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BVerfG 06.10.2015 - 2 BvR 1195/11
BVerfG 06.10.2015 - 2 BvR 1195/11 - Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung
Vorinstanz
vorgehend BVerwG, 3. Mai 2011, Az: 2 B 68/11, Beschluss
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 3. Februar 2011, Az: 6 A 988/10, Beschluss
vorgehend VG Düsseldorf, 19. April 2010, Az: 2 K 6910/09, Urteil
Tenor
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Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2011 - 2 B 68.11 -, der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 2011 - 6 A 988/10 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 19. April 2010 - 2 K 6910/09 - und der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 30. September 2009 - 47.02.04.09-47.6.02-2775 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund einer Höchstaltersgrenze. Er ist angestellter Lehrer im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und begehrt die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl er das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung bereits überschritten hat.
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1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in Nordrhein-Westfalen, sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (vgl. § 57 Abs. 4 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 2015 <GVBl S. 499>). Sie können auch als Tarifbeschäftigte nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) angestellt werden (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23. April 2007 - BASS 21-01 Nr. 11). Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe richtet sich unter anderem nach den Vorschriften der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO).
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2. Der Beschwerdeführer leistete von August 1991 bis Oktober 1992 Zivildienst und absolvierte sodann bis 1995 erfolgreich eine Schreinerlehre. Im Anschluss hieran nahm er ein Studium der Architektur auf und legte Anfang 2003 die Diplomprüfung ab, der ein einjähriges Aufbaustudium folgte. Im September 2004 ließ sich der Beschwerdeführer sein Diplom als Erste Staatsprüfung für das Lehramt in den Fächern Technik und Physik anerkennen und durchlief in den Jahren 2005 bis 2007 den Vorbereitungsdienst, den er mit der Zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen abschloss. Seither ist er ohne Unterbrechung als Lehrer im Angestelltenverhältnis im Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen beschäftigt.
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3. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) die Einstellungshöchstaltersgrenzen der Laufbahnverordnung vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GVBl S. 498) für unwirksam. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.
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4. Aufgrund von § 5 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG) in der Fassung vom 21. April 2009 (GVBl S. 224) beschloss die Landesregierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften (GVBl S. 381) eine teilweise Neuregelung der Laufbahnverordnung (im Folgenden LVO 2009). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.
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5. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 (2 C 18.07) beantragte der Beschwerdeführer im Mai 2009 - gut fünf Monate nach Überschreiten seines 40. Lebensjahres - die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Bezirksregierung lehnte den Antrag mit Bezug auf die neu gefasste Laufbahnverordnung im September 2009 ab.
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6. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 19. April 2010 ab. Der Beschwerdeführer habe das 40. Lebensjahr und damit die geltende Höchstaltersgrenze der Laufbahnverordnung überschritten. Der Ausnahmetatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe a LVO 2009 sei nicht erfüllt. Denn der 15-monatige Zivildienst könne die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits 16-monatige Überschreitung der Altersgrenze schon zeitlich nicht ausgleichen. Zudem sei der Zivildienst nicht ursächlich für die Überschreitung der Altersgrenze, weil im Anschluss daran vermeidbare Verzögerungen die Einstellung hinausgeschoben hätten. Die nicht auf den Lehrerberuf ausgerichtete Schreinerlehre sowie das Aufbaustudium des Beschwerdeführers hätten den erforderlichen Ursachenzusammenhang unterbrochen. Auch die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 84 Abs. 2 LVO 2009 seien tatbestandlich nicht erfüllt.
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7. Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beschwerdeführers wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 3. Februar 2011 zurück. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt. Der Beschwerdeführer habe auch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 nicht darauf vertrauen dürfen, das Land werde keine neue Höchstaltersgrenze regeln. Die Neuregelung sei mit den in diesem Urteil aufgestellten Vorgaben und mit höherrangigem Recht vereinbar. Auch die Ausnahmetatbestände seien mit Blick auf den Zweck der Höchstaltersgrenze, ein angemessenes Verhältnis zwischen der Beschäftigungszeit als Beamter und dem Anspruch auf Versorgung im Ruhestand herzustellen sowie eine ausgewogene Altersstruktur in der jeweiligen Laufbahn zu gewährleisten, am Maßstab des höherrangigen Rechts nicht zu beanstanden.
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8. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Mai 2011 zurück. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehe nicht. Nach § 6 Abs. 2 LVO 2009 sollten nur diejenigen zeitlichen Nachteile ausgeglichen werden, die mit den privilegierten Ausnahmetatbeständen ursächlich zusammenhingen. Durchlaufe der Bewerber nach Abschluss des Wehr- oder Zivildienstes zunächst eine andere, nicht zum Erwerb der erforderlichen Qualifikation führende Berufsausbildung, werde der Kausalzusammenhang zwischen der privilegierten Ursache und der Überschreitung des Einstellungshöchstalters unterbrochen. Das Kausalitätserfordernis beschränke im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 GG in zulässiger Weise die Berufung auf Ausnahmetatbestände auf die Fälle, in denen ein Festhalten an der Höchstaltersgrenze unverhältnismäßig wäre, weil ein Verhalten des Bewerbers zu deren Überschreitung geführt habe, welches im öffentlichen Interesse liege.
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II.
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1. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG und wendet sich mittelbar auch gegen die Neuregelungen in der Laufbahnverordnung Nordrhein-Westfalen. Aufgrund des Kausalitätserfordernisses verbleibe für die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe a LVO 2009 kein Anwendungsbereich. Der verfassungsrechtlich gebotene Ausgleich des im Interesse des Gemeinwesens absolvierten Zivildienstes werde nicht vorgenommen und ihm werde im Ergebnis wegen der Ableistung einer allgemeinen Dienstverpflichtung der Zugang zum Beamtenverhältnis auf Probe verwehrt. Ein Bewerber mit gleichem Lebenslauf, der den Zivildienst nicht abgeleistet habe, werde im Vergleich hierzu ohne Rechtfertigung privilegiert. Das Kausalitätserfordernis verletze in der Auslegung der Instanzgerichte die Verfassungsgarantie des Art. 33 Abs. 2 GG.
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2. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Nordrhein-Westfalen unter Hinweis auf die Entscheidung in den Senatsverfahren 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 zugestellt. Eine über die vorgenannten Verfahren hinausgehende weitere Stellungnahme ist nicht erfolgt. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
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III.
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1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte des Beschwerdeführers ein. Da das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber dem Beschwerdeführer an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009, nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.
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3. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen aufzuheben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zu erwarten ist, dass der Verwaltungsrechtsstreit dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Bundesverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag des Beschwerdeführers befinden, die Revision gemäß §§ 132 ff. VwGO zuzulassen (vgl. BVerfGE 104, 337 356>).
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4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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5. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>). Die Erhöhung des Gegenstandswertes gegenüber den Festsetzungen der Instanzgerichte ergibt sich aus der objektiven Bedeutung der Verfahren im Hinblick auf die Regelungen beamtenrechtlicher Einstellungshöchstaltersgrenzen.
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