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BVerfG 07.07.2020 - 1 BvR 596/17
BVerfG 07.07.2020 - 1 BvR 596/17 - Stattgebender Kammerbeschluss: Zivilgerichtliche Kostenentscheidung unter Nichtberücksichtigung wesentlichen Parteivortrags verletzt Gehörsanspruch (Art 103 Abs 1 GG) - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 91a ZPO, § 935 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Celle, 29. November 2016, Az: 13 W 96/16, Beschluss
vorgehend LG Hannover, 31. Oktober 2016, Az: 6 O 194/16, Beschluss
Tenor
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1. Die Beschlüsse des Landgerichts Hannover vom 31. Oktober 2016 - 6 O 194/16 - und des Oberlandesgerichts Celle vom 29. November 2016 - 13 W 96/16 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.
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2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.
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Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Kostentragung für ein zivilgerichtliches einstweiliges Verfügungsverfahren wegen eines Presseberichts. Der Beschwerdeführer ist ein Verein mit Sitz in Hannover, der eine Moschee betreibt.
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1. Im Juli 2016 berichtete die Hannoveraner Ausgabe der B. Zeitung auf ihrem Internetportal unter der Überschrift "Terror-Experte warnt vor dem Verwaltungs-Gericht - So gefährlich sind die Islamisten der Region" über islamistische Bestrebungen, insbesondere Rekrutierungsbemühungen für die Terrorgruppe "IS" in Niedersachsen. Zitiert wurden dabei hauptsächlich Aussagen, die ein Mitarbeiter des niedersächsischen Landeskriminalamts in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren getätigt hatte. Dabei heißt es in dem unter anderem mit einem Foto des Gebetshauses des Beschwerdeführers bebilderten Artikel:
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"Im Visier von LKA und Verfassungsschutz: der D., der 'D. Islamkreis' mit Sitz in Hildesheim und Hannover - für die Behörden eine Hochburg der Salafisten.
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Ermittler Rainer L. (Name geändert) vom Staatsschutz: 'Mindestens 19 Personen, die den Verein und die Moschee besucht haben, sind nach unseren Erkenntnissen in Syrien oder den Irak gereist, darunter der ehemalige Vorsitzende und der Schriftführer.'"
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Der Beschwerdeführer mit Sitz in Hannover und ein jenseits des Ortszusatzes namensgleicher Verein in Hildesheim sind zwei selbständige, organisatorisch nicht verbundene Vereine. Die zitierten Äußerungen in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren bezogen sich nach der im Verfahren vorgelegten schriftlichen Auskunft des Landeskriminalamts Niedersachsen allein auf den Hildesheimer Verein und nicht auf den Beschwerdeführer.
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2. Wegen dieses Artikels erwirkte der Beschwerdeführer vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung, die es der B. Zeitung untersagte, über ihn wie geschehen zu berichten. Die Entscheidung über die gleichfalls beantragte Unterlassungsverfügung gegen den Chefredakteur der Hannoveraner Ausgabe verwies das Gericht wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Landgericht Hannover. Dieses erteilte Hinweis, wonach der Beschwerdeführer bisher nicht hinreichend glaubhaft gemacht haben dürfte, dass er nicht im Visier des Landeskriminalamts und des Verfassungsschutzes stehe und dass nicht mindestens 19 Besucher der Moschee nach Syrien oder Irak gereist seien. Die vorgelegte eidesstattliche Versicherung könne allein glaubhaft machen, dass der Vorsitzende selbst dorthin nicht gereist sei. Der Beschwerdeführer erwiderte schriftsätzlich, dass dieser Hinweis nicht nachvollziehbar sei. Die von ihm zu fordernde Glaubhaftmachung könne allein die Widerlegung der konkreten Behauptungen des Artikels betreffen. Dem Artikel sei zu entnehmen, dass nach behördlichen Angaben in einem gerichtlichen Verfahren auch der Beschwerdeführer mit Sitz in Hannover als eine "Hochburg von Salafisten" gelte und dass mehrere Besucher der von ihm betriebenen Moschee nach Irak oder Syrien gereist seien. Dass solche behördlichen Aussagen nur mit Blick auf den namensgleichen Verein mit Sitz in Hildesheim - nicht aber bezüglich des Beschwerdeführers - gemacht worden seien, habe er bereits durch Vorlage des Schreibens des Landeskriminalamts glaubhaft gemacht.
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3. Nachdem der Antragsgegner ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte und beide Parteien unter Widerspruch gegen die Kostenlast das Verfahren für erledigt erklärt hatten, erlegte das Landgericht dem Beschwerdeführer die Kosten auf, wobei es die Begründung seines Hinweises wiederholte. Die sofortige Beschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Kostentragung wegen eines weiteren zurückgewiesenen Anspruchs nur noch zu zwei Dritteln verwahrte, wies das Oberlandesgericht zurück. Die Unwahrheit der beanstandeten Äußerungen habe der Beschwerdeführer - wie zutreffend im Hinweis ausgeführt - nicht glaubhaft gemacht. Die Anhörungsrüge, die erneut maßgeblich mit dem Vortrag zum vorgelegten Schreiben des Landeskriminalamts und der Verschiedenheit der beiden fälschlich miteinander identifizierten Vereine begründet war, wies das Oberlandesgericht zurück. Der Senat habe den Vortrag des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen, sei aber zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangt.
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4. Hiergegen richtet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde, in der er insbesondere eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt. Die Entscheidungen hätten die ihnen vorliegende Stellungnahme des Landeskriminalamts unberücksichtigt gelassen und damit wesentlichen Vortrag des Beschwerdeführers übergangen. Der Beschwerdeführer beantragt eine Rückverweisung in die Beschwerdeinstanz.
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5. Den Äußerungsberechtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die diese nicht wahrgenommen haben. Die Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens hat der Kammer bei ihrer Entscheidung vorgelegen.
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II.
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1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 25>). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen ihn in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
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2. Obwohl ein reines Kosteninteresse grundsätzlich nicht ausreicht, um ein Rechtsschutzbedürfnis fortbestehen zu lassen (vgl. BVerfGE 50, 244 248>; 75, 318 325>), scheitert die Zulässigkeit nicht am mangelnden Rechtsschutzbedürfnis. Denn der Beschwerdeführer macht eine Grundrechtsverletzung gerade bei der Entscheidung über die Kostentragung geltend. Eine etwaige Grundrechtsverletzung hierbei fällt durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Sache sein Begehren erreicht hat, nicht fort.
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3. a) Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 84, 188 190>; 107, 395 409> m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet auch, dass das entscheidende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss (vgl. BVerfGE 21, 191 194>; 96, 205 216>; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist, ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BVerfGE 25, 137 140 f.>; 85, 386 404>; 96, 205 216 f.>; stRspr). Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern ihres Vorbringens ausmacht und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen (vgl. BVerfGE 47, 182 188 f.>; 86, 133 146>). Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht beachtet worden ist. Dagegen aber schützt Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 1992 - 1 BvR 600/92 -, NJW-RR 1993, S. 383).
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b) Nach diesen Maßstäben ist das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers vorliegend verletzt. Der Beschwerdeführer hat bereits auf den Hinweis des Landgerichts zur angeblich unzureichenden eidesstattlichen Versicherung erwidert, dass es darauf nicht ankomme, weil die Unwahrheit der in dem Artikel aufgestellten Behauptung, nämlich dass sich die Aussagen des Landeskriminalamts über salafistische Bestrebungen und Rekrutierungsaktivitäten in der Region auch auf den Beschwerdeführer bezogen hätten, bereits durch die Vorlage des Schreibens des Landeskriminalamts und die Versicherung des Vorsitzenden zur organisatorischen Verschiedenheit der beiden Vereine glaubhaft gemacht worden sei. Hierzu verhalten sich die angegriffenen Entscheidungen in keiner Weise, sondern weisen nur anderweitigen Vortrag des Beschwerdeführers zur Erforderlichkeit eines weiteren Hinweises und zur Unzumutbarkeit einer weitergehenden Glaubhaftmachung zurück. Bei dem übergangenen Vortrag handelt es sich jedoch offensichtlich um wesentlichen Vortrag des Beschwerdeführers, da auf Grundlage dieses Vortrags weitere Überlegungen zur Frage der Glaubhaftmachung und deren zumutbarer Reichweite ersichtlich entbehrlich waren. Denn dieser Vortrag betraf nicht Anforderungen und Reichweite der Glaubhaftmachung, sondern deren Gegenstand. Nach Vortrag des Beschwerdeführers war die von ihm zu widerlegende Behauptung der Umstand, dass das Landeskriminalamt in dem Verfahren bestimmte Aussagen auch über ihn getroffen habe, nicht die Richtigkeit einer etwa getroffenen Aussage als solche. Zu diesem Vortrag, der allen weiteren Fragen des Verfahrens ersichtlich vorausliegt, enthalten die Entscheidungen keinerlei Ausführungen. Der Gehörsverstoß wurde damit auch für die Entscheidung kausal.
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Eine Heilung eines Gehörsverstoßes im Anhörungsrügeverfahren ist nicht gegeben, da das Oberlandesgericht auf den auch in der Anhörungsrüge verständlich artikulierten Gesichtspunkt erneut mit keinem Wort eingeht.
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4. Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die Kostentragungspflicht wird hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG, soweit die Kostentragung in der Beschwerdeinstanz noch im Streit stand, aufgehoben. Eine Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts scheidet aus, weil der Beschwerdeführer eine Rückverweisung an das Oberlandesgericht beantragt hat, das bei einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung unzuständig wäre. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung antragsgemäß an das Oberlandesgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts wird gegenstandslos.
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5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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6. Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit wird gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG auf den in ständiger Rechtsprechung der Kammer zugrunde gelegten Regelwert für stattgebende Kammerentscheidungen in Höhe von 25.000 € festgesetzt.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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