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EuGH 21.02.2018 - C-628/16
EuGH 21.02.2018 - C-628/16 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer) - 21. Februar 2018 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Aufeinanderfolgende Lieferungen derselben Gegenstände – Ort der zweiten Lieferung – Unterrichtung des ersten Lieferanten – Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer – Recht auf Vorsteuerabzug – Berechtigtes Vertrauen des Steuerpflichtigen auf das Vorliegen der Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug“
Leitsatz
In der Rechtssache C-628/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzgericht (Österreich) mit Entscheidung vom 30. November 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Dezember 2016, in dem Verfahren
Kreuzmayr GmbH
gegen
Finanzamt Linz
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Neunten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Kreuzmayr GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt J. Hochleitner,
der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 32 Abs. 1 und Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kreuzmayr GmbH und dem Finanzamt Linz (Österreich) über das Recht auf Vorsteuerabzug für im Jahr 2008 getätigte Umsätze.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Wird der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert, gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.“
Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der [Europäischen Union] versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderem Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.“
Art. 167 der Richtlinie sieht vor:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“
Art. 168 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden“.
Österreichisches Recht
§ 3 Abs. 7 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG 1994) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:
„Eine Lieferung wird dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.“
§ 3 Abs. 8 Satz 1 UStG 1994 lautet:
„Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt.“
§ 12 Abs. 1 Ziff. 1 UStG 1994 sieht vor:
„Der Unternehmer kann … die von anderen Unternehmern in einer Rechnung … an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, [als Vorsteuerbeträge abziehen].
…
Wurde die Lieferung oder die sonstige Leistung an einen Unternehmer ausgeführt, der wusste oder wissen musste, dass der betreffende Umsatz im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen steht, entfällt das Recht auf Vorsteuerabzug. Dies gilt insbesondere auch, wenn ein solches Finanzvergehen einen vor- oder nachgelagerten Umsatz betrifft.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Die BP Marketing GmbH, die in Deutschland niedergelassen und für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, verkaufte Mineralölprodukte an die BIDI Ltd, die in Österreich für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist. Nach Akontierung übermittelte BP Marketing die Abholnummern und die Ausweise, die zur Abholung dieser Mineralölprodukte berechtigten, an BIDI. Diese verpflichtete sich gegenüber BP Marketing, für den Transport der Produkte von Deutschland nach Österreich zu sorgen.
Ohne BP Marketing darüber zu informieren, verkaufte BIDI diese Produkte an Kreuzmayr weiter, übermittelte ihr die von BP Marketing erhaltenen Abholnummern und Abholausweise und vereinbarte, dass Kreuzmayr den Transport der Mineralölprodukte von Deutschland nach Österreich veranlasst oder durchführt. Kreuzmayr veranlasste tatsächlich den Transport der in Rede stehenden Produkte durch ihre Mitarbeiter oder durch damit beauftragte Frachtführer. Diese Geschäfte wurden im Zeitraum April bis Oktober 2007 durchgeführt.
BP Marketing hielt ihre Lieferungen an BIDI für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. BIDI legte Rechnungen mit Ausweis der österreichischen Mehrwertsteuer an Kreuzmayr, die diese beglich. Kreuzmayr verwendete die in Rede stehenden Waren sodann für ihre besteuerten Umsätze und machte den diesbezüglichen Vorsteuerabzug für 2008 geltend.
Anlässlich eines Zivilprozesses zwischen BP Marketing und BIDI erfuhr BP Marketing, dass BIDI Kreuzmayr mit dem Transport der in Rede stehenden Waren beauftragt hatte. BP Marketing teilte dies den deutschen Steuerbehörden mit, die daraufhin die auf die Lieferung der in Rede stehenden Produkte entfallende Mehrwertsteuer vorschrieben.
In Österreich erkannte das Finanzamt Linz den Vorsteuerabzug von Kreuzmayr zunächst an. Im Rahmen einer Steuerfahndung kam jedoch hervor, dass BIDI die in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer weder erklärt noch abgeführt hatte, ohne dass Kreuzmayr darüber informiert worden war. BIDI rechtfertigte sich damit, dass ihre Lieferungen an Kreuzmayr in Deutschland in Rechnung gestellt worden seien und dass sie demnach steuerfrei seien, weshalb sie in Österreich nicht steuerbar seien.
Im Anschluss an diese Kontrolle stellte BIDI geänderte Rechnungen an Kreuzmayr aus, in denen keine Mehrwertsteuer ausgewiesen wurde. BIDI zahlte allerdings die ihres Erachtens fälschlich zu Unrecht erhobenen Beträge nicht an Kreuzmayr zurück. Da BIDI insolvent wurde, erhielt Kreuzmayr die gezahlten Mehrwertsteuerbeträge nicht mehr zurück.
Das Finanzamt Linz war unter Heranziehung der berichtigten Rechnungen, wonach die fraglichen Lieferungen steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen seien, der Ansicht, dass Kreuzmayr keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug habe. Es strich daher bei Kreuzmayr den Vorsteuerabzug und begründete dies damit, dass der Ort der Lieferungen von BIDI an Kreuzmayr nicht in Österreich liege. Kreuzmayr legte gegen diese Entscheidung Berufung ein.
Mit Entscheidung vom 5. Februar 2013 gab der Unabhängige Finanzsenat (Österreich) der Berufung von Kreuzmayr gegen die Streichung des Vorsteuerabzugs statt.
Das Finanzamt Linz erhob gegen diese Entscheidung Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (Österreich), der sie mit Erkenntnis vom 29. Juni 2016 aufhob. Der Verwaltungsgerichtshof war der Ansicht, der bloße Umstand, dass BP Marketing seine Lieferungen an BIDI irrtümlich, aber gutgläubig als innergemeinschaftliche Lieferungen eingestuft habe, könne nicht bewirken, dass Kreuzmayr einen Anspruch auf Vorsteuerabzug aus den Rechnungen für die in Rede stehenden Lieferungen habe.
Weiter hielt der Verwaltungsgerichtshof die Erwägungen des Unabhängigen Finanzsenats, dass Kreuzmayr einen Anspruch auf Vorsteuerabzug haben könne, für unzutreffend. Ein Vertrauensschutz sei aus der Steuerfreiheit der ersten Lieferungen, die objektiv nicht innergemeinschaftlich seien, nicht ableitbar.
Da die Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenats vom 5. Februar 2013 aufgehoben wurde, ist nun das Bundesfinanzgericht (Österreich), das den Unabhängigen Finanzsenat ersetzt hat, nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs mit dieser Rechtssache befasst.
Unter diesen Umständen hat das Bundesfinanzgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist in Fällen wie in jenen des Ausgangsverfahrens, in denen
ein Steuerpflichtiger X1 über im Mitgliedstaat A lagernde Waren verfügt und X1 diese Waren an einen Steuerpflichtigen X2 verkauft hat und X2 dem X1 gegenüber die Absicht bekundet hat, die Waren in den Mitgliedstaat B zu befördern und X2 gegenüber X1 mit seiner vom Mitgliedstaat B erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgetreten ist,
und X2 diese Waren an einen Steuerpflichtigen X3 weiterverkauft hat und X2 mit X3 vereinbart hat, dass X3 den Transport der Waren vom Mitgliedstaat A in den Mitgliedstaat B veranlasst oder durchführt und X3 den Transport der Waren vom Mitgliedstaat A in den Mitgliedstaat B veranlasst oder durchgeführt hat und X3 bereits im Mitgliedstaat A über die Waren wie ein Eigentümer verfügen konnte,
und X2 dem X1 aber nicht mitgeteilt hat, dass er die Waren bereits weiterverkauft hat, bevor diese den Mitgliedstaat A verlassen,
und X1 auch nicht erkennen konnte, dass nicht X2 den Transport der Waren vom Mitgliedstaat A in den Mitgliedstaat B veranlassen oder durchführen wird,
das Unionsrecht so auszulegen, dass sich der Ort der Lieferung des X1 an X2 nach Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt, dass somit die Lieferung des X1 an X2 die innergemeinschaftliche (die sogenannte bewegte) Lieferung ist?
Wenn Frage 1 zu verneinen ist, ist dann das Unionsrecht so auszulegen, dass X3 trotzdem eine ihm von X2 in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer des Mitgliedstaates B als Vorsteuer abziehen darf, sofern X3 die bezogenen Waren für Zwecke seiner im Mitgliedstaat B besteuerten Umsätze verwendet und dem X3 eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges nicht zu unterstellen ist?
Wenn Frage 1 zu bejahen ist und X1 nachträglich erfährt, dass X3 den Transport veranlasst hat und bereits im Mitgliedstaat A wie ein Eigentümer über die Waren verfügen konnte, ist dann das Unionsrecht so auszulegen, dass die Lieferung von X1 an X2 rückwirkend ihre Eigenschaft als die innergemeinschaftliche verliert (dass diese also rückwirkend als die sogenannte ruhende Lieferung zu beurteilen ist)?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Zur Zulässigkeit
Die österreichische Regierung bestreitet die Zulässigkeit der ersten Frage mit der Begründung, dass sie hypothetisch sei, da sie die Lieferung zwischen BP Marketing und BIDI betreffe, die nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei.
Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 14. Juni 2017, Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis, C-26/16, EU:C:2017:453, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist im vorliegenden Fall zwar richtig, dass die erste Frage ihrem Wortlaut nach die Lieferungen zwischen BP Marketing und BIDI betrifft.
Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass die erste Frage des vorlegenden Gerichts auf der Prämisse beruht, dass Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, wenn zwei aufeinanderfolgende Lieferungen zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung führen, nur auf diejenige der beiden Lieferungen anzuwenden ist, die zu der innergemeinschaftlichen Beförderung geführt hat. Es wäre also möglich, aus der Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die erste Lieferung zu schließen, dass sie auf die zweite Lieferung nicht anzuwenden ist. Wäre die Bestimmung hingegen auf die erste Lieferung nicht anwendbar, wäre sie auf die zweite Lieferung anzuwenden.
Demnach fehlt dieser Frage nicht jeder Bezug zum Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens, so dass sie als zulässig anzusehen ist.
Zur Beantwortung der Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er auf die erste oder auf die zweite von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen derselben Ware anzuwenden ist, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben.
Nach Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt, wenn der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert wird, als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.
Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht somit hervor, dass sie nur für Lieferungen von Waren gilt, denen eine Beförderung oder eine Versendung zuzuordnen ist.
Zunächst ergibt sich aber aus der ständigen Rechtsprechung, dass dann, wenn zwei aufeinanderfolgende Lieferungen desselben Gegenstands, die gegen Entgelt zwischen Steuerpflichtigen, die als solche handeln, vorgenommen werden, zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung dieses Gegenstands führen, diese Beförderung nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding, C-430/09, EU:C:2010:786, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 26. Juli 2017, Toridas, C-386/16, EU:C:2017:599, Rn. 34).
Daraus folgt, dass in einer solchen Situation Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur auf die Lieferung anzuwenden ist, der die innergemeinschaftliche Beförderung zugeordnet ist.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist sodann zur Klärung der Frage, welcher der beiden Lieferungen die innergemeinschaftliche Beförderung zuzuordnen ist, eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Rahmen dieser Würdigung ist insbesondere zu klären, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, als Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten des Endabnehmers stattgefunden hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Toridas, C-386/16, EU:C:2017:599, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Falls die zweite Übertragung der Befähigung, als Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattfand, kann diese nicht der Erstlieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden (Urteil vom 26. Juli 2017, Toridas, C-386/16, EU:C:2017:599, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Schließlich sind zur Feststellung, ob eine Lieferung als „innergemeinschaftliche Lieferung“ eingestuft werden kann, die Absichten zu berücksichtigen, die der Erwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs des fraglichen Gegenstands hatte, sofern sie durch objektive Gesichtspunkte gestützt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding, C-430/09, EU:C:2010:786, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass Kreuzmayr wie ein Eigentümer über die Ware verfügte, bevor die innergemeinschaftliche Beförderung erfolgte. Daraus folgt, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die innergemeinschaftliche Beförderung der Lieferung zuzuordnen ist, die zwischen dem Zwischenhändler und dem Enderwerber stattgefunden hat, und dass Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur auf die zweite Lieferung anzuwenden ist.
Zudem war nach den Angaben in der Vorlageentscheidung BIDI und Kreuzmayr offenbar bekannt, dass das Recht, wie ein Eigentümer über die Ware zu verfügen, vor der innergemeinschaftlichen Beförderung in Deutschland an Kreuzmayr übertragen worden war. Unter solchen Umständen kann der Ort der zweiten Lieferung einer Kette von Umsätzen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht bestimmt werden, ohne die objektiven, maßgeblichen Gesichtspunkte, die dem Zwischenhändler und dem Enderwerber bekannt waren, zu berücksichtigen, und er kann nicht nur von der vom Erstlieferanten vorgenommenen Einstufung der ersten Lieferung abhängen, die allein auf der Grundlage der Informationen erfolgte, die ihm vom Zwischenhändler fälschlicherweise übermittelt worden waren.
Diese Schlussfolgerung kann nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass der Erstlieferant wie im Ausgangsverfahren nicht darüber informiert worden war, dass die Ware vor einer innergemeinschaftlichen Beförderung vom Zwischenhändler an den Enderwerber weiterverkauft wurde, und dass der Zwischenhändler beim Erstlieferanten mit einer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer aufgetreten ist, die vom Bestimmungsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Beförderung ausgestellt worden war.
Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 32 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er auf die zweite von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen derselben Ware anzuwenden ist, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in dem Fall, dass die zweite Lieferung einer Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen, die zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, eine innergemeinschaftliche Lieferung ist, der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen ist, dass der Enderwerber, der zu Unrecht einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat, gleichwohl die von ihm auf der Grundlage der vom Zwischenhändler, der seine Lieferung fälschlich als „interne Lieferung“ eingestuft hat, übermittelten Rechnungen gezahlte Mehrwertsteuer als Vorsteuer abziehen kann.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die innergemeinschaftlichen Lieferungen von Waren unter den Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer befreit sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ferner ist hervorzuheben, dass das in den Art. 167 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Durch diese Abzugsregelung soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Senatex, C-518/14, EU:C:2016:691, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet somit die völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2017, Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das Recht auf Vorsteuerabzug besteht nämlich nur für geschuldete Steuern und kann nicht auf zu Unrecht gezahlte Vorsteuer erstreckt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Juni 2017, Compass Contract Services, C-38/16, EU:C:2017:454, Rn. 35 und 36). Folglich erstreckt sich dieses Recht nicht auf die Mehrwertsteuer, die nur deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 1989, Genius, C-342/87, EU:C:1989:635, Rn. 19, sowie vom 6. November 2003, Karageorgou u. a., C-78/02 bis C-80/02, EU:C:2003:604, Rn. 51).
Ist also die zweite Lieferung einer Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen, die zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, eine innergemeinschaftliche Lieferung, kann der Enderwerber den Betrag der Mehrwertsteuer, die er rechtsgrundlos für Waren gezahlt hat, die ihm im Rahmen einer von der Mehrwertsteuer befreiten innergemeinschaftlichen Lieferung geliefert wurden, nicht nur aufgrund der vom Lieferanten irrtümlich übermittelten Rechnung von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer abziehen.
Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass das vorlegende Gericht auch wissen möchte, ob ein Wirtschaftsteilnehmer wie Kreuzmayr sich gleichwohl nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Vorsteuerabzug allein auf die Angaben auf der von seinem Lieferanten ausgestellten Rechnung verlassen kann, wonach die Lieferung eine interne Lieferung ist.
Insoweit ist hervorzuheben, dass sich jeder auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen kann, bei dem eine Verwaltungsbehörde aufgrund bestimmter Zusicherungen, die sie ihm gegeben hat, begründete Erwartungen geweckt hat (Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean, C-183/14, EU:C:2015:454, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Vorsteuerabzug nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes gegenüber seinem Lieferanten berufen kann.
Ein Wirtschaftsteilnehmer in der Situation von Kreuzmayr im Ausgangsverfahren kann hingegen die Rückzahlung der rechtsgrundlos an den Wirtschaftsteilnehmer, der eine fehlerhafte Rechnung ausgestellt hat, gezahlten Steuer nach nationalem Recht verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2017, Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass, wenn die zweite Lieferung einer Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen, die zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, eine innergemeinschaftliche Lieferung ist, der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen ist, dass der Enderwerber, der zu Unrecht einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat, die von ihm nur auf der Grundlage der vom Zwischenhändler, der seine Lieferung falsch eingestuft hat, übermittelten Rechnungen an den Lieferanten gezahlte Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abziehen kann.
Zur dritten Frage
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob im Fall einer Verneinung der ersten Frage die Einstufung von Umsätzen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden rückwirkend geändert werden kann, sobald der erste Lieferant Kenntnis von den tatsächlichen Umständen der Beförderung und der zweiten Lieferung hat.
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass er auf die zweite von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen derselben Ware anzuwenden ist, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben.
Wenn die zweite Lieferung einer Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen, die zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, eine innergemeinschaftliche Lieferung ist, ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen, dass der Enderwerber, der zu Unrecht einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat, die von ihm nur auf der Grundlage der vom Zwischenhändler, der seine Lieferung falsch eingestuft hat, übermittelten Rechnungen an den Lieferanten gezahlte Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abziehen kann.
Juhász
Jürimäe
Lycourgos
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Februar 2018.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Für den Präsidenten der Neunten Kammer
E. Juhász
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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