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BAG 11.05.2023 - 6 AZR 157/22 (A)
BAG 11.05.2023 - 6 AZR 157/22 (A) - "in der Regel" beschäftigte Arbeitnehmer iSv. § 17 KSchG
Vorinstanz
vorgehend ArbG Hamburg, 20. April 2021, Az: 5 Ca 656/20, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg, 3. Februar 2022, Az: 3 Sa 16/21, Urteil
Leitsatz
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Die für die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG maßgebliche Betriebsgröße ist nicht stichtagsbezogen zu ermitteln. Maßgeblich ist vielmehr diejenige Personalstärke, die bei regelmäßigem Geschäftsgang für den Betrieb kennzeichnend ist.
Tenor
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Das Verfahren wird in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren - C-134/22 - (BAG 27. Januar 2022 - 6 AZR 155/21 (A) -) ausgesetzt.
Gründe
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A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und Weiterbeschäftigung.
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Der Kläger war seit 1994 bei der V Handelsgesellschaft mbH (im Folgenden Schuldnerin) tätig. Bis September 2020 beschäftigte diese 25 Mitarbeiter. Ein Betriebsrat war bei ihr nicht gebildet. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde auf Antrag vom 29. September 2020 am selben Tag die vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt angeordnet. Der Beklagte wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am 1. Dezember 2020 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Die im Oktober 2020 noch bestehenden 22 Arbeitsverhältnisse wurden durch Kündigungen und Aufhebungsverträge beendet, die zwischen dem 12. November 2020 und dem 29. Dezember 2020 zugingen bzw. abgeschlossen wurden.
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Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte der Beklagte mit einem am 8. Dezember 2020 zugegangenen Schreiben vom 2. Dezember 2020 zum 31. März 2021. Er führte weder eine Sozialauswahl durch noch erstattete er eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG.
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Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 10. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt. Soweit für die Revision noch von Belang, hat er die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam, weil es an der erforderlichen Massenentlassungsanzeige durch den Beklagten fehle.
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Der Kläger hat beantragt
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1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 2. Dezember 2020 beendet worden ist, sondern fortbesteht;
2.
den Beklagten zu verurteilen, ihn als Maschinenschlossermonteur/Servicetechniker bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.
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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen einer anzeigepflichtigen Massenentlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG hätten nicht vorgelegen. Im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie; im Folgenden MERL) könne bei der hier vorliegenden Betriebsstilllegung entgegen der bisherigen, mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbarenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die regelmäßige Betriebsgröße nicht durch einen Rückblick auf die bisherige personelle Betriebsstärke ermittelt werden. Vielmehr sei von einer Stichtagsregelung auszugehen. Maßgeblich sei die am Entlassungstag vorhandene Arbeitnehmerzahl. Zudem habe die Schuldnerin im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nur noch 19 Arbeitnehmer beschäftigt.
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Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, der Beklagte habe die betriebsbedingten Gründe nicht hinreichend dargelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten vor dem Hintergrund der unterlassenen Massenentlassungsanzeige zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde zwischenzeitlich durch eine weitere Kündigung zum 31. Juli 2021 beendet.
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B. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden Gerichtshof) über das Vorabentscheidungsersuchen im Revisionsverfahren - 6 AZR 155/21 (A) - (beim Gerichtshof unter dem Aktenzeichen - C-134/22 - anhängig) in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO ausgesetzt.
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I. Die Klage ist zulässig.
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1. Der Klageantrag zu 1., mit dem der Kläger die gerichtliche Feststellung begehrt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die ihm am 8. Dezember 2020 zugegangene Kündigung des Beklagten nicht beendet worden, ist als Kündigungsschutzantrag iSd. § 4 Satz 1 KSchG zulässig. Soweit der Kläger zugleich die Feststellung begehrt, das Arbeitsverhältnis bestehe fort, ist dies nicht als allgemeiner Feststellungsantrag iSv. § 256 Abs. 1 ZPO neben dem Kündigungsschutzbegehren zu verstehen. Die Klagebegründung lässt keine Befürchtungen des Klägers erkennen, der Beklagte werde weitere Beendigungsgründe geltend machen, die zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem 1. April 2021 und dem 30. Juli 2021 führen könnten. Der Zusatz stellt lediglich ein unselbständiges Anhängsel zum Kündigungsschutzantrag dar (vgl. zB BAG 27. April 2021 - 2 AZR 540/20 - Rn. 7 mwN).
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2. Bei dem nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmten (vgl. hierzu BAG 1. Juni 2022 - 5 AZR 407/21 - Rn. 12; zur Bestimmtheit eines Beschäftigungsantrags vgl. zB BAG 24. März 2021 - 10 AZR 16/20 - Rn. 25 ff. mwN, BAGE 174, 294) Antrag zu 2. auf vorläufige Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzverfahrens handelt es sich um einen unechten Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag, obwohl seine Formulierung den Hilfscharakter nicht unmittelbar zu erkennen gibt. Die erforderliche Auslegung des Antrags hat unter Berücksichtigung seiner objektiven Sinnhaftigkeit zu erfolgen (vgl. BAG 2. Februar 2022 - 7 AZR 573/20 - Rn. 64; 22. Juli 2021 - 2 AZR 6/21 - Rn. 45; 7. Mai 2020 - 2 AZR 692/19 - Rn. 62). Die Ausführungen des Klägers im vorliegenden Fall geben keinen Anlass zu einem anderen Verständnis.
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II. Ob die nach § 4 Satz 1 KSchG fristgerecht erhobene Klage begründet ist, kann der Senat nicht unabhängig von der zu erwartenden Antwort des Gerichtshofs auf die im Revisionsverfahren - 6 AZR 155/21 (A) - gestellte Vorlagefrage entscheiden.
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1. Die streitgegenständliche Kündigung verstößt gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Beide Schwellenwerte waren überschritten. Der Beklagte hätte daher vor der Kündigung des Klägers eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen.
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a) Der Betrieb der Schuldnerin hatte im Zeitpunkt der Entlassung des Klägers noch eine Betriebsgröße von „in der Regel“ mehr als 20 Arbeitnehmern. Maßgeblich ist danach die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer, die für den gewöhnlichen Ablauf des betreffenden Betriebs kennzeichnend ist. Hierzu bedarf es eines Rückblicks auf den bisherigen Personalbestand und gegebenenfalls - sofern keine Betriebsstilllegung erfolgt - einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung. Zeiten eines außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsgangs sind nicht zu berücksichtigen. Dies kann der Senat abschließend entscheiden. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV ist entgegen der Annahme der Revision nicht geboten.
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aa) § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG setzt Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der MERL in das deutsche Recht um. Auch diese Bestimmung der MERL stellt - mit abweichenden Bezugsgrößen - für die Betriebsgröße darauf ab, wie viele Arbeitnehmer der Betrieb „in der Regel“ hat.
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(1) Es ist bereits offenkundig im Sinn eines „acte clair“ (vgl. zu „acte clair“ zB EuGH 6. Oktober 2021 - C-561/19 - [Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi] Rn. 39 mwN; sh. zB auch BAG 14. September 2022 - 4 AZR 83/21 - Rn. 17 mwN), dass es für die Ermittlung der für die Betriebsgröße maßgeblichen Beschäftigtenzahl entgegen der Ansicht der Revision nicht auf die Anzahl der an einem Stichtag - zB am Tag der Entlassung bzw. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens - (noch) vorhandenen Beschäftigten ankommen kann. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der MERL stellt insoweit in der deutschen Sprachfassung auf die „in der Regel“ Beschäftigten ab. Damit sind zweifelsfrei die normaler- bzw. üblicherweise Beschäftigten entscheidend (sh. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort: „Regel“, „in der Regel/in aller Regel“). Dasselbe Verständnis folgt unzweifelhaft aus den jeweiligen Sprachfassungen der französischen, englischen, spanischen, italienischen und niederländischen Übersetzung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der MERL, die die Anforderung an die Betriebsgröße mit den Begriffen „habituellement“, „normally“, „habitualmente“, „abitualmente“ und „gewoonlijk“ und damit ebenfalls mit „normalerweise“, „gewohnheitsmäßig“ umschreiben.
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(2) Ungeachtet dessen ist der Entscheidung des Gerichtshofs vom 11. November 2015 (- C-422/14 - [Pujante Rivera]) mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass das Tatbestandsmerkmal „in der Regel“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der MERL nicht auf einen Stichtag, sondern auf die personelle Betriebsstärke bei gewöhnlichem Geschäftsgang abstellt. Insoweit liegt jedenfalls ein acte éclairé vor.
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Der Gerichtshof geht in dieser Entscheidung von der Grundannahme aus, dass mit der Formulierung „in der Regel“ die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer, die für den gewöhnlichen Ablauf des betreffenden Betriebs kennzeichnend sind, gemeint sind. Dies ergibt sich vor dem Hintergrund des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts aus seiner Antwort auf die Vorlagefrage, ob befristet beschäftigte Arbeitnehmer bei der Ermittlung des Schwellenwertes für die Betriebsstärke mitzuzählen seien. Danach versteht der Gerichtshof die Wendung „mit in der Regel mehr als … Arbeitnehmern“ als Gesamtbeschäftigtenzahl im Betrachtungszeitraum und damit gerade nicht als Stichtagsregelung. Bei den von ihm bei der Ermittlung der „in der Regel“ Beschäftigten konkret berücksichtigten (befristet eingestellten) Arbeitnehmern handelte es sich ua. um Arbeitnehmer, deren Vertragsverhältnisse bereits etwa zwei Monate vor dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Entlassungszeitraum ausgelaufen waren (EuGH 11. November 2015 - C-422/14 - [Pujante Rivera] Rn. 13, 36). Wären nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der MERL für die Feststellung der Beschäftigtenzahl nur Arbeitnehmer heranzuziehen, die zum jeweiligen Entlassungszeitpunkt tätig sind, wäre diese Bestimmung also als Stichtagsregelung zu verstehen, hätte der Gerichtshof diese Personen nicht einbeziehen können. Darüber hinaus hat er auch befristet beschäftigte Arbeitnehmer, die nicht bloß zur Abdeckung vorübergehender Spitzenbelastungen, sondern „jedes Jahr“ für bestimmte, regelmäßig für eine begrenzte Zeit anfallende Tätigkeiten eingestellt werden, bei der Ermittlung der Betriebsgröße berücksichtigt. Wenn die für diese Aufgaben eingestellten Arbeitnehmer bei der Bestimmung der „in der Regel“ im Betrieb Beschäftigten nach der Entscheidung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind, folgt daraus, dass er die Betrachtung der personellen Betriebsstärke über einen Zeitraum und nicht bloß auf einen (zufälligen) Stichtag, zB den Tag der jeweiligen Entlassung, erstreckt (so im Ergebnis auch Holler ZESAR 2018, 74 f.; Klocke JR 2018, 353, 354 f.).
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(3) Das Vorabentscheidungsersuchen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. November 2017 (- 2 AZR 90/17 (A) -) steht einer abschließenden Entscheidung des Senats nicht entgegen. Das dem Ersuchen zugrunde liegende Ausgangsverfahren wurde durch Rücknahme der Revision erledigt. Die vom Zweiten Senat vertretene Auffassung, dass es eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV bedürfe, weil die Rechtsfrage, wie die Zahl der „in der Regel“ in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Sinn der MERL zu ermitteln ist, durch den Gerichtshof nicht hinreichend geklärt sei, entfaltet keine Bindungswirkung.
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bb) Entgegen der Auffassung der Revision steht damit die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in der Regel“ in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG durch das Bundesarbeitsgericht im Einklang mit dem Unionsrecht. Der Senat hält daher an dieser Auslegung fest.
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(1) Für die Ermittlung der personellen Betriebsstärke ist die Regelanzahl der Beschäftigten maßgeblich. Hierbei handelt es sich nicht um die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in einem bestimmten Zeitraum, sondern um die normale Beschäftigtenzahl des Betriebs, mithin diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen, also bei seinem regelmäßigen Gang, kennzeichnend ist. Erforderlich dafür ist ein Rückblick auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, wobei Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls nicht zu berücksichtigen sind. Im Fall einer Betriebsstilllegung ist eine Vorausschau nicht möglich. Insoweit kommt nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Betracht. Im Stilllegungsfall ist auch bei einem sukzessiven Vorgehen des Arbeitgebers mit mehreren Entlassungswellen der Zeitpunkt maßgeblich, in dem zuletzt noch eine normale Betriebstätigkeit entfaltet wurde. Die durch die Entlassungen jeweils reduzierten Belegschaftsstärken können aufgrund der vorherigen Stilllegungsentscheidung nicht mehr kennzeichnend für die regelmäßige Beschäftigtenzahl sein. Sie sind nur noch Stufen der Auflösung des Betriebs. Etwas anderes gilt jedoch, wenn mehreren aufeinanderfolgenden Personalreduzierungsmaßnahmen kein einheitlicher Stilllegungsentschluss zugrunde liegt, sondern der endgültigen Stilllegung eine oder mehrere Betriebseinschränkungen voraus gingen. Wird der Betrieb zunächst mit entsprechend verminderter Belegschaftsstärke fortgeführt, wird diese zu der normalen, den Betrieb kennzeichnenden. Dafür ist kein bestimmter Mindestzeitraum erforderlich (vgl. BAG 14. Mai 2020 - 6 AZR 235/19 - Rn. 130, BAGE 170, 244; 9. Juni 2016 - 6 AZR 638/15 - Rn. 14 mwN; 24. Februar 2005 - 2 AZR 207/04 - zu B II 1 b der Gründe mwN; 13. April 2000 - 2 AZR 215/99 - zu B III 1 b der Gründe; 8. Juni 1989 - 2 AZR 624/88 - zu III 3 der Gründe mwN; 31. Juli 1986 - 2 AZR 594/85 - zu B II 3 der Gründe mwN).
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(2) Ebenso verhält es sich in der Insolvenz. Wird der Betrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zeitnah stillgelegt, bestimmt sich die Betriebsgröße nach den betrieblichen Umständen, die vor der Eröffnung charakteristisch waren. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Insolvenzverwalter - anders als im vorliegenden Rechtsstreit - während eines (langwierigen) Insolvenzverfahrens unternehmerische Entscheidungen trifft, die Auswirkungen auf den gewöhnlichen Geschäftslauf und die hiermit im Zusammenhang stehende personelle Betriebsstärke haben.
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cc) Der Schwellenwert gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG von in der Regel mehr als 20 beschäftigten Arbeitnehmern bei der Schuldnerin war im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung überschritten. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.
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(1) Der Arbeitnehmer ist darlegungs- und gegebenenfalls beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach § 17 KSchG. Er muss also sowohl die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer als auch die Zahl der entlassenen Arbeitnehmer im Streitfall beweisen (vgl. BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 5/12 - Rn. 42; 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 31, BAGE 140, 261; 24. Februar 2005 - 2 AZR 207/04 - zu B II 2 b aa der Gründe; 22. März 2001 - 8 AZR 565/00 - zu B II 10 a der Gründe mwN). Dabei genügt er regelmäßig seiner Darlegungslast, wenn er die äußeren Umstände vorträgt, die den Schluss zulassen, dass der maßgebliche Schwellenwert iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erreicht wird. Dann obliegt es dem Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO, konkrete Umstände darzulegen, aus denen folgt, dass der entsprechende Schwellenwert nicht erreicht ist (BAG 24. Februar 2005 - 2 AZR 207/04 - zu B II 2 b cc (2) der Gründe).
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(2) Im Streitfall folgt bereits aus dem eigenen Vorbringen des Beklagten und den nicht mit Rügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, dass der Schwellenwert von mehr als 20 in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG im Zeitpunkt der Kündigung des Klägers überschritten war.
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(a) Bei der Schuldnerin waren bis September 2020 nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts 25 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Beklagte hat keinen Vortrag geleistet, dass diese 25 Arbeitnehmer nicht der nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang maßgeblichen „Gesamtbeschäftigtenzahl“ der Schuldnerin entsprochen haben sollen. Selbst wenn die bereits zum 30. September 2020 ausgeschiedenen Arbeitnehmer H und R sowie zwei namentlich nicht genannte Langzeiterkrankte herausgerechnet werden, weil letztere - zugunsten des Beklagten unterstellt - nicht durch benötigte Vertretungskräfte ersetzt worden sind, war die für das Massenentlassungsverfahren erforderliche personelle Betriebsstärke mit 21 regelmäßig Beschäftigten noch erreicht.
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(b) Richtigerweise hat das Landesarbeitsgericht auch die Kurzarbeit leistenden Arbeitnehmer bei der Ermittlung der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt. Die Anordnung von Kurzarbeit bedeutet im Allgemeinen, dass von einem nur vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf auszugehen ist. Ein bloß vorübergehender Arbeitsmangel ist aber kein Indiz für den Wegfall eines Arbeitsplatzes (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 721/12 - Rn. 26; 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 21). Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für die kurzarbeitenden Mitarbeiter bereits zu einem Zeitpunkt weggefallen war, der nicht mit der beabsichtigten Betriebsstilllegung im Zusammenhang stand und sich deshalb reduzierend auf die Betriebsstärke bei gewöhnlichem Geschäftsablauf ausgewirkt hätte.
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b) Der Beklagte hat auch innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen (zur Berechnung des 30-Tageszeitraums des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG sh. BAG 19. Mai 2022 - 2 AZR 467/21 - Rn. 11) mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen, darunter den Kläger. Als Entlassung gilt der Zugang der Kündigungserklärung (BAG 19. Mai 2022 - 2 AZR 467/21 - Rn. 9; 27. Januar 2022 - 6 AZR 155/21 (A) - Rn. 27). Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und den vom Beklagten selbst in den Rechtsstreit eingeführten Kündigungsschreiben mit den jeweiligen Zugangsbestätigungen sind schon in den 30 Kalendertagen seit dem Zugang der Kündigung des Klägers am 8. Dezember 2020 und damit bis einschließlich 6. Januar 2021 jedenfalls die zehn weiteren Arbeitnehmer A (Kündigungszugang 9. Dezember 2020), D (Kündigungszugang 29. Dezember 2020), F (Kündigungszugang 8. Dezember 2020), G (Kündigungszugang 14. Dezember 2020), I (Kündigungszugang 17. Dezember 2020), J (Kündigungszugang 8. Dezember 2020), K (Kündigungszugang 10. Dezember 2020), S (Kündigungszugang 9. Dezember 2020), B (Kündigungszugang 8. Dezember 2020) und Ja (Kündigungszugang 16. Dezember 2020) entlassen worden.
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2. Das Revisionsverfahren war nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat erfolgten Anhörung der Parteien bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 27. Januar 2022 (- 6 AZR 155/21 (A) -) analog § 148 ZPO auszusetzen. Vor dem Hintergrund des in dieser Rechtssache - C-134/22 - am 30. März 2023 verkündeten Schlussantrags des Generalanwalts Pikamäe ist derzeit unklar, ob eine in Verkennung der personellen Betriebsstärke unterlassene Massenentlassungsanzeige - wie vom Bundesarbeitsgericht seit 2012 in ständiger Rechtsprechung angenommen (ausführlich hierzu BAG 27. Januar 2022 - 6 AZR 155/21 (A) - Rn. 19 ff. mwN; sh. auch BAG 19. Mai 2022 - 2 AZR 467/21 - Rn. 13; 27. Februar 2020 - 8 AZR 215/19 - Rn. 189 f., BAGE 170, 98; 13. Februar 2020 - 6 AZR 146/19 - Rn. 99 ff. mwN, BAGE 169, 362; 20. Februar 2014 - 2 AZR 346/12 - Rn. 46 ff. mwN, BAGE 147, 237; 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 42 ff. mwN, BAGE 144, 366; 13. Dezember 2012 - 6 AZR 772/11 - Rn. 47, 61; 22. November 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 31 ff., BAGE 144, 47) - zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.
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a) Ein Rechtsstreit kann in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt werden, wenn entscheidungserheblich ist, wie Unionsrecht auszulegen ist, und ein mit jedenfalls einer weitgehend gleichen Rechtsfrage anhängiges Vorabentscheidungsersuchen vor dem Gerichtshof dies aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökonomie rechtfertigt. Aus dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit folgt, dass insoweit der Entscheidung des Gerichtshofs präjudizielle Bedeutung für weitere Rechtsstreitigkeiten zukommt (vgl. zB BAG 7. September 2021 - 9 AZR 3/21 (A) - Rn. 42 f. mwN).
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b) Der Senat hat den Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren - 6 AZR 155/21 (A) - danach gefragt, welchen Zweck die in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL festgelegte Verpflichtung hat, der Arbeitsverwaltung eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat im Konsultationsverfahren zu übermitteln. Erst auf der Grundlage des vom Gerichtshof ermittelten Zwecks dieser Bestimmung kann der Senat die Sanktion für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, durch den die unionsrechtliche Verpflichtung umgesetzt worden ist, festlegen. Die Ausführungen des Generalanwalts Pikamäe in seinem Schlussantrag in der Rechtssache - C-134/22 - geben Anlass zu der weitergehenden Frage, ob das vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Sanktionssystem überhaupt im Einklang mit der Systematik des von der MERL vermittelten Massenentlassungsschutzes steht oder gegebenenfalls inkohärent und unverhältnismäßig ist. Damit ist die Beantwortung der vom Senat in jenem Verfahren gestellten Vorlagefrage nach dem Zweck des Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL durch den Gerichtshof im Hinblick auf die Rechtsfolgenbetrachtung auch für die Entscheidung des Senats im vorliegenden Verfahren vorgreiflich. Erst auf der Grundlage der ausstehenden Entscheidung des Gerichtshofs kann der Senat darum die Sanktionen bei Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus § 17 KSchG bestimmen.
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c) Eines weiteren Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV bedarf es derzeit nicht. Es würde nicht zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen.
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Spelge
Krumbiegel
Wemheuer
Brand
Kohout
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