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BSG 25.04.2018 - B 4 AS 19/17 R
BSG 25.04.2018 - B 4 AS 19/17 R - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bildung und Teilhabe - außerschulische Lernförderung - Begriff der Lernförderung - Erforderlichkeit einer langfristigen Förderung - Lesen und Schreiben als Lernziele
Normen
§ 28 Abs 1 S 1 SGB 2, § 28 Abs 1 S 2 SGB 2, § 28 Abs 5 SGB 2, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Lübeck, 23. Oktober 2013, Az: S 40 AS 785/12, Urteil
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, 20. Januar 2017, Az: L 3 AS 195/13, Urteil
Leitsatz
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Lernförderung ist mehr als nur Nachhilfe und umfasst grundsätzlich jede Förderung Lernender, wozu auch ein Unterricht zur Lese-Rechtschreibförderung über eine längere Zeit hinweg gehören kann.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Januar 2017 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Umstritten sind Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II wegen einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) vom 1.4.2012 bis zum 31.7.2014.
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Der am 5.12.2002 geborene Kläger bezog zusammen mit seiner Mutter in der strittigen Zeit durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von dem beklagten Jobcenter. Der Kläger besuchte in den Schuljahren 2011/2012 und 2012/2013 die dritte und vierte Klasse einer Grundschule sowie in den Schuljahren 2013/2014 und 2014/2015 die fünfte und sechste Klasse einer Gemeinschaftsschule, jeweils in B Er leidet an einer LRS, wie im September 2011 von einem Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie festgestellt und von der Grundschule bestätigt worden ist, die die Notwendigkeit einer Lernförderung in Deutsch bejahte. Der Kläger nahm am allgemeinen schulischen Förderunterricht im Fach Deutsch teil. Ab dem Schuljahr 2011/2012 wurden bei ihm die Rechtschreibleistungen in den Fachnoten wegen Notenschutzes nicht berücksichtigt und seine Versetzung war nicht gefährdet. Mit Bescheid der Grundschule vom 16.1.2013 wurde bei ihm das Vorliegen einer LRS im Sinne des Erlasses "Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie)" des zuständigen Ministeriums für Bildung und Frauen vom 27.6.2008 festgestellt. Während der gesamten strittigen Zeit besuchte der Kläger einen Unterricht zur Lese- und Rechtschreibförderung der Volkshochschule (VHS) von 90 Minuten pro Woche, dessen Kosten sich auf 56 bis 89 Euro pro Monat beliefen.
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Am 3.4.2012 beantragte der Kläger die Übernahme der laufenden monatlichen Kosten für die Teilnahme an diesem Unterricht beim Beklagten. Letzterer lehnte den Antrag ab, weil Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II nur vorübergehende kurzzeitige und versetzungsrelevante Lernschwächen beheben solle, nicht aber eine länger andauernde Förderung, wie vorliegend, zum Gegenstand haben könne, zudem sei die Versetzung nicht gefährdet (Bescheid vom 16.7.2012; Widerspruchsbescheid vom 27.7.2012).
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Das SG hat den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Kosten für die Lernförderung des Klägers ab Antragstellung zu übernehmen (Urteil vom 23.10.2013). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 20.1.2017), nachdem die Beteiligten den Leistungszeitraum bis zum 31.7.2014 begrenzt hatten, weil der Kläger anschließend nicht mehr nach dem SGB II leistungsberechtigt gewesen sei. Lernförderung könne auch für längere Zeit zu gewähren sein, wenn dies, wie bei Legasthenie, erforderlich sei, um gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Der Begriff "Lernförderung" ziele auf eine komplexere Leistung als der Begriff "Nachhilfe" ab. Das entscheidende Lernziel der Grund- und der Gemeinschaftsschule sei nicht die Versetzung, sondern der Erwerb der Kulturtechniken Lesen und Schreiben als Basis für weiterführendes Lernen und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Dem besuchten Unterricht sei insgesamt die Eignung nicht abzusprechen, und die Höhe der Vergütung sei angemessen gewesen.
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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 28 Abs 5 SGB II und weist neben der Dauer der Förderung und dem Notenschutz sowie den Versetzungen des Klägers auf die vorrangigen Leistungen nach § 35a SGB VIII und §§ 53 ff SGB XII sowie den pädagogischen Auftrag der Schule hin, der nicht vom SGB II-Träger zu übernehmen sei.
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Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Januar 2017 und des Sozialgerichts Lübeck vom 23. Oktober 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Inwiefern der Kläger Anspruch auf Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II für den besuchten VHS-Unterricht gegen das beklagte Jobcenter hat, kann der Senat aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.
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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile des LSG vom 20.1.2017 und des SG vom 23.10.2013, mit welchen der Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids vom 16.7.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.7.2012 verurteilt wurde, die Kosten für die Lernförderung des Klägers vom 1.4.2012 bis zum 31.7.2014 zu übernehmen.
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2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen.
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Insbesondere ist nicht die Beiladung eines der vom Beklagten als vorrangig zuständig bezeichneten Träger der Jugend- oder der Sozialhilfe erforderlich. Nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG sind Dritte (nur) beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung). Diese Voraussetzungen sind für keinen der Bezeichneten erfüllt, weil die vorliegende Entscheidung ihnen gegenüber keine Rechtswirkungen entfaltet. Über eine unechte notwendige Beiladung nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG war vom Senat mangels Rüge im Revisionsverfahren nicht zu befinden (vgl nur B. Schmidt in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl 2017, § 75 RdNr 10, 13a f mwN).
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Der Kläger verfolgt sein Begehren in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Zwar steht dem Leistungsträger hinsichtlich der Erbringung von Leistungen zur Bildung und Teilhabe grundsätzlich ein Auswahlermessen zu, ob er die Leistung als Sach- oder Dienstleistung oder als (ggf pauschalierte) Geldleistung erbringt (§ 29 Abs 1 SGB II), sodass regelmäßig die Verpflichtungsbescheidungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) die statthafte Klageart ist; beschafft sich der Hilfebedürftige die im Streit stehende Leistung jedoch endgültig selbst, wie dies nach den Feststellungen des LSG vorliegend der Fall war, richtet sich das Begehren auf eine Geldleistung, die im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen ist (BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 10/09 R - SozR 4-4200 § 23 Nr 10 RdNr 20; BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 79/12 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 5 RdNr 11; siehe zur Übernahme von Aufwendungen bei berechtigter Selbsthilfe den seit 1.8.2013 geltenden § 30 SGB II) und hinsichtlich derer ein Grundurteil im Höhenstreit ergehen kann (§ 130 Abs 1 SGG; vgl nur BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10 mwN).
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Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Kosten für Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II handelt es sich um einen gerichtlich isoliert durchsetzbaren Anspruch. Denn die Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden nach § 28 Abs 1 Satz 1 SGB II neben dem Regelbedarf nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gesondert berücksichtigt und sind nach § 37 Abs 1 Satz 2 SGB II gesondert zu beantragen (BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 12/13 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 8 RdNr 14: Leihgebühr Cello; BSG vom 5.7.2017 - B 14 AS 29/16 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 10 RdNr 10: Schülerbeförderungskosten Waldorfschule).
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3. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Leistungen der Lernförderung vom 1.4.2012 bis zum 31.7.2014 ist § 19 Abs 2 iVm §§ 7 ff sowie § 28 Abs 1 und 5 SGB II idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850). Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f mwN: Geltungszeitraumprinzip).
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Anspruch auf Lernförderung als Leistung für Bildung und Teilhabe haben Leistungsberechtigte danach, wenn sie diese beantragt haben, sie Schülerin oder Schüler iS von § 28 Abs 1 Satz 2 SGB II sind, die Voraussetzungen des § 28 Abs 5 SGB II vorliegen und sie weder Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben (§ 19 Abs 2 Satz 1 SGB II) noch für sie entsprechende Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe nach § 6b des BKGG gewährt werden (§ 19 Abs 2 Satz 2 SGB II). Nach § 28 Abs 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.
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Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG hat der Kläger, vertreten durch seine Mutter (§ 38 Abs 1 SGB II), den erforderlichen Leistungsantrag (§ 37 Abs 1 Satz 2 SGB II) gestellt, war er eine leistungsberechtigte Person nach dem § 7 Abs 2 Satz 1 SGB II, hatte er im strittigen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII und wurden ihm keine Leistungen nach § 6b BKGG gewährt. Der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum Schüler iS des § 28 Abs 1 Satz 2, Abs 5 SGB II.
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Nicht entscheiden kann der Senat jedoch mangels ausreichender Feststellungen des LSG, ob und inwieweit der Kläger Anspruch auf die begehrte Lernförderung hat. Zwar ist dem LSG zuzustimmen hinsichtlich eines weiten Verständnisses des Begriffs Lernförderung (dazu 4.) sowie der Kulturtechniken Lesen und Schreiben - im Unterschied zur Versetzung - als wesentliche Lernziele (dazu 5.). Auch wenn bei dem Kläger nach den Feststellungen des LSG eine LRS vorlag, sind deren Ausprägung und damit der konkret zu deckende Bedarf offengeblieben, was allerdings aufzuklären ist (dazu 6.), um des Weiteren entscheiden zu können, ob und inwieweit eine die schulischen Angebote ergänzende Lernförderung erforderlich, der Unterricht bei der VHS geeignet und die entstandenen Kosten angemessen waren (dazu 7.).
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4. Lernförderung ist - wie schon aus dem Begriff folgt und das LSG zu Recht ausgeführt hat - mehr als nur Nachhilfe (Lenze in LPK-SGB II, 6. Aufl 2017, § 28 RdNr 24; Thommes in Gagel, SGB II, SGB III, § 28 SGB II RdNr 36, Stand der Einzelkommentierung 4/2012) und umfasst grundsätzlich jede Förderung Lernender (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, K § 28 RdNr 78, Stand der Einzelkommentierung 3/2017).
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Dieses bereits aus dem Wortlaut folgende weite Verständnis des Begriffs "Lernförderung" wird durch den Sinn und Zweck der Norm erhärtet. Der Gesetzgeber wollte mit den Bedarfen für Bildung und Teilhabe die vom BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) aufgestellten Anforderungen umsetzen, sodass diese bei der Ausfüllung des bundesrechtlichen Begriffs der Lernförderung heranzuziehen sind (vgl BSG vom 17.3.2016 - B 4 AS 39/15 R - BSGE 121, 69 = SozR 4-4200 § 28 Nr 9: Schülerbeförderung Sportgymnasium). Danach soll über die Vermittlung von Bildung die materielle Basis für Chancengerechtigkeit hergestellt und vermieden werden, dass schulpflichtige Kinder von SGB II-Beziehern ohne hinreichende staatliche Leistungen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können, was mit Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG nicht vereinbar ist (BVerfG, aaO, RdNr 192). Die Ermöglichung von Chancengerechtigkeit kann effektiv nur über ein weites Verständnis des Begriffs der Lernförderung im Sinne einer Förderung Lernender erreicht werden, sodass diesem Begriffsverständnis der Vorzug zu geben ist.
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Soweit vertreten wird, Lernförderung iS des § 28 Abs 5 SGB II sei abweichend von dem allgemeinen Sprachgebrauch enger zu fassen bzw auf Ausnahmefälle zu beschränken (vgl O. Loose in Hohm, GK-SGB II, § 28 RdNr 102, Stand der Einzelkommentierung 12/2015) kann dem aus den aufgezeigten Gründen nicht gefolgt werden, im Übrigen ergibt sich eine Begrenzung des Anspruchs auf Lernförderung aus den weiteren Anspruchsvoraussetzungen der Geeignetheit, zusätzlichen Erforderlichkeit und Angemessenheit. Auf diese weiteren Voraussetzungen verweist auch die Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung des heutigen § 28 Abs 5 SGB II - im Entwurf war es Abs 4 (BT-Drucks 17/3404 S 19, 105 f). In dieser wird einerseits entsprechend dem Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 darauf hingewiesen, dass "außerschulische Lernförderung als Sonderbedarf vom Anspruch auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfasst sein kann", und andererseits der Ausnahmecharakter und der "in der Regel" nur kurzzeitige Bedarf betont sowie auf den Vorrang schulischer Angebote hingewiesen; von der Schule initiierte Angebote oder schulnahe Förderstrukturen, insbesondere Angebote von Fördervereinen, gingen über das schulische Angebot hinaus und führten nicht zu einem Ausschluss von der Fördermöglichkeit (BT-Drucks, aaO). Eine eindeutige Tendenz im Sinne einer engen Auslegung der Regelung ist dem nicht zu entnehmen.
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Aus diesem Verständnis des Begriffs "Lernförderung", dem Sinn und Zweck der Norm sowie ihrer Entstehungsgeschichte folgt vielmehr, dass Lernförderung - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht nur kurzzeitige, sondern ggf längerfristige Bedarfe umfassen und damit unter Umständen für einen längeren Zeitraum zu erbringen sein kann.
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Des Weiteren kann trotz des vorrangigen pädagogischen Auftrags der Schulen als Teil der Länderverwaltung zur Vermittlung der Kulturtechniken Lesen und Schreiben die Stellung des Jobcenters als "Ausfallbürge" (hierauf schon hinweisend: Rixen, SGb 2010, 240, 244) auch hinsichtlich der Lernförderung aufgrund der verfassungsrechtlichen Fundierung dieser Leistung nicht verneint werden. Entgegen der Auffassung des Beklagten tritt keine "Vermischung bestehender Gesetze und Zuständigkeiten" ein, sondern mangels anderer gesetzlicher Ansprüche zB gegen die Schulverwaltung der Länder ist der Bund insofern verpflichtet, "das menschenwürdige Existenzminimum von Verfassungs wegen durch Rechtsansprüche zu gewährleisten" (BVerfG, aaO, RdNr 182), und hat dies ua mit § 28 Abs 5 SGB II getan.
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Dies erfordert im Gegenzug die Prüfung möglicher vorrangiger Leistungen (vgl § 5 SGB II) wie insbesondere die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a SGB VIII (vgl nur Fegert in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl 2015, § 35a RdNr 71 ff zu solchen Leistungen bei LRS) und für behinderte Menschen nach §§ 53 ff SGB XII (vgl nur Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 53 RdNr 26 mwN zu solchen Leistungen bei LRS; vgl ferner Gerlach/Hinrichs, Therapeutische Hilfen für junge Menschen - Problematische Schnittstellen zwischen SGB V, SGB VIII und SGB XII, ZFSH/SGB 2007, 387 ff, 451 ff, zu LRS 455 ff). Dass Menschen wegen einer LRS im Rechtssinne behindert sein können, folgt aus der entsprechend geltenden (§§ 2, 69 Abs 1 SGB IX in der in der strittigen Zeit anwendbaren Fassung, denen §§ 2, 152 f, 241 Abs 5 SGB IX in der ab 1.1.2018 geltenden Fassung entsprechen) Nr 3.4.2 des Teils B der Anlage Versorgungsmedizinische Grundsätze zur Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (BGBl I 2412), die lautet "Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit im Schul- und Jugendalter - Kognitive Teilleistungsschwächen (z. B. Lese-Rechtschreib-Schwäche [Legasthenie], isolierte Rechenstörung)" und je nach Ausprägung zu einem Grad der Behinderung von 0 bis 50 führen kann.
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Auf diese vorrangigen Leistungen hat der Beklagte zwar hingewiesen, die bei Verneinung eines Anspruchs in eigener Zuständigkeit gebotene entsprechende Weiterleitung des Antrags des Klägers (vgl § 16 SGB I) aber unterlassen, wiewohl die Voraussetzungen des § 14 SGB IX nicht erfüllt waren.
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5. Die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele, die mit einer solchen Lernförderung erreicht werden sollen, sind die Kulturtechniken Lesen und Schreiben und nicht die Versetzung in die nächsthöhere Klasse als solche. Dies folgt, wie das LSG zu Recht und unter Bezugnahme auf die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften ausgeführt hat, aus dem schon oben angeführten Zweck der Lernförderung, durch die Vermittlung von Bildung die materielle Basis für Chancengerechtigkeit herzustellen und zu vermeiden, dass schulpflichtige Kinder von SGB II-Beziehern in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dazu trägt die Versetzung in die jeweils nächsthöhere Klasse zwar ebenfalls bei, letztlich entscheidend sind indes die in der jeweiligen Klasse zu erlernenden Fähigkeiten, wie Lesen und Schreiben. Erst recht gilt dies, wenn Einschränkungen dieser Fähigkeiten aufgrund eines Notenschutzes, wie vorliegend, nicht versetzungsrelevant sind.
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6. Dass bei dem Kläger eine LRS vorlag, ergibt sich aus den Feststellungen des LSG. Offengeblieben ist allerdings die Ausprägung dieser Störung und damit ebenso der im Rahmen einer Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II zu deckende Bedarf. Dies von Amts wegen zu ermitteln, ist im Verwaltungsverfahren Aufgabe der Behörde (§§ 20 f SGB X) und im Gerichtsverfahren des Gerichts (§ 103 SGG). Das LSG wird dies im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben.
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Grundlage für diese Ermittlungen muss der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand sein, selbst wenn dieser auf Gebieten, die sich ständig weiterentwickeln, schwierig festzustellen sein mag; dabei sind neben Fachbüchern und Standardwerken die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), soweit sie vorliegen und einschlägig sind, zu berücksichtigen und ggf ist ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl nur BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 26 f; konkret zur LRS: S3-Leitlinie der AWMF mit Register-Nr 028-044: "Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung" mit Ausführungen insbesondere zur Diagnostik und Behandlung).
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7. Ausgehend von der so näher konkretisierten LRS des Klägers und dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wird dann zu klären sein, ob und inwieweit eine die schulischen Angebote ergänzende Lernförderung erforderlich, der Unterricht bei der VHS geeignet und die entstandenen Kosten angemessen waren.
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Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG ebenfalls zu entscheiden haben.
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