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BFH 19.12.2018 - X B 101/18
BFH 19.12.2018 - X B 101/18 - Keine Klagestattgabe allein aufgrund unterbliebener Übersendung der Steuerakten durch das FA
Normen
§ 71 Abs 2 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 2 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 22. Juni 2018, Az: 6 K 603/17, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Allein der Umstand, dass das FA die Steuerakten nicht nach einmaliger formularmäßiger Aufforderung des FG übersendet, berechtigt das FG nicht zur Klagestattgabe .
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2. NV: Vor einer Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast hat das FG sich um eine Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bemühen .
Tenor
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Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 22. Juni 2018 6 K 603/17 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) erzielt aus dem Betrieb einer Gaststätte gewerbliche Einkünfte. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) hat gegen den Kläger Änderungsbescheide zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2012 und zum Gewerbesteuermessbetrag für 2011 und 2012 erlassen, in denen er Hinzuschätzungen zu den betrieblichen Erlösen vornahm. Der Kläger legte gegen alle Bescheide Einsprüche ein, wobei Einspruchsschreiben gegen die Festsetzungen für 2012 sowohl vor als auch nach Erlass dieser Bescheide beim FA eingingen.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 30. März 2017 verwarf das FA die vor Erlass der Bescheide eingelegten Einsprüche zur Einkommensteuer, Umsatzsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag für 2012 als unzulässig. Am 3. April 2017 erließ das FA eine weitere Einspruchsentscheidung, nach deren Entscheidungsgründen es die Einsprüche zu den Zinsfestsetzungen zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer für 2010 und 2011 zurückwies. Das Rubrum dieser Einspruchsentscheidung benennt als Entscheidungsgegenstand hingegen die Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2010 und 2011.
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Nach Klageerhebung forderte die beim Finanzgericht (FG) zuständige Berichterstatterin am 6. Juli 2017 das FA zur Übersendung der vollständigen, den Streitfall betreffenden Akten auf.
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Dieses übersandte mit Schriftsatz vom 20. Juli 2017 lediglich eine Kopie der Rechtsbehelfsakte und erklärte, aus seiner Sicht seien bei ihm zu allen angefochtenen Bescheiden noch Einsprüche anhängig. Es beabsichtige, die sachliche und rechtliche Würdigung in absehbarer Zeit vorzunehmen und über die Einsprüche zu entscheiden.
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Auf Anfrage des FG erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin einverstanden. Diese gab der Klage --mit Ausnahme des Gewerbesteuermessbescheids 2010-- statt. Zur Begründung führte sie aus, da das FA die Steuerakten nicht übermittelt habe, könne das Gericht keine Erkenntnisse zur Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide gewinnen. Dies gehe zu Lasten des FA, das die Feststellungslast trage.
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Mit seiner Beschwerde rügt das FA Verfahrensmängel.
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Der Kläger hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein vom FA geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das FG hat gegen seine aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO folgende Pflicht verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen.
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a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung verstößt ein FG gegen seine Sachaufklärungspflicht, wenn es Schlussfolgerungen aus dem Fehlen der Steuerakten zieht, ohne das FA --ungeachtet dessen nach § 71 Abs. 2 FGO bestehender Verpflichtung, die Akten von Amts wegen nach Erhalt der Klageschrift dem FG zu übermitteln-- zuvor ausdrücklich zur Übersendung der Akten aufzufordern. Selbst wenn die Akten beim FA gar nicht mehr vorhanden sein sollten, darf das FG nicht ohne Weiteres den unbelegten Behauptungen der Klägerseite folgen, sondern muss in anderer geeigneter Weise über die streitigen Tatsachen Beweis erheben (zum Ganzen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Dezember 1998 VIII R 52/97, BFH/NV 1999, 943, m.w.N.).
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Darüber hinaus hat der BFH bereits entschieden, dass ein FG selbst dann nicht ohne Beiziehung der Behördenakten entscheiden darf, wenn die Behörde auf entsprechende Aufforderungen nicht reagiert bzw. letztlich erklärt, die Akten unterlägen dem Datenschutz und enthielten ohnehin keine entscheidungserheblichen Inhalte (so BFH-Beschluss vom 21. Juni 2016 III B 29/16, BFH/NV 2016, 1483).
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b) Vorliegend hat das FG das FA zwar einmal zur Aktenübersendung aufgefordert. Das FA hat aber deutlich gemacht, dass es die Akten noch benötige, weil es über die bisher nicht beschiedenen Einsprüche entscheiden müsse. Bei dieser Sachlage hätte das FG keinesfalls ohne weiteren Hinweis an das FA aus der Nichtvorlage der Akten negative Schlüsse ziehen dürfen.
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Selbst bei einer Unmöglichkeit der Aktenvorlage oder einer ernsthaften Weigerung des FA zur Aktenübersendung --die hier nicht einmal gegeben war-- hätte das FG aber nicht sogleich eine Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast treffen dürfen. Der Senat hat bereits entschieden (Urteil vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, Rz 17 ff., m.w.N.), dass die Anwendung der Regeln der Feststellungslast nicht etwa das vorrangige Instrument richterlicher Entscheidungsfindung ist, sondern es sich dabei regelmäßig lediglich um eine "ultima ratio" handelt. Vorrangig sind in jedem Fall eigene Bemühungen des FG zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dabei sind die Beteiligten mit heranzuziehen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO).
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Das FG hätte daher hier zumindest seine Aktenanforderung gegenüber dem FA wiederholen und zugleich den Kläger --der keinerlei Unterlagen vorgelegt hatte-- zur Einreichung der entscheidungserheblichen Dokumente auffordern müssen. Denn auch der Kläger muss über die angefochtenen Bescheide und die Prüfungsberichte verfügen, anhand derer dem FG eine materiell-rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit hätte möglich sein können.
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2. Die weiteren Verfahrensrügen des FA waren danach nicht mehr zu prüfen.
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3. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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5. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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