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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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BSG 19.12.2012 - B 11 AL 91/12 B
BSG 19.12.2012 - B 11 AL 91/12 B
Vorinstanz
vorgehend SG Nürnberg, 20. Juli 2010, Az: S 19 AL 124/10, Urteil
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 23. Mai 2012, Az: L 10 AL 207/10, Urteil
Tenor
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Der Antrag des Klägers, ihm für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Mai 2012 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin S., beizuordnen, wird abgelehnt.
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
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Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Mit Urteil vom 23.5.2011 hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in N. verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten beantragt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) geltend.
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II. 1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
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Nach § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall.
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2. Die Beschwerde ist unzulässig. Der vorgebrachte Zulassungsgrund - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - ist nicht in der nach § 160a Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese Fragen noch nicht geklärt sind, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt. Insbesondere ist der Schritt darzustellen, der die Entscheidung der aufgezeigten Rechtsfrage erforderlich macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31; stRspr). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine konkrete Rechtsfrage aufwerfen, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Begründung vom 12.10.2012 nicht.
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Der Kläger wirft folgende Rechtsfragen auf:
"Hat auch ein Mensch mit einer so schweren Behinderung wie der Kläger Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben dergestalt, dass ihm die Beklagte den für seinen konkreten Fall erforderlichen höheren Personalschlüssel (1 Fachkraft für 2 Betreute) zur Verfügung stellen muss, wenn es ihm nicht möglich ist, unter der üblicherweise und auch im konkreten Fall gegebenen Personalausstattung einer Werkstatt von 1 Fachkraft für 6 Betreute eine wirtschaftlich verwertbare Leistung zu erbringen und die zuständige Werkstatt ihn bei Erstattung der zusätzlichen Personalkosten aufnehmen würde?
Stellt die Verweigerung des erforderlichen Personalschlüssels eine rechtswidrige Diskriminierung im Sinne des Art. 5 der UN-Behindertenrechtskonvention durch das Unterlassen angemessener Vorkehrungen dar?"
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Dahinstehen kann, inwieweit der Kläger wegen des Abstellens auf den "konkreten Fall" abstrakt klärungsfähige Rechtsfragen aufwirft. Jedenfalls hat er sich nicht damit auseinandergesetzt, inwieweit sich die Beantwortung seiner Fragen bereits aus dem Gesetz (§§ 136, 137 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch <SGB IX> iVm §§ 3 bis 5, § 9 Werkstättenverordnung <WVO>) ergibt, und er hat somit die Klärungsbedürftigkeit dieser beiden Rechtsfragen nicht hinreichend dargelegt. Sein Vorbringen, die vom LSG in Bezug genommenen Urteile des BSG vom 10.3.1994 (7 RAr 22/93 - SozR 3-4100 § 58 Nr 6) und vom 29.6.1995 (11 RAr 57/94 - BSGE 76, 178 = SozR 3-4100 § 58 Nr 7) stünden im Widerspruch zu der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) und seien zeitlich und inhaltlich überholt, lässt eine substanziierte Darlegung und eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG vermissen. Insbesondere der Widerspruch zur BRK wird lediglich behauptet. Eine substanziierte Darlegung, weshalb in der Ablehnung einer Kostenübernahme für eine (erforderliche) 1:2-Betreuung eine "Diskriminierung" des behinderten Menschen iS der BRK zu sehen sein soll, erfolgt nicht. Insoweit fehlt es schon an einer Auseinandersetzung mit der in Art 2 BRK enthaltenen Begriffsbestimmung der "Diskriminierung aufgrund von Behinderung".
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Ähnliches gilt für die weiteren, vom Kläger herangezogenen Bestimmungen der BRK (zB Art 5 und Art 27 Abs 2 Buchst i BRK - Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung bzw Sicherstellung angemessener Vorkehrungen am Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderungen). Inwieweit Bestimmungen der BRK geeignet sind, unmittelbare innerstaatliche Rechtsansprüche zu begründen, legt der Kläger ebenso wenig dar wie die Ableitung der Begründung eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Einzelnen aus den Regelungen der BRK, eine 1:2-Betreuung in einer "zuständigen" WfbM zu verlangen, etwa im Wege einer entsprechenden Gesetzesumsetzung bzw Gesetzesauslegung (vgl insoweit auch BSG Urteile vom 18.5.2011 - B 3 KR 10/10 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 35, RdNr 19, und vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 16 ff, 29, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen). Schließlich setzt sich die Beschwerdebegründung - abgesehen davon, dass es sich bei der fraglichen Leistung um eine Ermessensleistung (vgl § 97 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch <SGB III>) handelt - nicht mit dem Wortlaut des § 136 Abs 2 SGB IX und dem benannten Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten nach § 9 SGB IX auseinander. Dies hätte aber insbesondere im Hinblick darauf, dass § 9 Abs 1 SGB IX iVm § 33 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auf "angemessene" Wünsche abstellt, nahe gelegen. Selbst wenn in § 9 Abs 1 SGB IX nicht lediglich ein Programmsatz zu sehen sein sollte, hätte sich der Kläger jedenfalls auch mit den - in der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BSG angesprochenen - Mindestvoraussetzungen für eine Tätigkeit in einer Werkstatt und den Grenzen einer Betreuung (vgl dazu auch § 9 Abs 3 WVO; Vater in Lachwitz-Schellhorn-Welti, Handkommentar zum SGB IX, 3. Aufl 2010, § 136 RdNr 29) auseinandersetzen müssen.
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Darüber hinaus hat der Kläger auch den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsfähigkeit nicht Rechnung getragen. Klärungsfähigkeit im Sinne von Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 mwN; stRspr). Daran mangelt es zB, wenn die Entscheidung der Berufungsinstanz auf verschiedene Begründungen gestützt wird, die nicht alle von der aufgeworfenen Rechtsfrage betroffen sind (vgl BSG aaO RdNr 3; SozR 3-1500 § 160a Nr 28). Dies ist hier der Fall.
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Das LSG hat die fragliche Werkstattfähigkeit des Klägers nicht allein von dem der WfbM zur Verfügung stehenden Personalschlüssel abhängig gemacht. Vielmehr hat das LSG die Verneinung der Werkstattfähigkeit des Klägers auch auf die Entscheidung des BSG vom 10.3.1994 (7 RAr 22/93 - SozR 3-4100 § 58 Nr 6) gestützt, wonach die Eignung eines behinderten Menschen zur Teilnahme an Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich einer WfbM voraussetzt, dass er werkstattfähig, dh gemeinschaftsfähig und nicht außerordentlich pflegebedürftig ist. Außerordentliche Pflegebedürftigkeit ist danach gegeben, wenn der behinderte Mensch so weitgehend von Pflege abhängig ist, dass - auch nach Teilnahme am Eingangsverfahren und Arbeitstraining - die Voraussetzungen für eine Aufnahme in den Arbeitsbereich nicht gegeben sind. Hiervon ausgehend hat das LSG bei dem Kläger die Werkstattfähigkeit bei der gebotenen prognostischen Betrachtungsweise verneint. Zu dieser weiteren Begründung des LSG enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen.
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3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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Da dem Kläger mangels Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde PKH nicht zu bewilligen ist, hat er auch keinen Anspruch auf Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten nach § 73a SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO.
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Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
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