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EuGH 26.09.2013 - C-418/11
EuGH 26.09.2013 - C-418/11 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 26. September 2013 ( *1) - „Gesellschaftsrecht — Niederlassungsfreiheit — Elfte Richtlinie 89/666/EWG — Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen — Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat — Geldbuße bei nicht fristgemäßer Offenlegung — Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz — Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte — Geeignetheit, Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und abschreckende Wirkung der Sanktion“
Leitsatz
In der Rechtssache C-418/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Innsbruck (Österreich) mit Entscheidung vom 29. Juli 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 10. August 2011, in dem Verfahren
Texdata Software GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus (Berichterstatter) und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Texdata Software GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte N. Arnold und T. Raubal,
der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und F. Koppensteiner als Bevollmächtigte,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und K.-P. Wojcik als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. Januar 2013
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und 3 EUV, Art. 49 AEUV und 54 AEUV, Art. 47 und 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), Art. 6 Abs. 2 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), Art. 6 der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8, im Folgenden: Erste Richtlinie), Art. 60a der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11) in der durch die Richtlinie 2009/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 (ABl. L 164, S. 42) geänderten Fassung (im Folgenden: Vierte Richtlinie) und Art. 38 Abs. 6 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193, S. 1, im Folgenden: Siebente Richtlinie).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage der Texdata Software GmbH (im Folgenden: Texdata) gegen die Zwangsstrafen, die vom Landesgericht Innsbruck gegen sie verhängt wurden, um die Verletzung ihrer Pflicht zur Einbringung von Jahresabschlüssen bei diesem Gericht, das mit der Führung des Firmenbuchs betraut ist, zu ahnden.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
Art. 6 EMRK („Recht auf ein faires Verfahren“) bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:
„(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder gegen eine über sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
(2) Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“
Unionsrecht
Erste Richtlinie und Richtlinie 2009/101/EG
Die Erste Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 258, S. 11), mit Wirkung zum 21. Oktober 2009 aufgehoben.
Nach Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2009/101 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung hinsichtlich der in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Gesellschaften mindestens auf die nach Maßgabe u. a. der Vierten und der Siebenten Richtlinie für jedes Geschäftsjahr offenzulegenden Unterlagen der Rechnungslegung erstreckt.
Art. 7 Buchst. a der Richtlinie 2009/101, dessen Wortlaut dem von Art. 6 Buchst. a der Ersten Richtlinie entspricht, sieht vor, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßregeln zumindest für den Fall androhen, dass die in Art. 2 Buchst. f dieser Richtlinie vorgeschriebene Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen unterbleibt.
Vierte Richtlinie
In Art. 47 der Vierten Richtlinie heißt es, dass der ordnungsgemäß gebilligte Jahresabschluss und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlussprüfung beauftragten Person nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 der Ersten Richtlinie vorgesehenen Verfahren offenzulegen sind.
Art. 60a der Vierten Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten legen Sanktionen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften fest und treffen alle zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“
Elfte Richtlinie 89/666/EWG
Die Elfte Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (ABl. L 395, S. 36, im Folgenden: Elfte Richtlinie), betrifft Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften. Ihre Erwägungsgründe 1, 4 und 9 lauten:
„Um die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 des Vertrages zu erleichtern, sehen Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages und das allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit die Koordinierung der Schutzbestimmungen vor, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind.
…
Das Fehlen einer Koordinierung für die Zweigniederlassungen, insbesondere im Bereich der Offenlegung, hat im Hinblick auf den Schutz von Gesellschaftern und Dritten zu Unterschieden geführt zwischen den Gesellschaften, welche sich in anderen Mitgliedstaaten durch die Errichtung von Zweigniederlassungen betätigen, und den Gesellschaften, die dies durch die Gründung von Tochtergesellschaften tun.
…
Einzelstaatliche Vorschriften, welche die Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung verlangen, die sich auf die Zweigniederlassung beziehen, haben ihre Berechtigung verloren, nachdem die einzelstaatlichen Vorschriften über die Erstellung, Prüfung und Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft angeglichen worden sind. Deshalb genügt es, die von der Gesellschaft geprüften und offengelegten Rechnungslegungsunterlagen beim Register der Zweigniederlassung offenzulegen.“
Art. 1 Abs. 1 und 2 der Elften Richtlinie sieht vor:
„(1) Die Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung, die in einem Mitgliedstaat von einer Gesellschaft errichtet worden ist, welche dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegt und auf welche die [Erste Richtlinie] Anwendung findet, sind nach dem Recht des Mitgliedstaats der Zweigniederlassung im Einklang [mit Art.] 3 der genannten Richtlinie offenzulegen.
(2) Weicht die Offenlegung bei der Zweigniederlassung von der Offenlegung bei der Gesellschaft ab, so ist für den Geschäftsverkehr mit der Zweigniederlassung die Offenlegung bei der Zweigniederlassung maßgebend.“
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. g in Verbindung mit Art. 3 der Elften Richtlinie erstreckt sich die Pflicht zur Offenlegung nach ihrem Art. 1 lediglich auf die Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem die Gesellschaft unterliegt, im Einklang u. a. mit der Vierten und Siebenten Richtlinie erstellt, geprüft und offengelegt worden sind.
Art. 12 der Elften Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten „geeignete Maßregeln für den Fall an[drohen], dass die in den Art. 1, 2, 3 … vorgeschriebene Offenlegung unterbleibt“.
Österreichisches Recht
Nach § 277 Abs. 1 des Unternehmensgesetzbuchs (dRBl 219/1897) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: UGB) haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften den Jahresabschluss und den Lagebericht sowie gegebenenfalls den Corporate-Governance-Bericht nach ihrer Behandlung in der Hauptversammlung (Generalversammlung), jedoch spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag, mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung oder Einschränkung beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen.
§ 280a UGB („Offenlegung der Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften“) bestimmt, dass bei Zweigniederlassungen von ausländischen Kapitalgesellschaften die Vertreter der Zweigniederlassung die Unterlagen der Rechnungslegung, die nach dem für die Hauptniederlassung der Gesellschaft maßgeblichen Recht erstellt, geprüft und offengelegt worden sind, gemäß den §§ 277, 281 und 282 UGB in deutscher Sprache offenzulegen haben.
§ 283 UGB („Zwangsstrafen“) in der durch das Budgetbegleitgesetz von 2011 (BGBl. I 111/2010, im Folgenden: BBG) geänderten Fassung sieht vor:
„(1) Die Vorstandsmitglieder (Geschäftsführer) oder die Abwickler sind, unbeschadet der allgemeinen unternehmensrechtlichen Vorschriften, zur zeitgerechten Befolgung der §§ … 277 bis 280, die Aufsichtsratsmitglieder zur Befolgung des § 270 und im Fall einer inländischen Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft die für diese im Inland vertretungsbefugten Personen zur Befolgung des § 280a vom Gericht durch Zwangsstrafen von 700 Euro bis zu 3600 Euro anzuhalten. Die Zwangsstrafe ist nach Ablauf der Offenlegungsfrist zu verhängen. Sie ist wiederholt zu verhängen, soweit die genannten Organe ihren Pflichten nach je weiteren zwei Monaten noch nicht nachgekommen sind.
(2) Ist die Offenlegung nach Abs. 1 nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgt, so ist – sofern die Offenlegung nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist – ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung eine Zwangsstrafe von 700 Euro zu verhängen. Von der Verhängung einer Zwangsstrafverfügung kann abgesehen werden, wenn das in Abs. 1 genannte Organ offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegenstand, zugewartet werden. Zwangsstrafverfügungen sind wie Klagen zuzustellen. Gegen die Zwangsstrafverfügung kann das jeweilige Organ binnen 14 Tagen Einspruch erheben, andernfalls erwächst die Zwangsstrafverfügung in Rechtskraft. Im Einspruch sind die Gründe für die Nichtbefolgung der in Abs. 1 genannten Pflichten anzuführen. Gegen die Versäumung der Einspruchsfrist kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden … Ist der Einspruch verspätet oder fehlt ihm jegliche Begründung, so ist er mit Beschluss zurückzuweisen.
(3) Mit der rechtzeitigen Erhebung des begründeten Einspruchs tritt die Zwangsstrafverfügung außer Kraft. Über die Verhängung der Zwangsstrafe ist im ordentlichen Verfahren mit Beschluss zu entscheiden. Ist nicht mit Einstellung des Zwangsstrafverfahrens vorzugehen, so kann – ohne vorherige Androhung – eine Zwangsstrafe von 700 Euro bis 3 600 Euro verhängt werden. Gegen die Verhängung einer Zwangsstrafe im ordentlichen Verfahren steht dem jeweiligen Organ ein Rechtsmittel zu …
(4) Ist die Offenlegung innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des letzten Tages der Offenlegungsfrist noch immer nicht erfolgt, so ist durch Strafverfügung eine weitere Zwangsstrafe von 700 Euro zu verhängen. Das Gleiche gilt bei Unterbleiben der Offenlegung für jeweils weitere zwei Monate; wird gegen eine solche Zwangsstrafverfügung Einspruch erhoben, so ist der Beschluss über die verhängte Zwangsstrafe zu veröffentlichen.
…
(6) Die Zwangsstrafen sind auch dann zu vollstrecken, wenn die Bestraften ihrer Pflicht nachkommen oder deren Erfüllung unmöglich geworden ist.
(7) Die den gesetzlichen Vertretern in den §§ … 277 bis 280a auferlegten Pflichten treffen auch die Gesellschaft. Kommt die Gesellschaft diesen Pflichten durch ihre Organe nicht nach, so ist gleichzeitig auch mit der Verhängung von Zwangsstrafen unter sinngemäßer Anwendung der Abs. 1 bis 6 auch gegen die Gesellschaft vorzugehen.“
Den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ist zu entnehmen, dass nach den Übergangsbestimmungen der Neufassung des § 283 UGB diese Vorschrift in der Fassung des BBG am 1. Jänner 2011 in Kraft getreten und nur auf Verstöße anzuwenden ist, die nach diesem Zeitpunkt erfolgt sind. Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des BBG ergibt sich jedoch, dass in jenen Fällen, in denen einer bestehenden Offenlegungspflicht vom 1. Jänner 2011 bis einschließlich 28. Februar 2011 nicht nachgekommen wurde, ein Zwangsstrafverfahren frühestens am 1. März 2011 und nur mit Zwangsstrafverfügung eingeleitet werden konnte.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Texdata, eine in Deutschland niedergelassene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist auf dem Gebiet des Vertriebs und der Konzeptionierung von Software tätig. In Österreich übt sie ihre Tätigkeiten über eine Zweigniederlassung aus, die seit dem 4. März 2008 im österreichischen Firmenbuch als Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft eingetragen ist.
Mit zwei Zwangsstrafverfügungen vom 5. Mai 2011 verhängte das Landesgericht Innsbruck gemäß § 283 Abs. 2 UGB in der Fassung des BBG zwei Zwangsstrafen in Höhe von jeweils 700 Euro gegen diese Gesellschaft, weil sie die Jahresabschlüsse für die beiden Geschäftsjahre mit Enddatum 31. Dezember 2008 bzw. 31. Dezember 2009 nicht fristgemäß bei ihm eingebracht habe, also weder gemäß den Übergangsbestimmungen vor dem 28. Februar 2011 noch bis zu dem Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügungen.
Am 23. Mai 2011 erhob Texdata beim Landesgericht Innsbruck fristgemäß Einspruch gegen die beiden Zwangsstrafverfügungen. Zur Begründung trug sie vor, dass eine Strafverfügung wegen Verletzung der Offenlegungspflicht nach § 283 UGB in der Fassung des BBG ohne vorherige Aufforderung unzulässig sei und dass die Jahresabschlüsse fristgemäß beim Amtsgericht Karlsruhe (Deutschland), das aufgrund des Sitzes der Muttergesellschaft örtlich zuständig sei, eingebracht worden seien und seit langem im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingesehen werden könnten.
Am selben Tag brachte Texdata beim Landesgericht Innsbruck die betreffenden Jahresabschlüsse ein, die von diesem am 25. und 26. Mai 2011 in das Firmenbuch eingetragen wurden.
Mit zwei Beschlüssen vom 25. Mai 2011 sprach das Landesgericht Innsbruck aus, dass die Zwangsstrafverfügungen vom 5. Mai 2011 durch die rechtzeitigen Einsprüche außer Kraft gesetzt worden seien. Dennoch verhängte dieses Gericht im ordentlichen Verfahren gemäß § 283 Abs. 3 und 7 UGB in der Fassung des BBG wiederum zwei Geldstrafen in gleicher Höhe, weil die streitigen Jahresabschlüsse nicht fristgemäß eingebracht worden seien.
Das mit dem Rekurs gegen diese Beschlüsse befasste vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob die österreichische Sanktionsregelung in ihrer im Jahr 2011 geänderten Fassung, die eine sofortige Verhängung einer Zwangsstrafe gegen eine Gesellschaft vorsehe, die ihre Jahresabschlüsse nicht beim zuständigen Gericht einbringe, mit dem Unionsrecht vereinbar sei.
Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts hatte sich vor der Reform von 2011 bei den österreichischen Firmenbuchgerichten die Übung eingebürgert, nach Ablauf der neunmonatigen Frist der §§ 277 und 283 UGB eine formlose Aufforderung an die säumige Gesellschaft zu versenden und ihr darin eine Nachfrist von vier Wochen einzuräumen. Nach Ablauf dieser Frist sei bei Fortbestand der Säumnis eine zweite Aufforderung unter Androhung einer Zwangsstrafe versandt worden, den vollständigen Jahresabschluss innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen oder darzutun, dass diese Verpflichtung nicht bestehe. Die Gerichte hätten die Zwangsstrafe erst verhängt, wenn auch dieser Aufforderung nicht Folge geleistet worden sei und keine Hindernisse für die Erfüllung der Offenlegungspflicht geltend gemacht worden seien.
Das vorlegende Gericht führt folgende Gesichtspunkte an, die es als „strukturelle Defizite“ des nationalen Verfahrens betrachtet: erstens die überzogenen Formalerfordernisse, die sich zum einen aus der Zurückweisung verspäteter oder einer Begründung entbehrender Einsprüche und zum anderen aus dem Verbot ergäben, im Rekurs eine Begründung nachzutragen, es sei denn, es liege eine entschuldbare Fehlleistung vor, zweitens die fehlende Gewährleistung einer mündlichen Verhandlung, drittens die Verletzung der Verteidigungsrechte durch die fehlende Möglichkeit, vor Verhängung der Zwangsstrafe Erklärungen abzugeben, viertens eine gesetzliche Verschuldensvermutung, die dazu führe, dass die Gesellschaft die Beweislast trage, fünftens die unangemessenen Präklusivfristen und die fehlende vorherige Aufforderung, die eine Rechtsunsicherheit für in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaften zur Folge hätten, und sechstens der Umstand, dass bei wiederholter Säumnis in regelmäßigen Abständen Sanktionen verhängt werden könnten, ohne dass die früheren Zwangsstrafverfügungen Rechtskraft erlangten.
Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Innsbruck beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht das Unionsrecht in seinem gegenwärtigen Stand, insbesondere
die Niederlassungsfreiheit der Art. 49 AEUV und 54 AEUV,
der allgemeine Rechtsgrundsatz (Art. 6 Abs. 3 EUV) des effektiven Rechtsschutzes (Grundsatz der Effektivität),
der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 47 Abs. 2 der Charta (Art. 6 Abs. 1 EUV) und Art. 6 Abs. 2 EMRK (Art. 6 Abs. 1 EUV),
das Doppelbestrafungsverbot des Art. 50 der Charta oder
die Vorgaben für die Sanktionen im Offenlegungsverfahren nach Art. 6 der Ersten Richtlinie, Art. 60a der Vierten Richtlinie und Art. 38 Abs. 6 der Siebenten Richtlinie,
einer nationalen Regelung entgegen, die bei Überschreitung der gesetzlichen neunmonatigen Frist zur Aufstellung und Offenlegung des Jahresabschlusses gegenüber dem zuständigen Firmenbuch(=Register-)gericht
ohne vorherige Stellungnahmemöglichkeit zum Bestehen der Offenlegungspflicht und zu allfälligen Hinderungsgründen, insbesondere ohne vorherige Prüfung, ob dieser Jahresabschluss überhaupt schon dem Registergericht der Hauptniederlassung vorgelegt wurde, und
ohne vorherige individuelle Aufforderung an die Gesellschaft oder an die vertretungsbefugten Organe, der Offenlegungspflicht zu genügen,
vom Firmenbuchgericht sofort die Verhängung einer Mindestgeldstrafe von 700 Euro über die Gesellschaft und über jedes der vertretungsbefugten Organe mangels gegenteiligen Nachweises unter der Fiktion, die Gesellschaft und ihre Organe hätten schuldhaft die Offenlegung unterlassen, verlangt und bei weiterer Säumnis um jeweils zwei Monate sofort die weitere Verhängung jeweils weiterer Mindestgeldstrafen von 700 Euro über die Gesellschaft und über jedes der vertretungsbefugten Organe wieder mangels gegenteiligen Nachweises unter der Fiktion, die Gesellschaft und ihre Organe hätten schuldhaft die Offenlegung unterlassen, erfordert?
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
Die österreichische Regierung macht erstens geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, da das vorlegende Gericht die auf das Ausgangsverfahren anwendbare nationale Regelung fehlerhaft dargestellt habe, so dass es zweifelhaft erscheine, ob der Gerichtshof eine zweckdienliche und nicht rein hypothetische Antwort auf die Vorlagefragen geben könne.
Zudem ergebe sich aus diesem Ersuchen, insbesondere aus den Fragen im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Effektivität, dass der Gerichtshof dazu aufgefordert werde, das innerstaatliche Recht auszulegen. Es sei jedoch ausschließlich Aufgabe der mitgliedstaatlichen Gerichte, zu prüfen, ob eine einschlägige nationale Regelung konkret den Erfordernissen in Bezug auf Äquivalenz und Effektivität genüge.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Verfahren gemäß Art. 267 AEUV auf einer klaren Trennung der Aufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, der nur befugt ist, sich zur Auslegung oder zur Gültigkeit von Rechtsakten der Union im Sinne dieses Artikels zu äußern. In diesem Rahmen kann der Gerichtshof weder über die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften befinden noch darüber entscheiden, ob diese vom nationalen Gericht zutreffend ausgelegt worden sind (vgl. u. a. Urteile vom 18. Januar 2007, Auroux u. a., C-220/05, Slg. 2007, I-385, Randnr. 25, vom 7. Oktober 2010, dos Santos Palhota u. a., C-515/08, Slg. 2010, I-9133, Randnr. 18, und vom 21. Oktober 2010, Idryma Typou, C-81/09, Slg. 2010, I-10161, Randnr. 35).
Der Gerichtshof hat daher in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen einfügen, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen (Urteile vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri, C-482/01 und C-493/01, Slg. 2004, I-5257, Randnr. 42, sowie vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C-378/07 bis C-380/07, Slg. 2009, I-3071, Randnr. 48). Demnach ist die Auslegung der österreichischen Regelung zugrunde zu legen, wie sie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt und die Prämisse der dem Gerichtshof vorgelegten Frage darstellt.
Zu dem Argument, der Gerichtshof werde zur Auslegung des innerstaatlichen Rechts aufgefordert, genügt die Feststellung, dass sich schon aus dem Wortlaut der Vorlagefrage ergibt, dass mit ihr um die Auslegung von Bestimmungen und Grundsätzen des Unionsrechts ersucht wird.
Zweitens trägt die Regierung des Vereinigten Königreichs, ohne ausdrücklich eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, vor, dass einige Teile der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits ohne Belang seien, da sie entweder auf Richtlinien verwiesen, die unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar seien, oder Sachverhalte beträfen, die im Ausgangsverfahren nicht vorlägen.
Im Einzelnen macht sie zum einen geltend, dass die Erste und die Siebente Richtlinie unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar seien, wohl aber die vom vorlegenden Gericht nicht angeführte Elfte Richtlinie.
Zum anderen dürfe der Gerichtshof die österreichischen Rechtsvorschriften, die die Möglichkeit vorsähen, sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen ihre vertretungsbefugten Organe mit Geldstrafen vorzugehen und im Fall einer wiederholten Säumnis alle zwei Monate wieder Geldstrafen zu verhängen, nicht berücksichtigen, soweit sie sich angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens als unanwendbar erwiesen.
Zweifelhaft sei auch, ob es möglich sei, die seit dem 1. Januar 2011 geltenden nationalen Rechtsvorschriften rückwirkend auf Einreichungssäumnisse in Bezug auf Abschlüsse für Geschäftsjahre anzuwenden, die am 31. Dezember 2008 bzw. am 31. Dezember 2009 geendet hätten.
Was die Erheblichkeit der geltend gemachten Bestimmungen anbelangt, hindert nach ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass das vorlegende Gericht eine Vorlagefrage unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können (vgl. u. a. Urteile vom 21. Februar 2006, Ritter-Coulais, C-152/03, Slg. 2006, I-1711, Randnr. 29, vom 10. Februar 2011, Vicoplus u. a., C-307/09 bis C-309/09, Slg. 2011, I-453, Randnr. 22, und vom 22. März 2012, Nilaş u. a., C-248/11, Randnr. 31). Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. Urteile vom 27. Oktober 2009, ČEZ, C-115/08, Slg. 2009, I-10265, Randnr. 81, und Idryma Typou, Randnr. 31).
Das erste Argument der Regierung des Vereinigten Königreichs kann daher die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens nicht berühren.
Was die hypothetischen Sachverhalte anbelangt, ist zu beachten, dass die in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils dargestellten Elemente der nationalen Regelung vom vorlegenden Gericht insbesondere angeführt wurden, um ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz ne bis in idem zu überprüfen.
Dieser Grundsatz besagt, dass niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf.
Wie sich aus dem in den Randnrn. 18 bis 21 des vorliegenden Urteils zusammengefassten und von Texdata und der österreichischen Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigten Sachverhalt ergibt, wurden gegen Texdata zwei Zwangsstrafen verhängt, die sich auf zwei unterschiedliche Zeiträume, nämlich die Jahre 2008 und 2009, bezogen. Da Texdata ihrer Offenlegungspflicht kurz nach Erlassung der angefochtenen Verfügungen nachkam, handelt es sich nicht um mehrfache Sanktionen für dieselben Zeiträume.
Somit ist festzustellen, dass die unter Buchst. d zur Auslegung des Grundsatzes ne bis in idem gestellte Vorlagefrage unzulässig ist.
Was schließlich die gerügte rückwirkende Anwendung der betreffenden nationalen Regelung betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Bestimmung der in zeitlicher Hinsicht anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften eine Frage der Auslegung des nationalen Rechts ist, die folglich nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens fällt (Urteil vom 21. Oktober 2010, Padawan, C-467/08, Slg. 2010, I-10055, Randnr. 24).
Nach alledem ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen mit Ausnahme der auf die Auslegung des Grundsatzes ne bis in idem bezogenen Frage unter Buchst. d zulässig.
Zur Vorlagefrage
Zu den anwendbaren Vorschriften
Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort geben zu können, ist mit Blick auf die in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung zunächst zu klären, ob die Richtlinienbestimmungen, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens Anwendung finden, in der die in Österreich ansässige Zweigniederlassung einer in Deutschland niedergelassenen Kapitalgesellschaft ihre Pflicht zur Offenlegung ihrer Jahresabschlüsse zum Ende der Geschäftsjahre 2008 und 2009 verletzt hat.
Hierzu ist festzustellen, dass ein solcher Sachverhalt speziell von der Elften Richtlinie erfasst wird und insbesondere von deren Art. 1, der im Wesentlichen bestimmt, dass die Urkunden einer Zweigniederlassung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach dem Recht des Mitgliedstaats der Zweigniederlassung offenzulegen sind, und von ihrem Art. 12, wonach die Mitgliedstaaten geeignete Maßregeln für den Fall androhen müssen, dass die u. a. in Art. 1 dieser Richtlinie vorgeschriebene Offenlegung unterbleibt.
Da die genannten Bestimmungen speziell für die Umstände des Ausgangsrechtsstreits gelten, ist davon auszugehen, dass dieser Rechtsstreit ihnen unterliegt und nicht den Bestimmungen der Richtlinie 2009/101 sowie der Vierten und der Siebenten Richtlinie, die zwar auch Offenlegungspflichten vorsehen, aber nicht ebenso speziell einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens betreffen.
Demnach ist die Vorlagefrage dahin zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob das Unionsrecht, insbesondere die Art. 49 AEUV und 54 AEUV, die Grundsätze des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 12 der Elften Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, wonach bei Überschreitung der neunmonatigen Frist zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen gegen die Kapitalgesellschaft, die eine im betreffenden Mitgliedstaat ansässige Zweigniederlassung hat, sofort eine Mindestgeldstrafe von 700 Euro verhängt wird, ohne zuvor eine Aufforderung an sie zu richten und ohne ihr die Möglichkeit zu geben, zu der ihr vorgeworfenen Säumnis Stellung zu nehmen.
Da mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung die Verletzung der mit der Elften Richtlinie harmonisierten Pflicht von Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften zur Offenlegung ihrer Jahresabschlüsse geahndet werden soll, ist als Erstes der die Auslegung dieser Richtlinie betreffende Buchst. e der Frage zu prüfen. Als Zweites ist gemäß Buchst. a der Frage zu prüfen, ob diese Regelung eine Beschränkung der in den Art. 49 AEUV und 54 AEUV vorgesehenen Niederlassungsfreiheit darstellt. Als Drittes ist auf die Buchst. b und c der Frage zur Anwendbarkeit und eventuellen Verletzung der Grundsätze des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte einzugehen.
Zur Elften Richtlinie
Die Offenlegungspflicht von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegen, ergibt sich aus Art. 1 der Elften Richtlinie. Diese Pflicht wurde mit § 277 Abs. 1 und § 280a UGB in das österreichische Recht umgesetzt.
Art. 12 der Elften Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten, geeignete Maßregeln für den Fall zu erlassen, dass die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen unterbleibt. Die Elfte Richtlinie enthält jedoch keine genaueren Regeln für die Festlegung dieser nationalen Maßregeln und stellt insbesondere kein ausdrückliches Kriterium für die Beurteilung ihrer Verhältnismäßigkeit auf.
Unter diesen Umständen müssen die Mitgliedstaaten, denen die Wahl der Maßregeln überlassen bleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Unionsrecht durch Sanktionen geahndet werden, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2005, Berlusconi u. a., C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565, Randnr. 65).
Der Gerichtshof hat u. a. entschieden, dass die Härte der Sanktionen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen muss, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. entsprechend Urteil vom 25. April 2013, Asociaţia Accept, C-81/12, Randnr. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dabei dürfen die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Maßnahmen nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit diesen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 2010, ERG u. a., C-379/08 und C-380/08, Slg. 2010, I-2007, Randnr. 86, und vom 9. Februar 2012, Urbán, C-210/10, Randnr. 24).
Im vorliegenden Fall ergibt sich sowohl aus Art. 50 Abs. 2 Buchst. g AEUV, der als Rechtsgrundlage für den Erlass der Richtlinien zum Gesellschaftsrecht gedient hat, als auch aus dem vierten Erwägungsgrund der Elften Richtlinie, dass das Ziel der Offenlegung von Gesellschaften darin besteht, die Interessen sowohl der Gesellschafter als auch Dritter zu schützen.
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass es ein grundlegendes Prinzip darstellt, dass die Jahresabschlüsse ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der betreffenden Gesellschaft vermitteln müssen (vgl. Urteile vom 27. Juni 1996, Tomberger, C-234/94, Slg. 1996, I-3133, Randnr. 17, berichtigt durch Beschluss vom 10. Juli 1997, vom7. Januar 2003, BIAO, C-306/99, Slg. 2003, I-1, Randnr. 72, und Berlusconi u. a., Randnr. 54). Ihre Offenlegung dient hauptsächlich der Unterrichtung Dritter, die die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht hinreichend kennen oder kennen können (Urteil vom 4. Dezember 1997, Daihatsu Deutschland, C-97/96, Slg. 1997, I-6843, Randnr. 22).
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu klären, ob die Verletzung der Pflicht zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen bei Anwendung der Sanktionsregelung des § 283 UGB in der Fassung des BBG nach materiellen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet wird, die der Sanktion einen wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Charakter verleihen. Jedoch kann der Gerichtshof dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die für seine Entscheidung dienlich sein könnten (Urteil Asociaţia Accept, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ist den Akten, die dem Gerichtshof zur Verfügung stehen, zu entnehmen, dass die betreffende Regelung in den für das Ausgangsverfahren erheblichen Teilen vorsieht, dass das Firmenbuchgericht, sofern Rechnungslegungsunterlagen nicht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag offengelegt werden, verpflichtet ist, gegen die betreffende Gesellschaft durch Zwangsstrafverfügung ohne vorherige Aufforderung und ohne die Möglichkeit vorheriger Anhörung eine Mindestgeldstrafe von 700 Euro zu verhängen. Die Gesellschaft kann binnen 14 Tagen gegen die Verfügung einen mit Gründen versehenen Einspruch erheben, wodurch diese außer Kraft tritt und das ordentliche Verfahren eingeleitet wird. Ist der Einspruch nicht begründet, kann durch Beschluss eine Zwangsstrafe von 700 Euro bis 3 600 Euro verhängt werden.
Erstens ist hinsichtlich des Mindestbetrags von 700 Euro der bei nicht fristgemäßer Offenlegung automatisch verhängten Zwangsstrafe darauf hinzuweisen, dass ein solcher Betrag nach den Angaben der Kommission im Mittelfeld der für eine Verletzung der Offenbarungspflicht in den Mitgliedstaaten vorgesehenen Zahlungen liegt. Wie die Kommission zutreffend vorträgt, bedarf es einer Abwägung zwischen der Schwere dieser Sanktion und den Interessen und finanziellen Risiken, denen Geschäftspartner wie Interessenten ausgesetzt sein können, wenn die tatsächliche finanzielle Lage eines Unternehmens nicht offengelegt wird. Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob der verhängte Betrag nicht außer Verhältnis zum zulässigerweise verfolgten Ziel steht.
Hinsichtlich der Tatsache, dass die mit der Anwendung der Zwangsstrafe betrauten nationalen Gerichte von ihrem Mindestbetrag nicht aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls abweichen können, ist zu beachten, dass die betreffende Gesellschaft gegen die ihr auferlegte Zwangsstrafe nur einen begründeten Einspruch erheben muss, damit das ordentliche Verfahren eingeleitet wird, was es dem zuständigen Gericht ermöglicht, die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Zweitens erscheint die Frist von neun Monaten ab dem Bilanzstichtag, innerhalb deren die Offenlegung zu erfolgen hat, hinreichend lang, um den Gesellschaften die Erfüllung ihrer Offenlegungspflicht zu ermöglichen, ohne dass die Verhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sanktionsregelung in Frage gestellt würde. Wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, könnte nämlich eine längere Frist den Schutz Dritter vereiteln, da diese keinen Zugang zu den aktuellsten Informationen über die wirkliche Lage der betreffenden Gesellschaft hätten.
Drittens kann es für die Beurteilung der Möglichkeit, auf weniger belastende Maßnahmen zurückzugreifen, erheblich sein, dass sich die zuvor geltende Regelung nach den Erläuterungen der österreichischen Regierung in der mündlichen Verhandlung als wenig effizient erwies, da weniger als die Hälfte der offenlegungspflichtigen Gesellschaften dieser Pflicht fristgemäß nachgekommen seien. Die Republik Österreich habe daher die vor 2011 geltende Sanktionsregelung ändern müssen, um die Erfüllung der Offenlegungspflicht wirksamer zu gewährleisten. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sanktionsregelung hinreichend abschreckend wirkt, um die Erfüllung der Offenlegungspflicht wirksam sicherzustellen.
Nach alledem ist, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung, davon auszugehen, dass Art. 12 der Elften Richtlinie einer Sanktionsregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht.
Zur Niederlassungsfreiheit
In Bezug auf die Niederlassungsfreiheit möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 AEUV und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Sanktionsregelung wie der in § 283 UGB in der Fassung des BBG vorgesehenen insbesondere deshalb entgegenstehen, weil sie Sanktionen wegen unterbliebener Offenlegung auch für Gesellschaften, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats als der Republik Österreich unterliegen und eine in der Republik Österreich ansässige Zweigniederlassung haben, vorsieht, obwohl deren Jahresabschlüsse bereits offengelegt sind und im Register am Hauptsitz dieser Gesellschaften eingesehen werden könnten.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 49 AEUV die Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vorschreibt. Nach Art. 54 AEUV stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, für die Anwendung der Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Für diese Gesellschaften ist mit der Niederlassungsfreiheit das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (vgl. Urteile vom 25. Februar 2010, X Holding, C-337/08, Slg. 2010, I-1215, Randnr. 17, und vom 25. April 2013, Kommission/Spanien, C-64/11, Randnr. 23).
Nach ständiger Rechtsprechung sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. u. a. Urteile Idryma Typou, Randnr. 54, vom 29. November 2011, National Grid Indus, C-371/10, Slg. 2011, I-12273, Randnr. 36, und Kommission/Spanien, Randnr. 26).
Die Offenlegungspflicht für österreichische Zweigniederlassungen von Gesellschaften, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegen, ist in § 280a UGB geregelt, der Art. 1 der Elften Richtlinie in innerstaatliches Recht umsetzt und dessen Vereinbarkeit mit dieser Richtlinie nicht in Frage gestellt worden ist.
Streitig ist im Ausgangsverfahren hingegen die Sanktionsregelung, die bei Nichterfüllung der Offenlegungspflicht nach § 283 UGB in der Fassung des BBG zur Anwendung kommt. Wie aus Randnr. 15 des vorliegenden Urteils hervorgeht, sieht § 283 vor, dass eine Zwangsstrafe von 700 Euro ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung verhängt wird, wenn nach Ablauf der Offenlegungsfrist die Rechnungslegungsunterlagen nicht beim zuständigen Firmenbuchgericht eingelangt sind und kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis geltend gemacht wird. Die Zwangsstrafe ist alle zwei Monate erneut zu verhängen, bis der Offenlegungspflicht nachgekommen wurde. Die Gesellschaft oder das betroffene Organ kann innerhalb von 14 Tagen Einspruch gegen die Zwangsstrafverfügung erheben. Durch diesen Einspruch wird der Vollzug der verhängten Zwangsstrafe ausgesetzt und ein ordentliches Verfahren eingeleitet.
Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sanktionsregelung unterschiedslos auf die in Österreich ansässigen Gesellschaften und auf die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften mit Zweigniederlassungen in Österreich anwendbar ist. Sie kann also ihrer Natur nach die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Österreich niedergelassenen Gesellschaften, die eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Zweigniederlassung haben, weder tatsächlich noch rechtlich gegenüber in Österreich niedergelassenen Gesellschaften benachteiligen.
Zum anderen wird, wie die Kommission zutreffend ausführt, keine Sanktion verhängt, wenn die betreffende Gesellschaft ihrer Offenlegungspflicht, die sich aus dem Unionsrecht ergibt und in allen Mitgliedstaaten gilt, nachkommt. Daher sind die etwaigen Sanktionen nicht geeignet, es zu unterbinden, zu behindern oder unattraktiv zu machen, dass sich eine Gesellschaft, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, mittels einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt.
Folglich kann eine Sanktionsregelung wie die in § 283 UGB in der Fassung des BBG vorgesehene nicht als eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit angesehen werden. Die Art. 49 AEUV und 54 AEUV stehen einer solchen Regelung somit nicht entgegen.
Zu den Grundsätzen des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte
Mit den Buchst. b und c seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der allgemeine Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte, wie sie in Art. 47 der Charta und Art. 6 Abs. 2 EMRK niedergelegt sind, dahin auszulegen sind, dass sie einer Sanktionsregelung wie der in § 283 UBG in der Fassung des BBG vorgesehenen entgegenstehen, die zur Anwendung kommt, wenn die Pflicht zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen nicht erfüllt wurde.
Nach ihrem Art. 51 Abs. 1 gilt die Charta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.
Der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dazu im Wesentlichen zu entnehmen, dass die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden. Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass er eine nationale Regelung nicht anhand der Charta beurteilen kann, wenn sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Sobald dagegen eine solche Regelung in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, hat der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung er sichert (vgl. u. a. Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C-617/10, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat außerdem bereits klargestellt, dass die durch die Charta garantierten Grundrechte in ihrer Auslegung im Licht dieser Rechtsprechung und der Erläuterungen zu Art. 51 der Charta zu beachten sind, wenn eine nationale Regelung in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Mit anderen Worten umfasst die Anwendbarkeit des Unionsrechts die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte (vgl. in diesem Sinne Urteil Åkerberg Fransson, Randnrn. 20 und 21).
Im vorliegenden Fall geht es im Ausgangsrechtsstreit um eine Sanktion, die verhängt wurde, weil die in der Elften Richtlinie vorgesehene Offenlegungspflicht nicht erfüllt wurde. Wie sich aus Randnr. 49 des vorliegenden Urteils ergibt, hat es der Unionsgesetzgeber nach Art. 12 der Elften Richtlinie den Mitgliedstaaten überlassen, geeignete Sanktionen, d. h. Sanktionen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind, festzulegen, um die Erfüllung der Offenlegungspflicht zu gewährleisten. Im österreichischen Recht sind diese Sanktionen in § 283 UGB in der Fassung des BBG vorgesehen.
Somit stellt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende österreichische Regelung eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta dar.
Die Bestimmungen der Charta sind daher auf die Umstände des Ausgangsrechtsstreits anwendbar.
Hinsichtlich des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bestimmt Art. 47 Abs. 1 der Charta, dass jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Um die Wahrung dieses Grundrechts in der Union zu gewährleisten, verpflichtet Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.
Zum Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte hat der Gerichtshof entschieden, dass diese in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern, führen können, zu wahren sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Oktober 2003, Thyssen Stahl/Kommission, C-194/99 P, Slg. 2003, I-10821, Randnr. 30, und vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, C-3/06 P, Slg. 2007, I-1331, Randnr. 68).
Erstens ist hinsichtlich der Frage, ob die Einspruchsfrist von 14 Tagen für die Anfechtung der Sanktion wegen nicht fristgemäßer Offenlegung mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes vereinbar ist, darauf hinzuweisen, dass die vorgeschriebene Frist tatsächlich ausreichen muss, um einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen (Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf, C-69/10, Slg. 2011, I-7151, Randnr. 66).
In Anbetracht dessen, dass die Offenlegungspflicht grundsätzlich für alle Zweigniederlassungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art gilt, dass sie regelmäßigen Charakter hat und bei den Betroffenen allgemein bekannt ist, dass das österreichische Recht für die Offenlegung eine Frist von neun Monaten ab dem Bilanzstichtag vorsieht und dass diese Frist ausgesetzt werden kann, wenn ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis die fristgemäße Offenlegung verhindert hat, erscheint eine Frist von 14 Tagen grundsätzlich nicht tatsächlich unzureichend, um einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen.
Was zweitens die Zweifel hinsichtlich der Geltung einer gesetzlichen Verschuldensvermutung anbelangt, die dazu führt, dass die Gesellschaft die Beweislast trägt, ist zu beachten, dass es, wie aus Randnr. 58 des vorliegenden Urteils hervorgeht, für die Einleitung des ordentlichen Verfahrens ausreicht, dass die betreffende Gesellschaft gegen die ihr auferlegte Zwangsstrafe einen begründeten Einspruch erhebt, was es dem zuständigen Gericht ermöglicht, die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Drittens ist in Bezug auf das Fehlen einer Aufforderung und einer Anhörungsmöglichkeit darauf hinzuweisen, dass die Wahrung der Verfahrensrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein tragender Grundsatz des Unionsrechts ist, der auch dann zu beachten ist, wenn eine Regelung für das betreffende Verfahren fehlt. Dieser Grundsatz gebietet es, dass die Adressaten von Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar beeinträchtigen, in die Lage versetzt werden, ihren Standpunkt zu den Gesichtspunkten, die zu ihren Lasten festgestellt worden sind, in sachdienlicher Weise vorzutragen (Urteil vom 15. Juni 2006, Dokter u. a., C-28/05, Slg. 2006, I-5431, Randnr. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung die Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. in diesem Sinne Urteile Dokter u. a., Randnr. 75, und vom 18. März 2010, Alassini u. a., C-317/08 bis C-320/08, Slg. 2010, I-2213, Randnr. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In Anbetracht des Charakters der betreffenden Zuwiderhandlung erscheint unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Anwendung einer anfänglichen Sanktion von 700 Euro ohne vorherige Aufforderung und ohne die Möglichkeit, vor Verhängung der Sanktion angehört zu werden, nicht geeignet, den Wesensgehalt des betreffenden Grundrechts zu berühren, da die Erhebung eines begründeten Einspruchs gegen die Zwangsstrafverfügung diese sofort außer Kraft setzt und ein ordentliches Verfahren auslöst, in dem der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt werden kann.
Desgleichen dürfte ein solches Verfahren zum einen tatsächlich einem von der Union anerkannten allgemeinen Ziel entsprechen, da die in § 283 UGB in der Fassung des BBG vorgesehene Sanktionsregelung, wie den Ausführungen der österreichischen Regierung zu entnehmen ist, die schnellere und wirksamere Erfüllung der Offenlegungspflicht im allgemeinen Interesse eines besseren Schutzes von Dritten und Gesellschaftern gewährleisten soll. Zum anderen gibt es keine Hinweise dafür, dass ein solches Verfahren zum angestrebten Ziel außer Verhältnis stünde.
Was viertens die übrigen verfahrensrechtlichen Gesichtspunkte wie die Pflicht zur Begründung des verfahrenseinleitenden Aktes, das Verbot neuen Vorbringens im Rekursverfahren und die fehlende Gewährleistung einer mündlichen Verhandlung betrifft, verfügt der Gerichtshof nicht über Anhaltspunkte, die geeignet wären, Zweifel an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sanktionsregelung mit den Grundsätzen des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte zu wecken.
Daher ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sanktionsregelung die Grundsätze des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte beachtet.
Nach alledem ist, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung, auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 49 AEUV und 54 AEUV, die Grundsätze des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 12 der Elften Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, wonach bei Überschreitung der neunmonatigen Frist zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen gegen die Kapitalgesellschaft, die eine im betreffenden Mitgliedstaat ansässige Zweigniederlassung hat, sofort eine Mindestgeldstrafe von 700 Euro verhängt wird, ohne zuvor eine Aufforderung an sie zu richten und ohne ihr die Möglichkeit zu geben, zu der ihr vorgeworfenen Säumnis Stellung zu nehmen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung sind die Art. 49 AEUV und 54 AEUV, die Grundsätze des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 12 der Elften Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, wonach bei Überschreitung der neunmonatigen Frist zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen gegen die Kapitalgesellschaft, die eine im betreffenden Mitgliedstaat ansässige Zweigniederlassung hat, sofort eine Mindestgeldstrafe von 700 Euro verhängt wird, ohne zuvor eine Aufforderung an sie zu richten und ohne ihr die Möglichkeit zu geben, zu der ihr vorgeworfenen Säumnis Stellung zu nehmen.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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