Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 13.10.2016 - C-277/15
EuGH 13.10.2016 - C-277/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 13. Oktober 2016 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Rechtsangleichung — In-vitro-Diagnostika — Richtlinie 98/79/EG — Parallelimport — Übersetzung der Angaben und der Gebrauchsanweisung des Herstellers durch den Importeur — Ergänzendes Konformitätsbewertungsverfahren“
Leitsatz
In der Rechtssache C-277/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2015, in dem Verfahren
Servoprax GmbH
gegen
Roche Diagnostics Deutschland GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Servoprax GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Merx,
der Roche Diagnostics Deutschland GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt U. Grundmann,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Lippstreu als Bevollmächtigte,
der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas, A. Svinkūnaitė und R. Butvydytė als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes und P. Mihaylova als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Juni 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (ABl. 1998, L 331, S. 1, berichtigt in ABl. 1999, L 74, S. 32).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Servoprax GmbH (im Folgenden: Servoprax) und der Roche Diagnostics Deutschland GmbH (im Folgenden: RDD) wegen der Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten In-vitro-Diagnostika in Deutschland.
Rechtlicher Rahmen
Die Erwägungsgründe 3, 5 und 6 der Richtlinie 98/79 lauten:
Die Angleichung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften ist der einzige Weg zur Beseitigung der bestehenden und zur Verhütung neuer Handelshemmnisse. Dieses Ziel lässt sich durch andere Mittel auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten nicht erreichen. Diese Richtlinie beschränkt sich auf die Festlegung notwendiger Mindestanforderungen, um den freien Verkehr der in ihren Geltungsbereich fallenden In-vitro-Diagnostika unter optimalen Sicherheitsbedingungen zu gewährleisten.
…
In-vitro-Diagnostika müssen Patienten, Anwendern und Dritten einen hochgradigen Gesundheitsschutz bieten und die vom Hersteller ursprünglich angegebenen Leistungen erreichen. Die Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung des in den Mitgliedstaaten erreichten Gesundheitsschutzniveaus ist daher eines der wesentlichen Ziele dieser Richtlinie.
Im Einklang mit den in der Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und Normung festgelegten Grundsätzen [ABl. 1985, C 136, S. 1] müssen sich die Regelungen bezüglich der Auslegung und Herstellung sowie Verpackung einschlägiger Erzeugnisse auf die Bestimmungen beschränken, die erforderlich sind, um den grundlegenden Anforderungen zu genügen. Da es sich um Anforderungen grundlegender Art handelt, müssen diese an die Stelle der entsprechenden einzelstaatlichen Bestimmungen treten. Die grundlegenden Anforderungen, einschließlich der Anforderung, dass die Risiken möglichst gering gehalten bzw. verringert werden müssen, sind mit der nötigen Sorgfalt anzuwenden und müssen der Technologie und Praxis zum Zeitpunkt der Konzeption sowie den technischen und wirtschaftlichen Erwägungen Rechnung tragen, die mit einem hochgradigen Gesundheitsschutz und hohen Maß an Sicherheit zu vereinbaren sind.“
Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie definiert den Begriff „Hersteller“ als
„die natürliche oder juristische Person, die für die Auslegung, Herstellung, Verpackung und Etikettierung eines Produkts im Hinblick auf das Inverkehrbringen im eigenen Namen verantwortlich ist, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten von dieser Person oder stellvertretend für diese von einer dritten Person ausgeführt werden.
Die dem Hersteller nach dieser Richtlinie obliegenden Verpflichtungen gelten auch für die natürliche oder juristische Person, die ein oder mehrere vorgefertigte Produkte montiert, abpackt, behandelt, aufbereitet und/oder kennzeichnet und/oder für die Festlegung der Zweckbestimmung als Produkt im Hinblick auf das Inverkehrbringen im eigenen Namen verantwortlich ist. Dies gilt nicht für Personen, die – ohne Hersteller im Sinne des Unterabsatzes 1 zu sein – bereits in Verkehr gebrachte Produkte für einen namentlich genannten Patienten entsprechend ihrer Zweckbestimmung montieren oder anpassen;
…“
Art. 2 („Inverkehrbringen und Inbetriebnahme“) der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, damit die Produkte nur in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie bei sachgemäßer Lieferung, Installation, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllen. Diese umfasst auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Sicherheit und Qualität dieser Produkte zu überwachen. Dieser Artikel gilt auch für Produkte, die für Leistungsbewertungszwecke bereitgestellt werden.“
Art. 3 („Grundlegende Anforderungen“) der Richtlinie bestimmt:
„Die Produkte müssen die für sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung geltenden grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang I erfüllen.“
In Art. 4 („Freier Verkehr“) der Richtlinie 98/79 heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten behindern in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten, die die CE-Kennzeichnung nach Artikel 16 tragen, wenn diese einer Konformitätsbewertung nach Artikel 9 unterzogen worden sind.
…
(4) Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die gemäß Anhang I Abschnitt B Nummer 8 bereitzustellenden Angaben bei der Übergabe an den Endanwender in der bzw. den jeweiligen Amtssprache(n) vorliegen.
Soweit die sichere und ordnungsgemäße Anwendung des Produkts gewährleistet ist, können die Mitgliedstaaten gestatten, dass die in Unterabsatz 1 genannten Angaben in einer oder mehreren anderen Amtssprachen der [Union] vorliegen.
Bei der Anwendung dieser Bestimmung berücksichtigen die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere
die Möglichkeit, die entsprechenden Angaben in Form harmonisierter Symbole, allgemein anerkannter Code-Darstellungen oder in sonstiger Weise zu machen;
die für das Produkt vorgesehene Art des Anwenders.
…“
Art. 9 („Konformitätsbewertung“) dieser Richtlinie sieht in seinen Abs. 3 und 11 vor:
„(3) Für die in der Liste B des Anhangs II genannten Produkte mit Ausnahme der Produkte für Leistungsbewertungszwecke muss der Hersteller, damit die CE-Kennzeichnung angebracht werden kann, entweder
das Verfahren der EG-Konformitätserklärung gemäß Anhang IV (vollständiges Qualitätssicherungssystem) oder
das Verfahren der EG-Baumusterprüfung gemäß Anhang V in Verbindung mit
dem Verfahren der EG-Prüfung gemäß Anhang VI oder
dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung gemäß Anhang VII (Qualitätssicherung Produktion)
anwenden.
…
(11) Die Unterlagen und der Schriftwechsel über die Verfahren gemäß den Absätzen 1 bis 4 werden in einer Amtssprache des Mitgliedstaats abgefasst, in dem diese Verfahren durchgeführt werden, und/oder in einer anderen [Unionssprache], die von der benannten Stelle anerkannt wird.“
Art. 16 („CE-Kennzeichnung“) der Richtlinie lautet:
„(1) Mit Ausnahme der Produkte für Leistungsbewertungszwecke müssen alle Produkte, von deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen gemäß Artikel 3 auszugehen ist, bei ihrem Inverkehrbringen mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein.
(2) Die CE-Kennzeichnung gemäß Anhang X muss in deutlich sichtbarer, leicht lesbarer und unauslöschbarer Form auf dem Produkt – sofern dies durchführbar und zweckmäßig ist – sowie auf der Gebrauchsanweisung angebracht sein. Wenn möglich, muss die CE-Kennzeichnung auch auf der Handelsverpackung angebracht sein. Außer der CE-Kennzeichnung muss die Kennnummer der benannten Stelle aufgeführt sein, die für die Durchführung der Verfahren gemäß den Anhängen III, IV, VI und VII verantwortlich ist.
(3) Zeichen oder Aufschriften, die geeignet sind, Dritte bezüglich der Bedeutung oder der grafischen Gestaltung der CE-Kennzeichnung irrezuführen, dürfen nicht angebracht werden. Alle sonstigen Zeichen dürfen auf dem Produkt, der Verpackung oder der Gebrauchsanweisung für das Produkt angebracht werden, sofern sie die Sichtbarkeit und Lesbarkeit der CE-Kennzeichnung nicht beeinträchtigen.“
In Liste B des Anhangs II („Liste der in Artikel 9 Absätze 2 und 3 genannten Produkte“) der Richtlinie 98/79 werden Produkte für die Eigenanwendung zur Blutzuckerbestimmung aufgeführt.
Anhang I („Grundlegende Anforderungen“) der Richtlinie 98/79 sieht in Abschnitt A („Allgemeine Anforderungen“) Nr. 1 vor:
„Die Produkte müssen so ausgelegt und hergestellt sein, dass ihre Anwendung weder den klinischen Zustand und die Sicherheit der Patienten noch die Sicherheit und Gesundheit der Anwender oder gegebenenfalls Dritter oder die Sicherheit von Eigentum direkt oder indirekt gefährdet, wenn sie unter den vorgesehenen Bedingungen und zu den vorgesehenen Zwecken eingesetzt werden. Etwaige Risiken im Zusammenhang mit ihrer Anwendung müssen im Vergleich zu der nützlichen Wirkung für den Patienten vertretbar und mit einem hohen Maß an Schutz von Gesundheit und Sicherheit vereinbar sein.“
In Abschnitt B („Anforderungen an Auslegung und Herstellung“) dieses Anhangs I heißt es in Nr. 8 („Bereitstellung von Informationen durch den Hersteller“):
Jedem Produkt sind Informationen beizugeben, die unter Berücksichtigung des Ausbildungs- und Kenntnisstandes des vorgesehenen Anwenderkreises die ordnungsgemäße und sichere Anwendung des Produkts und die Ermittlung des Herstellers ermöglichen.
Diese Informationen umfassen die Angaben in der Kennzeichnung und in der Gebrauchsanweisung.
Die für die ordnungsgemäße und sichere Anwendung erforderlichen Informationen müssen, soweit dies praktikabel und angemessen ist, auf dem Produkt selbst und/oder gegebenenfalls auf der Handelspackung angegeben sein. Falls die vollständige Kennzeichnung jeder Einheit nicht möglich ist, müssen die Angaben auf der Verpackung und/oder in der für ein oder mehrere Produkte mitgelieferten Gebrauchsanweisung erscheinen.
Eine Gebrauchsanweisung muss jedem Produkt beigefügt oder in der Verpackung für ein oder mehrere Produkte enthalten sein.
In hinlänglich begründeten Fällen ist eine Gebrauchsanweisung ausnahmsweise entbehrlich, wenn die ordnungsgemäße und sichere Anwendung des Produkts ohne Gebrauchsanweisung gewährleistet ist.
Die Entscheidung über die Übersetzung der Gebrauchsanweisung und der Kennzeichnung in eine oder mehrere Sprachen der Europäischen Union wird den Mitgliedstaaten überlassen mit dem Vorbehalt, dass bei Produkten zur Eigenanwendung die Gebrauchsanweisung und die Kennzeichnung eine Übersetzung in der (den) Amtssprache(n) des Mitgliedstaats enthalten, in dem der Endverbraucher das Produkt zur Eigenanwendung erhält.
…“
Anhang IV der Richtlinie 98/79, der die Überschrift „EG-Konformitätserklärung (Vollständiges Qualitätssicherungssystem)“ trägt, sieht in Nr. 1 vor:
„Der Hersteller stellt sicher, dass das genehmigte Qualitätssicherungssystem für die Auslegung, die Fertigung und die Endkontrolle der betreffenden Produkte nach Maßgabe der Nummer 3 angewandt wird; er unterliegt der förmlichen Überprüfung (Audit) gemäß Nummer 3.3 und der Überwachung gemäß Nummer 5. Darüber hinaus hat der Hersteller bei den in Anhang II Liste A genannten Produkten die Verfahren nach den Nummern 4 und 6 einzuhalten.“
Anhang V („EG-Baumusterprüfung“) Nr. 1 der Richtlinie 98/79 lautet:
„Als EG-Baumusterprüfung wird der Teil des Verfahrens bezeichnet, mit dem eine benannte Stelle feststellt und bescheinigt, dass ein für die geplante Produktion repräsentatives Exemplar den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht.“
Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens
Mit Schriftsatz, der am 12. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat RDD beantragt, einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen und, falls das mündliche Verfahren bereits für abgeschlossen erklärt worden sein sollte, das mündliche Verfahren wiederzueröffnen. Zur Begründung ihres Antrags hat RDD im Wesentlichen vorgetragen, dass die Schlussanträge der Generalanwältin auf einer falschen Sachverhaltsdarstellung beruhten, was die Beschreibung der Tätigkeiten von RDD und ihrer Muttergesellschaft, der Roche Diagnostics GmbH (im Folgenden: Roche Diagnostics), angehe.
Dieser Antrag ist nach der Verlesung der Schlussanträge der Generalanwältin und damit zu einem Zeitpunkt gestellt worden, als das mündliche Verfahren bereits gemäß Art. 82 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs für abgeschlossen erklärt worden war. Er ist folglich als ein Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu verstehen.
Der Gerichtshof kann gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.
Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof nach Anhörung der Generalanwältin zu dem Ergebnis gelangt, dass er über alle erforderlichen Angaben verfügt, um die vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage zu beantworten, und dass die Rechtssache nicht im Hinblick auf eine neue Tatsache, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung ist, oder im Hinblick auf ein vor ihm nicht erörtertes Vorbringen zu beurteilen ist.
Unter diesen Umständen wird der Antrag zurückgewiesen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
RDD vertreibt zwei Arten von Teststreifen zur Blutzuckerselbstkontrolle, die von Roche Diagnostics hergestellt werden. Für diese Produkte hat eine benannte Stelle im Vereinigten Königreich eine Konformitätsbewertung durchgeführt, und sie tragen die CE-Kennzeichnung.
In Deutschland verkauft RDD diese Produkte mit einer Kennzeichnung und einer Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache, worin die Messeinheiten „mmol/l“ und „mg/dl“ angegeben sind. Im Vereinigten Königreich bringt Roche Diagnostics diese Produkte nur mit der Angabe der Messeinheit „mmol/l“ in Verkehr.
Servoprax kauft beide von Roche Diagnostics hergestellten Arten von Teststreifen im Vereinigten Königreich, um sie in Deutschland wieder zu verkaufen. Diese Produkte versieht Servoprax mit einem Aufkleber und einer Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache. In der Zeit von Juni bis Herbst 2010 waren dabei die Grenzwerte der von Servoprax vertriebenen Produkte allein in „mmol/l“ angegeben, so wie dies bei den im Vereinigten Königreich verkauften Teststreifen der Fall ist.
RDD teilte Servoprax mit, dass sie diese Produkte nicht in Deutschland vertreiben könne, ohne sie einem ergänzenden Konformitätsbewertungsverfahren zu unterziehen. Servoprax wandte sich daraufhin an eine benannte Stelle in den Niederlanden. Am 13. Dezember 2010 erhielten die betreffenden Produkte von dieser Stelle die Zertifizierung.
RDD erhob beim Landgericht eine Klage, die im Wesentlichen darauf gerichtet war, Servoprax zur Zahlung von Schadensersatz für den durch die Produktverkäufe bis zum 13. Dezember 2010 erlittenen Schaden zu verurteilen. Diese Klage wurde abgewiesen.
Gegen dieses Urteil legte RDD Berufung ein. Das Berufungsgericht entschied, dass Servoprax gegen die nationale Regelung zur Kennzeichnung von In-vitro-Diagnostika verstoßen habe.
Das mit der von Servoprax eingelegten Revision befasste vorlegende Gericht vertritt den Standpunkt, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie 98/79 abhänge. Den Anträgen von RDD sei stattzugeben, wenn Servoprax durch den Vertrieb der betreffenden Produkte vor dem 13. Dezember 2010 gegen die Bestimmungen zur Kennzeichnung von In-vitro-Diagnostika verstoßen habe.
Aus Anhang I Abschnitt B Nr. 8.1 der Richtlinie 98/79 gehe hervor, dass die jedem Produkt beizugebenden Informationen, die unter Berücksichtigung des Ausbildungs- und Kenntnisstands des vorgesehenen Anwenderkreises die ordnungsgemäße und sichere Anwendung des Produkts und die Ermittlung des Herstellers ermöglichten, zu den in Art. 3 dieser Richtlinie genannten grundlegenden Anforderungen zählten. Diese Informationen umfassten die Angaben in der Kennzeichnung und in der Gebrauchsanweisung, die eine Übersetzung in der/den Amtssprache(n) des Mitgliedstaats enthalten müssten, in dem der Endverbraucher das Produkt zur Eigenanwendung erhalte.
Da die Kennzeichnung (Etikettierung) und die Gebrauchsanweisung Gegenstand der Prüfung der Verfahren zur Zertifizierung und Konformitätsbewertung nach den Anhängen IV und V der Richtlinie 98/79 seien und die Angaben zu den grundlegenden Anforderungen im Sinne von Art. 3 in Verbindung mit Anhang I der Richtlinie zählten, dürfe ein Parallelimporteur die umetikettierten und mit einer deutschsprachigen Gebrauchsanweisung versehenen In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung für die Blutzuckerbestimmung nicht ohne entsprechendes zusätzliches Konformitätsbewertungsverfahren in Deutschland in Verkehr bringen.
Die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 98/79 vorgesehene Ausnahme zugunsten einer Person, die – ohne Hersteller zu sein – bereits in Verkehr gebrachte Produkte für einen namentlich genannten Patienten entsprechend ihrer Zweckbestimmung montiere oder anpasse, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Einer erweiternden Auslegung dieser Ausnahmebestimmung stehe entgegen, dass eine nicht von einer benannten Stelle überprüfte Übernahme der Kennzeichnung und der Gebrauchsanweisung eines entsprechenden Produkts zu Gesundheitsgefährdungen der Patienten führen könnte. Im vorliegenden Fall enthielten die betreffenden in Deutschland vertriebenen Produkte allein die Messeinheit „mmol/l“. Daher müssten die Patienten zur Verwendung dieser Teststreifen in einem Messgerät nur mit den Messeinheiten „mg/dl“ eine Umrechnung in „mg/dl“ durchführen.
Dass die von Servoprax beigefügte Gebrauchsanweisung wörtlich der von RDD verwendeten Gebrauchsanweisung entspreche, dürfe sich nicht zugunsten des Parallelimporteurs auswirken. Bei dem ergänzenden Verfahren könne die Konformitätsprüfung nämlich darauf beschränkt werden, ob die jeweiligen Angaben auf der Verpackung und in der Gebrauchsanweisung tatsächlich mit den Angaben übereinstimmten, die bereits Gegenstand des vom Hersteller durchgeführten Konformitätsbewertungsverfahrens gewesen seien.
Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Muss ein Dritter ein In-vitro-Diagnostikum zur Eigenanwendung für die Blutzuckerbestimmung, das vom Hersteller in einem Mitgliedstaat A (konkret: im Vereinigten Königreich) einer Konformitätsbewertung nach Art. 9 der Richtlinie 98/79 unterzogen worden ist, das die CE-Kennzeichnung nach Art. 16 der Richtlinie trägt und das die grundlegenden Anforderungen gemäß Art. 3 und Anhang I der Richtlinie erfüllt, einer erneuten oder ergänzenden Konformitätsbewertung nach Art. 9 der Richtlinie unterziehen, bevor er das Produkt in einem Mitgliedstaat B (konkret: in der Bundesrepublik Deutschland) in Verpackungen in Verkehr bringt, auf denen Hinweise in der von der Amtssprache des Mitgliedstaats A abweichenden Amtssprache des Mitgliedstaats B angebracht sind (konkret: Deutsch statt Englisch) und denen Gebrauchsanweisungen in der Amtssprache des Mitgliedstaats B statt des Mitgliedstaats A beigefügt sind?
Macht es dabei einen Unterschied, ob die von dem Dritten beigefügten Gebrauchsanweisungen wörtlich den Informationen entsprechen, die der Hersteller des Produkts im Rahmen des Vertriebs im Mitgliedstaat B verwendet?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Richtlinie 98/79 dahin auszulegen ist, dass er den Parallelimporteur eines Produkts zur Eigenanwendung für die Blutzuckerbestimmung, das die CE-Kennzeichnung trägt und von einer benannten Stelle einer Konformitätsbewertung unterzogen worden ist, verpflichtet, eine neue Bewertung vornehmen zu lassen, mit der die Konformität der Kennzeichnung und der Gebrauchsanweisung dieses Produkts wegen ihrer Übersetzung in die Amtssprache des Einfuhrmitgliedstaats bescheinigt werden soll.
Zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage ist es zweckmäßig, auf die Verpflichtungen hinzuweisen, die den Herstellern und Parallelimporteuren nach der Richtlinie 98/79 zum Zwecke der Konformitätsbewertung eines Produkts zur Eigenanwendung, wie es im Ausgangsverfahren in Frage steht, obliegen.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Richtlinie 98/79, die eine gemäß Art. 100a EG-Vertrag (später Art. 95 EG) erlassene Harmonisierungsmaßnahme darstellt, den freien Verkehr von ihren Anforderungen entsprechenden In-vitro-Diagnostika begünstigen soll, um die in den Mitgliedstaaten geltenden verschiedenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu ersetzen, die Hemmnisse für den freien Handel darstellen.
Die Richtlinie 98/79 harmonisiert die grundlegenden Anforderungen, denen die in ihren Anwendungsbereich fallenden In-vitro-Diagnostika genügen müssen. Entsprechen die Produkte den harmonisierten Normen und sind sie gemäß den Verfahren der Richtlinie zertifiziert worden, ist zu vermuten, dass sie diese grundlegenden Anforderungen erfüllen, und deshalb anzunehmen, dass sie sich für ihren Verwendungszweck eignen.
Zu diesem Zweck müssen nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 98/79 mit Ausnahme der Produkte für Leistungsbewertungszwecke alle Produkte, von deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen gemäß Art. 3 dieser Richtlinie auszugehen ist, bei ihrem Inverkehrbringen mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie verbietet es den Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von Produkten mit der CE-Kennzeichnung zu behindern, wenn diese einer Konformitätsbewertung nach Art. 9 der Richtlinie unterzogen worden sind.
Aus diesen Bestimmungen geht somit hervor, dass die In-vitro-Diagnostika, deren Konformität mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 98/79 zertifiziert worden ist und die mit der CE-Kennzeichnung versehen sind, in der gesamten Union frei verkehrsfähig sein müssen, ohne dass ein Mitgliedstaat verlangen kann, dass ein solches Produkt einem neuen Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen wird (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Juni 2007, Medipac-Kazantzidis, C-6/05, EU:C:2007:337, Rn. 42). Aus diesem Grund ist in der Richtlinie 98/79 kein Mechanismus zur Konformitätskontrolle vorgesehen, der zu den in ihrem Art. 9 vorgesehenen Mechanismen hinzuträte oder diese ergänzte.
Was die sprachlichen Anforderungen angeht, die für den Vertrieb von In-vitro-Diagnostika zu erfüllen sind, so verlangt Art. 9 Abs. 11 der Richtlinie 98/79, dass die Unterlagen und der Schriftwechsel über die Bewertungs- und Konformitätsverfahren „in einer Amtssprache des Mitgliedstaats [abgefasst werden], in dem diese Verfahren durchgeführt werden, und/oder in einer anderen [Unionssprache], die von der benannten Stelle anerkannt wird“. Diese Bestimmung verlangt also nicht, dass die Bewertungsunterlagen in jeder der Amtssprachen der Mitgliedstaaten, in denen ein In-vitro-Diagnostikum verkauft werden soll, abgefasst werden.
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 98/79 können die Mitgliedstaaten jedoch verlangen, dass bei der Übergabe an den Endanwender die erforderlichen Informationen, die unter Berücksichtigung des Ausbildungs- und Kenntnisstandes des vorgesehenen Anwenderkreises die ordnungsgemäße und sichere Anwendung des Produkts und die Ermittlung des Herstellers ermöglichen, in der bzw. den jeweiligen Amtssprache(n) vorliegen. Im speziellen Fall der Produkte zur Eigenanwendung wandelt sich diese Möglichkeit zur Verpflichtung. Denn aus der Zusammenschau von Art. 4 Abs. 4 und Anhang I Abschnitt B Nr. 8.1 letzter Absatz der Richtlinie 98/79 ergibt sich, dass einem derartigem Produkt eine Übersetzung der Gebrauchsanweisung und der Kennzeichnung in der (den) Amtssprache(n) des Mitgliedstaats beizugeben ist, in dem der Endverbraucher das Produkt zur Eigenanwendung erhält.
Es ist hervorzuheben, dass die in den Rn. 37 und 39 des vorliegenden Urteils genannten Vorschriften unterschiedslos sowohl für den Hersteller als auch für den Parallelimporteur eines In-vitro-Diagnostikums gelten. Das gegenüber den Mitgliedstaaten ausgesprochene Verbot, eine neue Konformitätsbewertung zu verlangen, gilt für alle Produkte, die mit der CE-Kennzeichnung versehen sind und die einem Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 9 der Richtlinie 98/79 unterzogen worden sind. Ebenso gilt die Möglichkeit oder, soweit es um Produkte zur Eigenanwendung geht, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, zu verlangen, dass bei der Übergabe an den Endanwender eine Übersetzung der für die sichere Anwendung eines In-vitro-Diagnostikums erforderlichen Informationen in der bzw. den jeweiligen Amtssprache(n) des Mitgliedstaats vorliegt, für alle Produkte, gleichviel ob sie vom Hersteller oder einem Dritten verkauft werden.
Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich der Schluss, dass die Mitgliedstaaten zwar verpflichtet sind, für ein Produkt zur Eigenanwendung, wie es im Ausgangsverfahren in Frage steht, eine Übersetzung dieser Informationen in ihre Amtssprachen zu verlangen, aber nicht so weit gehen dürfen, dem Importeur eines solchen Produkts, das eine CE-Kennzeichnung trägt und von einer benannten Stelle einer Konformitätsbewertung unterzogen worden ist, vorzuschreiben, dass er dieses Produkt einer benannten Stelle vorlegen muss, um die Konformität der durch diese Übersetzungsverpflichtung bewirkten Änderungen bewerten zu lassen.
Das vorlegende Gericht stellt sich gleichwohl die Frage, ob – wie RDD geltend macht – der Parallelimporteur eines In-vitro-Diagnostikums, der einen Aufkleber und eine Gebrauchsanweisung in der Sprache des Einfuhrmitgliedstaats hinzufügt, aus Gründen der Patientensicherheit einem Hersteller gleichzustellen sei und folglich eine ergänzende Konformitätsbewertung durchführen müsse.
Wie jedoch die Generalanwältin in Nr. 27 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gilt die Pflicht zur Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens gemäß Art. 9 der Richtlinie 98/79 nur für die Hersteller. Hierunter ist nach der Begriffsdefinition in Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie die Person zu verstehen, die ein Produkt in eigenem Namen in Verkehr bringt. Wenn jemand In-vitro-Diagnostika, nachdem sie von ihrem Hersteller in der Union in Verkehr gebracht worden sind, in einem Mitgliedstaat kauft, um sie sodann in einem anderen Mitgliedstaat wieder zu verkaufen, ohne ihre Verpackung oder ursprüngliche Aufmachung anders als durch Hinzufügung eines Aufklebers und einer Gebrauchsanweisung in der oder den Amtssprache(n) des Einfuhrmitgliedstaats zu ändern, kann der Betreffende nicht als jemand angesehen werden, der das Produkt umverpackt oder „in eigenem Namen“ in Verkehr gebracht hätte.
Unter solchen Umständen kann der Parallelimporteur von Produkten zur Eigenanwendung wie den im Ausgangsverfahren streitigen, da er sie nicht in eigenem Namen vertreibt, nicht als „Hersteller“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 98/79 angesehen werden. Folglich kann dieser Importeur nicht verpflichtet werden, die betreffenden Produkte einem neuen Konformitätsbewertungsverfahren nach Art. 9 dieser Richtlinie zu unterziehen, um die Konformität der Änderungen, die er an der Kennzeichnung und der Gebrauchsanweisung dieses Produkts infolge ihrer Übersetzung in die Amtssprache des Einfuhrmitgliedstaats vornimmt, bescheinigen zu lassen.
Soweit das vorlegende Gericht Befürchtungen wegen der fehlenden Angabe der beiden Messeinheiten („mmol/l“ und „mg/dl“) auf den von Servoprax importierten Produkten äußert, die auf den von RDD in Deutschland verkauften Produkten dagegen vorhanden sind, ist jedenfalls zu betonen, dass nichts in den dem Gerichtshof vorgelegten Akten darauf hindeutet, dass eine solche Aufmachung gegen das deutsche Recht verstieße. Darüber hinaus hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass es im innerstaatlichen Recht kein Verbot des Verkaufs von Produkten zur Blutzuckermessung gebe, die allein die Messeinheit „mmol/l“ tragen.
Für den Fall, dass festgestellt würde, dass bestimmte Produkte zur Eigenanwendung mit CE-Kennzeichnung wie die im Ausgangsverfahren fraglichen möglicherweise Gefahren für die Gesundheit oder Sicherheit mit sich bringen, ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 98/79, zu deren wesentlichen Zielen ausweislich ihres fünften Erwägungsgrundes die Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung des in den Mitgliedstaaten erreichten Gesundheitsschutzniveaus gehört, die Durchführung von Schutzmaßnahmen vorsieht. Nach Art. 8 der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten, die Gefahren für die Gesundheit und/oder Sicherheit der Patienten, der Anwender oder gegebenenfalls Dritter oder die Sicherheit von Eigentum festgestellt haben, verpflichtet, alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen zu treffen, um diese Produkte vom Markt zu nehmen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Der betreffende Mitgliedstaat ist unter diesen Umständen nach der genannten Vorschrift verpflichtet, der Kommission unverzüglich die getroffenen Maßnahmen und insbesondere die Gründe für ihren Erlass mitzuteilen.
Dieser Schutzmechanismus wird durch das Beobachtungs- und Meldeverfahren gemäß Art. 11 der Richtlinie 98/79 ergänzt. Dieses Verfahren verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Angaben, die ihnen u. a. in Bezug auf „jede Unsachgemäßheit der Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung [von Produkten mit CE-Kennzeichnung], die direkt oder indirekt zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten oder eines Anwenders oder einer anderen Person führen könnte oder geführt haben könnte“, zur Kenntnis gebracht worden sind, unverzüglich der Europäischen Kommission und den anderen Mitgliedstaaten mitgeteilt werden sowie zentral erfasst und bewertet werden.
Die Kombination aus diesen Schutzverfahren sowie Beobachtungs- und Meldeverfahren ermöglicht es somit, die Gesundheit und Sicherheit der Betroffenen zu schützen und dabei die Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs zu begrenzen, die die Anwendung nationaler Maßnahmen mit sich brächte, welche den Importeur dazu verpflichten, die Änderungen, die an der Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung eines Produkts zur Erfüllung der sprachlichen Anforderungen des Einfuhrmitgliedstaats vorgenommen werden, einer Konformitätsbewertung unterziehen zu lassen.
In diesem Zusammenhang hat die Kommission unter entsprechender Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung des Markenrechts auf die Umverpackung von Produkten – insbesondere des Urteils vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a. (C-427/93, C-429/93 und C-436/93, EU:C:1996:282), und des Beschlusses vom 11. Dezember 2002, Merkur Chemical (C-134/00, nicht veröffentlicht, EU:C:2002:743) – die Auffassung vertreten, dass sich ein Hersteller nicht der Anbringung eines Aufklebers durch den Parallelimporteur oder der Beifügung einer Übersetzung der Gebrauchsanweisung widersetzen könne, wenn ihn der Importeur vorab vom Feilhalten des umgepackten Produkts unterrichtet habe, um es ihm zu ermöglichen, die Richtigkeit der Angaben zu überprüfen und die Produkt- und Patientensicherheit sicherzustellen. Eine solche Überprüfung bezöge sich auch auf die Messeinheiten und ermöglichte es, Bedenken hinsichtlich der Patientengesundheit effizient zu begegnen.
Wie jedoch die Generalanwältin in Nr. 46 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, bietet das Unionsrecht nach seinem gegenwärtigen Stand keine Rechtsgrundlage für dieses von der Kommission befürwortete Verfahren der vorherigen Unterrichtung. Die Richtlinie 98/79 enthält nämlich keine Bestimmung, aufgrund deren angenommen werden könnte, dass der Unionsgesetzgeber ein solches Verfahren, und sei es auch nur stillschweigend, eingerichtet hätte.
Im Übrigen widerspräche es der Systematik und dem Zweck der Richtlinie 98/79, dem Hersteller eines In-vitro-Diagnostikums das Recht zuzuerkennen, allein aufgrund des Umstands, dass dieses Produkt eine CE-Kennzeichnung trägt, vorab über einen Parallelimport unterrichtet zu werden. Die CE-Kennzeichnung gewährt nämlich dem Hersteller, der sie auf einem In-vitro-Diagnostikum anbringen lässt, nachdem er dieses Produkt einer Konformitätsbewertung gemäß Art. 9 der Richtlinie 98/79 unterzogen hat, kein ausschließliches Recht, das mit dem Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers vergleichbar wäre.
Nach alledem ist auf die gestellte Frage zu antworten, dass Art. 9 der Richtlinie 98/79 dahin auszulegen ist, dass er den Parallelimporteur eines Produkts zur Eigenanwendung für die Blutzuckerbestimmung, das die CE-Kennzeichnung trägt und von einer benannten Stelle einer Konformitätsbewertung unterzogen worden ist, nicht verpflichtet, eine neue Bewertung vornehmen zu lassen, mit der die Konformität der Kennzeichnung und der Gebrauchsanweisung dieses Produkts wegen ihrer Übersetzung in die Amtssprache des Einfuhrmitgliedstaats bescheinigt werden soll.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 9 der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika ist dahin auszulegen, dass er den Parallelimporteur eines Produkts zur Eigenanwendung für die Blutzuckerbestimmung, das die CE-Kennzeichnung trägt und von einer benannten Stelle einer Konformitätsbewertung unterzogen worden ist, nicht verpflichtet, eine neue Bewertung vornehmen zu lassen, mit der die Konformität der Kennzeichnung und der Gebrauchsanweisung dieses Produkts wegen ihrer Übersetzung in die Amtssprache des Einfuhrmitgliedstaats bescheinigt werden soll.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Rheinland-Pfalz/Saarland
Persönlicher Ansprechpartner