eines Gegenstands die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Union.
Gemäß Art. 60 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfolgt die Einfuhr von Gegenständen in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Union verbracht wird.
In Art. 62 der Richtlinie heißt es:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt
als ‚Steuertatbestand‘ der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;
…“
Nach Art. 70 der Mehrwertsteuerrichtlinie treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt.
Art. 71 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die [Union] einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.
Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, landwirtschaftlichen Abschöpfungen oder im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben gleicher Wirkung, treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.“
Zollkodex
In Art. 79 („Entstehen der Zollschuld bei Verstößen“) der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1) (im Folgenden „Zollkodex“) heißt es:
„(1) Für einfuhrabgabenpflichtige Waren entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn Folgendes nicht erfüllt ist:
eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Verbringen von Nicht-Unionswaren in das Zollgebiet der Union, auf das Entziehen dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung oder auf die Beförderung, Veredelung, Lagerung, vorübergehende Verwahrung, vorübergehende Verwendung oder Verwertung dieser Waren in diesem Gebiet,
…
(3) In den Fällen nach Absatz 1 Buchstaben a und b ist Zollschuldner,
wer die betreffenden Verpflichtungen zu erfüllen hatte,
…“
Art. 87 („Ort des Entstehens der Zollschuld“) Abs. 4 des Zollkodex bestimmt:
„Stellen die Zollbehörden fest, dass eine Zollschuld nach Artikel 79 oder 82 in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist und der dieser Schuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag weniger als 10000 EUR beträgt, so gilt die Zollschuld als in dem Mitgliedstaat entstanden, in dem ihre Entstehung festgestellt wurde.“
Art. 135 („Beförderung zum zugelassenen Ort“) Abs. 1 des Zollkodex lautet:
„Wer Waren in das Zollgebiet der Union verbringt, hat diese unverzüglich und gegebenenfalls nach Maßgabe der von den Zollbehörden festgelegten Einzelheiten auf dem von ihnen bezeichneten Verkehrsweg zu der von diesen Behörden bezeichneten Zollstelle oder zu einem anderen von diesen Behörden bezeichneten oder zugelassenen Ort oder in eine Freizone zu befördern.“
Gemäß Art. 139 („Gestellung der Waren“) Abs. 1 des Zollkodex sind die in das Zollgebiet der Union verbrachten Waren bei ihrer Ankunft bei der bezeichneten Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort oder in der Freizone unverzüglich u. a. von der Person, die die Waren in das Zollgebiet der Union verbracht hat, zu gestellen.
Deutsches Recht
§ 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I, S. 386) in der für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung lautet:
„Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten die Vorschriften für Zölle sinngemäß; ausgenommen sind die Vorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr nach dem Verfahren der Zollrückvergütung und über den passiven Veredelungsverkehr.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
VS, wohnhaft in Deutschland, verbrachte sein Privatfahrzeug mit amtlichem türkischen Kennzeichen aus der Türkei über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Die Einfuhr dieses Fahrzeugs wurde in Deutschland bei einer Polizeikontrolle am 26. Februar 2018 festgestellt. Im März 2018 überführte VS das Fahrzeug wieder in die Türkei und verkaufte es dort.
Im Anschluss an diese Kontrolle kam das Hauptzollamt Münster zu dem Ergebnis, dass VS es unterlassen habe, das Fahrzeug an eine Einfuhrzollstelle zu befördern und zu gestellen, und stellte fest, dass er Einfuhrzoll in Höhe von 1589 Euro sowie Einfuhrmehrwertsteuer in Höhe von 3021,01 Euro schulde.
VS erhob Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, und machte geltend, er habe das Fahrzeug nur für einen kurzen Zeitraum und ausschließlich als Transportmittel für private Fahrten genutzt. Folglich hätte das fragliche Fahrzeug nicht mit Einfuhrzöllen belegt werden dürfen.
Das vorlegende Gericht führt zunächst aus, auf VS könne entgegen dem, was er in seiner Klage implizit angeregt habe, das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung keine Anwendung finden, da er tatsächlich im Unionsgebiet ansässig sei.
Bei der Einfuhr des im Ausgangsverfahren fraglichen Fahrzeugs in das Unionsgebiet habe VS gegen bestimmte zollrechtliche Vorschriften verstoßen, insbesondere gegen Art. 135 Abs. 1 des Zollkodex über die Pflicht zur Beförderung der Waren zu einer Zollstelle und gegen Art. 139 Abs. 1 des Zollkodex über die Pflicht zur Gestellung der Waren. Infolgedessen sei gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex eine Einfuhrzollschuld entstanden, deren Schuldner gemäß Art. 79 Abs. 3 Buchst. a des Zollkodex der Kläger des Ausgangsverfahrens sei.
Es stehe fest, dass die Zollschuld gemäß Art. 87 Abs. 4 des Zollkodex in Deutschland entstanden sei. Erstens seien es nämlich die deutschen Behörden gewesen, die das Bestehen der Schuld festgestellt hätten, auch wenn das Fahrzeug körperlich über Bulgarien in das Unionsgebiet gelangt sei und folglich dort hätte zur Zollstelle befördert und gestellt werden müssen. Zweitens habe der dieser Schuld entsprechende Abgabenbetrag unter 10000 Euro gelegen.
Unter diesen Umständen bleibe zu klären, ob Art. 87 Abs. 4 des Zollkodex analog auf die Einfuhrmehrwertsteuer angewandt werden kann, was bedeuten würde, dass auch sie als in Deutschland entstanden gelten würde.
Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass nach Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt einträten, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen, wenn die eingeführten Gegenstände Zöllen unterliegen.
Da vorliegend nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a und Art. 87 Abs. 4 des Zollkodex die Zollschuld für das Fahrzeug, um das es im Ausgangsverfahren gehe, in Deutschland entstanden sei, könnte daraus zu folgern sein, dass auch die Mehrwertsteuerschuld in Deutschland entstanden sei, obwohl das Fahrzeug körperlich über Bulgarien in das Gebiet der Union eingeführt worden sei.
Außerdem seien vorliegend die übrigen Voraussetzungen für die Entstehung einer Mehrwertsteuerschuld erfüllt. Das im Ausgangsverfahren fragliche Fahrzeug sei nämlich mehrere Monate lang im Unionsgebiet benutzt worden, ohne einem Zollverfahren unterstanden zu haben. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs könne daher bei Nichteinhaltung der Zollvorschriften angenommen werden, dass das Fahrzeug in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist und damit einem Verbrauch zugeführt werden konnte.
Das Finanzgericht Düsseldorf äußert jedoch Zweifel daran, ob die Regelungen in Art. 87 Abs. 4 des Zollkodex auf die Entstehung einer Einfuhrmehrwertsteuerschuld entsprechend angewendet werden können. Zum einen seien nämlich die Zuständigkeiten für die Erhebung der Zölle, der Verbrauchsteuer und der Mehrwertsteuer getrennt zu betrachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 44). Zum anderen betreffe Art. 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur den Zeitpunkt der Entstehung der Mehrwertsteuer und nehme keinen Bezug auf die in den Art. 60 und 61 der Richtlinie festgelegten Kriterien zur Bestimmung des Ortes der Einfuhr.
Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Düsseldorf das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass die Vorschrift des Art. 87 Abs. 4 des Zollkodex auf die Entstehung der Mehrwertsteuer (Einfuhrumsatzsteuer) entsprechend anzuwenden ist?
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Einfuhrmehrwertsteuer für zollpflichtige Gegenstände in dem Mitgliedstaat entstehen kann, in dem ein Verstoß gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften festgestellt wurde.
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer. Gemäß Art. 30 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als eine Einfuhr eines Gegenstands die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Union.
Jedoch belegen mehrere Anhaltspunkte einen Zusammenhang zwischen der Einfuhrmehrwertsteuer und Zöllen.
Zunächst erfolgt zwar nach Art. 60 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Einfuhr von Gegenständen in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Union verbracht wird; unterliegen die eingeführten Gegenstände jedoch Zöllen, treten der Mehrwertsteuertatbestand und der Mehrwertsteueranspruch nach Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.
Des Weiteren sind die Einfuhrmehrwertsteuer und die Zölle hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale insofern vergleichbar, als sie durch die Einfuhr der Waren in die Union und ihre anschließende Überführung in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten entstehen. Diese Parallelität wird dadurch bestätigt, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Mitgliedstaaten ermächtigt, den Steuertatbestand und die Entstehung des Steueranspruchs der Einfuhrmehrwertsteuer mit dem Tatbestand und der Entstehung des Anspruchs bei Zöllen zu verknüpfen (Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 41).
Schließlich kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten (Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Allerdings kann eine solche Vermutung widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld in dem Mitgliedstaat führte, in dem dieses Fehlverhalten begangen wurde, ein Gegenstand im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. In diesem Fall tritt der Tatbestand der Einfuhrmehrwertsteuer in diesem anderen Mitgliedstaat ein (Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 48).
In der Rechtssache, in der das Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung (C-26/18, EU:C:2019:579), ergangen ist, war das zollrechtliche Fehlverhalten in Bezug auf die fraglichen Gegenstände zwar auf deutschem Hoheitsgebiet begangen worden, allerdings waren sie dort aber nur von einem Flugzeug in ein anderes Flugzeug umgeladen worden, bevor sie nach Griechenland weiterbefördert wurden. Griechenland war nämlich ihr endgültiger Bestimmungsort und der Ort, an dem diese Gegenstände verbraucht wurden.
Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die fraglichen Gegenstände in dem Mitgliedstaat ihrer endgültigen Bestimmung in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt waren und folglich die Einfuhrmehrwertsteuer auf diese Gegenstände in diesem Mitgliedstaat entstanden war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579, Rn. 53).
Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen hervor, dass wie in dem Sachverhalt, der dem Urteil vom 10. Juli 2019(Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18, EU:C:2019:579) zugrunde lag, das Fahrzeug, um das es im Ausgangsverfahren geht, zwar faktisch über Bulgarien in das Gebiet der Union gelangt ist, so dass in diesem Mitgliedstaat gegen die zollrechtlichen Verpflichtungen verstoßen wurde.
Aus denselben Informationen – diese zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts – ergibt sich jedoch, dass das fragliche Fahrzeug tatsächlich in Deutschland, dem Wohnsitzmitgliedstaat von VS, benutzt wurde, auch wenn es auf seiner Fahrt von der Türkei nach Deutschland zuerst in Bulgarien in das Zollgebiet der Union gelangt ist und nach der Durchfahrt durch das Gebiet eines Drittstaats, nämlich Serbien, anschließend erneut in Ungarn in das Zollgebiet der Union gelangt ist. Infolgedessen ist die Einfuhrmehrwertsteuer in Deutschland entstanden, da das Fahrzeug dort in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten ist.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Einfuhrmehrwertsteuer für zollpflichtige Gegenstände in dem Mitgliedstaat entsteht, in dem ein Verstoß gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften festgestellt wurde, sofern die fraglichen Waren in dem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten sind, in dem diese Feststellung getroffen wurde, auch wenn sie körperlich in einem anderen Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union gelangt sind.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Einfuhrmehrwertsteuer für zollpflichtige Gegenstände in dem Mitgliedstaat entsteht, in dem ein Verstoß gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften festgestellt wurde, sofern die fraglichen Waren in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten sind, auch wenn sie körperlich in einem anderen Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union gelangt sind.
Bay Larsen
Silva de Lapuerta
Jääskinen
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. März 2021.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Sechsten Kammer
L. Bay Larsen
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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