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BSG 30.09.2021 - B 10 ÜG 2/21 B
BSG 30.09.2021 - B 10 ÜG 2/21 B - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - Angemessenheitsprüfung - Zwölfmonatsregel - Vorbereitungs- und Bedenkzeit - pauschaler Abzug von der Verzögerungszeit - Vorrang der Einzelfallbetrachtung - Divergenz - Verfahrensfehler - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 198 Abs 1 S 2 GVG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Münster, 2. Juli 2017, Az: S 5 AL 162/14, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 4. November 2020, Az: L 11 SF 279/20 EK AL, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. November 2020 wird als unzulässig verworfen.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert wird auf 1500 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Klägerin begehrt eine Geldentschädigung von 1500 Euro für die Dauer des von ihr geführten Verfahrens vor dem SG Münster (S 5 AL 162/14) über eine Hörgeräteversorgung. Die Klageerhebung erfolgte im Juni 2014. Das Klageverfahren wurde im Februar 2017 mit Gerichtsbescheid abgeschlossen. Das anschließende Berufungsverfahren endete durch übereinstimmende Erledigungserklärung im Juli 2019.
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Das Entschädigungsgericht hat den Anspruch verneint. Die Verlängerung des Ausgangsverfahrens zwischen August 2014 bis September 2015 sei der Klägerin zuzurechnen, weil sie etwaige Bescheide anderer möglicherweise zuständiger Leistungsträger erst verzögert übersandt habe. Die verbleibenden Bearbeitungslücken von zehn Monaten seien durch die regelmäßig anzunehmende zwölfmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit je Instanz gedeckt. Der Fall der Klägerin rechtfertige keine Ausnahme von dieser Regel (Urteil vom 4.11.2020).
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das Entschädigungsgericht. Sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen, habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und verfahrensfehlerhaft gehandelt.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel noch eine Divergenz oder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
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1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so muss die Beschwerde bei der Bezeichnung dieses Mangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist (s allgemein zu den Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge BSG Beschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3).
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Diesen Vortrag hat die Klägerin versäumt. Sie wirft dem Entschädigungsgericht vor, es hätte aufklären müssen, warum die Beibringung von Bescheiden anderer Leistungsträger für die Entscheidung des Ausgangsgerichts notwendig gewesen sei. Damit rügt sie der Sache nach eine Verletzung von § 103 SGG, ohne aber einen vom Entschädigungsgericht übergangenen Beweisantrag zu bezeichnen oder auch nur zu behaupten.
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2. Eine Divergenz hat die Klägerin ebenfalls nicht dargelegt. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn tragende abstrakte Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde liegen, sich widersprechen. Zur ordnungsgemäßen Darlegung eines solchen Widerspruchs im Rechtssatz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Urteil des Entschädigungsgerichts und abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG gegenüberzustellen, die zu demselben Gegenstand getroffen worden sind und weiterhin Geltung beanspruchen. Zudem muss die Beschwerde näher begründen, weshalb diese Rechtssätze miteinander unvereinbar sind und warum die Entscheidung des Entschädigungsgerichts auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.10.2020 - B 10 ÜG 3/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Es reicht dagegen nicht aus, wenn die Beschwerde die fehlerhafte Anwendung eines - als solchen nicht in Frage gestellten - höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Entschädigungsgericht behauptet und damit eine bloße Subsumtionsrüge erhebt. Denn nicht eine falsche Entscheidung im Einzelfall, sondern nur ein Widerspruch im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.10.2020 - B 10 ÜG 3/20 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f = juris RdNr 13).
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Diese Darlegungsanforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Die Klägerin rügt darin ausschließlich eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des BSG vom 3.9.2014 (B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3). Nach Maßgabe dieses Urteils bedürfe es grundsätzlich einer Einzelfallabwägung, bei der die materielle Rechtslage des Ausgangsverfahrens mit zu berücksichtigen sei und nicht nur der formelle Verfahrensgang. Gegen diese Vorgabe verstoße das Entschädigungsgericht.
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Indes gibt die Beschwerde nicht nachvollziehbar an, an welcher (genau bezeichneten) Fundstelle seines Urteils das Entschädigungsgericht welchen Rechtssatz aufgestellt haben sollte, mit dem es von der Rechtsprechung des BSG abgewichen ist. Vielmehr führt sie selbst aus, das Entschädigungsgericht berufe sich auf das genannte BSG-Urteil, um dann Einzelheiten der Verfahrensführung des Ausgangsgerichts zu diskutieren und ihre Bewertung durch das Entschädigungsgericht zu kritisieren. Dabei wirft die Beschwerde dem Entschädigungsgericht insbesondere vor, es habe nicht in Erwägung gezogen, dass das (Ausgangs-)Gericht das Verfahren durch eine Betreibensaufforderung hätte fördern können. Damit zeigt die Beschwerde aber keinen Widerspruch im Rechtssatz auf, sondern rügt in der Gestalt einer Divergenzrüge letztlich nur eine vermeintlich falsche Rechtsanwendung des Entschädigungsgerichts im Einzelfall. Das verfehlt, wie ausgeführt, die Anforderungen an die Bezeichnung einer Divergenz.
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3. Ebenfalls nicht dargelegt hat die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN).
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Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.11.2020 - B 9 SB 29/20 B - juris RdNr 9 mwN).
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Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Die Klägerin hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine dem Gericht zugebilligte Überlegungszeit von zwölf Monaten pauschal von der festgestellten Verzögerungszeit abgezogen werden darf und anhand welcher Kriterien die Überlegungs- und Bearbeitungszeit der Gerichte nach der Zwölf-Monats-Regel festgestellt wird.
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Indes legt die Beschwerde nicht dar, warum sich diese Fragen nicht bereits mithilfe der von ihr zitierten Rechtsprechung des BSG beantworten lassen. Danach muss die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte so beschaffen und die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger gegebenenfalls älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Damit ist eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderung begründet und gerechtfertigt werden kann. Die Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig in direktem Anschluss an die Erhebung der Klage bzw die Einlegung der Berufung, sondern kann auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Beruht eine Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Diese Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von § 198 Abs 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Damit ändert die Zwölf-Monats-Regel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung, sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die Verfahrensförderung entlang zeitlicher Grenzen (BSG Urteil vom 3.9.2014 - B10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 45 ff mwN).
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Die Beschwerde legt schon nicht dar, wie sich die von ihr für klärungsbedürftig gehaltene Möglichkeit eines pauschalen Abzugs der den Gerichten zustehenden Überlegungs- und Bearbeitungszeit von der festgestellten Verzögerungszeit mit dem von der Rechtsprechung des BSG hervorgehobenen Vorrang der Einzelfallbetrachtung vereinbaren lassen könnte.
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Ebenso wenig führt sie aus, welcher weiterer außer der im vorgenannten Urteil des BSG genannten Kriterien (aaO, RdNr 25 ff und 48) es noch bedürfen könnte, um die Überlegungs- und Bearbeitungszeit je Instanz zu bestimmen, die sich regelhaft auf zwölf Monate beläuft, beim Vortrag besonderer Umstände im Einzelfall indes abweichend festzulegen sein kann.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
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5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
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6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3, § 52 Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
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