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BFH 21.07.2016 - V R 46/11
BFH 21.07.2016 - V R 46/11 - Kindergeld bei im EU-Ausland lebenden Kindern
Normen
§ 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009, Art 67 S 1 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 S 2 EGV 987/2009, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend FG München, 27. Oktober 2011, Az: 5 K 3245/10, Urteil
Leitsatz
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NV: Keinen Anspruch auf Kindergeld hat ein kindergeldberechtigter Elternteil im Inland, wenn das Kind in den Haushalt des räumlich getrennt und im Ausland lebenden anderen Elternteils aufgenommen ist (Anschluss an BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFH/NV 2016, 1213) .
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 27. Oktober 2011 5 K 3245/10 aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist polnische Staatsbürgerin, die in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) lebt und nichtselbständig tätig ist. Ihre 1991 geborene Tochter (T) lebte in den Jahren 2008 bis 2010 im Haushalt des von der Klägerin dauernd getrennt lebenden Kindsvaters in Polen und besuchte dort eine Schule. Der Kindsvater ist polnischer Staatsangehöriger und erhält eine Arbeitsunfähigkeitsrente. Polnische Familienleistungen bezieht er nicht.
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Nachdem die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsklägerin (die Familienkasse) im März 2008 Kindergeld für das Kind der Klägerin festgesetzt hatte, hob sie die Festsetzung mit Bescheid vom 27. Juli 2010 ab August 2010 auf, da der Kindsvater einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld habe. Der dagegen eingelegte Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der daraufhin erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 256 abgedruckten Urteil statt. Dagegen wendet sich die Familienkasse mit der Revision.
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Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 10. September 2014 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Trapkowski C-378/14 ausgesetzt. Nach Veröffentlichung des EuGH-Urteils Trapkowski vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015, 720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich zu dem EuGH-Urteil zu äußern. Beide Beteiligten sind der Auffassung, der EuGH habe ihren Rechtsstandpunkt bestätigt.
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Die Familienkasse beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
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Nach deutschem Recht sei für den Anspruch auf Kindergeld ein deutscher Wohnsitz erforderlich. Der im Ausland lebende Kindsvater sei daher nicht kindergeldberechtigt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG-Urteil verletzt § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Danach hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes.
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1. Die Familienkasse Sachsen der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsakts (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 2.2 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit Deggendorf - Familienkasse eingetreten (s. dazu Senatsurteil vom 19. September 2013 V R 25/12, BFH/NV 2014, 322, Rz 11 f.).
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2. Die Klägerin ist zwar kindergeldberechtigt, weil sie in Deutschland lebt und Mutter einer Tochter ist, die ihren Wohnsitz in Polen hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 EStG) und für die ein Anspruch auf Kindergeld besteht, da sie eine Schule besuchte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG).
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Die Klägerin hat aber keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes; denn mit Blick auf das Unionrecht ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG der Kindsvater vorrangig anspruchsberechtigt.
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a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.
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b) Eine Person hat nach Art. 67 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) --wie hier die Klägerin nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004-- Anspruch auf Familienleistungen (wie hier Kindergeld nach Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004) nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats (hier Deutschland gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der VO Nr. 883/2004) auch für Familienangehörige, die zwar in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, die aber so behandelt werden, als wohnten sie im zuständigen Mitgliedstaat. Denn bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 ist nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle Beteiligten --insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt-- unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (hier: Deutschland) fallen und dort wohnen (vgl. dazu eingehend EuGH-Urteil Trapkowski, EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501).
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Diese Fiktion führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (vgl. dazu im Einzelnen BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFH/NV 2016, 1213).
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c) So verhält es sich im Streitfall: T lebt im Haushalt des ebenfalls kindergeldberechtigten Kindsvaters, so dass die Klägerin gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG keinen Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldes hat.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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