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BFH 20.06.2023 - VII K 1/22
BFH 20.06.2023 - VII K 1/22 - Zum Prüfungsmaßstab bei gerügtem Verstoß gegen den gesetzlichen Richter durch Nichtvorlage an den EuGH
Normen
§ 134 FGO, § 579 Abs 1 Nr 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 267 Abs 3 AEUV
Vorinstanz
vorgehend BFH, 24. August 2021, Az: VII R 4/20, Urteil
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 12. Dezember 2019, Az: 6 K 2391/17 Z, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Auslegung und Anwendung des Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union durch ein letztinstanzliches Gericht verletzen nur dann Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind.
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2. NV: Die Beurteilung, ob die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, sodass davon abgesehen werden kann, dem Gerichtshof der Europäischen Union eine vor dem nationalen Gericht aufgeworfene Frage nach der Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, obliegt allein dem nationalen Gericht.
Tenor
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Die Nichtigkeitsklage gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.08.2021 - VII R 4/20 wird abgewiesen.
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Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin, die Kalksteinbrüche und Kalkwerke betreibt, setzt Erdgas zur Herstellung von gefälltem Calciumcarbonat (precipitated calcium carbonate --PCC--) ein.
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Sie meldete beim Beklagten (Hauptzollamt --HZA--) für August 2016 eine Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Energiesteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes vom 01.03.2011 (BGBl I 2011, 282) --EnergieStG-- für die Verwendung von insgesamt … MWh Erdgas für die gesamte Produktion von PCC an. Die Anmeldung wurde vom HZA nicht beanstandet.
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Nach Durchführung einer Außenprüfung forderte das HZA mit Bescheid vom 01.08.2017 einen Teil des gewährten Entlastungsbetrags zurück.
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Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Ablehnung der Steuerentlastung für das im Monat August 2016 für die Herstellung des PCC eingesetzte Erdgas sei rechtmäßig, weil die Herstellung von PCC nicht unter die "Herstellung von Kalk" gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EnergieStG zu subsumieren sei.
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Die Revision der Klägerin wies der erkennende Senat mit Urteil vom 24.08.2021 - VII R 4/20, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, als unbegründet zurück (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das am 28.12.2021 abgesandte Urteil wurde der Klägerin vor dem 04.01.2022 zugestellt (das am 04.01.2022 wieder beim Bundesfinanzhof --BFH-- eingegangene Empfangsbekenntnis enthält kein Datum).
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Hiergegen richtet sich die Nichtigkeitsklage der Klägerin vom 27.01.2022. Sie macht den Wiederaufnahmegrund der vorschriftswidrigen Besetzung des Senats im Sinne des § 134 FGO, § 579 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) geltend. Der Senat habe seine Verpflichtung verletzt, Rechtsfragen dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorzulegen, und ihr dadurch den gesetzlichen Richter vorenthalten.
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Der Senat sei verpflichtet gewesen, hinsichtlich der entscheidungserheblichen Auslegung der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Amtsblatt der Europäischen Union 2003, Nr. L 283, 51), der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates vom 09.10.1990 betreffend die statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1990, Nr. L 293, 1) in der am 01.01.2003 geltenden Fassung nach der Verordnung (EG) Nr. 29/2002 der Kommission vom 19.12.2001 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates betreffend die statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft --NACE Rev. 1.1-- (ABlEG 2002, Nr. L 6, 3) und der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 07.02.2007 (K (2007) 298 endg.) den EuGH anzurufen.
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Der Senat habe seinen Beurteilungsrahmen in unvertretbarer und daher willkürlicher Weise überschritten. Es habe schon deshalb kein Ausnahmefall des acte clair vorgelegen, weil die Begriffe Kalk und Herstellung von Kalk --wie der Senat im Urteil ausführe-- weder im Energiesteuergesetz noch in der Energiesteuer-Durchführungsverordnung noch in der NACE Rev. 1.1 definiert seien. Zudem stehe der vermeintlichen Eindeutigkeit die langjährige abweichende Besteuerungspraxis des HZA auf der Grundlage einer abweichenden Einschätzung des Statistischen Bundesamtes entgegen. Der Urteilsbegründung könne nicht entnommen werden, weshalb der Senat von einem acte clair ausgehe. Bereits die fehlende Begründung entspreche nicht den verfassungsgerichtlichen Anforderungen, weil sie eine Willkürkontrolle unmöglich mache.
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Die Klägerin beantragt,
das BFH-Urteil vom 24.08.2021 - VII R 4/20 für nichtig zu erklären und das Revisionsverfahren der Klägerin gegen das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 12.12.2019 - 6 K 2301/17 Z fortzuführen.
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Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob die Nichtigkeitsklage nach § 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Streitfall statthaft ist. Diese Zweifel ergeben sich aus der Funktion dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs.
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Mit der Nichtigkeitsklage gemäß § 579 ZPO hat der Gesetzgeber neben der Restitutionsklage gemäß § 580 ZPO ein Mittel geschaffen, um eine Durchbrechung der Rechtskraft in Fällen zu ermöglichen, in denen schwerste Mängel des Verfahrens oder gravierende inhaltliche Fehler gegen den Bestand des Urteils sprechen und dadurch das Vertrauen der Parteien in die Urteilsgrundlage in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise erschüttert ist (vgl. Beschluss des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 13.10.2015 - 3 AZN 915/15 (F), Rz 16; BAG-Urteil vom 28.07.2022 - 6 AZR 24/22, Rz 20, m.w.N.; BFH-Urteil vom 02.12.1998 - X R 15-16/97, BFHE 188, 1, BStBl II 1999, 412, unter II.3.b; Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, BSGE 23, 30, unter II.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.01.1994 - 6 C 2/92, BVerwGE 95, 64; MüKoZPO/Braun/Heiß, § 579 Rz 1; Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., § 579 Rz 2; Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 81. Aufl., § 579 Rz 1; Kern in: Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 579 ZPO Rz 5; Kemper in Saenger, Zivilprozessordnung, 9. Aufl., § 579 Rz 2; BeckOK ZPO/Fleck, 48. Ed. [01.03.2023], ZPO § 579 Rz 3; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 579 Rz 2). Daraus folgt, dass die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 ZPO auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt ist. Sie dient nicht dazu, eine vom Gericht des Ausgangsverfahrens in Kenntnis der Problematik bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zur Überprüfung zu stellen.
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Deshalb ist die Nichtigkeitsklage nach allgemeiner Ansicht nur dann statthaft, wenn sie auf einen Wiederaufnahmegrund gestützt wird, der im Ausgangsverfahren übersehen beziehungsweise unerkannt geblieben ist (BAG-Urteil vom 28.07.2022 - 6 AZR 24/22, Rz 22, m.w.N.). Nach dieser Ansicht sollen die Bestimmungen in § 579 Abs. 1 Nr. 2 und § 579 Abs. 2 ZPO den Willen des Gesetzgebers erkennen lassen, dass eine Wiederaufnahme im Wege einer Nichtigkeitsklage nur in den Fällen zuzulassen ist, in denen die Berücksichtigung des geltend gemachten Rechtsfehlers nicht schon vor der Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung möglich war. Damit soll eine doppelte Prüfung der bereits entschiedenen Rechtsfrage verhindert werden (vgl. BAG-Urteil vom 28.07.2022 - 6 AZR 24/22, Rz 22, m.w.N.).
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Die Zweifel an der Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage werden vom IX. Senat des BFH geteilt, der eine entsprechende Divergenzanfrage an den IV., VIII. und XI. Senat des BFH gerichtet hat (vgl. BFH-Beschluss vom 16.05.2023 - IX K 1/21).
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III.
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Die Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage kann vorliegend jedoch dahinstehen, denn die Klage ist jedenfalls unbegründet. Das Verfahren mit dem Aktenzeichen VII R 4/20 ist daher im Ergebnis nicht gemäß § 134 FGO i.V.m. § 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wiederaufzunehmen.
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Der Senat hat seine Vorlagepflicht an den EuGH nicht verletzt.
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1. Ein Gericht ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH nicht vorschriftsmäßig besetzt im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, wenn es willkürlich seine Vorlagepflicht an den EuGH verletzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 04.09.2009 - IV K 1/09, BFH/NV 2010, 218, unter Buchst. a; BFH-Urteile vom 13.07.2016 - VIII K 1/16, BFHE 254, 481, BStBl II 2017, 198, Rz 16 und vom 07.02.2018 - XI K 1/17, BFHE 206, 410, Rz 16). Der EuGH ist für die Auslegung des Unionsrechts gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG-- (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 08.04.1987 - 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, unter B.1. und vom 27.04.2021 - 1 BvR 2731/19, Rz 5).
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2. In ständiger Rechtsprechung beanstandet das BVerfG die Auslegung und Anwendung von Normen, die --wie Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)-- die gerichtliche Zuständigkeitsverteilung regeln, nur dann, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfG-Beschluss vom 19.12.2017 - 2 BvR 424/17, BVerfGE 147, 364, Rz 39, m.w.N.). Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung entspricht (vgl. BVerfG-Beschluss vom 19.12.2017 - 2 BvR 424/17, BVerfGE 147, 364, Rz 40, m.w.N.).
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a) Dabei kommt es für die Prüfung einer Verletzung des gesetzlichen Richters nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 25.01.2011 - 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, Rz 104 und vom 03.03.2014 - 1 BvR 2083/11, Rz 29). Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar.
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b) Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile CILFIT vom 06.10.1982 - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 21; Intermodal Transports vom 15.09.2005 - C-495/03, EU:C:2005:552; Gaston Schul Douane-expediteur vom 06.12.2005 - C-461/03, EU:C:2005:742; Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 - C-561/19, EU:C:2021:799) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen.
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Die Beurteilung, ob die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, bleibt allein dem nationalen Gericht überlassen (vgl. EuGH-Urteile Ferreira da Silva e Brito u.a. vom 09.09.2015 - C-160/14, EU:C:2015:565, Rz 40, m.w.N. und Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 - C-561/19, EU:C:2021:799, Rz 34). Insbesondere darf das nationale Gericht trotz einer abweichenden Entscheidung der Vorinstanz davon absehen, dem EuGH eine vor ihm aufgeworfene Frage nach der Auslegung des Unionsrechts vorzulegen (vgl. EuGH-Urteil Ferreira da Silva e Brito u.a. vom 09.09.2015 - C-160/14, EU:C:2015:565, Rz 40 bis 42, m.w.N.). Wenn allerdings auf Unionsebene die Gefahr von Divergenzen besteht, bedarf es einer Vorlage durch das nationale Gericht (vgl. EuGH-Urteil Ferreira da Silva e Brito u.a. vom 09.09.2015 - C-160/14, EU:C:2015:565, Rz 43 ff.). Jedoch kann die bloße Möglichkeit, von einer Vorschrift des Unionsrechts eine oder mehrere weitere Auslegungen vornehmen zu können, nicht ohne Weiteres die Annahme begründen, dass an der richtigen Auslegung dieser Vorschrift ein vernünftiger Zweifel besteht (EuGH-Urteil Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 - C-561/19, EU:C:2021:799, Rz 48).
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c) Die Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV wird nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl. zum Nachfolgenden BVerfG-Beschlüsse vom 31.05.1990 - 2 BvR 1436/87 u.a., BVerfGE 82, 159, Rz 144; vom 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286, Rz 90; vom 25.01.2011 - 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, Rz 103 ff.; vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, Rz 98 und vom 19.12.2017 - 2 BvR 424/17, BVerfGE 147, 364, Rz 41 ff.; BVerfG-Urteil vom 28.01.2014 - 2 BvR 1564/12 u.a., BVerfGE 135, 155, Rz 176 ff.) insbesondere in solchen Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Gericht eine Vorlage trotz der --seiner Auffassung nach bestehenden-- Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Eine Verletzung der Vorlagepflicht liegt auch vor, wenn das letztinstanzliche Gericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (nur) dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Gericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn das Fachgericht das Vorliegen eines "acte clair" oder eines "acte éclairé" willkürlich bejaht. Das Gericht muss sich daher hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des EuGH muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren. Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig ("acte clair") oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé").
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Unvertretbar gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 AEUV im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn das Fachgericht eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne sachliche Begründung (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 06.10.2017 - 2 BvR 987/16, Rz 9) beziehungsweise willkürlich (vgl. BVerfG-Beschluss vom 20.02.2017 - 2 BvR 63/15, Rz 8) bejaht.
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d) Im Übrigen hat der EuGH betont, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung gebietet, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das im Einklang mit dem mit ihm verfolgten Ziel steht (vgl. EuGH-Urteile Impact vom 15.04.2008 - C-268/06, EU:C:2008:223, Rz 101; Lopes Da Silva Jorge vom 05.09.2012 - C-42/11, EU:C:2012:517, Rz 56; Specht u.a. vom 19.06.2014 - C-501/12 bis C-506/12, EU:C:2014:2005, Rz 88 und PPU - JZ vom 28.07.2016 - C-294/16, EU:C:2016:610, Rz 33).
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3. Gemessen daran hat der Senat seine Vorlagepflicht nicht offensichtlich unhaltbar verneint, sodass kein Fall des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorliegt.
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a) Der Senat hat die Vorlagepflicht nicht grundsätzlich verkannt. Das ergibt sich bereits aus seinen Ausführungen in Randziffer 41 des Urteils, in der der Senat unter Hinweis auf die zur Beurteilung der Vorlagepflicht maßgebliche Rechtsprechung des EuGH in seinem Urteil CILFIT vom 06.10.1982 - C-283/81 (EU:C:1982:335) eine Pflicht zur Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH verneint hat. In diesem Zusammenhang hat der Senat eine etwaige Vorlagepflicht nicht ohne sachliche Gründe außer Betracht gelassen, sondern vielmehr die von ihm vorgenommene Auslegung der Klasse DI 26.52 der NACE Rev. 1.1 für eindeutig und die Rechtslage daher als geklärt angesehen.
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Für die Auslegung des nationalen Rechts (im Verfahren VII R 4/20: § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EnergieStG) ist das nationale Gericht allein zuständig (vgl. z.B. EuGH-Urteile Asklepios Kliniken vom 27.04.2017 - C-680/15 und C-681/15, EU:C:2017:317, Rz 28 und Entertainment Bulgaria System vom 15.11.2017 - C-507/16, EU:C:2017:864, Rz 38). Deshalb prüft es auch in eigener Kompetenz, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts möglich ist.
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b) Auch ein bewusstes Abweichen von der Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen liegt nicht vor. Denn der Senat hat die für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblichen Rechtsgrundlagen ausführlich geprüft und sich dabei auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob einschlägige Rechtsprechung des EuGH vorliegt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 06.10.2017 - 2 BvR 987/16, Rz 9).
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c) Die Voraussetzungen der dritten Fallgruppe sind ebenfalls nicht erfüllt. Der Senat hat den ihm bei der Frage, ob ein "acte clair" vorliegt, zustehenden Beurteilungsspielraum nicht unvertretbar ausgefüllt.
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Er hat in seiner Entscheidung ausführlich geprüft und begründet, warum der NACE-Unterabschnitt DI 26 in der Klasse DI 26.52 "Herstellung von Kalk" nicht die Herstellung des streitgegenständlichen PCC umfasst und diesbezüglich keine Zweifel bestehen. Soweit die Klägerin auf eine jahrelange anderslautende Rechtsanwendungspraxis der Zoll- und Statistikbehörden verweist und deshalb die Nichtvorlage für unhaltbar hält, folgt der Senat dem nicht.
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Zwar besteht nach der Rechtsprechung des EuGH Veranlassung für die nationalen Gerichte, bei ihrer Beurteilung, ob es an einem vernünftigen Zweifel fehlt, besonders sorgfältig zu sein, wenn eine andere Handhabung durch die Zollbehörden vorliegt (EuGH-Urteil Intermodal Transports vom 15.09.2005 - C-495/03, EU:C:2005:552, Rz 34; vgl. auch EuGH-Urteil Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 - C-561/19, EU:C:2021:799, Rz 49 zu abweichenden Gerichtsentscheidungen). Jedoch fehlt es einerseits an einer entsprechenden Feststellung im Urteil des FG, andererseits hat der Senat in seiner Entscheidung unter Randziffer 40 die behauptete jahrelange anderslautende Rechtsanwendungspraxis der Zollbehörden durchaus berücksichtigt.
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Auch eine etwaige frühere abweichende Beurteilung einer Tätigkeit durch die Statistikbehörden begründet nicht ohne Weiteres die Pflicht des erkennenden Senats zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH, weil die Hauptzollämter in eigener Zuständigkeit über die Gewährung einer steuerlichen Begünstigung entscheiden (vgl. Senatsbeschluss vom 26.02.2020 - VII R 25/18, Rz 34).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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