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BSG 08.04.2020 - B 13 R 260/18 B
BSG 08.04.2020 - B 13 R 260/18 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - keine Anwendung des § 138 Abs 3 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren)
Normen
§ 128 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 S 1 SGG, § 138 Abs 3 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Hannover, 6. Februar 2014, Az: S 1 R 108/13, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 19. Juli 2018, Az: L 1 R 113/14, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. Juli 2018 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Durch Urteil vom 19.7.2018 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.5.2009, hilfsweise ab dem 1.7.2010 - anstatt ab dem 1.7.2012, wie bewilligt - verneint. Ein früherer Rentenbeginn könne nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt werden, denn das Vorliegen einer dem beklagten Rentenversicherungsträgers zuzurechnenden Pflichtverletzung konnte nicht nachgewiesen werden. Die damit bestehende objektive Beweislosigkeit gehe zu Lasten der Klägerin.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
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Die Klägerin macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf Verfahrensmängeln (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG, juris RdNr 29; jüngst BSG Beschluss vom 18.12.2019 - B 13 R 340/18 B - juris RdNr 12). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN).
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2. Als Verfahrensmängel rügt die Klägerin mit ihrer Beschwerdebegründung vom 5.12.2018 die Verkennung ihres "Beweisnotstandes" (a), die Nichtberücksichtigung von Vortrag bzw Verhalten der Beklagten (b), keine Berücksichtigung der Aufgabe des Bestreitens einer Falschberatung durch die Beklagte (c) und einen Verstoß gegen Denkgesetze sowie Erfahrungssätze bei der Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme (Vernehmung der Zeugen A. P. und R. M.) (d) durch das LSG. Damit hat sie jedoch keinen Verfahrensfehler hinreichend bezeichnet.
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a) Zum ersten Verfahrensmangel bringt die Klägerin vor, dass sie sich nach einem am 14.7.2010 unter "Vier-Augen" stattgefundenen Beratungsgespräch, dessen Inhalt dem zuständigen Sachbearbeiter des beklagten Rentenversicherungsträgers nach Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht mehr erinnerlich gewesen sei, in einem Beweisnotstand befinde. Dieser hätte vom LSG im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung berücksichtigt werden müssen. Denn dass die Klägerin das benannte Beratungsgespräch verlassen habe, ohne einen Rentenantrag gestellt zu haben, sei ein gewichtiges Indiz für die fehlerhafte Beratung durch den Mitarbeiter der Beklagten. Mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerdebegründung jedoch nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels.
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Dass die Klägerin mit der Nichtberücksichtigung des von ihr vorgebrachten Beweisnotstandes durch das LSG nicht einverstanden ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Denn insoweit wendet sie sich - wie sie letztlich auch selbst ausführt - gegen die Beweiswürdigung des LSG. Auf Angriffe gegen die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann aber nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
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Zwar erkennt die Klägerin dies selbst, wenn sie vorbringt, dass sie mit ihrem Vorbringen nicht lediglich eine fehlerhafte Beweiswürdigung rüge, sondern das Gericht verkannt habe, dass wegen des unverschuldeten Beweisnotstandes weniger hohe Anforderungen an den Nachweis gestellt werden dürften, es also die Voraussetzungen für eine entsprechende Beweiswürdigung "überhaupt nicht gesehen" habe. Auch mit diesem Vorbringen macht sie jedoch einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht hinreichend geltend.
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Selbst wenn man ihr folgen wollte, dass sie mit ihren Darlegungen nicht die Beweiswürdigung des LSG angreifen wolle, so bezeichnet sie jedoch gleichwohl keinen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts. Sie rügt der Sache nach nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall (s dazu BSG Beschluss vom 12.12.2014 - B 10 ÜG 15/14 B - juris RdNr 7 mwN; s auch BSG Beschluss vom 10.12.2019 - B 9 V 18/19 B - juris RdNr 13). Denn sie beruft sich darauf, dass das LSG den für die Beweiswürdigung zugrunde zu legenden rechtlichen Maßstab verkannt habe. Das Vorbringen, die Entscheidung sei rechtlich unrichtig, führt aber ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
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b) Zur "Nichtberücksichtigung von Vortrag bzw Verhalten der Beklagten" führt die Klägerin aus, die Beklagte habe bei der Ermittlung der ladungsfähigen Anschriften der Zeugen nicht mitgewirkt, unzutreffende Angaben zur Regressakte und Falschangaben zum Nichtvorhandensein eines Beratungsprotokolls vom 25.7.2012 gemacht. Damit rügt sie nach ihren eigenen Ausführungen jedoch wiederum nur eine ihrer Ansicht nach unzutreffende Beweiswürdigung durch das LSG, die - wie schon erörtert - nicht rügefähig ist. Sie bringt selbst vor, der benannte Vortrag bzw das benannte Verhalten des beklagten Rentenversicherungsträgers hätte vom LSG nach dem Amtsermittlungsgrundsatz als Sachverhalt beachtet und dann als Folge nach dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung dahingehend Berücksichtigung finden müssen, dass damit ein weiteres Indiz für die unterlassene Rentenantragstellung nach dem durchgeführten Beratungsgespräch vorliege. Dies spreche dafür, dass das Vorbringen der Klägerin der Wahrheit entspreche, weil ein solches Verhalten eines Beteiligten nur plausibel sei, wenn er "etwas zu verbergen" habe.
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Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die unterlassene Amtsermittlung des LSG verweist, benennt sie schon keinen Beweisantrag, den das LSG übergangen haben könnte. Bei dem von der Klägerin benannten Vortrag der Beklagten bzw deren Verhalten handelt es sich, wie die Klägerin selbst darlegt, auch nicht um "unbewiesene" Tatsachen. Vortrag und Verhalten waren im Berufungsverfahren bekannt, sind nur vom LSG nicht im Sinne des Vortrags der Klägerin gewürdigt worden. Ob das Beweisergebnis des LSG zutreffend ist, hat der Senat im Beschwerdeverfahren nicht nachzuprüfen, da eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG als Verfahrensfehler nicht gerügt werden kann (s § 160 Abs 2 Nr 3 SGG; BSG Beschluss vom 20.2.1989 - 2 BU 199/88 - juris RdNr 5).
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c) Ferner macht die Klägerin geltend, das LSG habe die Aufgabe des Bestreitens einer Falschberatung durch die Beklagte nicht berücksichtigt und damit verfahrensfehlerhaft gegen § 202 SGG iVm § 138 Abs 3 ZPO verstoßen. Insoweit lässt die Klägerin allerdings außer Acht, dass auch das von ihr in der Aufgabe des Bestreitens erkannte Zugeständnis der Beklagten nur im Rahmen der nicht rügefähigen Beweiswürdigung zu beachten gewesen wäre. Das Gericht kann Schlüsse daraus ziehen, ist an ein solches "Zugeständnis" jedoch nicht gebunden.
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Denn nach § 202 Satz 1 Halbsatz 1 SGG sind - soweit das SGG keine Bestimmungen über das Verfahren enthält - das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Abs 5 und § 278a ZPO entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Letzteres gilt für die Anwendung des § 138 Abs 3 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren. Das zivilgerichtliche Verfahren nach der ZPO ist überwiegend vom Beibringungsgrundsatz geprägt (Ausnahmen - Amtsermittlung nach dem FamG und ArbGG, Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 78. Aufl 2020, Grdz § 128 RdNr 31) und das nach dem SGG folgt dem Untersuchungsgrundsatz. Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied iS des § 202 Satz 1 Halbsatz 1 SGG (vgl Peters/Sautter-Wolff, Kommentar zum SGG, Stand 11/2018, § 202 Nr 6), der die Anwendung des von der Klägerin herangezogenen § 138 Abs 3 ZPO auch über die Öffnungsklausel des § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren ausschließt (s hierzu Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 202 RdNr 3 und derselbe § 103 RdNr 9). Im Übrigen ist auch im zivilgerichtlichen Verfahren der von der Klägerin zitierte § 138 Abs 3 ZPO nur im Rahmen von Verfahren, die dem Beibringungs-, nicht jedoch dem Untersuchungsgrundsatz folgen, anzuwenden (von Selle in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand 1.1.2020 § 138, RdNr 6; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl 2019, § 138 RdNr 12; so wohl auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 78. Aufl 2020, § 138 RdNr 37; vgl zur Situation beim Geständnis iS der Vorschrift des § 288 ZPO, die nicht über § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 202 RdNr 3 iVm Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl 2020, § 138 RdNr 9 und Peters/Sautter-Wolff, Kommentar zum SGG, Stand 11/2018, § 202 Nr 7c).
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d) Der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen Denkgesetze bzw die Grenzen freier Beweiswürdigung kann ihrer Beschwerde ebenfalls von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen. Auch insoweit wird bereits nach den eigenen Ausführungen der Klägerin in der Beschwerdebegründung wiederum die "Richtigkeit" der Beweiswürdigung des LSG in Frage gestellt. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kann ein Verfahrensmangel jedoch, wie bereits dargelegt, nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden (BSG Beschluss vom 26.8.2019 - B 9 V 6/19 B - juris RdNr 10).
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3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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4. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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