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BFH 30.08.2023 - II B 35/22
BFH 30.08.2023 - II B 35/22 - Verfassungsmäßigkeit der Grundstückswertermittlung mittels gesetzlicher Liegenschaftszinssätze
Normen
Art 3 Abs 1 GG, § 188 Abs 2 BewG 1991 vom 24.12.2008, § 198 BewG 1991 vom 24.12.2008, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 12 Abs 1 ErbStG 1997 vom 24.12.2008, § 192 BBauG, §§ 192ff BBauG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 17. November 2021, Az: 2 K 2420/19, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Untätigkeit des Gutachterausschusses bei der Ermittlung örtlicher Liegenschaftszinssätze führt nicht zu einem strukturellen Vollzugsdefizit, da in diesem Fall die Bewertung und Besteuerung nach dem vom Gesetzgeber in § 188 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) festgelegten Zinssatz erfolgt. Der Steuerpflichtige hat zudem gemäß § 198 BewG die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg vom 17.11.2021 - 2 K 2420/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Mit Wirkung zum 01.01.2018 erhielt der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Wege der Schenkung von seinem Vater ¼ Miteigentumsanteil an einem gemischt genutzten Grundstück. Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) stellte den Grundbesitzwert im Ertragswertverfahren nach §§ 182 Abs. 3 Nr. 2, 184 bis 188 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der zum Stichtag geltenden Fassung auf … € fest, wovon dem Kläger ¼, mithin … € zugerechnet wurden. Bei der Bewertung ging das FA nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG von einem Liegenschaftszinssatz in Höhe von … % [Der angewandte Liegenschaftszinssatz nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG war niedriger, als der vom Kläger in der Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts angesetzte Liegenschaftszinssatz von 5,5 %] aus, den der Gutachterausschuss für die Ermittlung von Grundstückswerten der Stadt A in seinem Immobilienmarktbericht 2016 mitgeteilt hatte. Mit Einspruch und Klage begehrte der Kläger auf Grundlage des gesetzlichen Liegenschaftszinssatzes von 5,5 % die Feststellung eines Grundbesitzwerts von … € für die wirtschaftliche Einheit, der ihm zu ¼ und damit in Höhe von … € zuzurechnen sei. Er stützte sich hierbei auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Anwendung von § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend, ob § 188 Abs. 2 BewG verfassungskonform ist. Die Vorschrift führe zu verfassungswidrigen Ergebnissen durch ungerechtfertigte und erhebliche Mehrbelastung von Steuerpflichtigen, bei denen ausnahmsweise ein Liegenschaftszinssatz vom Gutachterausschuss festgestellt ist. Die fehlende Belastungsgleichheit beruhe auf einem strukturellen Vollzugsdefizit. Die Gutachterausschüsse seien im Streitjahr sowie in der Folgezeit ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus dem Baugesetzbuch, Liegenschaftszinssätze mitzuteilen, überwiegend nicht nachgekommen. Der Gesetzgeber habe gegen diesen Missstand nichts unternommen. Das Vollzugsdefizit im Baugesetzbuch schlage auf das Bewertungsgesetz durch. Angesichts der erheblichen Differenzen zwischen den durch die Gutachterausschüsse festzustellenden und den typisierten Liegenschaftszinssätzen sei die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht gewahrt.
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Das FA trägt vor, dass die Anzahl der Gutachterausschüsse und der von diesen ermittelten Datensätze stetig steige und außerdem mittlerweile eine länderübergreifende Zusammenarbeit bezüglich der amtlichen Grundstückswertermittlung vorliege.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Soweit der Kläger Verfassungsdefizite nach Maßgabe von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt hat, liegen diese nicht vor.
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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage wird nicht aufgeworfen, wenn die streitige Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsfähig, wenn nicht zu erwarten ist, dass es in einem künftigen Revisionsverfahren zu einer Klärung der Grundsatzfrage kommen wird (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 04.01.2023 - XI B 51/22, Rz 3, m.w.N.).
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Wirft der Beschwerdeführer die Rechtsfrage auf, ob eine für den Streitfall maßgebende Vorschrift verfassungswidrig ist, so verlangt § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik. Wird ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG geltend gemacht, hat der Beschwerdeführer insbesondere auf naheliegende Gründe für und gegen die angegriffene Differenzierung einzugehen (BFH-Beschluss vom 04.01.2023 - XI B 51/22, Rz 4, m.w.N.).
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2. Nach diesen Maßstäben liegt die beanstandete Verfassungswidrigkeit entweder eindeutig nicht vor oder ist nicht ausreichend dargelegt.
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a) Ein strukturelles Vollzugsdefizit, das zur Verfassungswidrigkeit der Bewertung des Grundstücks führen könnte, ist nicht ersichtlich.
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aa) Der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Dazu gehören die Gleichheit der normativen Steuerpflicht sowie die Gleichheit bei deren Durchsetzung in der Steuererhebung. Das materielle Steuergesetz muss in ein normatives Umfeld eingebettet sein, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet. Wirkt sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und liegen die Voraussetzungen dafür vor, dass dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, so führt die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Steuernorm. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (BVerfG-Urteile vom 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 und vom 09.03.2004 - 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56).
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bb) An einem Vollzugsdefizit in diesem Sinne fehlt es. Soweit der Kläger sinngemäß geltend macht, dass eine verfassungswidrig ungerechtfertigte Mehrbelastung bei einer Schenkung vorliege, wenn der Gutachterausschuss nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG einen Liegenschaftszinssatz festgestellt hat, gegenüber dem Tatbestand nach § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG, bei dem pauschaliert ein höherer Liegenschaftszinssatz anzuwenden ist, liegt kein Vollzugsdefizit des Steuergesetzes selbst vor. Denn die Besteuerung der Schenkung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), die in § 12 Abs. 1 ErbStG auf das Bewertungsgesetz Bezug nimmt, ist nicht aufgrund eines normativen Defizits ineffektiv, sondern sichert aufgrund der Auffangregelung der Bewertungsregelung des § 188 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BewG einen vollständigen Vollzug des Schenkungssteuertatbestandes und damit des Besteuerungsanspruchs des Fiskus. Zwar hängt das Bewertungsergebnis davon ab, ob der jeweilige Gutachterausschuss tätig geworden ist. Dies hat sich im vorliegenden Fall zu Lasten des Klägers ausgewirkt. Jedoch führt dies nicht zu der vom Kläger behaupteten widersprüchlichen, auf Ineffektivität angelegten Rechtslage.
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b) Weitere verfassungsrechtliche Mängel der angewandten Bewertungsvorschriften sind nicht nach Maßgabe von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
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Der Kläger rügt eine Ungleichbehandlung in Gestalt ungerechtfertigter Begünstigung Dritter durch die in dem Gesetz als Auffangmethode vorgesehene Typisierung. Er hat sich jedoch nicht im Einzelnen mit der Rechtsprechung des BVerfG zum zulässigen Umfang von Typisierungen, insbesondere bei der Bewertung von Wirtschaftsgütern, zu den Voraussetzungen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Privilegierungen Dritter sowie zu der Schutzfunktion der bewertungsrechtlichen Escape-Klausel nach § 198 BewG auseinandergesetzt. Dies war auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfassungswidrigkeit offensichtlich wäre.
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aa) Im Grundsatz ist die Typisierung im Steuerrecht unentbehrlich, der Gesetzgeber entsprechend zur Typisierung und Pauschalisierung berechtigt. Er hat bei der Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer einen großen Spielraum. Um Art. 3 Abs. 1 GG zu genügen und die gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen zu gewährleisten, muss jedoch die Bemessungsgrundlage so gewählt und ihre Erfassung so ausgestaltet sein, dass sie den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abbildet. Dies vorausgesetzt, hat der Gesetzgeber aber für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage einen großen Spielraum, solange sie prinzipiell den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen gewährleistet. Dabei darf er sich auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können (BVerfG-Urteil vom 10.04.2018 - 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, 147, Leitsatz 1, Rz 96 ff.). Der Kläger hingegen hat sich nicht näher mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers, insbesondere mit der genannten --zum Bewertungsrecht ergangenen-- BVerfG-Entscheidung befasst.
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bb) Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Der allgemeine Gleichheitssatz ermöglicht grundsätzlich keine Kontrolle von Begünstigungen Dritter. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen wegen ihres Umfangs oder ihrer strukturellen Bedeutung die gleichheitsgerechte Belastung durch die betreffende Steuer insgesamt in Frage stellen (BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50, Leitsatz 1, Rz 97 ff.). Dafür reichen kleinere Unwuchten nicht aus. Der Kläger hat nicht erörtert, inwiefern die durch das Auseinanderdriften mitgeteilter und typisierter Liegenschaftszinssätze bewirkte Steuerdifferenz ein solches Ausmaß annehme, dass von einer grundsätzlich nicht mehr gleichheitsgerechten Belastung durch die von der Bedarfsbewertung abhängigen Steuern gesprochen werden kann.
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cc) Schließlich hat sich der Kläger auch nicht mit den verfassungsrechtlichen Folgerungen aus dem Umstand auseinandergesetzt, dass § 198 BewG den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts im Einzelfall ermöglicht und so der Steuerpflichtige eine überhöhte Bewertung vermeiden kann. Er hat insbesondere nicht dargelegt, ob im Streitfall ein solcher Nachweis einen niedrigeren Wert hätte ergeben und so die gerügte Ungleichbehandlung auf ein jedenfalls noch zu rechtfertigendes Maß hätte reduziert werden können.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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