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BVerfG 09.09.2013 - 1 BvR 2519/13
BVerfG 09.09.2013 - 1 BvR 2519/13 - Ablehnung des Erlasses einer eA: Ausstrahlung einer Fernsehsendung - fehlende Möglichkeit zur Folgenabwägung - hier: Eingang der Verfassungsbeschwerde kurz vor dem Sendezeitpunk erlaubt keine Aufklärung der tatsächlichen Umstände mehr - fachgerichtliche Eilentscheidungen deuten auf Beachtung verfassungsrechtlicher Grundsätze hin - gesonderte Mitteilung der Begründung gem § 32 Abs 5 S 2 BVerfGG
Normen
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 32 Abs 5 S 2 BVerfGG, § 1666 Abs 3 Nr 6 BGB, § 22 KunstUrhG, § 23 KunstUrhG
Vorinstanz
vorgehend OLG Köln, 9. September 2013, Az: 15 W 56/13, Beschluss
vorgehend LG Köln, 9. September 2013, Az: 28 O 379/13, Beschluss
Gründe
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Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrten die Beschwerdeführer das Verbot der Ausstrahlung einer Fernsehsendung des Fernsehsenders R.
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I.
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1. Die Beschwerdeführer sind Mitglieder der Glaubensgemeinschaft "Z.S.". Der Antragsgegner zu 2 des Ausgangsverfahrens ist Journalist und fertigte im Rahmen einer Recherche über die Lebensumstände der Glaubensgemeinschaft heimlich auf deren Wohnsitz, einem ehemaligen Kloster in der bayerischen Gemeinde D., Ton- und Filmaufnahmen an. Diese stellte er den Landesbehörden zur Verfügung, die daraufhin am 5. September 2013 die Kinder der Gemeinschaft wegen des Verdachts der Kindesmisshandlung in Obhut nahmen. Die Aufnahmen strahlte die Antragsgegnerin zu 1 des Ausgangsverfahrens, die R. GmbH, im Rahmen der Sendung "E." am … um … Uhr aus. Die Beschwerdeführer hatten versucht, diese Ausstrahlung zu verhindern.
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2. Einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wies das Landgericht mit angegriffenem Beschluss zurück, weil das Bestehen des Verfügungsanspruchs nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei. Der Unterlassungsanspruch könne nur demjenigen zustehen, der von der Ausstrahlung des Ton- und Bildmaterials betroffen sei. Dass Ton- und Bildaufzeichnungen von sämtlichen der 115 Beschwerdeführer zur Ausstrahlung kommen würden, sei weder ersichtlich noch wahrscheinlich. Es sei nicht absehbar, wer konkret in eigenen Rechten betroffen sein werde und welche Maßnahmen der Verfremdung ergriffen würden. Die Unterlassungsansprüche setzten jedoch die konkrete und individuelle Verletzung voraus. Außerdem sei ein erhebliches öffentliches Interesse an den in der Programmankündigung dargestellten Umständen anzuerkennen, da es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis handele.
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3. Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer mit ebenfalls angegriffenem Beschluss zurück. Das Landgericht habe eine individuelle Betroffenheit der Antragsteller zutreffend verneint. Im Rahmen der §§ 22, 23 KUG setze schon die Definition des Bildnisses eine Erkennbarkeit der abgebildeten Personen voraus, woran es beispielsweise bei einer Verfremdung der Person fehle. Die Beschwerdeführer trügen selbst vor, dass die ihnen bekannten Ausschnitte Verfremdungen enthielten; für die Erkennbarkeit genüge nicht, dass die gezeigten Personen zu einem bestimmbaren Personenkreis gehörten. Unabhängig davon hänge der Unterlassungsanspruch von einer Abwägung der rechtlich geschützten Interessen der Betroffenen ab. Auch die Verbreitung heimlicher beziehungsweise widerrechtlich erlangter Informationen falle in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG; ansonsten könne die Kontrollaufgabe der Presse leiden, zu deren Funktion es gehöre, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen. Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit komme gegenüber den Persönlichkeitsrechten derjenigen, über die in Wort und Bild berichtet werde, nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben und auch nach den Maßgaben aus Art. 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 EMRK umso größeres Gewicht zu, je bedeutsamer eine Information für die Öffentlichkeit sei und die Nachteile für die von einem Rechtsbruch Betroffenen überwiege, so wenn die Information Zustände offenbare, die ihrerseits rechtswidrig seien und an deren Aufdeckung ein öffentliches Interesse bestehe. Ob dies hier der Fall sei, könne vorliegend ohne weitere konkrete Angaben nicht beurteilt werden. Dass die konkret erhobenen Vorwürfe haltlos wären, sei angesichts der vorläufigen Sorgerechtsentziehungen ebenso wenig glaubhaft gemacht wie eine behauptete Manipulation der Aufnahmen. Ohne Kenntnis des voraussichtlichen Inhalts der Bildveröffentlichung und auch der Wortberichterstattung zu dieser sei eine weitere Abwägung nicht möglich, da es auf die konkrete Form der Darstellung ankomme.
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4. In ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Durch die zirkusartige Darbietung der gemachten Aufzeichnungen würden die angeblich schlagenden Eltern ebenso wie die angeblich geschlagenen Kinder irreversibel bloßgestellt. Es handele sich um die Befriedigung eines bloßen Sensationsinteresses, die zudem strafrechtliche Grenzen des Verbots von Pornografie überschreite. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei geboten, weil die Reportage auch nach etwaiger Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde noch ausgestrahlt werden könne und einmal gesendete Bilder auch über das Internet praktisch für immer abrufbar seien, während der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführer nicht wieder hergestellt werden könne, seien die Bilder einmal verbreitet.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn im Hauptsachverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 161>; 111, 147 152 f.>; stRspr). Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, einer Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 161>; 96, 120 128 f.>; stRspr). Danach fehlt es hier an den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
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2. Ob die kursorische Begründung der Verfassungsbeschwerde den - im Eilverfahren abgemilderten - Anforderungen an die Konkretisierung der individuellen Betroffenheit der Beschwerdeführer entspricht, kann offenbleiben. Allerdings kann die Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführer hier nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, weil ihnen der konkrete Inhalt der Sendung oder die Art der Verfremdung der Aufnahmen nicht bekannt ist. Bei heimlich hergestellten und noch unbekannten Ton- und Bildaufzeichnungen können an die Darlegungslast der Beschwerdeführer zur Beeinträchtigung ihrer individuellen Rechte nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie bei schon bekannten Aufzeichnungen.
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3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen. Angesichts der Kürze der Zeit ist der Kammer eine eigene Folgenabwägung nicht möglich. Die Folgenabwägungen der angegriffenen Entscheidungen lassen jedoch erkennen, dass die Fachgerichte bei ihrer Abwägung die einschlägigen verfassungsrechtlichen Grundsätze beachtet haben. Eine verantwortliche Abwägung ist im Rahmen der Entscheidung über eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG nur in voller Kenntnis der hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände möglich. Fehlt es an einer realistischen Möglichkeit, sich diese zu verschaffen, und ist insbesondere davon auszugehen, dass die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen die verfassungsrechtlichen Grundsätze beachtet haben, die für eine solche Abwägung gelten, sieht sich das Bundesverfassungsgericht nicht zu einer von diesen abweichenden Beurteilung in der Lage (vgl. BVerfGE 56, 244 246>; 72, 299 301>; 83, 158 161>).
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Kurz vor dem Ausstrahlungszeitpunkt der Sendung konnte die Kammer weder durch Beiziehung von Akten noch im Wege der Anhörung der Beteiligten rechtzeitig hinreichende Kenntnis aller für eine eigenständige Abwägung maßgeblichen Umstände erlangen. Nach der Sachlage, die sich im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Beschwerdevorbringen und den Begründungen der angegriffenen Entscheidungen ergab, war nicht ersichtlich, inwiefern das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch die Ausstrahlung der Sendung trotz der unstreitigen Verfremdung der Personen und angesichts des auch wegen des Eingreifens der Behörden konkret in Rede stehenden Informationsbedarfs der Öffentlichkeit so stark beeinträchtigt sein soll, dass es die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG grundrechtlich geschützte Meinungs- und Pressefreiheit der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens überwiegt. Vornehmlich die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt erkennen, dass die relevanten verfassungsrechtlichen Grundsätze, insbesondere zu heimlichen Aufzeichnungen (vgl. BVerfGE 66, 116) und zum Bildnisschutz (vgl. BVerfGE 120, 180), beachtet wurden.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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