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BFH 20.02.2018 - XI B 110/17
BFH 20.02.2018 - XI B 110/17 - Keine Beteiligung des Insolvenzverwalters am finanzgerichtlichen Verfahren
Normen
§ 85 Abs 1 S 1 InsO, § 85 Abs 2 InsO, § 240 ZPO, § 155 FGO, § 116 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 25. Oktober 2017, Az: 10 K 301/16, Urteil
nachgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 9. August 2018, Az: 10 K 301/16, Urteil
Leitsatz
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NV: Der Insolvenzverwalter ist im Fall eines Aktivprozesses nicht mehr am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt, wenn er die Aufnahme des Rechtsstreits gegenüber dem Finanzgericht ablehnt.
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 25. Oktober 2017 10 K 301/16 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen des R.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ am 2. Juni 2015 gegen R einen Umsatzsteuerbescheid für 2013, mit dem die Umsatzsteuer im Wege der Schätzung auf 92.808 € festgesetzt wurde. Die Steuerschuld war im Wesentlichen entsprechend der Festsetzung gezahlt worden.
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Nachdem gegen den Schätzungsbescheid durch R Einspruch eingelegt worden war, reichte seine Steuerberaterin die Umsatzsteuererklärung für 2013 beim FA ein. Danach ergab sich eine verbleibende Umsatzsteuer in Höhe von 88.973 €. Der Einspruch wurde jedoch mit Einspruchsentscheidung vom 2. November 2016 als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen erhob R am 2. Dezember 2016 Klage.
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Das Insolvenzgericht bestellte mit Beschluss vom 3. Januar 2017 den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des R (Az. ...). Mit Beschluss vom 31. März 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des R eröffnet. Das Insolvenzgericht bestellte den Kläger gleichzeitig zum Insolvenzverwalter.
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Mit Schreiben vom 8. Mai 2017 teilte der Kläger mit, dass er den Rechtsstreit nicht weiter verfolge. Das FA nahm mit Schreiben vom 20. Juni 2017 den Rechtsstreit auf.
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Das Finanzgericht (FG) wies mit Urteil vom 25. Oktober 2017 die Klage als unbegründet ab. Es ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu. Im Rubrum des Urteils war der Kläger als solcher mit dem Zusatz "als Insolvenzverwalter über das Vermögen des R" aufgenommen worden.
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Mit Schreiben vom 28. November 2017 beantragte der Kläger beim FG, das Rubrum dahingehend zu ändern, dass R anstelle des Klägers aufgenommen werde. Mit Schreiben der Berichterstatterin vom 29. November 2017 lehnte dies das FG ab.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner beim Bundesfinanzhof (BFH) am 1. Dezember 2017 eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Vortrag, dass eine Rubrumsberichtigung zu erfolgen habe.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG hat einen Verfahrensfehler begangen. Das Rubrum des vorinstanzlichen Urteils ist fehlerhaft. Der Kläger war nicht mehr am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt.
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1. Mit Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird grundsätzlich gemäß § 155 FGO i.V.m. § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) das finanzgerichtliche Verfahren unterbrochen (vgl. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 74 Rz 36, m.w.N.).
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Die Aufnahme des Verfahrens richtet sich danach, ob es sich bei dem Verfahren um einen Aktiv- oder Passivprozess handelt. Dabei kommt es nicht auf die verfahrensrechtliche Stellung als Kläger oder Beklagter an (BFH-Urteil vom 7. März 2006 VII R 11/05, BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573). Ein Aktivprozess ist dadurch gekennzeichnet, dass der Insolvenzschuldner eine Forderung geltend macht, die zur Insolvenzmasse gehört, und im Falle des Obsiegens die zur Verteilung stehende Masse vergrößern würde (vgl. BFH-Urteil in BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573; Loose, AO-Steuerberater 2007, 101, m.w.N.; Leipold, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2012, 103, 109). Bei einer Klage gegen einen Steuerbescheid kommt es darauf an, ob der Insolvenzschuldner die Steuer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt hat. Er verfolgt dann mit seiner Klage wirtschaftlich einen Erstattungsanspruch, so dass ein Aktivprozess vorliegt (vgl. Leipold, DStZ 2012, 103, 109 f., m.w.N. in Fn. 110).
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Nimmt der Insolvenzverwalter den Aktivprozess nach § 85 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) nicht auf, können sowohl der Insolvenzschuldner als auch die beklagte Finanzbehörde den Rechtsstreit aufnehmen (§ 85 Abs. 2 InsO). Die Ablehnung durch den Insolvenzverwalter, die auch formlos gegenüber dem FG erklärt werden kann (ebenso Leipold, DStZ 2012, 103, 110), führt dazu, dass der im Streit befindliche Massegegenstand freigegeben wird und die gesetzliche Prozessführungsbefugnis und Beteiligtenstellung wieder auf den Schuldner übergeht (Urteile des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 2006 IX ZR 161/04, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht --WM-- 2007, 406, Rz 18; vom 21. April 2005 IX ZR 281/03, WM 2005, 1084, Rz 5 f. und 10; ebenso HambKomInsR/Kuleisa, 6. Aufl., § 85 Rz 23; MünchKommInsO/ Schumacher, 3. Aufl, § 85 Rz 24; Leipold, DStZ 2012, 103, 110).
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2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der Kläger im Streitfall seit seinem Schreiben an das FG vom 8. Mai 2017 nicht mehr am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt war. Da R mit seiner Klage wirtschaftlich eine Erstattung zuviel gezahlter Umsatzsteuer geltend gemacht hat, handelt es sich --wie auch das FG ausgeführt hat-- um einen Aktivprozess, dessen Aufnahme der Kläger als Insolvenzverwalter ablehnen konnte. Die Beteiligtenstellung und die gesetzliche Prozessführungsbefugnis stand mit dieser Erklärung wieder dem R zu. Damit ist der Kläger fehlerhaft im Rubrum des Urteils der Vorinstanz aufgenommen worden.
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3. Dieser Fehler kann auch als Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Bei der vom FG zu beurteilenden gesetzlichen Prozessführungsbefugnis (Beteiligtenstellung) handelt es sich um eine Sachurteilsvoraussetzung, deren fehlerhafte Beurteilung einen Verfahrensmangel darstellt (BFH-Beschlüsse vom 15. März 2002 VII B 120/01, BFH/NV 2002, 943; vom 23. November 2010 V B 133/09, BFH/NV 2011, 612, Rz 5; jeweils m.w.N.).
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4. Der Kläger war auch berechtigt, gegen das Urteil der Vorinstanz die Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, obwohl während des finanzgerichtlichen Verfahrens auf der Seite des Klägers ein gewillkürter Beteiligtenwechsel eingetreten ist. Zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sind grundsätzlich alle Beteiligten des Verfahrens der Vorinstanz berechtigt (§ 115 Abs. 1 i.V.m. § 57 FGO). Ist das Urteil gegen den falschen Beteiligten ergangen, weil das FG --wie im Streitfall-- einen nach Klageerhebung eingetretenen gewillkürten Beteiligtenwechsel übersehen hat, ist auch der irrtümlich als Beteiligter Behandelte zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde befugt; denn er muss die Möglichkeit haben, das zu Unrecht gegen ihn ergangene Urteil zu beseitigen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1995 IV R 83/92, BFHE 177, 4, BStBl II 1995, 488, unter I.1., Rz 13 für den Fall der Revision).
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5. Wegen dieses Verfahrensfehlers, der zur Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils geführt hat, ist die Vorentscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dies ist auch deshalb geboten, weil R als richtiger Beteiligter bisher am Verfahren seit der Insolvenzeröffnung nicht beteiligt war.
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6. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
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