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BVerfG 22.09.2023 - 1 BvR 422/23
BVerfG 22.09.2023 - 1 BvR 422/23 - Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) durch unvertretbare fachgerichtliche Auslegung des § 62 Abs 2 S 5 Nr 2 SGB V (RIS: SGB 5) - Kostenübernahme für die Unterbringung in einem Pflegeheim gem § 62 Abs 2 S 5 Nr 2 SGB 5 nur unter der Voraussetzung des Bezugs von Leistungen gem §§ 27ff SGB XII (RIS: SGB 12) nicht nachvollziehbar
Normen
Art 3 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, §§ 27ff SGB 12, § 27 SGB 12, § 61 SGB 12, § 62 Abs 2 S 5 Nr 1 SGB 5, § 62 Abs 2 S 5 Nr 2 SGB 5
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 31. Januar 2023, Az: L 16 KR 333/22 NZB, Beschluss
vorgehend SG Osnabrück, 22. Juni 2022, Az: S 46 KR 59/22, Gerichtsbescheid
Tenor
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1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 22. Juni 2022 - S 46 KR 59/22 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Gerichtsbescheid wird aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. Januar 2023 - L 16 KR 333/22 NZB - gegenstandslos. Die Sache wird an das Sozialgericht Osnabrück zurückverwiesen.
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2. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine sozialgerichtliche Entscheidung über die Höhe der Belastungsgrenze für Zuzahlungen zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Unterbringung in einem Pflegeheim.
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I.
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1. Die 1938 geborene Beschwerdeführerin lebt seit 1. Juli 2021 in einem Pflegeheim. Sie bezieht eine Altersrente in Höhe von 1.100,37 Euro. Mit Bescheid vom 7. Juli 2021 erklärte der Sozialhilfeträger, "gemäß §§ 61 ff. in Verbindung mit § 27b SGB XII die (…) entstehenden nicht gedeckten Heimkosten" zu übernehmen und setzte gleichzeitig einen unmittelbar an die Einrichtung zu zahlenden Eigenanteil für die Heimkosten fest, wobei er von den Renteneinkünften eine monatliche Bekleidungspauschale in Höhe von 23,50 Euro und einen Barbetragsanspruch in Höhe von 120,42 Euro in Abzug brachte. Das verbleibende Einkommen ergebe den monatlich zu zahlenden Eigenanteil. Der Sozialhilfeträger verwies darauf, dass der Bescheid dazu genutzt werden könne, die Begrenzung der Zuzahlung bei der Krankenkasse zu beantragen.
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2. Auf den diesbezüglichen Antrag der Beschwerdeführerin stellte die im Ausgangsverfahren beklagte Krankenkasse eine anhand der Renteneinkünfte der Beschwerdeführerin ermittelte Belastungsgrenze im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V von 132,04 Euro für das Jahr 2022 fest. Den Widerspruch der Beschwerdeführerin wies die Krankenkasse zurück. Bei Ermittlung der Belastungsgrenze sei nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 5 SGB V der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 1 zugrunde zu legen, da die Beschwerdeführerin ausschließlich Leistungen nach dem 7. Kapitel des SGB XII (Hilfe zur Pflege) erhalte.
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3. a) Die daraufhin erhobene Klage wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2022 als unbegründet zurück. Die Ausnahme nach § 62 Abs. 2 Satz 5 SGB V greife nicht. Weder beziehe die Beschwerdeführerin, wie von § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 SGB V vorausgesetzt, Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII, sondern Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII, noch würden die Kosten für die Unterbringung in einem Heim vom Sozialhilfeträger übernommen, wie es § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V erfordere. Zwar beziehe die Beschwerdeführerin Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII, die als Teil der Heimkosten und somit missverständlich formuliert übernommen würden. Dabei werde auch ein Barbetrag bei der Festsetzung des Eigenanteils berücksichtigt. Jedoch handle es sich dabei um keine Kostenübernahme im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V. Eine Kostenübernahme im Sinne der Unterbringung in einem Heim setze die Kostenübernahme für Unterkunft und Verpflegung voraus, die nach Regeln der Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß des 3. Kapitels des SGB XII (§§ 27 ff. SGB XII) erfolge. Eine solche Leistungsgewährung liege bei der Beschwerdeführerin unstreitig nicht vor. Die zulassungsbedürftige Berufung werde nicht zugelassen.
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b) Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gestützte Nichtzulassungsbeschwerde wies das Landessozialgericht mit Beschluss vom 31. Januar 2023 zurück. Es sei keine grundsätzliche Bedeutung gegeben. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin gingen über den Vortrag der inhaltlichen Unrichtigkeit der Entscheidung nicht hinaus.
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4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verstöße gegen das Sozialstaatsprinzip nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG, einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot sowie als allgemeinen Gleichheitssatz und einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidung des Sozialgerichts.
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a) Die Entscheidung des Sozialgerichts verstoße gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG, indem dort ausgeführt sei, die Beschwerdeführerin erhalte keine Hilfe zum Lebensunterhalt oder als Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, obwohl ausweislich des Bescheids des Sozialhilfeträgers Leistungen nach § 27b SGB XII bewilligt würden, bei denen es sich schon nach dem Wortlaut um Hilfen zum Lebensunterhalt handle. Unter Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip habe das Sozialgericht zudem völlig außer Acht gelassen, dass der Beschwerdeführerin hier lediglich der Barbetrag und nicht das Renteneinkommen zur Verfügung stehe.
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b) Weiter verstoße die Entscheidung des Sozialgerichts gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, indem sich das Sozialgericht nicht damit auseinandergesetzt habe, dass die Anwendung der Ausnahmeregel des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 SGB V von der je nach Sozialhilfeträger unterschiedlichen Verwaltungspraxis abhänge, ob Einkommen vollständig angerechnet und der Barbetrag nach § 27b Abs. 3 Satz 3 SGB XII an den Betroffenen ausgezahlt wird oder ob von dem einzusetzenden Einkommen der Barbetrag in Abzug gebracht wird und dem Betroffenen damit verbleibt.
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c) Schließlich verstoße die Entscheidung des Sozialgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG, indem das Sozialgericht eine Beiladung des Sozialhilfeträgers nicht vorgenommen habe, obwohl sich eine solche hätte aufdrängen müssen.
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5. Die Senatorin für Justiz und Verfassung Bremen und das Niedersächsische Justizministerium haben erklärt, von einer Stellungnahme abzusehen. Die im Ausgangsverfahren begünstigte Krankenkasse hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.
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II.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b, § 93b Satz 1, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden, sodass die Kammer ihr stattgeben kann (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der verfassungsrechtliche Schutz des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot ist in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 4, 1 7>; 58, 163 167 f.>; 62, 189 192>; 71, 122 135 f.>; 80, 48 51>; 81, 132 137>; 86, 59 62 f.>; 152, 345 382 Rn. 98>). Die Subsumtion des zur Entscheidung stehenden Sachverhalts unter diese Maßstäbe wirft keine in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht geklärten verfassungsrechtlichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
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2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch wenn die streitgegenständliche Gesamtbelastung lediglich 132,04 Euro und die Differenz zu der wohl unstreitigen Belastungsgrenze nur 78,52 Euro betragen, ist vor dem Hintergrund der geringen Höhe des der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehenden Barbetrags und der zu erwartenden Wiederholung der beanstandeten Rechtsanwendung für die Folgejahre ein besonders schwerer Nachteil im Sinne einer existenziellen Betroffenheit anzunehmen.
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3. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot durch die Entscheidung des Sozialgerichts rügt. In Bezug auf die Rügen der Verletzung ihrer Rechte aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG, aus Art. 3 Abs. 1 GG als allgemeinem Gleichheitssatz und aus Art. 103 Abs. 1 GG fehlt es indes an einem Vortrag, der den aus § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG folgenden Begründungsanforderungen (vgl. BVerfGE 78, 320 329>; 89, 155 171>; 99, 84 87>; 108, 370 386 f.>; 115, 166 179 f.>; 130, 1 21>) genügt.
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4. Die Verfassungsbeschwerde hat, soweit sie zulässig ist, auch in der Sache Erfolg. Der angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts verletzt Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
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a) Ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine gerichtliche Entscheidung sachlich schlechthin unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 58, 163 167 f.>; 62, 189 192>; 71, 122 135 f.>). Jedoch ist Art. 3 Abs. 1 GG nicht bereits dann verletzt, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Hinzukommen muss, dass diese bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen (vgl. BVerfGE 4, 1 7>; 80, 48 51>; 81, 132 137>; 152, 345 382 Rn. 98>; stRspr). Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Willkür liegt etwa dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Die Auslegung eines Gesetzes ist willkürlich, wenn sie das gesetzgeberische Anliegen grundlegend verfehlt, weil der Richter dem Gesetz einen Sinn unterlegt, den der Gesetzgeber offensichtlich nicht hat verwirklichen wollen, den er auch nicht ausgedrückt hat und den das Gesetz auch nicht im Verlaufe einer Rechtsentwicklung aufgrund gewandelter Anschauungen erhalten hat (vgl. BVerfGE 86, 59 64>). Der materiell-verfassungsrechtliche Maßstab des Willkürverbots, an dem sich auch jede Gerichtsentscheidung messen lassen muss, verlangt mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Begründung der Entscheidung jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falls ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 135 f.>). Von einer willkürlichen Missdeutung kann hingegen nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 278 f.>; 89, 1 13 f.>; 96, 189 203>).
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b) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, ist die Entscheidung des Sozialgerichts als willkürlich zu qualifizieren.
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aa) Zwar stellt - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - die Annahme, § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 SGB V sei nicht einschlägig, da die Beschwerdeführerin keine Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII oder ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundesversorgungsgesetz, sondern Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII erhalte, keine willkürliche Rechtsanwendung dar. Denn insoweit ist es nachvollziehbar, den vom für die Eigenbeteiligung aufzubringenden Einkommen in Abzug gebrachten Barbetrag nach § 27b Abs. 2 und 3 SGB XII nicht als Erhalt von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt anzusehen. Nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung werden in § 27b SGB XII in die stationäre Leistung eingeschlossene Bedarfe im Sinne von Rechenposten im Rahmen der Gewährung der Hilfe zur Pflege gemäß § 61 SGB XII geregelt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 2022 - B 8 SO 17/20 R -, Rn. 16).
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bb) Die sich anschließende Annahme, eine Kostenübernahme für die Unterbringung in einem Heim im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V setze die Kostenübernahme für Unterkunft und Verpflegung voraus, die nach dem 3. Kapitel des SGB XII erfolge (§§ 27 ff. SGB XII), entbehrt auf dieser Auslegung jedoch jeder nachvollziehbaren Grundlage. Eine Begründung dieser Annahme enthält die Entscheidung nicht. Es fehlt sowohl an einer Definition des Begriffs "Kosten der Unterbringung in einem Heim" anhand der juristischen Auslegungsmethoden als auch an einer anschließenden Subsumtion.
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Die Vorgaben von § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V ergeben sich unmittelbar aus Wortlaut und Systematik der Regelung. Nach dem Wortlaut der Regelung ist Tatbestandsvoraussetzung die Kostentragung der Unterbringung des Versicherten in einem Heim oder einer anderen Einrichtung durch den Sozialhilfeträger. Der Wortlaut der Vorschrift bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen darüber hinaus erforderlich ist, dass der Sozialhilfeträger Leistungen für Unterkunft und Verpflegung nach dem 3. Kapitel des SGB XII gewährt. Anders als in § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 SGB V wird in § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V schon im Normtext nicht auf den Bezug bestimmter Leistungsarten der Sozialhilfe abgestellt, sondern ganz allgemein auf die Kostentragung der Heimunterbringung durch den Sozialhilfeträger. Systematische Erwägungen lassen nur den Schluss zu, dass der Anwendungsbereich des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V auch dann eröffnet ist, wenn der Sozialhilfeträger im Hinblick auf die Unterbringungskosten andere als die genannten Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII erbringt. Dies entspricht auch der - zeitlich nach Erlass der angegriffenen Entscheidung des Sozialgerichts erfolgten - fachgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. September 2022 - L 4 KR 2403/22 NZB -; Beschluss vom 26. Oktober 2022 - L 11 KR 2402/22 NZB -; LSG Hamburg, Urteil vom 23. März 2023 - L 1 KR 12/22 -).
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Demgegenüber beraubt die Auslegung des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V in der angegriffenen Entscheidung der Norm ihres selbständigen Anwendungsbereichs. Die Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V nur dann anzuwenden, wenn die im Heim untergebrachten Versicherten auch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII bezögen, hätte zur Folge, dass der Regelung keine eigenständige Bedeutung zukommen würde, da ein Versicherter, der Hilfen zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII erhält, bereits von § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 SGB V erfasst wird. Nach der Gesetzessystematik stellt sich § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V vielmehr als Sonderregelung für Versicherte dar, die nicht von Nr. 1 der Regelung erfasst werden, weil sie keine Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII beziehen, gleichwohl jedoch wegen der Heimunterbringung bedürftig sind und deshalb Anspruch auf Leistungen des Sozialhilfeträgers, wie Hilfe zur Pflege haben.
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Die vom Sozialgericht vorgenommene - nicht weiter begründete - Einengung der Tatbestandsvoraussetzungen widerspricht auch offensichtlich der gesetzgeberischen Konzeption, neben der Personengruppe der Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII einen eigenständigen Ausnahmetatbestand für die gleichfalls einkommensschwache Personengruppe der Bewohner insbesondere von Alten- und Pflegeheimen zu schaffen (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 187 zur Vorgängerregelung in § 61 Abs. 2 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen <Gesundheits-Reformgesetz - GRG> vom 20. Dezember 1988 <BGBl I S. 2477>).
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cc) Die im Widerspruch zu diesen Erwägungen stehende angegriffene Entscheidung stellt nicht bloß eine unrichtige Rechtsanwendung dar. Die angegriffene Entscheidung ist darüber hinaus unter Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich, da jedwede Erwägungen zu Wortlaut, Systematik und Telos unterblieben sind, obwohl sowohl der Sachverhalt als auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin hierzu zwingenden Anlass boten. Eine solche Auseinandersetzung drängte sich insbesondere vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der Beschwerdeführerin auf, denn sie steht durch das die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ausschließende - und für die Berechnung der Belastungsgrenze herangezogene - Einkommen nicht besser da als eine Bezieherin solcher Leistungen, da sie das ihr nach Abzug des Barbetragsanspruchs und der Bekleidungspauschale verbleibende Einkommen vollständig als Eigenanteil für die Heimunterbringung einzusetzen hat. In Ermangelung weiterer Erwägungen entbehrt die Entscheidung eines sachlichen Grundes. Sie verfehlt sowohl grundsätzlich als auch insbesondere in Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Beschwerdeführerin das gesetzgeberische Anliegen einer an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Belastungsgrenze. Das Sozialgericht hat den Inhalt des § 62 Abs. 2 Satz 5 SGB V damit in krasser Weise missdeutet, ohne für seine Auslegung ansatzweise eine Begründung zu erbringen.
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dd) Das Ergebnis in der angegriffenen Entscheidung beruht auch auf der Art. 3 Abs. 1 GG verletzenden Auslegung. Es ist keine mit herkömmlichen Auslegungsmethoden erzielbare Auslegung denkbar, die zu dem in der angegriffenen Entscheidung gefundenen Ergebnis kommt.
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III.
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Der angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts beruht auf der Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und ist aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache ist an das Sozialgericht Osnabrück zurückzuverweisen.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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