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BSG 27.06.2016 - B 9 SB 18/16 B
BSG 27.06.2016 - B 9 SB 18/16 B - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Überraschungsentscheidung - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Beweiswürdigung ohne eigene medizinische Sachkunde - richterliche Abwägung medizinischer Feststellungen bei vorliegenden Gutachten - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 62 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 411 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Hannover, 5. Dezember 2013, Az: S 41 SB 374/10, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 25. Februar 2016, Az: L 10 SB 19/14, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. Februar 2016 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. In der Hauptsache begehrt die Klägerin die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 seit Dezember 2009. Diesen Anspruch hat das LSG Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 25.2.2016 verneint, weil nach Abgleich der in den Gutachten des Orthopäden Dr. H. vom 14.3.2012 und des Orthopäden und Chirurgen Prof. Dr. S. vom 5.12.2014 mitgeteiltem Bewegungsausmaße der gesamten Wirbelsäule der Teil-GdB für die Wirbelsäulenschäden mit 30 einzuschätzen sei. Mit Rücksicht auf die von Prof. Dr. S. attestierten allenfalls knapp leichtgradigen Einschränkungen der Beweglichkeit der Halswirbelsäule ergebe sich durch das Hinzutreten von Beeinträchtigungen des dritten Wirbelsäulenabschnitts keine Höherbemessung des GdB. Die Erhöhung des durch die reinen Bewegungseinschränkungen bedingten Teil-GdB für das Funktionssystem "Rumpf" um mehr als 10 wegen der Schmerzen sei nicht gerechtfertigt, weil weder die Auswertung der von der Klägerin geschilderten Alltagsaktivitäten noch Art und Umfang der Schmerztherapie Anhaltspunkte für das Vorliegen eines außerordentlich stark beeinträchtigenden Schmerzsyndroms bieten würden. Da die Funktionsbeeinträchtigungen der anderen Funktionssysteme nur Teil-GdB-Werte von jeweils höchstens 10 bedingten, erhöhe sich der Gesamt-GdB nicht.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, mit der sie geltend macht, das Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar und verletze den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Prof. Dr. S. habe den Gesamt-GdB seit Dezember 2009 mit 50 bewertet, sodass die Klägerin davon ausgegangen sei, dass entsprechend dieses Gutachtens vom LSG entschieden werden würde. Folglich hätte das LSG einen Hinweis geben müssen, dass es dem Gutachten des Prof. Dr. S. nicht folgen wolle. Wäre dieser Hinweis erfolgt, so hätte die Klägerin weiter vorgetragen.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.
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Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hat den behaupteten Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dargetan. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f). Dies ist nach der Beschwerdebegründung nicht dargelegt.
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Die Beschwerde meint, das LSG habe vorab seine Absicht mitteilen müssen, dem Vorschlag des Sachverständigen Prof. Dr. S. für die Bewertung der Wirbelsäulenschäden der Klägerin mit einem Einzel-GdB von 40 und der Erhöhung auf 50 unter Berücksichtigung der Schmerzen nicht folgen zu wollen. Indes ist die Bemessung des GdB - wie die Klägerin selbst einräumt - nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl BSG Beschluss vom 20.4.2015 - B 9 SB 98/14 B - Juris RdNr 6 mwN). Zu deren Erfüllung haben die Gerichte in der Regel ärztliches Fachwissen heranzuziehen, um die zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen festzustellen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 und 3 SGB IX (vgl BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 16 bis 21 mwN), wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken und welcher GdB deshalb dafür nach den Vorgaben der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV) festzusetzen ist. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zu folgen, sondern entscheidet in freier Würdigung der erhobenen Beweise (§ 128 Abs 1 S 1 SGG). Dies gilt umso mehr, wenn mehrere Sachverständige Gutachten mit unterschiedlichen (Teil-)Ergebnissen erhoben haben. Die Entscheidung des LSG, den Einzel-GdB der Klägerin für ihre Wirbelsäulenschäden aufgrund dieser von den Sachverständigen erhobenen unterschiedlichen Ergebnisse niedriger als von Prof. Dr. S. vorgeschlagen zu bewerten, konnte einen kundigen und gewissenhaften Prozessbeobachter daher nicht überraschen. Die Klägerin ist in der Entscheidung des LSG nicht mit einer Beweiswürdigung konfrontiert worden, für die bisher keinerlei Hinweise vorlagen (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.5.1991 - 9a RVi 1/90). Eine solche Konstellation ist denkbar, wenn das LSG dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten nicht folgt, sondern - ohne Hinweis auf das Bestehen eigener Sachkunde - seine Beweiswürdigung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung medizinischer Fachliteratur entwickelte Beurteilung stützt (vgl BSG Beschluss vom 15.9.2011 - B 2 U 157/11 B). So liegen die Dinge hier jedoch nicht, das LSG hat unter Auswertung der beiden vorliegenden Gutachten entsprechend den dort getroffenen Feststellungen eine Abwägung getroffen, die der Klägerin vorher sämtlichst bekannt waren. Stattdessen lässt die Beschwerdebegründung durch den Hinweis, dass bereits bei der Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. S. starke Bewegungseinschränkungen mit starken Schmerzen vorgelegen hätten, erkennen, dass das LSG gerade das getan hat, was seine Aufgabe ist, nämlich ausgehend von einem bestimmten Rechtsstandpunkt eine Beweiswürdigung anhand der feststehenden medizinischen Tatsachen vorzunehmen und den Gesamt-GdB anhand der VersMedV selbst zu beurteilen (vgl BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - RdNr 5 mwN, stRspr). Mit einer solchen richterlichen Vorgehensweise mussten die Beteiligten rechnen, insbesondere vor dem Hintergrund des von Prof. Dr. S. festgestellten besseren Bewegungsvermögens gegenüber den Feststellungen von Dr. H. Wieso hiernach die Entscheidung des LSG überraschend gewesen sein könnte, vermag die Beschwerdebegründung nicht darzulegen. Zulässige Verfahrensrügen gegen die vom LSG getroffenen Feststellungen hat die Klägerin nicht erhoben.
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Soweit sich die Beschwerdebegründung gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG wenden sollte, kann die Begründung von vornherein nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde sein (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
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