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BFH 10.03.2016 - III R 2/15
BFH 10.03.2016 - III R 2/15 - (Verbösernde Einspruchsentscheidung nach Ergehen eines Teilerlasses - Erlass von Säumniszuschlägen: Billigkeitsverfahren und Abrechnungsverfahren - Verfügungsverbot nach § 309 Abs. 1 Satz 1 AO)
Normen
§ 130 AO, § 172 AO, § 222 AO, § 227 AO, § 240 Abs 1 S 4 AO, § 258 AO, § 309 Abs 1 S 1 AO, § 367 Abs 1 AO, § 367 Abs 2 S 1 AO, § 367 Abs 2 S 2 AO, § 74 FGO, § 218 AO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 7. Mai 2014, Az: 1 K 1556/13, Urteil
Leitsatz
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1. Das FA ist nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO verfahrensrechtlich zum Erlass einer verbösernden Einspruchsentscheidung berechtigt, wenn ein Teilerlass mit dem Einspruch angefochten wird.
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2. Aufgrund der im Einspruchsverfahren geltenden umfassenden Überprüfungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO ist das FA nicht an die Voraussetzungen der Korrekturvorschriften §§ 130 f., 172 ff. AO gebunden.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Mai 2014 1 K 1556/13 dahin geändert, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
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Die Revision der Kläger wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger betreibt zusammen mit seinem Bruder die Firma ... OHG (OHG), deren Gesellschaftszweck der Betrieb eines Handelsgewerbes im Bereich der Güterbeförderung im Straßenverkehr ist. Außerdem erzielt der Kläger als Schiffsführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
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Im Rahmen einer für die Jahre 2001 bis 2003 durchgeführten Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass sehr hohe Einlagen in das Betriebsvermögen der OHG geleistet wurden, welche den Gesellschaftern jeweils zu gleichen Teilen gutgeschrieben wurden. Eine Steuerfahndungsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass als einzig mögliche Geldquelle für die ungeklärten Bareinlagen die gewerbliche Schiffsführertätigkeit des Klägers in Betracht komme. Daraufhin erließ der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Jahre 2008 entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005.
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Dagegen legten die Kläger am 9. September 2008 zunächst ohne Begründung Einspruch ein. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2008 gaben sie zur Herkunft der ungeklärten Einlagen Spielbankgewinne im Ausland, einen Lottogewinn, Geschenke und die Veräußerung von Privatvermögen an. Im Mai und Juni 2010 änderten sie ihren Vortrag. In einem am 11. Mai 2010 durchgeführten Gespräch an Amtsstelle wiesen die Kläger auf Doppelbuchungen und weitere bisher nicht vorgetragene Möglichkeiten für die ungeklärten Einlagen hin, die mit mehreren Schreiben im Juni 2010 zusammengefasst und anhand von Buchungsunterlagen und Kontoauszügen belegt wurden. Dies führte dazu, dass das FA in den Einspruchsentscheidungen vom 10. Januar 2011 den Einsprüchen teilweise stattgab.
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Während des Rechtsbehelfsverfahrens hatten die Kläger mit Schreiben vom 16. Oktober 2008, 27. Oktober 2008 und 15. Februar 2011 beim FA Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) gestellt, die das FA ablehnte.
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Aufgrund der Vollstreckungsrückstände nahm das FA bereits seit 2008 diverse Pfändungen vor, die jedoch nach einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem FA am 25. November 2008 überwiegend nicht verwertet wurden, um den Klägern Gelegenheit zu geben, Rechtsbehelfe einzulegen bzw. zu begründen.
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Die gegen die Einspruchsentscheidung vom 10. Januar 2011 erhobene Klage wegen Einkommensteuer 2002 bis 2005 wurde in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem sich die Kläger und das FA dahin verständigt hatten, dass die in der Einspruchsentscheidung angesetzten zusätzlichen Gewinne nur zur Hälfte dem Einzelunternehmen des Klägers, im Übrigen aber dem Bruder des Klägers als Sonderbetriebseinnahmen im Rahmen der Mitunternehmerschaft zuzurechnen seien. Den noch beim Finanzgericht (FG) anhängigen Anträgen auf AdV trug das FA insoweit Rechnung, als es rückwirkend ab Antragstellung beim FA --15. Februar 2011-- die AdV im Rahmen der Änderungen gewährte.
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Mit mehreren Schreiben vom 5. April 2012 beantragten die Kläger insgesamt Säumniszuschläge in Höhe von 125.515,50 € für die Jahre 1998 bis 2005 sowie für die angepassten Vorauszahlungsbeträge 2007 und 2008 gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Mit Bescheid vom 9. November 2012 erließ das FA die Säumniszuschläge zur Hälfte, soweit die Kläger in der Hauptsache Erfolg gehabt hatten. Die danach zu erlassenen Säumniszuschläge ermittelte es mit 32.059,83 €. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab.
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Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Nachdem das FA die Kläger auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen hatte, hob es mit Einspruchsentscheidung vom 10. April 2013 den bisher gewährten Teilerlass auf. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass die Kläger erstmals in diversen Schreiben vom Juni 2010 zur Mittelherkunft einzelner Hinzuschätzungsbeträge Stellung genommen hätten. Nach eingehender Überprüfung sei dem Sachvortrag teilweise stattgegeben worden. Zu diesem Zeitpunkt sei ein Antrag auf AdV nicht mehr gestellt gewesen.
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Gegen die Einspruchsentscheidung erhoben die Kläger Klage. Sie begehrten die Aufhebung des Bescheids vom 9. November 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2013 und die Verpflichtung des FA, die Höhe der zu erlassenden Säumniszuschläge neu zu bestimmen. Zur Begründung trugen sie vor, sie hätten gegen die zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen rechtzeitig Einspruch eingelegt und AdV beantragt. Schon während des Gesprächs im Mai 2011 habe ihr Bevollmächtigter vorgetragen, dass ein Betrag von 100.000 € bis 150.000 € unstreitig sei, und angeboten, die gepfändeten Geldguthaben bei der Bausparkasse und die Pfandbriefe bei der Bank zur Tilgung zu verwenden. Das FA hätte auf diesen Vorschlag nicht reagiert. Darüber hinaus habe der Bevollmächtige am 29. Mai 2010 für jedes einzelne Jahr zwischen 30 und 35 Geschäftsvorfälle nachweisen können, in denen in buchungstechnisch unkorrekter Weise zusätzliche Gewinnerhöhungen in Steuerbescheiden enthalten gewesen seien. Doppelbuchungen und die Verwechslung von Soll und Haben durch zwei Betriebsprüfer hätten ernstliche rechtliche Zweifel an den Steuerbescheiden begründet. Zudem seien ihnen sämtliche Geldmittel durch die Pfändungen entzogen worden.
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Das FG erachtete die Klage nur hinsichtlich der Aufhebung des Teilerlasses als begründet. Diese richte sich nach den §§ 130, 131 AO, wobei im Streitfall allein § 130 AO einschlägig sei. Dessen Voraussetzungen seien allerdings nicht gegeben. Im Übrigen habe das FA mit der Entscheidung, über den gewährten Teilerlass hinaus den Erlass abzulehnen, nicht die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten und ermessensgerecht gehandelt.
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Gegen dieses Urteil wenden sich das FA und die Kläger mit der Revision.
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Das FA macht mit seiner Revision geltend, im Einspruchsverfahren sei auch eine Verböserung des angefochtenen Verwaltungsakts zulässig. Bei einem Teilerlass und der Ablehnung im Übrigen handele es sich um einen einheitlichen Verwaltungsakt. Erst die Bestandskraft des Erlasses führe zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. In der Sache bestehe auch auf einen Teilerlass kein Anspruch, weil die Kläger nicht alles getan hätten, um eine AdV zu erreichen.
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Die Kläger begründen ihre Revision damit, dass schon ein Teil der Säumniszuschläge nicht entstanden sei, weil aufgrund des Gesprächs am 25. November 2008 eine stillschweigende Stundung oder AdV gewährt worden sei, so dass allenfalls Stundungs- oder Aussetzungszinsen angefallen seien. Zur Klärung der genauen Höhe der Beträge sei ein Abrechnungsbescheid beantragt worden.
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Darüber hinaus habe das FG nicht beachtet, dass Säumniszuschläge für den Zeitraum zwischen der Vorlage der Ausarbeitungen des Steuerberaters im Mai 2010, die zu einer erheblichen Herabsetzung der Steuerfestsetzungen im Januar 2011 geführt hätten, und der tatsächlich gewährten AdV ab 15. Februar 2011 entstanden seien. Zumindest mit den Schreiben Mai/Juni 2010 hätten sie alles getan, was von ihnen habe verlangt werden können. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass die ursprünglichen Steuerfestsetzungen auch auf fehlerhaften Ermittlungen des FA beruht hätten.
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Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung und die Entscheidung des FA vom 9. November 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2013 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Höhe der zu erlassenden Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bestimmen und die Revision des FA zurückzuweisen.
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Das FA beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen, die Vorentscheidung, soweit sie dem klägerischen Begehren entsprochen hat, aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Änderung der Vorentscheidung des FG und zur Klageabweisung in vollem Umfang (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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1. Der Senat kann über den beantragten Billigkeitserlass unabhängig von dem von den Klägern beantragten Abrechnungsbescheid über die Säumniszuschläge entscheiden. Denn das Billigkeitsverfahren nach § 227 AO und das Abrechnungsverfahren nach § 218 AO stehen selbständig nebeneinander (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. April 2003 XI B 175/02, BFH/NV 2003, 1393, und vom 31. Juli 2007 VIII B 42/05, BFH/NV 2007, 2305). Deshalb muss das Billigkeitsverfahren auch nicht ausgesetzt werden, wenn geltend gemacht wird, Säumniszuschläge seien aus anderen Gründen bereits nicht entstanden (BFH-Urteil vom 20. Mai 2010 V R 42/08, BFHE 229, 83, BStBl II 2010, 955, Rz 28).
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2. Das FG hat zu Unrecht eine Änderungsmöglichkeit des mit Bescheid vom 9. November 2012 ausgesprochenen Teilerlasses verneint. Das FA war nach § 367 Abs. 2 AO verfahrensrechtlich berechtigt, in der Einspruchsentscheidung den zuvor gewährten Teilerlass aufzuheben.
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Gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde im Einspruchsverfahren den Verwaltungsakt "in vollem Umfang erneut zu prüfen". Sie kann nach Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift den Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers ändern, wenn dieser zuvor auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu äußern. Die Finanzbehörde kann dann im Einspruchsverfahren ebenso entscheiden, als ob sie die Sache erstmals in einem Verwaltungsakt regelt.
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Dies gilt auch für die nach § 227 AO zu treffende Ermessensentscheidung, die ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 367 Abs. 2 AO erfasst wird (vgl. BFH-Urteil vom 18. August 2015 V R 2/15, Deutsches Steuerrecht 2015, 2382, Rz 15; BFH-Beschluss vom 19. November 2007 VIII B 30/07, BFH/NV 2008, 335). Die Rechtsbehelfsstelle hat eine eigenständige Entscheidung aufgrund der sich im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage zu treffen. Sie kann daher auch geänderte Erwägungen anstellen und eine Entscheidung zum Nachteil des Einspruchsführers korrigieren, wenn sie die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des Verböserungshinweises einhält. Die Finanzbehörde verbraucht mithin durch die Gewährung eines Teilerlasses, sofern dieser mit dem Einspruch angefochten wird, das ihr in § 367 Abs. 2 Satz 2 AO eingeräumte Recht der Selbstkontrolle nicht. Ein Teilabhilfebescheid hindert daher die Verböserung nicht (vgl. BFH-Urteil vom 6. September 2006 XI R 51/05, BFHE 214, 83, BStBl II 2007, 83; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 367 AO Rz 22).
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Der umfassenden Überprüfungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 2 AO steht die Rücknahmevorschrift des § 130 AO nicht entgegen. Zwar gilt § 130 AO gemäß § 132 Satz 1 AO auch während des Einspruchsverfahrens. Der zulässig eingelegte Einspruch gegen einen Verwaltungsakt hindert jedoch den Eintritt der formellen bzw. materiellen Bestandskraft. Damit wird die Behörde verpflichtet, über den durch den angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Lebenssachverhalt vollumfänglich erneut zu entscheiden (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Mangels Bestandskraft des Verwaltungsakts ist die Behörde damit nicht an die Voraussetzungen der allgemeinen Korrekturvorschriften, wie z.B. §§ 130 f., 172 ff. AO, gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2010 II R 38/08, BFH/NV 2010, 1236, Rz 21; Wernsmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler --HHSp--, § 132 AO Rz 16; Cöster in Koenig, 3. Aufl., § 367 AO Rz 22; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 132 AO Rz 1).
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Das vom FG angeführte BFH-Urteil vom 5. Februar 1975 I R 85/72 (BFHE 115, 173, BStBl II 1975, 677) betrifft hingegen den Widerruf eines bestandskräftig gewährten Erlasses.
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Da das FA die Kläger in Übereinstimmung mit § 367 Abs. 2 Satz 2 AO auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihnen Gelegenheit gegeben hat, sich zu äußern, war die Möglichkeit einer (auch negativen) Änderung nach § 367 Abs. 2 AO eröffnet.
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3. Die Revision der Kläger ist unbegründet. Die Entscheidung des FA, keine Säumniszuschläge zu erlassen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
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a) Entgegen der Ansicht der Kläger ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nicht die Frage, ob den verschiedenen Anträgen der Kläger auf Stundung oder AdV hätte entsprochen werden müssen, was zur Folge gehabt hätte, dass Säumniszuschläge in geringerer Höhe oder gar nicht entstanden wären. Diese Frage hätte nur durch Rechtsbehelfseinlegung in jenen Verfahren überprüft werden können (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juli 2015 III B 168/14, BFH/NV 2015, 1344, Rz 7 f.). Darüber hinaus kann allein das Ausbleiben von Vollstreckungsmaßnahmen des FA und das Schweigen auf einen Antrag auf AdV vom Schuldner nicht dahin verstanden werden, dass das FA die AdV des betreffenden Verwaltungsakts gewährt hat (BFH-Beschluss vom 16. Juni 2005 VII B 273/04, BFH/NV 2005, 1747).
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b) Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach der Lage des einzelnen Falls --aus persönlichen oder sachlichen Gründen-- unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen einschließlich der nach § 240 Abs. 1 AO entstehenden Säumniszuschläge.
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Sachlich unbillig ist die Festsetzung bzw. Einziehung einer Steuer oder Nebenleistung, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- i.S. der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, m.w.N.). Bei der Billigkeitsprüfung müssen solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt (BFH-Urteil vom 21. Juli 1993 X R 104/91, BFH/NV 1994, 597). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt in der Regel keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, und vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663; jeweils m.w.N.); insbesondere kann § 227 AO nicht als Rechtsgrundlage für eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift dienen (BFH-Urteil vom 10. Mai 1972 II 57/64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649). Die Billigkeitsprüfung darf sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen beschränken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, m.w.N.).
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c) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die vom FA getroffene Entscheidung, Säumniszuschläge nicht zu erlassen, nicht zu beanstanden.
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aa) Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO sind Säumniszuschläge zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Nach § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bleiben die verwirkten Säumniszuschläge unberührt, wenn die Festsetzung einer Steuer aufgehoben oder geändert wird. Diese Regelung gilt uneingeschränkt auch für die Beseitigung rechtswidriger Steuerfestsetzungen, da die Vollstreckbarkeit eines Steuerbescheids nicht von seiner Bestandskraft abhängt. Säumniszuschläge sind allerdings nicht verwirkt, soweit die Vollziehung des Steuerbescheids ausgesetzt ist.
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Deshalb ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben worden ist und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die AdV eines Steuerbescheids zu erreichen, das FA aber die Aussetzung "obwohl möglich und geboten" abgelehnt hat. Ein Erlass kommt hingegen nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige sich nicht um die AdV bemüht hat oder wenn die Vollziehung nicht ausgesetzt worden ist, weil --z.B. in Schätzungsfällen-- keine ernstlichen Zweifel bestanden und der Steuerbescheid erst aufgrund nachgereichter Steuererklärungen aufgehoben worden ist (BFH-Urteil vom 24. April 2014 V R 52/13, BFHE 245, 105, BStBl II 2015, 106, Rz 11, m.w.N.).
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bb) Im Streitfall haben die Kläger nach den Feststellungen des FG nicht alles getan, um die AdV zu erreichen. Die Einsprüche gegen die Änderungsbescheide vom 9. September 2008 wurden zunächst --wie das FG zu Recht festgestellt hat-- nicht "ernsthaft" begründet, ebenso nicht die Anträge auf AdV bzw. Stundung. Die Ablehnung der am 16. und 27. Oktober 2008 gestellten Aussetzungsanträge war daher rechtmäßig. Eine nachvollziehbare Begründung ihres Einspruchs legten die Kläger erstmals im Mai/Juni 2010 vor. Aufgrund dieser Einwendungen hat das FA in den Einspruchsentscheidungen vom 10. Januar 2011 den Einsprüchen teilweise stattgegeben. Mit der erstmaligen substantiierten Einspruchsbegründung haben die Kläger aber keinen erneuten Antrag auf AdV gestellt. Erst nach Erlass der Einspruchsentscheidungen vom 10. Januar 2011 haben die Kläger mit Schreiben vom 15. Februar 2011 erneut AdV beantragt, dem rückwirkend ab Antragstellung in dem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren aufgrund eines neuen Vorbringens teilweise entsprochen wurde.
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cc) Sachliche Unbilligkeit i.S. des § 227 AO lässt sich entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass das FA zunächst auf Wunsch der Kläger auf die vorübergehende Einziehung der gepfändeten Forderungen verzichtet und insoweit einen Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO gewährt hat. Denn Maßnahmen des Vollstreckungsaufschubs, mit denen die Vollstreckungsbehörde lediglich auf einzelne Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet, lassen die Steuerforderungen und damit auch deren Fälligkeit unberührt. Der Vollstreckungsaufschub ist regelmäßig kein Grund für einen teilweisen Erlass wegen sachlicher oder persönlicher Unbilligkeit, da Vollstreckungsschutz bereits bei einer vorübergehenden Notlage zu gewähren ist, die nicht die Einziehung der Forderung, sondern lediglich die Art und Weise sowie den Umfang oder den Zeitpunkt ihrer Vollstreckung als unbillig erscheinen lässt (BFH-Urteil vom 14. Mai 1987 X R 26/81, BFH/NV 1988, 411).
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dd) Soweit die Kläger vorbringen, sie hätten das FA gebeten, hinsichtlich eines unstreitigen Teils der Steuerforderungen die gepfändeten Geldguthaben zu verwerten, begründet auch dies keinen sachlichen Billigkeitsgrund.
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Den Klägern blieb es trotz des (relativen) Verfügungsverbots nach § 309 Abs. 1 Satz 1 AO unbenommen, die Drittschuldner (Banken) anzuweisen, an das FA als Vollstreckungsgläubiger zu zahlen, um damit die Säumniszuschläge möglichst gering zu halten. Denn das Verfügungsverbot bezieht sich nur auf Verfügungen, die die Rechtsstellung des Vollstreckungsgläubigers beeinträchtigen. Verfügungen, die die Rechtsstellung des Vollstreckungsgläubigers nicht beeinträchtigen, werden von dem durch die Forderungspfändung begründeten Verfügungsverbot nicht berührt (Beermann in HHSp, § 309 AO Rz 117).
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ee) Das FA hat des Weiteren zu Recht eine (persönliche) Erlass- oder Stundungssituation (§ 222 AO), die einen Teilerlass der Säumniszuschläge hätte rechtfertigen können (vgl. BFH-Urteile vom 16. Juli 1997 XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; vom 30. März 2006 V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612), verneint. Eine Stundung wäre nur dann geboten gewesen, wenn eine Erlass- oder Stundungsbedürftigkeit gegeben gewesen wäre (Senatsurteil vom 7. Mai 1993 III R 43/89, BFH/NV 1994, 144). Eine solche lag aber im vorliegenden Fall nicht vor, da den Klägern während des Säumniszeitraums ausreichende Mittel zur Zahlung der fälligen Steuerforderungen zur Verfügung gestanden haben.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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