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BVerfG 13.09.2017 - 1 BvR 1998/17
BVerfG 13.09.2017 - 1 BvR 1998/17 - Ablehnung des Erlasses einer eA: Anwaltszwang im Unterhaltsverfahren (§ 114 Abs 1 FamFG) und Versäumnisbeschluss gegen Antragsgegner ohne Entscheidung über dessen Verfahrenskostenhilfeantrag - Folgenabwägung: kein schwerer, irreversibler Nachteil infolge Vollstreckung des Versäumnisbeschlusses - strafrechtliche Sanktion (§ 170 StGB) unwahrscheinlich
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, §§ 1601ff BGB, § 1601 BGB, § 1612a BGB, § 112 Nr 1 FamFG, § 114 Abs 1 FamFG, § 231 Abs 1 Nr 1 FamFG, § 170 StGB
Vorinstanz
nachgehend BVerfG, 20. Juni 2018, Az: 1 BvR 1998/17, Stattgebender Kammerbeschluss
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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I.
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Der Antragsteller wendet sich gegen das Unterlassen einer richterlichen Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe sowie einen Versäumnisbeschluss in einem familienrechtlichen Unterhaltsverfahren. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt er, den angegriffenen Versäumnisbeschluss zum Zwecke der Abwehr schwerer Nachteile einstweilig außer Vollzug zu setzen.
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1. a) Der Antragsteller ist Vater eines Sohnes, der bei seiner Mutter, der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers, lebt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Juni 2017 beantragte diese in eigenem Namen, den Antragsteller zur Zahlung von rückständigem und zukünftigem Kindesunterhalt für den gemeinsamen Sohn zu verpflichten und ihr zugleich Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Wahlanwaltes zu bewilligen. Zu diesem Antrag nahm der Antragsteller mit Schreiben vom 24. Juli 2017 Stellung und beantragte seinerseits die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nebst Beiordnung eines Rechtsanwalts, den er jedoch noch nicht benannte. In der Sache trug er vor, dass er aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sei, den beantragten Kindesunterhalt zu leisten.
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Mit nicht angegriffenem Beschluss des Amtsgerichts vom 1. August 2017 wurde der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers die beantragte Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Mit Verfügung vom gleichen Tag ordnete das Amtsgericht das schriftliche Vorverfahren an, stellte dem Antragsteller zugleich die Antragsschrift vom 22. Juni 2017 zu und forderte diesen auf, dem Gericht innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung seine Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen.
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Am 7. August 2017 suchte der Antragsteller das Amtsgericht auf und gab gegenüber der zuständigen Rechtsantragsstelle zu Protokoll, dass er das Gericht darum bitte, vorab über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, damit er sodann einen Anwalt mandatieren könne, der ihn in dieser Angelegenheit vertrete und nachträglich beigeordnet werden könne. Er bat weiterhin darum, die in dem gerichtlichen Schreiben vom 1. August 2017 gesetzte Frist zu verlängern respektive erst dann in Gang zu setzen, wenn über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entschieden sei. Hinsichtlich der Begründung seines Verfahrenskostenhilfeantrags verwies er auf seine Eingabe vom 24. Juli 2017.
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Mit Schreiben vom 11. August 2017 teilte die zuständige Richterin dem Antragsteller mit, dass das Gericht erst nach Prüfung der Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden könne. Er werde deshalb nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich im Unterhaltsverfahren von einem Rechtsanwalt vertreten lassen müsse. Vortrag, der nicht von einem Rechtsanwalt erfolge, könne das Gericht nicht berücksichtigen. Insoweit werde nochmals auf die gerichtliche Verfügung und den entsprechenden Hinweis vom 1. August 2017 verwiesen. Wenn sich der Antragsteller im vorliegenden Verfahren verteidigen wolle, müsse er unverzüglich einen Rechtsanwalt beauftragen.
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Der Antragsteller sprach daraufhin am 15. August 2017 erneut bei der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts vor und erkundigte sich danach, ob über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe bereits entschieden worden sei. Mit Faxschreiben, nach seinem Vortrag vom selben Tage, forderte der Antragsteller das Amtsgericht dazu auf, vorab über seinen Verfahrenskostenhilfeantrag zu entscheiden, da es ihm sonst aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich sei, einen Anwalt zu mandatieren.
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b) Mit angegriffenem Versäumnisbeschluss vom 30. August 2017, dem Antragsteller zugestellt am 1. September 2017, wurde dieser zur Zahlung rückständigen sowie zukünftigen Kindesunterhalts an seine geschiedene Ehefrau sowie das Jobcenter verpflichtet.
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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Antragsteller die Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 EMRK sowie Art. 103 Abs. 1 GG.
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Das Unterlassen einer Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch und der gleichzeitige Erlass eines Versäumnisbeschlusses stellten einen Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot dar. Das Amtsgericht habe ihm als Sozialleistungsempfänger dadurch, dass es nicht über den Verfahrenskostenhilfeantrag entschieden habe, die Möglichkeit genommen, einen Rechtsanwalt zu beauftragen und sich im Rahmen des Anwaltsverfahrens wirksam zu verteidigen. Ihm drohten mit dem Ablauf der Einspruchsfrist am 15. September 2017 Vollstreckungsmaßnahmen sowie ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren und ein Strafprozess wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 StGB).
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im Ergebnis unbegründet.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durcheinstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 3>; 82, 310 312>; 94, 166 216 f.>; 104, 23 27>; 106, 51 58>). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiesen sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 44>; 103, 41 42>; 118, 111 122>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 371>; 106, 351 355>; 108, 238 246>; 125, 385 393>; 126, 158 168>; 129, 284 298>; 132, 195 232 f. Rn. 87>; stRspr).
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2. Die Verfassungsbeschwerde erscheint zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, vielmehr spricht einiges dafür, dass der Antragsteller durch den Versäumnisbeschluss in Grundrechten, insbesondere im Recht auf Rechtsschutzgleichheit, verletzt ist. Der Versäumnisbeschluss wurde erlassen, nachdem die Notfrist zur Verteidigungsanzeige fruchtlos verstrichen war. Der Antragsteller hatte innerhalb der Frist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Der beizuordnende Rechtsanwalt sollte nach Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe unverzüglich benannt werden. Das Amtsgericht hat jedoch ausdrücklich davon Abstand genommen, über den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, weil es erst nach der Prüfung der Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung hierüber entscheiden könne. Zugleich hat das Gericht erklärt, wegen des im Unterhaltsverfahren geltenden Anwaltszwangs (§ 114 Abs. 1 FamFG) könne nur Vortrag berücksichtigt werden, der durch einen Rechtsanwalt erfolge. Der Antragsteller macht aber gerade geltend, nicht aus eigenen Mitteln einen Anwalt einschalten und demnach zu den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung nicht wirksam vortragen zu können. Das Gericht hat den vom Antragsteller persönlich gestellten Verfahrenskostenhilfeantrag trotz des im Unterhaltsverfahren geltenden Anwaltszwangs nicht zum Anlass genommen, den Versäumnisbeschluss bis zur Entscheidung über den Antrag zurückzustellen (vgl. hierzu aber OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. Februar 2001 - 11 W 15/01 -, juris, Rn. 13; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 276 Rn. 10; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl. 2017, § 276 Rn. 5).
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3. Jedoch lässt sich nicht feststellen, dass eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache jedoch als begründet, wäre nach Ablauf der Einspruchsfrist eine Vollstreckung aus dem angegriffenen Versäumnisbeschluss rechtlich möglich, so dass der Antragsteller der Vollstreckung des gegen ihn gerichteten Unterhaltsanspruchs aus dem Versäumnisbeschluss ausgesetzt wäre. Dass dem Antragsteller durch diese Vollstreckung ein schwerwiegender unumkehrbarer Nachteil entstehen könnte, ist nicht ersichtlich. Sollte die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache Erfolg haben, würde der angegriffene Versäumnisbeschluss aufgehoben und der Antragsteller könnte seine Verteidigungsrechte im Fall der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe geltend machen. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer Unterhaltsverletzung (§ 170 StGB) dürfte aufgrund des angegriffenen Beschlusses kaum drohen, zumal Entscheidungen im Rahmen von Unterhaltsverfahren als solche keine Bindungswirkung für den Strafrichter entfalten (vgl. Ritscher, in: Münchner Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 170 Rn. 31 m.w.N.).
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