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BSG 17.12.2020 - B 1 KR 59/19 B
BSG 17.12.2020 - B 1 KR 59/19 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Änderung der ursprünglichen Beschlussfassung - Besetzung des Spruchkörpers
Normen
§ 160a Abs 4 SGG, § 133 SGG, § 142 Abs 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 318 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Ulm, 5. April 2018, Az: S 13 KR 1185/17, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 6. August 2019, Az: L 11 KR 1859/18, Urteil
Leitsatz
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1. Eine Beschlussfassung der Berufsrichter mit den ehrenamtlichen Richtern, wonach eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurückgewiesen wird, ist ein jederzeit abänderbarer Beschlussentwurf, sofern bis zum Zeitpunkt der erneuten Beschlussfassung weder eine Zustellung der ursprünglichen Beschlussfassung noch deren Bekanntgabe in sonstiger Weise erfolgt ist.
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2. Für die Änderung des Tenors einer ohne Außenwirkung beschlossenen Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde sind die am Tag der erneuten Beratung zur Entscheidung berufenen ehrenamtlichen Richter hinzuzuziehen.
Tenor
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Auf die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. August 2019 wird die Revision zugelassen.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Krankenhausvergütungsstreits über die Auslegung des Begriffs "Blutbank" im Sinne des 2016 geltenden Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) 8-98f. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil. Der Senat hat die Sache in der Sitzung am 27.10.2020 gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern beraten und entschieden, dass die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen werden soll. Der Beschluss ist weder zugestellt noch auf andere Weise bekannt gegeben worden. Im Rahmen einer Telefonkonferenz am 2.12.2020 wurde die Sache gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern aus der Sitzung vom 27.10.2020 erneut beraten und entschieden, dass die am 27.10.2020 getroffene Entscheidung nicht wirksam werden soll.
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II. 1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist hinsichtlich der Rüge der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zulässig und begründet.
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2. Der Senat ist an der Zulassung der Revision nicht durch die in der Sitzung am 27.10.2020 getroffene Entscheidung, die Beschwerde zurückzuweisen, gehindert. Diese Entscheidung ist nicht wirksam geworden und entfaltet keine Bindungswirkung. Eine Beschlussfassung der Berufsrichter mit den ehrenamtlichen Richtern, wonach eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurückgewiesen wird, ist ein jederzeit abänderbarer Beschlussentwurf (dazu a), sofern bis zum Zeitpunkt der erneuten Beschlussfassung weder eine Zustellung der ursprünglichen Beschlussfassung in der Gestalt eines Beschlusses noch deren Bekanntgabe in sonstiger Weise erfolgt ist (dazu b). So liegt der Fall hier (dazu c).
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a) Nach § 318 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG ist das Gericht an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden (stRspr; vgl zur entsprechenden Anwendbarkeit nur BSG vom 29.5.1991 - 4 RA 12/91 - SozR 3-1750 § 318 Nr 1 S 3; Krasney, Die Anwendbarkeit zivilprozessualer Vorschriften im sozialgerichtlichen Verfahren, Diss Köln 1961, S 126). Das gilt entsprechend für Beschlüsse, die - wie der Beschluss über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs 4 SGG - der formellen Rechtskraft fähig sind (vgl BSG vom 24.10.1961 - 9 RV 970/61 - SozR Nr 31 zu § 67 SGG = juris RdNr 10; enger BSG vom 4.12.1997 - 3 BS 1/97 - SozR 3-1720 § 17a Nr 7 S 11, wonach § 318 ZPO grundsätzlich nicht auf Beschlüsse anwendbar sei, für den zu prüfenden Verweisungsbeschluss des LSG aber bejaht wurde; BAG vom 28.4.1983 - 2 AZR 438/81 - BAGE 42, 294 = juris RdNr 31; BAG vom 21.8.2003 - 8 AZR 444/02 - BAGE 107, 193 = AP Nr 9 zu § 318 ZPO = juris RdNr 8; BGH vom 7.5.1981 - VII ZR 366/80 - NJW 1981, 1962 = juris RdNr 10; Feskorn in Zöller, ZPO, 33. Aufl 2020, § 318 RdNr 9; Elzer in BeckOK ZPO, Stand 1.9.2020, § 318 RdNr 8, jeweils mwN). Beschlüsse, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, werden gemäß § 142 Abs 1 SGG iVm § 133 SGG erst mit der Zustellung wirksam und sind bis dahin nicht existent (vgl BSG vom 3.3.1994 - 1 RK 6/93 - SozR 3-1750 § 551 Nr 7 S 21 = juris RdNr 12; Hauck in Hauck/Behrend, SGG, Stand Oktober 2020, § 125 RdNr 60).
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b) Allerdings kann die Bindungswirkung gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 318 ZPO schon vor der Zustellung der Entscheidung eintreten, wenn diese bereits den Herrschaftsbereich des Gerichts verlassen hat (vgl BSG vom 3.3.1994 - 1 RK 6/93 - SozR 3-1750 § 551 Nr 7 S 21 = juris RdNr 12; BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 51/08 B - juris RdNr 9; BVerfG vom 7.12.1982 - 2 BvR 1118/82 - BVerfGE 62, 347, 353 = juris RdNr 22; Schütz in jurisPK-SGG, 2017, § 133 RdNr 14; Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 133 RdNr 5 mwN; Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 116 RdNr 10 mwN) oder der Inhalt der schriftlich fixierten Entscheidungsformel gegenüber einem Beteiligten (etwa durch telefonische Mitteilung) mit dem Willen des Gerichts bekannt gegeben worden ist (vgl BSG vom 14.12.1978 - 2 RU 23/77 - SozR 1500 § 124 Nr 5 = juris RdNr 21; BSG vom 27.5.2019 - B 9 SB 6/19 B - juris RdNr 4; BGH vom 27.10.1999 - XII ZB 18/99 - NJW-RR 2000, 877, 878; BVerwG vom 11.5.2015 - 7 B 18.14 - juris RdNr 7; BFH vom 8.3.2011 - IV S 14/10 - juris RdNr 9; BAG vom 28.2.2008 - 3 AZB 56/07 - NJW 2008, 1610 RdNr 10, jeweils mwN). Wird die Beschlussfassung intern geändert, kann die ursprüngliche Beschlussfassung dagegen keine Außenwirkung mehr entfalten. Sie ist mit der Änderung ein Nullum. Wenn nach der geänderten Beschlussfassung und vor ihrer Zustellung durch Beschluss dieses Nullum, die ursprüngliche Beschlussfassung, den Beteiligten oder Dritten fälschlich bekannt gegeben wird, entfaltet diese keine rechtliche Wirkung.
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c) Die in der Sitzung am 27.10.2020 getroffene Entscheidung ist danach nicht bindend geworden. Die Beschlussformel wurde zwar schriftlich niedergelegt, von den beteiligten Richtern unterschrieben und zur Akte genommen. Sie hat aber den Herrschaftsbereich des Gerichts nicht verlassen und wurde gegenüber den Beteiligten oder Dritten auch nicht auf sonstige Weise bekannt gegeben.
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3. Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der zu der Beratungssitzung am 17.12.2020 berufenen Besetzung.
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Der Senat lässt offen, ob der Actus contrarius, die (bloße) Rückgängigmachung der Beschlussfassung, durch den Spruchkörper in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung mit den bisher zuständigen ehrenamtlichen Richtern im Wege einer Nachberatung oder mit den am Sitzungstag zuständigen ehrenamtlichen Richtern zu erfolgen hat (dazu a). Die inhaltliche Neuentscheidung hat jedenfalls - wie hier geschehen - zusammen mit den für den jeweiligen Sitzungstag berufenen ehrenamtlichen Richtern zu erfolgen (dazu b). Der Senat hat vorsorglich auch die Zustimmung der bisher zuständigen ehrenamtlichen Richter eingeholt, bevor er mit den am Sitzungstag zuständigen ehrenamtlichen Richtern den Beschluss über die Zulassung der Revision getroffen hat (dazu c).
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a) In welcher Besetzung die Entscheidung zu ergehen hat, wird nicht einheitlich beurteilt, wenn an einer noch nicht bindend gewordenen Entscheidung des Gerichts vor dem Hintergrund neuen Vorbringens oder - wie hier - einer geänderten Rechtsauffassung nicht festgehalten werden soll. Teilweise wird vertreten, dass diese Entscheidung in der ursprünglichen Besetzung unter Beteiligung auch der ehrenamtlichen Richter zu treffen sei (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 124 RdNr 4b mwN). Dies erscheint für den Fall, dass im Ergebnis der Nachberatung, etwa über einen nachgelassenen Schriftsatz, an der ursprünglich getroffenen Entscheidung festgehalten werden soll, zutreffend (vgl BVerwG vom 13.11.2017 - 4 B 23.17 - NVwZ 2018, 176 RdNr 18 f; BVerwG vom 14.6.2019 - 7 B 25.18 - NVwZ 2019, 1854 RdNr 13; aA LSG Niedersachsen-Bremen vom 17.10.2019 - L 6 U 40/17 - juris RdNr 24). Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) gebietet, dass alle an der Entscheidung beteiligten Richter beachtliches Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis nehmen und in ihre Erwägungen einbeziehen (vgl BVerwG vom 14.6.2019, aaO).
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Ob in jedem Fall die ehrenamtlichen Richter aus der ursprünglichen Sitzung zu der der erneuten Entscheidung vorgelagerten Nachberatung hinzuzuziehen sind (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 124 RdNr 4b; bejahend für die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung vgl BGH vom 1.2.2002 - V ZR 357/00 - NJW 2002, 1426 = juris RdNr 15 f; BAG vom 25.1.2012 - 4 AZR 185/10 - NZA-RR 2013, 41 RdNr 15 ff), erscheint fraglich. Dagegen spricht, dass die Entscheidung lediglich gefällt, aber weder wirksam noch bindend geworden ist (siehe oben 2.). Insofern bedarf es auch keines besonderen Aktes, diese zu beseitigen (vgl Hauck in Hauck/Behrend, SGG, Stand Oktober 2020, § 125 RdNr 61; Schütz in jurisPK-SGG, 2017, § 133 SGG RdNr 15; Bergner in jurisPK-SGG, 2017, § 124 RdNr 7 f).
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b) Für den hier vorliegenden Fall, dass nach einer erneuten Beratung der Berufsrichter die gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern getroffene Entscheidung nicht wirksam werden soll, sondern auf der Grundlage neuer Erkenntnisse erneut über die Sache beraten und entschieden werden soll, sind dagegen für die erneute Entscheidung die am Tag der erneuten Beratung zur Entscheidung berufenen ehrenamtlichen Richter hinzuzuziehen (vgl BGH vom 1.2.2002 - V ZR 357/00 - NJW 2002, 1426 = juris RdNr 14; LSG Rheinland-Pfalz vom 25.10.1995 - L 3 U 128/94 - juris Leitsatz 4; Bergner in jurisPK-SGG, 2017, § 124 RdNr 76; Schütz in jurisPK-SGG, 2017, § 133 SGG RdNr 15).
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c) Der Senat hat vorsorglich im Rahmen einer Telefonkonferenz am 2.12.2020 gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern aus der Sitzung vom 27.10.2020 eine Nachberatung durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die ursprünglich gefällte Entscheidung nicht wirksam werden, sondern erneut über die Zulassung der Revision beraten und entschieden werden soll (vgl zur Zulässigkeit einer Nachberatung im Wege der Telefonkonferenz vgl BGH vom 29.11.2013 - BLw 4/12 - NJW-RR 2014, 243 RdNr 30 ff; BAG vom 26.3.2015 - 2 AZR 417/14 - BAGE 151, 199 = AP Nr 208 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = juris RdNr 12; BAG vom 14.4.2015 - 1 AZR 223/14 - AP Nr 57 zu § 113 BetrVG 1972 = NJW 2015, 3738 RdNr 12; BVerwG vom 13.11.2017 - 4 B 23/17 - NVwZ 2018, 176 RdNr 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 61 RdNr 9a). Dies ist am Sitzungstag mit den geschäftsplanmäßig dazu berufenen neuen ehrenamtlichen Richtern mit der sich aus dem Tenor ergebenden Zulassungsentscheidung geschehen.
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